06.09.2012

Zivilgesellschaftliches Engagement in der Diktatur in Belarus und die Rolle der EU

Weißrussland

© Marco Fieber

Aus bedrohte völker_pogrom 271, 3/2012

Staat und Gesellschaft haben sich in Belarus nach den autoritären Staatsvorstellungen von Präsident Alexander Lukaschenko zu entwickeln. Im November 1996 änderte er mit einem manipulierten und verfassungswidrigen Referendum die Verfassung, die ihm und seiner Präsidialverwaltung uneingeschränkte Macht über Staat, Gesellschaft und Bürger gibt. Oppositionsparteien und unabhängige zivilgesellschaftliche Vereinigungen verfügen über minimale Handlungsspielräume und werden bei Parlamentswahlen durch Wahlfälschung ins Abseits gedrängt. Gegen diesen autoritären Staat formiert sich jedoch Widerstand: Das Recht des Bürgers auf freie Meinungsäußerung, auf Versammlungsfreiheit oder auf freie und faire Wahlen sucht Entfaltung und Respekt in Belarus.

Es wird jedoch unterdrückt, denn wer Bürgerrecht einfordert, läuft Gefahr, schikaniert, willkürlich verhaftet oder zu hohen Geldstrafen verurteilt zu werden. Das Regime hat Staat und Gesellschaft von der von gemeinsamen Werten geprägten europäischen Entwicklung abgekoppelt. Nun versucht es, sich unter Nutzung russischer Preisvergünstigungen für Öl und Gas und einen für belarussische Güter aufnahmefähigen russischen Markt am Leben zu erhalten. Doch die Menschen wollen an den Entwicklungen in Europa teilhaben und stellen sich der Allmacht des Regimes entgegen.

So gab es nach Massenverhaftungen, die der gewaltsamen Auflösung einer friedlichen Demonstration der Bürger gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im November 2010 folgten, landesweiten Protest und spontane Hilfsaktionen für die Familien der verhafteten und verfolgten Mitbürger. Seit 2005 kommuniziert die Vereinigung „Unser Haus“ landesweit mit Bürgern über die täglichen Sorgen der Menschen im Umgang mit der zentral gesteuerten Staatsverwaltung, für die der Bürger kein Partner, sondern ein zu gängelnder Untertan ist. Die EU und andere europäische Institutionen haben die staatliche und gesellschaftliche Transformation in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf Grundlage der KSZE -Charta von November 1990 seit 1991 aktiv unterstützt. 2009 hat die EU schließlich das Projekt „Östliche Partnerschaft“ beschlossen.

Ziel ist die politische Annäherung von Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldawien und der Ukraine an die EU und deren wirtschaftliche Integration. Angesichts vielfältiger Beeinträchtigungen der Menschenrechte in mehreren dieser Länder ist innerhalb der Östlichen Partnerschaft eine „Zivilgesellschaftliche Plattform“ entstanden, mit der Bürgerrechte gefördert werden sollen. Das Zivilgesellschaftliche Forum nimmt auch an Treffen des Parlamentarischen Forums der Östlichen Partnerschaft teil, in dem Belarus wegen unzureichender demokratischer Legitimation seines Parlaments nicht vertreten ist. In Belarus bereiten NGOs sehr aktiv die Mitwirkung an den Treffen des Zivilgesellschaftlichen Forums vor.

Die Wirkungen, die von den gemeinsamen Beratungen in diesem Forum auf die autoritären Regime in Osteuropa ausgehen, sind schwer zu messen, aber gewiss langfristig von Gewicht. Europa wird weitere Schritte unternehmen müssen, um bedrängten Zivilgesellschaften in Osteuropa im Ringen mit autoritären Regimes, nicht nur in Belarus, glaubwürdig eine bessere Perspektive für die Zukunft zu vermitteln. Lehre und Forschung an Universitäten und anderen Institutionen müssen sich der Transformationsprobleme in Osteuropa systematisch annehmen.

Mit diesem Auftrag wurde bereits Anfang der 1990er Jahre die „Europäische Humanistische Universität“ in Minsk gegründet. Lukaschenko ließ die Bildungseinrichtung 2004 schließen. 2005 nahm sie ihren Lehrbetrieb als Exiluniversität im litauischen Vilnius wieder auf. Widerstand gegen das Regime funktioniert auch außerhalb der Diktatur.

[Zum Autor]

Dr. Hans-Georg Wieck ist Vorsitzender des Vereins „Menschenrechte in Belarus“ in Berlin.


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