15.09.2007

Wiederaufbau braucht Sicherheit – Doch ohne Kurskorrektur wird das Afghanistan-Engagement unglaubwürdig!

"Raus aus Afghanistan" ist nicht die Lösung für die Probleme am Hindukusch. Ein schneller Abzug der ISAF würde nur den Wiederaufbau gefährden, der ohnehin sehr schleppend vorankommt. Denn Wiederaufbau braucht Sicherheit. Ohne Wiederaufbau würde in Afghanistan Gewalt und Menschenrechtsverletzungen eskalieren. Auch würde eine humanitäre Katastrophe ausgelöst, da Millionen Menschen bei einer weiteren Zunahme von Konflikten mit Hilfsgütern versorgt werden müssten.

Nach dem Sturz der Taliban vor sechs Jahren hatte die internationale Gemeinschaft großzügige Hilfe beim Wiederaufbau und bei der Stabilisierung eines demokratischen Rechtsstaates versprochen. Wenn heute die ISAF militärisch so massiv unter Druck kommt, so ist dies zu einem Großteil ihrem eigenen Versagen beim Aufbau einer glaubwürdigen afghanischen Armee und Polizei zuzuschreiben. Noch hat die internationale Gemeinschaft ihr Versprechen nicht umgesetzt, allseits respektierte afghanische Sicherheitskräfte aufzubauen, die ohne ausländische Hilfe Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit garantieren können. Die vor allem von Deutschland geförderte Polizeireform steckt noch in den Kinderschuhen. Wenn Polizisten von der Bevölkerung mehr als Bedrohung, denn als Schutz betrachtet werden, sollte dies zu denken geben. Lange wurden zu wenige Polizisten von Deutschland ausgebildet. Nachdem sich innerhalb des Jahres 2005 die Angriffe auf afghanische und ausländische Streitkräfte verdreifacht und die Selbstmordanschläge versechsfacht hatten, wurden verstärkt Polizisten geschult, die jedoch oft nur unzureichend ausgebildet sind. Willkür, Korruption und Vetternwirtschaft behindern den Aufbau von allseits anerkannten Sicherheitskräften. Schätzungen zufolge haben rund 70 Prozent der neu ausgebildeten Polizisten und Soldaten inzwischen wieder ihren Dienst quittiert, weil ihre Löhne nicht ausgezahlt wurden oder Warlords eine bessere Bezahlung boten. Doch vor allem fehlt es an einer wirksamen Kontrolle der Polizei, um Rechtsverletzungen zu verhindern.

Auch der Aufbau einer afghanischen Armee kommt nicht wie geplant voran. Warlords lassen nichts unversucht, um mit ihren Privatarmeen die offiziellen afghanischen Streitkräfte zu unterwandern. Mangelnder ethnischer Proporz bei der Einstellung von Soldaten schürt weiter Konflikte in dem Vielvölkerstaat, da zahlreiche ethnische Gruppen sich nicht ausreichend in den Streitkräften vertreten fühlen. Eine denkbar ungünstige Ausgangslage, um als neutrale Ordnungsmacht allseits respektiert zu werden.

Das internationale Engagement für den Wiederaufbau war von Beginn an halbherzig. Frieden, Stabilität und Wohlstand, die von der internationalen Gemeinschaft versprochen wurden, blieben für die meisten Afghanen leere Worthülsen. Außerhalb Kabuls spüren viele Menschen nur wenig Verbesserung ihrer Lage und niemand garantiert ihnen Sicherheit. Zwar werden regelmäßig neue Schulen und Straßen in Betrieb genommen, doch es fehlt an einer wirksamen Koordinierung der Hilfs- und Aufbauprojekte. So geht nicht wenig der Hilfe an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei oder kommt vor allem gut bezahlten ausländischen Beratern und "Experten" zugute. Viel mehr Hilfe muss über afghanische Institutionen geplant und abgewickelt werden, um sicherzustellen, dass diese Projekte auch tatsächlich der örtlichen Bevölkerung helfen und langfristig fortgeführt werden.

Die internationale Gemeinschaft betont ihr großes finanzielles Engagement in Afghanistan. Doch bislang fließt das meiste Geld in den Sicherheitsbereich und nicht in den Wiederaufbau, sondern in den Sicherheitsbereich. So sind von den im Januar 2007 von den USA zugesagten 10,6 Milliarden US-Dollars nur zwei Milliarden für den Wiederaufbau und die Drogenbekämpfung vorgesehen, der Rest soll zur Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Armee dienen.

Beim Wiederaufbau muss strikt zwischen Soldaten und Helfern unterschieden werden, um die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau nicht zu gefährden. Denn die Arbeit der Helfer wird noch gefährlicher, wenn sie von ausländischen Soldaten begleitet werden. In den letzten Monaten wurden immer häufiger Helfer bedroht, entführt oder überfallen. Erst jüngst kündigte die Deutsche Welthungerhilfe aufgrund der schwierigen Sicherheitslage einen Strategie-Wechsel in ihrem Afghanistan-Einsatz an.

Korruption und Vetternwirtschaft behindern einen wirksamen Wiederaufbau. Nach Schätzungen der Weltbank werden in Afghanistan rund 35 bis 40 Prozent der für den Wiederaufbau bestimmten Gelder verschwendet. Dringend erforderlich ist eine stärkere Förderung guter Regierungsführung. So muss Korruption mit aller Entschiedenheit bekämpft werden. Dem Aufbau einer effektiven Verwaltung und einer starken Zivilgesellschaft sollte von der internationalen Gemeinschaft absoluter Vorrang eingeräumt werden.

Das Afghanistan-Engagement muss neben der Sicherheitsfrage die Menschenrechte wieder stärker berücksichtigen. Denn die internationale Gemeinschaft zeigte sich nach dem Sturz der Taliban entschlossen, den Schutz von Bürgerrechten und grundlegenden Menschenrechten in Afghanistan zu garantieren. Doch sowohl die Rechte von Frauen, die Presse- und Redefreiheit, als auch die Rechte der zehntausenden Binnenflüchtlinge sind zwar auf dem Papier festgeschrieben, im Alltagsleben jedoch noch lange nicht gesichert. Auch von einer guten Regierungsführung, einem Ende der Straflosigkeit für schwerste Menschenrechtsverbrechen sowie von einer intakten Zivilgesellschaft ist Afghanistan noch weit entfernt. Dringend muss die internationale Gemeinschaft die von ihr mit angeregten Reformen nun weiter aktiv unterstützen, damit Demokratie und Menschenrechte gestärkt werden.

So ist es ein Hohn, dass Warlords, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich sind, noch immer führende Positionen in Regierung, Verwaltung, Parlament und Justiz innehaben. So wird dem amtierenden Energieminister Ismail Khan vorgeworfen, nicht nur in seiner Zeit als Gouverneur, sondern auch als Muhajedin-Kommandeur schwere Menschenrechtsverletzungen verübt zu haben. Der tadschikische Heerführer ließ nicht nur seine Polizei, Privatarmee und seinen Geheimdienst systematisch die Bevölkerung der Provinz Herat einschüchtern und terrorisieren. Er legte auch gerne selbst Hand an beim Foltern, berichteten Augenzeugen.

Eine düstere Vergangenheit hat auch General Abdul Rashid Dostum. Der Stabschef der Armee und ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister unter Präsident Karzai war als Führer der Junbish-Partei während des Bürgerkrieges in den 90er-Jahren für zahlreiche Plünderungen, Morde sowie für Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich. Der Usbeken-General soll auch für die Ermordung von rund 2.500 gefangenen Taliban-Kämpfern verantwortlich sein, die sich im November 2001 ergeben hatten. Augenzeugen und Menschenrechtler hatten Massengräber mit den Leichen der Ermordeten aufgespürt, doch die Regierung Karzai und ihre internationalen Verbündeten unternahmen nichts, um die Spuren des Massenmords zu dokumentieren und den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Der zweite Vizepräsident Afghanistans, Abdul Karim Khalili, war als stellvertretender Kommandeur der Wahdat-Miliz 1992/93 für schwere Angriffe auf dicht bevölkerte Stadtviertel Kabuls verantwortlich. Wahllos wurden bei den Raketen-Attacken auch zivile Ziele beschossen. Khalili wird auch vorgeworfen, Plünderungen, Entführungen und Morde angeordnet oder gedeckt zu haben. Der Hazara-Kommandeur wird auch beschuldigt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben und die ethnische Vertreibung von Angehörigen der Volksgruppe der Paschtunen befohlen zu haben.

Nicht minder schwer sind die Vorwürfe gegen den sehr einflussreichen Parlamentarier Rasul Abdul Sayyaf. Der berüchtigte Kriegsherr mit besten Verbindungen nach Saudi-Arabien war Oberkommandierender der Ittihad-Miliz, als diese 1992/93 Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kabul begingen. Er ist verantwortlich für Entführungen, Tötungen und Pogrome gegen Angehörige der Volksgruppe der Hazara im Februar 1993. Zahllose Menschen ließ er nur aufgrund ihrer ethnischen Abstammung inhaftieren. Der Warlord soll für Massengräber in der Nähe der Hauptstadt verantwortlich sein. Seine schärfsten Kritiker werfen ihm vor, mehrere Dutzend Menschen in Privatgefängnissen festzuhalten. Sayyaf gilt als Propagandist des Dschihad und tritt kompromisslos für eine Islamisierung der afghanischen Gesellschaft ein. Nur knapp verfehlte er nach den Parlamentswahlen im September 2005 die Wahl zum Parlamentssprecher. Heute gilt Sayyaf als der "starke Mann" hinter der Regierung Karzai, dem es im Jahr 2004 sogar gelang, trotz eines von Karzai verhängten Stopps der Vollstreckung von Todesurteilen einen seiner Generäle hinrichten zu lassen. Der General wollte Massenmorde Sayyafs öffentlich bekannt machen und Beweise dafür liefern.

Ein enger Vertrauter Sayyafs ist der im Dezember 2001 zum Obersten Richter ernannte Haji Faizal Shinwari. Der Gelehrte für islamisches Recht unterstützt seit Ende der 70er-Jahre Sayyaf. Mehrfach war der Paschtune in den 90er-Jahren Verhandlungsführer der Muhajeddin-Kämpfer. Shinwari setzt sich für die Islamisierung der Justiz und Gesellschaft ein und bekräftigte mehrfach, dass die Sharia die Grundlage jeder Rechtsprechung sei. Der Richter gilt als Drahtzieher einer Anklage wegen "Gotteslästerung" gegen die ehemalige Frauenministerin Sima Samar im August 2002. Die Vorsitzende der Afghanischen Menschenrechtskommission hatte öffentlich die Anwendung der Sharia kritisiert. Im Januar 2003 ließ Shinwari fünf Fernsehsender verbieten, weil sie Spielfilme mit "obszönen" Szenen gezeigt hätten. Shinwari macht Konvertiten den Prozess und lehnt gemeinsamen Schulunterricht für Jungen und Mädchen ab. In der Verfassung garantierte Frauenrechte werden von dem Richter ignoriert. Systematisch benennt er Vertraute zu Richtern und erhöht so innerhalb kurzer Zeit die Zahl der Richter am Obersten Gerichtshof von 9 auf 137. Von den 36 Richtern am Obersten Gerichtshof, deren Ausbildung bekannt ist, hat keiner Rechtswissenschaft studiert. Außerdem besetzte er sämtliche Provinzgerichte mit mehr als 300 Leuten seiner Wahl.

Der ehemalige Bildungsminister und Sicherheitsberater Karzais, Mohammed Yunus Qanooni, ist heute einflussreicher Parlamentssprecher. Dem ehemaligen Kommandeur der Jamiat und Shura-e Nazar-Miliz wird Mitverantwortung für Vergewaltigungen, Plünderungen, Raubüberfälle, Tötung von Zivilisten und für Verletzungen des humanitären Völkerrechts vorgeworfen.

Diese sechs Fälle stehen beispielhaft für Dutzende Warlords, die noch immer einflussreiche Positionen in Verwaltung, Regierung und Parlament bekleiden. Zwar verkündete die Regierung Karzai im Dezember 2006 einen Aktionsplan für Frieden, Aussöhnung und Gerechtigkeit, der als Ziel formuliert, die Straflosigkeit zu beenden. Doch bereits im Februar 2007 verabschiedete das Parlament ein Amnestie-Gesetz, das Straffreiheit für alle zwischen 1979 und 2001 begangenen Delikte vorsieht. Massiv kritisierte die Afghanische Menschenrechtskommission diesen Versuch der Warlords, sich von jeder Schuld freizusprechen.

Wie groß der Einfluss von Warlords zeigte im August 2007 die Entführung eines Mädchens in der Provinz Kundus. Unter den Augen der Bundeswehr ließ ein ehemaliger Warlord und heutiger Distriktchef die elf Jahre alte Sanubar entführen und tauschte sie gegen einen Hund ein. Als die Afghanische Menschenrechtskommission begann, den Vorfall zu untersuchen, wurden ihre Mitarbeiter bedroht. Der zuständige Gouverneur von Kundus sah in dem Vorfall keinen Rechtsverstoß.

Auch die junge Parlamentsabgeordnete Malalai Joya bekam im Mai 2007 die ungebrochene Macht der Kriegsfürsten zu spüren, als sie die Warlords öffentlich im Parlament zum wiederholten Mal kritisierte. Die Volksvertretung beschloss daraufhin am 21. Mai 2007 ihren Ausschluss aus dem Parlament. Afghanistans Frauen fürchten in ganz besonderer Weise den fortbestehenden Einfluss der Kriegsfürsten, da diese Warlords systematisch alle in der Verfassung verankerten Frauenrechte ignorieren und verletzen. Wer seine Rechte trotzdem einfordert, muss mit Einschüchterung und Übergriffen rechnen. Im September 2006 wurde die Frauenbeauftragte der Provinz Kandahar, Safia Ama Dschan, ermordet. Nur theoretisch steht vielen Frauen der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit offen, praktisch sind sie noch immer die am meisten von Armut, Diskriminierung und Rechtlosigkeit betroffene Bevölkerungsgruppe. In vielen Landesteilen sind sie noch vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Gezielte Übergriffe radikal-muslimischer Kräfte auf Frauen und Mädchen sind alltäglich. So soll der Schulbesuch von Mädchen verhindert werden. Jedes Jahr töten sich mehrere hundert Frauen aus Verzweiflung über Entführungen, Zwangsheirat und Gewalt. Dringend muss der Schutz von Frauen verbessert werden und von der internationalen Gemeinschaft eine Umsetzung der in der Verfassung und in Gesetzen verbrieften Frauenrechte gefordert werden.

Auch die Lage der Binnenflüchtlinge und hunderttausender aus dem Ausland abgeschobener afghanischer Flüchtlinge wird immer schwieriger. Denn es fehlt an Arbeit und Land für die Heimkehrer. Die Situation wird noch durch massiven Landraub, für den Warlords und andere einflussreiche Persönlichkeiten verantwortlich sind. Afghanistans Minister für Stadtentwicklung, Yousaf Pashthun, warf Anfang September 2007 einer "Landmafia" vor, allein im Jahr 2007 rund 5.000 Quadratkilometer Land geraubt zu haben. Konflikte um Land und Wasser schüren neue Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen. So wurden im Juni 2007 mehr als 4.000 Hazara in der Provinz Wardak im Zentralen Hochland von Kuchi-Nomaden vertrieben. Rund 200 bewaffnete Kuchi-Kämpfer vertrieben die Bewohner von 65 Dörfern. Landrechtskonflikte und Vertreibungen werden in den kommenden Jahren, wenn die internationale Gemeinschaft den Landrechten nicht endlich mehr Aufmerksamkeit schenkt. Auch müssen dringend weitere Repatriierungen und Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt werden, da das Land zurzeit nicht weitere Flüchtlinge aufnehmen kann.

Afghanistan erwartet im Jahr 2007 eine Rauschgift-Rekordernte. Nachdem die Opiumproduktion bereits im Jahr 2006 um 57 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen hatte, wird sie nach UN-Schätzungen im Jahr 2007 nochmals um 17 Prozent ansteigen. 93 Prozent der weltweiten Opiumproduktion werden in Afghanistan erwirtschaftet. Afghanistan ist ein Drogenstaat geworden, in dem weite Teile der Gesellschaft vom Drogenanbau oder –handel leben. Zwar expandierte der Opiumanbau vor allem in den umkämpften Provinzen im Süden des Landes, aber wird nicht nur von den Taliban vorangetrieben. Auch viele Verbündete Karzais sind in das Drogengeschäft verstrickt. Zwar nahm der Opiumanbau im Jahr 2007 in der Nähe der Standorte der Bundeswehrsoldaten im Norden des Landes deutlich ab, doch hält auch dort der Drogenhandel auf den Transitstrecken in die zentralasiatischen Staaten weiter an. Russland warnte erst kürzlich vor einer Zunahme der Drogeneinfuhr aus Afghanistan. Die Vereinten Nationen forderten die NATO im September 2007, entschlossener den Drogenanbau zu bekämpfen. Die USA planen den massiven Einsatz von Sprühflugzeugen. Doch Erfahrungen in Kolumbien zeigen, dass die Folgen für die Bauern katastrophal sind: Ihre Felder sind für Jahre vergiftet und Nahrungsmittel wurden knapp.

Statt der willkürlichen Zerstörung der Felder müssen mehr Programme gefördert werden, um den Anbau anderer Pflanzen attraktiver zu machen. Doch wenn der Drogenhandel wirksam bekämpft werden soll, müssen auch den Zwischenhändlern und Hintermännern der Drogenmafia neue Erwerbszweige eröffnet werden.

Eine Erneuerung des ISAF-Mandats ist notwendig, um den Wiederaufbau nicht zu gefährden. Beim Einsatz ausländischer Soldaten in Afghanistan wird schon lange nicht mehr zwischen ISAF und dem Antiterror-Einsatz Operation Enduring Freedom (OEF) unterschieden. So wurden im April 2007 afghanische Gefangene unter Bewachung von ISAF-Soldaten in das bei Kabul gelegene Hochsicherheitsgefängnis Pol-i-Charki gebracht, das im Rahmen der OEF errichtet worden war. Daher macht es wenig Sinn, nur das ISAF-Mandat zu verlängern und dem OEF die Zustimmung zu verweigern. Wichtig ist jedoch, dass es auch bei OEF ein Umdenken gibt und Menschenrechte mehr Bedeutung bekommen. Der Schutz der Zivilbevölkerung muss absoluten Vorrang haben, da ansonsten jeder Militär-Einsatz unglaubwürdig wird.

Dies gilt besonders für den Tornado-Einsatz. Mindestens 750 Zivilisten wurden im Jahr 2007 bereits durch Kampfhandlungen getötet. In den letzten Monaten nahm die Zahl der zivilen Todesopfer trotz einer von der NATO verkündeten Null-Toleranz-Schwelle nochmals deutlich zu. So kamen 168 Zivilisten im August 2007 zu Tode, während im Juli 144 starben. Es darf keine weiteren Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung geben, da sie einen Kreislauf der Gewalt anheizen und das gesamte Afghanistan-Engagement kompromittieren. Das rücksichtslose Bombardement der Zivilbevölkerung gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft und den Wiederaufbau, sondern letztlich auch die Sicherheit deutscher Soldaten. Denn wenn diese Bombardements weiter anhalten, werden bald auch deutsche Soldaten von den Afghanen als Besatzer empfunden werden. Die Sowjetunion musste 1989 ihre Besatzungstruppen aus dem Land abziehen, weil sie unter anderem mit Flächenbombardements gezielt Massenmorde an der Zivilbevölkerung begangen hatte. Dem sowjetischen Völkermord fielen rund eine Million Menschen zum Opfer.