13.06.2012

Türkische Religionsbehörde diktiert Gebetssprache: Englisch ja! - Kurdisch nein!

Aus bedrohte völker_pogrom 269-270, 1/2012

Der Präsident des türkischen Amtes für Religionsangelegenheiten (Diyanet), Mehmet Görmez, kündigte Anfang 2012 an, dass seine Behörde die Freitagsgebete in den historischen Istanbuler Moscheen für ausländische Touristen ins Englische übersetzen wird. "Es ist wichtig, dass die Touristen wissen, was in den Moscheen auf Türkisch gesagt wird", hieß es zur Begründung. Diyanet kontrolliert die korrekte Ausübung des islamischen Glaubens und verwaltet alle Moscheen in der Türkei, aber auch die von türkischen Gemeinden in Deutschland unterhaltenen Moscheen.

Grundsätzlich ist das Vorhaben, die Gebete zu übersetzen, zwar zu begrüßen. Die Übersetzer und Touristenführer müssen sich jedoch einem „Test“ unterziehen, durch den geprüft wird, wie weit sie den Islam kennen. Das lässt befürchten, dass die türkische Regierung unter Recep Tayyip Erdogan sowohl den Übersetzern als auch den ausländischen Touristen ihr Islam-Verständnis aufzwingen will. Die türkische Regierung will nur eine, nämlich ihre Interpretation des Islam zulassen. Schon in den Jahren 2008 bis 2011 hat Ankara 10.000 neue Imame nach Türkisch-Kurdistan entsandt, um die Kurden auf die „richtige Linie“ zu bringen. Vor dem Hintergrund, dass es den 15 Millionen Kurden in der Türkei bis heute nicht gestattet wird, in ihren Moscheen in ihrem historischen Siedlungsgebiet im Südosten der Türkei auf Kurdisch zu beten oder zu predigen, ist diese Regierungspolitik blanker Hohn. Viele Kurden verstehen auch nach 90 Jahren massiver Zwangstürkisierung immer noch kein Türkisch.

Inzwischen regt sich jedoch Widerstand unter den Kurden. Nachdem Diyanet es immer wieder abgelehnt hat, in den Moscheen im Kurdengebiet die kurdische Sprache zuzulassen, startete eine Gruppe pensionierter kurdischer Imame und Islamgelehrter einen „Moscheenboykott“, um den sprachlichen Status Quo zu durchbrechen. "Wir sind Kurden. Das ist unsere Muttersprache, die Sprache, die wir von unseren Eltern gelernt haben. Lasst uns diese Sprache in den Gerichtssälen und in den Moscheen sprechen", sagte ein kurdischer Imam. "Bis es uns nicht mehr verboten ist, kurdisch in unseren Moscheen zu sprechen, werden wir auf der Straße beten." Seit März 2011 beteiligen sich Zehntausende Kurden an dieser sehr deutlichen Art des zivilen Ungehorsams, die bereits in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen der regierenden türkischen Partei AKP und der kurdischen Bürgerrechtbewegung in der Südosttürkei gerückt ist. In Diyarbakir, dem Zentrum Türkisch-Kurdistans, boykottieren jeden Freitag muslimische Gläubige die Gebete in den staatlich kontrollierten Moscheen. Stattdessen beten sie unter freiem Himmel oder strömen in riesige Zelten, um die Predigten in ihrer kurdischen Muttersprache zu hören.

Kurden machen schätzungsweise 20 Prozent der 70 Millionen Einwohner der Türkei aus. Bis in die späteren 1980-er Jahre war die kurdische Sprache im ganzen Land strikt verboten. Heute ist dieses Verbot zwar gelockert, allerdings will die türkische Regierung die kurdische Sprache per Gesetz weiterhin von Schulen, Moscheen, Gerichten und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens fern halten. Die Kurden jedoch ringen darum, dass das Kurdische als Schul- und Amtssprache in ihren Dörfern und Städten anerkannt wird. Während in Türkisch-Kurdistan bisher keine einzige kurdische Volksschule existiert, forderte Erdogan in Deutschland den Aufbau einer Reihe von türkischen Gymnasien.


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