07.06.2005

Türkei-Besuch von Bundskanzler Schröder

Fünf Argumente gegen einen übereilten EU-Beitritt der Türkei

Fünf Argumente gegen die übereilte Aufnahme der Türkei in die EU nennt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) anlässlich des Türkei-Besuches von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der General­sekretär der internationalen Menschenrechtsorganisation, Tilman Zülch, appellierte am Dienstag in einem Schreiben an die Bundesregierung, die Türkei erst dann zu Beitrittsverhandlungen einzuladen, wenn sie die Rück­kehr von etwa 1,5 Millionen kurdi­schen Vertriebenen - davon 378.000 als Flüchtlinge Registrierte - in die Wege leitet, endlich ernsthaft ein Wieder­aufbauprogramm für die 3.428 zerstörten kurdischen Dörfer realisiert und eine Amnestie für die rund 3.000 kurdischen politischen Gefangenen er­lässt. Außer­dem müssen neben der armenischen und griechisch-orthodo­xen christlichen Minderheit auch die assyrisch-aramäischen Christen und die Yezidi als gleichberechtigte religiöse Körperschaften anerkannt werden und die aus Nordzypern vertriebenen 180.000 griechisch-orthodoxen, aber auch armenischen und maronitischen Zyprioten zurückkehren dürfen. Zudem muss die Türkei alle Boykottmaßnahmen gegen die benachbarte kurdische Region des Irak unterlassen und sie nicht länger isolieren.

 

1. 1,5 Millionen kurdische Vertriebene, mehr als 3.400 zerstörte Dörfer

 

Mehr als zwei Millionen Kurden wurden zwischen 1980 und 1999 von der türkischen Armee aus ihren 3.428 zerstörten Dörfern vertrieben. Bis heute werden die etwa 1,5 Millionen Rückkehrwilligen an ihrer Heimkehr gehin­dert. Laut UN-Angaben ist das die höchste Zahl von Binnenvertriebenen auf dem Boden eines Mitgliedsstaates des Europarates. 80% der Vertrie­benen sind arbeitslos, 50% leben bis heute in Notunterkünften, 82 % ha­ben Gesundheitsschäden, 78% sind unzureichend ernährt und nur 5% sind krankenversichert. 40% haben keinen Zugang zu reinem Trinkwas­ser. 42% der Vertriebenen sind Analphabeten, ein Viertel der Kinder kann die Schule nicht besuchen.

 

2. Tausende politische Gefangene

 

Nach wie vor sitzen noch immer mehrere tausend politische Gefangene – die GfbV schätzt bis zu 3.000 - aus der Zeit des türkisch-kurdischen Bür­gerkriegs in Haftanstalten. Während die für schwere Menschenrechts­verletzungen verantwortlichen türkischen Generäle straffrei ausgingen, wurden diese Kurden von Staatssicherheitsgerichten wegen "Separatis­mus" und/oder angeblichem Terrorismus verurteilt. Die 15 Millionen kur­dischen Bürger der Türkei warten bisher vergeblich auf eine Amnestie für diese politischen Gefangenen, auf die tatsächliche Zulassung ihrer Spra­che im Bildungssystem und bei den Behörden.

 

3. Besetzung Zyperns

 

Bis heute verweigert die Türkei 180.000 griechisch-orthodoxen, aber auch maronitischen und armenischen Zyprioten die Rückkehr in das von 30.000 türkischen Soldaten und 300 türkischen Panzern besetzte Nord­zypern. 1974 hatte die türkische Armee 36% des Inselterritoriums besetzt und 80% der dort ansässigen Bevölkerung vertrieben. Auch die Hälfte der türkisch-zypriotischen Bevölkerung musste Nordzypern inzwischen verlassen. Nach der Ansiedlung von fast 100.000 türkischen Anatoliern sind nur noch 40 % der Bevölkerung des türkisch besetzten Inselteils türkische Zyprioten. Forderung nach der Rückkehr der Vertriebenen, der Rückgabe des Eigentums und dem Abzug der türkischen Truppen wurden bisher nicht erfüllt.

 

4. Diskriminierung der christlichen Minderheit

 

Bis heute sind christliche und andere religiöse Gemeinschaften wie die kurdisch-sprachigen Yezidi in der Türkei nicht gleichberechtigt. Christlichen Kirchen wird weiter der öffentlich-rechtliche Status vorenthalten. Konfisziertes kirchliches Eigentum wurde nur in Ausnahme-fällen zurückgegeben. Weitere Beschlagnahmungen kommen vor.

 

5. Behinderung des Zugangs zum autonomen irakischen Kurdistan

 

Regierung und Armee der Türkei haben die direkte militärische Bedrohung des benachbarten irakischen Bundesstaates Kurdistan aufgegeben. Doch häufig wird der Grenzverkehr nicht nur auf dem Landweg erschwert. Darüber hinaus blockieren die türkischen Behörden den Luftweg aus der Türkei zu dem neu ausgebauten Flughafen Arbil bis heute. So wird die freie Entfaltung von Wirtschaft und Entwicklung im kurdischen Nordirak behindert.