13.03.2013

Uiguren

Written Statement (deutsche Fassung)

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist in großer Sorge um den uigurischen Gelehrten Ilham Tohti. Verschiedenen Berichten zufolge wird er ständig von den Behörden der Volksrepublik China (VR China) schikaniert. In den vergangenen Monaten haben chinesische Behörden die Schikanen sogar noch verstärkt. Seine Gewissens- und Meinungsfreiheit wurde stark eingeschränkt. Sein Schicksal steht symbolisch für die momentane Situation der Uiguren in der VR China.

Hintergrund

Ilham Tohti ist Professor an der Zentralen Nationalitäten Universität. Er betreibt eine bekannte Webseite in chinesischer Sprache, die sich den Uiguren widmet (uyghurbiz.net). Tohti ist ein angesehener und offener Kritiker der chinesischen Politik gegenüber den Uiguren. Er hat die tatsächliche Umsetzung der regionalen Autonomiegesetze in Xinjiang, der Heimat der Uiguren, und der chinesischen Verfassung verlangt. Seinen Kurs „Einwanderung, Diskriminierung und die Entwicklung in Xinjiang” wurde von den Behörden abgesagt.

Im August 2012 wurde Tohti zehn Stunden lang verhört und aufgefordert, weder mit ausländischen Medienvertretern zu sprechen noch online über Religion zu diskutieren. Zuvor war auf seiner Webseite ein Bericht zu lesen, dass Behörden bewaffnete Kräfte zu Moscheen in das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang (XUAR) entsandt hatten, um die Muslime während des Ramadan zu kontrollieren. Die Repression während des Ramadans 2012 war eine der schlimmsten der vergangenen Jahre.

Im Dezember 2012 wurde Tohti wieder schikaniert. Kurz vor dem 18. Nationalkongress, bei dem die Führung der VR China wechselte, wurde er von den Behörden angewiesen, die Stadt für die Dauer des Kongresses zu verlassen, um keine „Unruhe zu provozieren“. Während er in Artux in Xinjiang war, wurde er von der Polizei überwacht, durfte sein Haus nicht verlassen und jeder, der ihn besuchen wollte, musste sich vorher von den Behörden verhören lassen.

Professor Tohti hat auch darüber berichtet, dass Uiguren die Ausstellung eines Reisepasses verweigert wird, darunter war der Fall von Atikem Rozi. Sie hatte im Dezember begonnen, auf dem bekannten Sina Weibo- Mikroblogsystem zu twittern, und geschworen, für ihre Bürgerrechte zu kämpfen, nachdem ihr in den vergangenen zwei Jahren drei Mal ein Pass versagt wurde. Laut Twitter-Berichten von uyghurbiz.net wurde sie für sechs Stunden am 05. Februar 2013 inhaftiert und so eingeschüchtert, dass sie nicht bereit ist, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Dem Sohn von Tohti wurde ohne Angabe von Gründen der Zugang zur Grundschulbildung verweigert. Auch diese Schikane wird als Resultat der Arbeit des Professors gewertet.

Neueste Schikanierung von Ilham Tohti

Verlässlichen Medienberichten zufolge wurde Professor Tohti am 02. Februar 2013 gemeinsam mit seiner Tochter am Pekinger Flughafen wieder einmal festgehalten. Von dort wollte er aufbrechen, um an der Indiana University in den Vereinigten Staaten von Amerika zu sprechen. Seine Tochter durfte schließlich in die USA reisen, während es ihrem Vater nicht erlaubt wurde.

Professor Tohti wurde acht Stunden lang in Gewahrsam gehalten und anschließend zu seinem Haus gebracht, wo er rund um die Uhr unter Polizeibeobachtung steht. Alle, die mit ihm persönlich oder am Telefon sprechen, werden verhört. Das Pekinger Büro für öffentliche Sicherheit warnte Professor Tohti auch davor, mit den Medien zu sprechen.

Professor Tohti wurde nicht von lokalem, sondern von Sicherheitspersonal aus Xinjiang festgenommen, obwohl er sich nicht auf ihrem Territorium befand. Die Behandlung der Uiguren unter Wang Lequan, dem Vorgänger des derzeitigen Regionalleiters der Kommunistischen Partei in Xinjiang, Zhang Chunxians, war gekennzeichnet durch einige der schwersten Formen der Unterdrückung. Er trug die Verantwortung während des Massakers von Gulja 1997 und hatte seine leitende Position auch noch inne, als angeblich Tausende von Uiguren nach den Unruhen in Urumtschi am 5. Juli 2009 vertrieben wurden. Es sieht ganz so aus, als wenn Zhang genauso kompromisslos gegen die Autonome Region Xinjiang und die Uiguren vorgehen wird wie sein Vorgänger Wang.

Die Bedeutung von Menschenrechten für die Uiguren

Uigurische Wissenschaftler gibt es aufgrund der Verfolgung von Angehörigen dieser Volksgruppe nur sehr wenige in der VR China. Umso gravierender ist die Schikanierung von Professor Tohti für die gesamte uigurische Gemeinschaft. Als Wissenschaftler und prominenter Uigure ist er in der seltenen Position, über die weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen, die an den Uiguren verübt werden, sprechen zu können. Aufgrund seiner besonderen Stellung hat er ungewöhnlich viel Einfluss. Wie die Fälle von Chen Guangcheng und Ai Weiwei ist seine anhaltende Schikanierung daher eine Beleg dafür, dass niemand sicher sein kann, seine Meinung frei äußern zu dürfen, ob er nun im Fokus der Öffentlichkeit steht oder nicht.

Empfehlungen

Eine Person von dem Format von Professor Tohti zum Schweigen zu bringen, kann weitreichende Konsequenzen innerhalb seiner Gemeinschaft haben. Die Schikanierung von Professor Tohti muss eingestellt werden, um sowohl die rechtliche und faktische Unterdrückung der Rede-, Gedanken- und Gewissensfreiheit zu beenden.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker ruft den Menschenrechtsrat daher auf, die Regierung der Volksrepublik China dazu zu bewegen:

- Die Schikanierung von Ilham Tohti und anderen Menschenrechtsverteidigern in der VR China zu beenden,

- die relevanten speziellen Verfahren des Menschenrechtsrats umzusetzen,

- ihre Gesetze in Einklang mit international akzeptierten Standards zu bringen,

- den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) zu ratifizieren und zu implementieren. Dieser wird Individuen das Recht geben, ihre Meinung über die Regierungspolitik frei auszudrücken.