03.06.2009

Weltbank-Experte: "100 Teller vergiftete Suppe weniger"

Ilisu-Konferenz vor Entscheidung über Kreditbürgschaften

Hasankeyf am Tigris (Quelle:Wikimedia Commons)

Am 6. Juli entscheidet die Bundesregierung über die Vergabe von Kreditbürgschaften für das türkische Ilisu-Staudammprojekt, die für die Fortsetzung dieses heftig umstrittenen Projekts von äußerster Wichtigkeit sind. Vor der Entscheidung veranstaltete das Bündnis "Stop Ilisu" eine internationale Konferenz in Berlin, die von der Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld moderiert wurde.

Weltbank-Standards nicht erfüllt

Weltbankexperte Robert Goodland empfiehlt den Europäern den Ausstieg, weil das gesamte Projekt nicht die Standards der Weltbank erfüllt.

Goodland, der die Sozial- und Umweltstandards für die Weltbank

entwickelte, erklärte schon im Vorfeld der Konferenz, das Ilisu-Projekt werde niemals die versprochenen internationalen Standards der Weltbank erfüllen: "Die Weltbank müsste und würde das Projekt ablehnen. Die Folgen wären zu fatal, die Vorbereitung der Türkei ist zu mangelhaft. Die Auflagen der Europäer sind nicht geeignet, die 60.000 betroffenen Menschen, die einzigartigen Kulturgüter und die Umwelt zu schützen."

Deutschland, Österreich und die Schweiz hatten wiederholt argumentiert,

das Projekt mit seinen 153 Auflagen, die die drei Staaten an ihre

Bürgschaften geknüpft hatten, erfülle die Standards der Weltbank. Dies

ist de facto nicht der Fall. "Sollten die europäischen Staaten dieses

Projekt weiterhin unterstützen, untergraben sie auch die Standards der

Weltbank und setzen international ein negatives Zeichen", so Goodland

weiter.

Auf der Konferenz weitete Goodland seine Kritik auf die Herstellung der Umwelt- und Sozialgutachten aus: Diese seien nach der Staudammplanung in Auftrag gegeben worden und damit völlig sinnlos, weil ihre Ergebnisse von vornherein nicht berücksichtigt werden könnten. Er wies auch auf Malariagefahren hin, die von dem aufgestauten Wasser ausgehen.

Gefahren auch für den Irak

Hasan Janabi, ehemaliger Berater des irakischen Wasserministeriums,

machte auf die verheerenden Folgen für den Irak aufmerksam. Durch den

Damm würde im Irak weniger Wasser ankommen als bisher. Es wäre zudem von schlechter Qualität. Millionen Menschen lebten im Irak am und vom

Tigris. Sie seien von dem Staudamm ebenso betroffen wie eines der

bedeutendsten Naturgebiete der Welt, das Mesopotamische Delta. Diese

Sümpfe würden austrocknen, sollte der Staudamm gebaut werden. Die Dörfer im Sumpfgebiet, das seit der Zeit des Gilgamesch-Epos besiedelt ist, erzeugen 40 % der Milchprodukte des Irak und 60 % des Fischfangs. " Der Ilisudamm würde großen Schaden im Irak anrichten, er könnte die

Stabilität und den Frieden im Mittleren Osten gefährden," so Hasan

Janabi. "Leider blieben die Proteste irakischer Politiker auch bei den

Europäern bis jetzt ungehört. Das ist inakzeptabel."

Bundesregierung:Fortschritt erwirkt - Weltbank-Experte:Das ist fragwürdig

Für die Bundesregierung nahm Hans-Joachim Henckel vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am Kongress teil. Er verwies auf die Verbesserungen, die die am Verfahren beteiligten Regierungen erreicht hätten: Die Türkei habe sich in einer Erklärung auf die Einhaltung internationaler Standards verpflichtet; Programme zum Bau von Klärwerken seien verabschiedet worden, die Entschädigung der Umsiedler erfolge nach türkischem Recht nach dem Zeitwert ihrer Grundstücke. Transparenz des Projekts sei durch dessen Darstellung auf einer Internetseite gegeben. Die Umsetzung der Forderungen der Bürgschaftsgeber durch den türkischen Staat bezeichnete Henckel aber als "ausserordentlich schlecht" und machte eine weitere Beteiligung von termingerechten Verbesserungen abhängig. Die deutsche Beteiligung stelle mit Bürgschaften über 450 Mio. Euro aber nur ein Viertel der Gesamtprojektkosten von 2 Milliarden Euro. Entschieden werde über das Projekt in Ankara.

Robert Goodland verglich den Verweis auf Verbesserungen mit dem Verhalten eines Gastwirts, der vergiftete Suppe verkauft und, von der Gewerbeaufsicht zur Rede gestellt, antwortet: "Letzte Woche habe ich 200 vergiftete Suppen verkauft, diese Woche waren es nur noch 100, das ist ein echter Fortschritt!" Die Standards der Weltbank seien nach wie vor nicht erfüllt.

Auch die Realität vor Ort ist ernüchternd. Das berichteten Heike

Drillisch und Christine Eberlein von der Kampagne "Stop Ilisu", die die

Region vergangene Woche besuchten. Wie sich herausstellte, gibt es keinerlei

Konzepte zur Rettung der antiken Stadt Hasankeyf. Die versprochene

Umsiedlung einzelner Bauwerke ist nicht möglich. "Selbst die türkischen

Fachleute sehen keine Möglichkeit, die wichtigsten Denkmäler zu retten.

Damit wird den Menschen von Hasankeyf, die hauptsächlich vom Tourismus leben, jegliche Existenzgrundlage ersatzlos entzogen", so Heike

Drillisch. Nur für sechs Ortschaften liege ein detaillierter

Umsiedlungsplan vor, für 190 Orte fehle er nach wie vor.

Bedingungslose Gegnerschaft vor Ort

Nejdet Atalay, Bürgermeister der 300.000 Einwohnerstadt Batman, sprach für die Menschen der betroffenen Region: "Wir wollen dieses Projekt nicht. Hasankeyf ist mehr als nur eine antike Stadt. Sie ist zentraler Teil unserer Identität und die wirtschaftliche Zukunft für unsere gesamte Region. Es gibt viele Alternativen zu Ilisu", so Atalay, der sich für die Errichtung einer

UNESCO Welterbestätte in und um Hasankeyf einsetzt. Er betonte

weiterhin, dass die türkische Regierung bis heute nicht mit seiner Stadt

in Kontakt getreten sei, obwohl zehntausende Menschen auf der Flucht vor dem Kurdenkrieg dorthin zögen und die soziale Lage verschärfen würden. Der türkische Staat täusche die Erfüllung der Kriterien nur vor. Aufgrund der kulturellen Bedeutung des seit 10.000 Jahren besiedelten Hasankeyf sei das Projekt aber selbst bei Erfüllung sämtlicher Kriterien abzulehnen.

Stellvertretend für die Bundesregierung nahm der Vertreter des Wirtschaftsministeriums eine Petition zur Rettung Hasankeyfs entgegen, die mit einem UNESCO-Report über die Stadt ergänzt wurde.

Von Blitzlichtgewitter umringt solidarisierte sich auch der türkische Popstar Tarkan mit den Gegenern des Projekts.