31.03.2009

"Viele Regierungen reagieren mit Gleichgültigkeit"

Interview mit Ulrich Delius, Asien- und Afrikareferent der GfbV

Menschenrechtsarbeit ist vielschichtig und braucht einen langen Atem, denn viele ethnische Konflikte dauern nicht nur Jahrzehnte, sondern sind so kompliziert, dass sie für Außenstehende schwer durchschaubar sind. Einer der GfbV-Mitarbeiter, die für viel Kontinuität stehen, ist Ulrich Delius. Bedrohte Völker fragte ihn, warum er sich seit mehr als 30 Jahren für ethnische und religiöse Minderheiten einsetzt.

 

bedrohte Völker: Wie sind Sie auf die GfbV aufmerksam geworden?

Ulrich Delius: Ein engagierter Geschichtslehrer, der uns Schüler eines Kölner Gymnasiums zu Juden-Verfolgungen im Mittelalter in der eigenen Stadtgeschichte recherchieren ließ, weckte mein Interesse für Minderheiten. Bei meinen Nachforschungen stieß ich auch auf die GfbV, in der ich dann mit 17 Jahren Mitglied wurde. Es gibt aus dieser Zeit noch einige Briefwechsel mit Tilman Zülch, der mir ganz persönlich schrieb, als ich einige Initiativen anregte. Aber für mich als Schüler war die GfbV damals im 300 Kilometer entfernten Göttingen weit entfernt.

 

bedrohte Völker: Wann begannen Sie, sich persönlich in der GfbV zu engagieren?

Ulrich Delius: Als ich mein Jura-Studium in Freiburg aufnahm, baute ich dort mit anderen Studenten eine GfbV-Regionalgruppe auf. Auch in Bonn, wo ich mein Studium fortsetzte, engagierte ich mich in der Regionalgruppe. Damals war Bonn noch Bundeshauptstadt, so dass ich auch an Protestaktionen bei ausländischen Botschaften teilnahm. So werde ich nicht vergessen, wie wir immer nur eine Handvoll Leute waren, die vor der Indonesischen Botschaft gegen den Völkermord in Osttimor protestierten. Oder wie der mauretanische Botschafter sich auch nach langer Teezeremonie sträubte, Unterschriften gegen Sklaverei in seinem Land entgegenzunehmen. Prägend war auch eine Demonstration für die Unabhängigkeit Eritreas bei einem Empfang des Diplomatischen Korps. Die Botschafter behandelten uns wie Aussätzige. Heute ist Eritrea ein unabhängiger Staat. Doch in Eritrea sind leider die Opfer von gestern zu Tätern geworden. Heute protestieren wir bei den Behörden Eritreas gegen die Verletzung der Glaubens- und Pressefreiheit.

 

bedrohte Völker: Gab es bestimmte Regionen, für die sie sich besonders als Ehrenamtlicher engagierten?

Ulrich Delius: Besonders interessiert habe ich mich immer für die Völker des Pazifik. Es begann mit Übersetzungen für die Zeitschrift "Pogrom". Später wurde ich Koordinator für den Südpazifik, schrieb ein Buch über Frankreichs Atomtests in der Südsee, das wir gemeinsam mit Greenpeace veröffentlichten. Vor allem in der Friedensbewegung stieß diese Arbeit auf großes Interesse. Jahrelang arbeitete ich sehr intensiv mit Ureinwohnern aus dem Südpazifik zusammen.

 

bedrohte Völker: Als hauptamtlicher GfbV-Referent wandten Sie sich dann aber ganz anderen Themen zu?

Ulrich Delius: Ich habe zwar noch immer viel für die Völker des Pazifik gearbeitet, nachdem ich im April 1986 zum GfbV-Bundesbüro stieß. Aber als Afrikareferent waren Genozid und schwerste Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien und dem Sudan schon bald meine Schwerpunktthemen. Es begann recht furios mit einer Kampagne gegen Zwangsumsiedlungen in Äthiopien, die bundesweit Aufsehen erregte. Der Völkermord im Südsudan und in den Nuba-Bergen war mehr als zwei Jahrzehnte lang mein wichtigstes Arbeitsfeld. Dabei ging es nicht nur darum, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und Öffentlichkeit zu schaffen für diesen vergessenen Genozid: Erfolgreich bauten wir auch Selbsthilfeorganisationen sudanesischer Flüchtlinge in Deutschland auf und engagierten uns, um ihnen Schutz vor Verfolgung zu sichern.

 

bedrohte Völker: Sie empfingen hunderte Vertreter bedrohter Völker im GfbV-Bundesbüro. Welcher Besuch beeindruckte Sie am meisten?

Ulrich Delius: Der Ogoni-Aktivist Ken Saro-Wiwa aus Nigeria, der friedlich gegen die Zerstörung seiner Heimat durch Öl-Konzerne protestierte, holte sich bei uns Rat, lange bevor internationale Medien ihn weltweit bekannt machten. Der charismatische Schriftsteller wusste genau, was er wollte. Ich konnte ihm viele Tipps geben, um erfolgreicher international für die Sache der Ogoni zu werben. Als Nigerias Diktator Abacha ihn drei Jahre später nach einem Unrechtsverfahren hinrichten ließ, prangerten wir den Öl-Konzern Shell wegen seiner Mitverantwortung für die Menschenrechtsverletzungen an Ogoni an. Unsere Ogoni-Kampagne fand so breiten Widerhall, dass Shell Millionen investierte, um sein beschädigtes Image wiederherzustellen. Auch ließ der Konzern unser Büro ausspionieren, um mehr über unsere geplanten Aktivitäten zu erfahren.

 

bedrohte Völker: Inzwischen hat sich Ihr Tätigkeitsfeld weiter ausgeweitet. Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Ulrich Delius: In den letzten 20 Jahren ist unsere Afrika-Arbeit immer umfangreicher geworden und mit dem Kongo, Namibia, Uganda, Somalia, dem Westsahara- und Tuareg-Konflikt sind neue Arbeitsgebiete hinzugekommen. Im Jahr 1994 übernahm ich zusätzlich noch das Asien-Referat. Erfolgreich führten wir Kampagnen für Burmas Minderheiten-Völker, für Afghanistan, Osttimor, Westpapua und die indonesische Provinz Aceh durch. Doch der große Schwerpunkt unserer Arbeit ist Tibet und China. So machten wir die katastrophale Lage der muslimischen Uiguren bekannt, engagierten uns aber auch für die kaum wahrgenommenen Mongolen.

 

bedrohte Völker: Welche Perspektiven sehen Sie für die zukünftige GfbV-Arbeit?

Ulrich Delius: Ethnische und religiöse Konflikte bestimmen immer mehr die Weltpolitik. Viele Organisationen arbeiten zu diesen Themen, doch nur wenige haben so eine umfassende Kooperation mit Organisationen bedrohter Völker wie wir. Jede Woche gehen mehrere dieser Völker unter. Damit wird auch ein wichtiger Teil des Weltkulturgutes zerstört. Um diese Entwicklung aufzuhalten, müssen wir diesen bedrohten Völkern eine Stimme geben. Das ist in Zeiten immer einheitlicher werdender Medienberichterstattung besonders wichtig. Mit Gleichgültigkeit reagieren heute viele Regierungen auf schwerste Menschenrechtsverletzungen. Kurzfristigen politischen und wirtschaftlichen Interessen wird meist Vorrang vor Menschenrechten eingeräumt. Daher ist es wichtig, dass wir Menschenrechtler Politiker tagtäglich drängen, Völkermord, Vertreibung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aktiv zu bekämpfen.