18.07.2007

Türkei: Keine Rückkehr, keine Rechte

aus: bedrohte völker_pogrom 242, 3/2007
Viele europäische Politikerinnen und Politiker glauben, dass sich die Situation der Kurden in der Türkei grundsätzlich verbessert hat. Denn um die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen, die die Voraussetzungen für einen eventuellen EU-Beitritt definieren, wurden in Ankara Reformgesetze verabschiedet. Angeblich können die Kurden nun die Namen ihrer Kinder frei wählen, ihre Sprache lernen sowie Radio- und Fernsehsendungen frei gestalten.

Doch hat sich die Situation zugunsten der 15 bis 20 Mio. Kurden in der Türkei tatsächlich verbessert? Wie weit ist die Türkei mit der Implementierung der Kopenhagener Kriterien gekommen? Sind die Kurden offiziell als Minderheit oder Volksgruppe anerkannt? Wie weit sind die rechtlichen Garantien der kurdischen Identität?

Aus kurdischer Sicht hat die Implementierung der Kopenhagener Kriterien im Allgemeinen für die individuellen Rechte der Bevölkerung in der Türkei sehr positive Aspekte gebracht, jedoch nichts für die kollektiven Rechte der religiösen und ethnischen Minderheiten oder für das kurdische Volk. Sowohl die Verfassung als auch zahlreiche Gesetze in der Türkei verbieten weiterhin die Wahrnehmung der kollektiven Rechte der Kurden, so z.B. die Verwendung der kurdischen Sprache in Wort und Schrift im Bereich der staatlichen Verwaltung, bei Behörden, in Schule und Hochschule und in der Politik. Prokurdische Parteien dürfen weder einen kurdischen Namen tragen noch schriftlich auf kurdisch zu ihren Versammlungen einladen. Dort darf auch kein Kurdisch gesprochen werden. Parteien und zivile kurdische Einrichtungen werden mit Verbotsverfahren konfrontiert, falls sie sich nicht daran halten.

Die etwa zwei Millionen Kurden, die während des Krieges zwischen der türkischen Armee und PKK in den 90-er Jahren ohne Entschädigung zwangsvertrieben wurden, werden mit den verschiedensten Scheinargumenten daran gehindert, in ihre Heimatsiedlungen zurückkehren. Willkürlich werden gegen gewählte Bürgermeister kurdischer Ortschaften Prozesse angestrengt und auch hohe Strafen ausgesprochen, zum Beispiel nur weil sie bei einer legalen Parteiversammlung Kurdisch gesprochen haben.

Auch das Dorfschützersystem, das aus staatstreuen kurdischstämmigen Großgrundbesitzern und Bauern besteht, treibt in der kurdischen Region weiterhin sein Unwesen. Der Gendarmerie-Geheimdienst JITEM und spezielle Einheiten in Zivil gehen weiterhin gegen Menschen vor, die sich für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage einsetzen.

Es gibt vier bis fünf Stunden Radio- und Fernsehsendungen pro Woche im staatlichen Sender TRT in kurdischer Sprache. Doch sie werden zensiert und sind mit türkischen Untertiteln versehen. Livesendungen jedoch sind weiterhin verboten. Pro-kurdische Zeitungen und Zeitschriften werden wegen ihrer Inhalte mit hohen Geldstrafen oder mit Erscheinungsverbot belegt, so dass sie keine Chance haben, finanziell zu überleben.

Die Durchführung der angeblich genehmigten Sprachkurse in Kurmanci und Zaza, - offiziell wird das Wort Kurdisch vermieden - wurde durch spezielle Richtlinien so erschwert, dass sie nicht stattfinden können. Die muttersprachliche Ausbildung und Erziehung in kurdischer Sprache ist weiterhin nicht erlaubt.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass sich an der schlechten Situation des kurdischen Volkes in der Türkei grundsätzlich nichts geändert hat. Wenn die Türkei den Weg zur Aufnahme in die Europäische Union tatsächlich beschreiten will, muss sie eine neue Strategie zur Demokratisierung und zum Aufbau einer Zivilgesellschaft sowie zur Lösung der Kurden- und Minderheitenfrage entwickeln und dafür drei Voraussetzungen erfüllen:

a) Sie muss endlich vorbehaltlos internationale Konventionen, Chartas und Übereinkommen vor allem für die Rechte von Nationalitäten und Minderheiten ratifizieren;

b) die Gleichberechtigung des Türkischen und des Kurdischen (Kurmanci und Zaza) im Schul- und Universitätssystem und bei Behörden im kurdischen Siedlungsgebiet durchsetzen

c) Für eine friedliche und demokratische Lösung der Kurdenfrage muss sie auf Gewalt verzichten und eine politische Generalamnestie ausrufen, damit alle politischen Gefangenen, PolitikerInnen im Exil, einschließlich PKK-Mitglieder für einen friedlichen Dialog gewonnen bzw. an dem Prozess beteiligt werden können.

Gleichzeitig muss die PKK erkennen, dass eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen weder zur Lösung der Kurdenfrage noch zur Demokratisierung der Türkei beitragen kann, sondern dadurch die antidemokratischen und militaristischen Kräfte gestärkt werden, die eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ablehnen. Daher muss die PKK die Kampfhandlungen bzw. die Gewalt bedingungslos beenden und versuchen, durch eine neue und friedlich-demokratische Politik am Demokratisierungsprozess teilzunehmen.

Nur so können die türkischen und kurdischen Intellektuellen sowie die Kräfte der Demokratie und der Zivilgesellschaft in der Türkei mit einer tatkräftigen Unterstützung der EU den Prozess einer zukünftigen Mitgliedschaft für Demokratie und Gerechtigkeit gemeinsam gestalten.

Abubekir Saydam

Geschäftsführer des Internationalen Zentrum für die Menschenrechte der Kurden – IMK e.V. in Bonn

imkkurds@aol.com

www.kurden.de