06.09.2006

Tschetschenien-Tagebuch September 2006

In diesem Tagebuch dokumentiert die GfbV die Lage in Tschetschenien jenseits der großen Schlagzeilen. Es soll dazu beitragen, die Blockade gerade von Nachrichten über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Republik aufzuweichen.

Eintragung vom 1.9. - 7.9.2006

7.9.2006: NGOs werden von Europaratskonferenz in Nischny Nowgorod ausgeschlossen

Am 7. und 8. 9. organisiert der Europarat, dessen Führung turnusmäßig Russland innehat, eine Konferenz zum Thema "Interkultureller und interreligiöser Dialog" in der Wolgastadt Nischny Nowgorod. Die in der Stadt ansässigen Nichtregierungsorganisationen und weitere russische Organisationen, die sich für interethnische Toleranz, für Fragen kultureller und religiöser Vielfalt einsetzen, wurden nicht eingeladen. Ein Telefonat mit den Verantwortlichen beim Europarat in Straßburg ergab, dass die russische Seite für die Einladung zivilgesellschaftlicher Akteure verantwortlich war. Aus der Sicht von Organisationen, die sich auch und gerade mit dem Krieg in Tschetschenien beschäftigen, bestätigt dieses Vorgehen die These, dass Russland den Europarat benutzt, um sich ein möglichst gutes Image im Westen aufzubauen.

 

7.9.2006: Unterschiedliche Reaktionen auf Pogrom in Kondopoga

Nachdem bei gewalttätigen Auseinandersetzungen und einem anschließenden Pogrom gegen Kaukasier in der Karelischen Stadt Kondopoga zwei Menschen ums Leben kamen und Dutzende verletzt wurden, gehen die Reaktionen auseinander. Die tschetschenischen Flüchtlinge wurden vorübergehend in der Nähe der Republikhauptstadt Petrozavodsk untergebracht, bis sie in Sicherheit zurückkehren können. Der Anstifter der Schlägerei im Restaurant "Tschaika", von wo aus sich die Gewalt in die Stadt ausgedehnt hatte, wurde festgenommen. Ein Nationalitätenrat in Karelien hat die Behörden aufgefordert, angemessen auf die Gewalt zu reagieren und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Tschetschenische Behörden haben eine Delegation nach Karelien geschickt, um sich ein Bild von der aktuellen Lage zu machen. Präsident Putin hat nicht auf die Ausschreitungen reagiert, was in einem Artikel der Moscow Times stark angeprangert und als Zeichen des Demokratieverlusts in Russland interpretiert wird.

 

6. 9.2006: Verwandte eines Verschwundenen veranstalten Mahnwache in Atschchoj-Martan

Am 5.9. versammelten sich Verwandte des am 28.8. verschleppten Aslan Mischiev (geb. 1966) vor der Polizeikommandantur in Atschchoj-Martan, um die Freilassung des Verschwundenen zu fordern. (Russian-Chechen Information Center)

 

6.9.2006: Verschärfung der Lage in Kondopoga

In der vergangenen Nacht verschärfte sich die Situation in der karelischen Stadt Kondopoga erneut. Wie die Online-Zeitung Gazeta.ru berichtet, sollen Unbekannte eine Sportschule in Brand gesetzt haben. Das Gebäude diente als Notunterkunft für Flüchtlinge aus Mittelasien. Nach Aussagen des Feuerwehrhauptmanns der Stadt Kondopoga, Aleksej Achmetow, ist keiner der in der Sportschule untergebrachten Flüchtlinge verletzt worden. Das berichtet der Online-Dienst von Echo Moskwy heute Morgen. Wie die Nachrichtenagentur Ria Nowosti mitteilt, verdächtigt das Katastrophenministerium zwei Mädchen aus Kondopoga, das Feuer gelegt zu haben. Zwischenzeitlich sollen offizielle Stellen den aus der karelischen Stadt vertriebenen Tschetschenen die Rückkehr angeboten haben. Die Opfer sollen für Schäden aus den gewaltsamen Übergriffen der vergangenen Tage entschädigt werden. (www.russland-news.de)

 

5. 9.2006: Führendes russische Zeitung von Kreml-Günstling aufgekauft

Der Kommersant, eine unabhängige russische Zeitung wurde Alischer Usmanov, einem Milliardär, der vom Gasprom-Chef Alexej Miller gefördert wurde, aufgekauft. Dies führt zum Verstummen einer der letzten freien russischen Medien. Noch am Donnerstag letzter Woche schrieb der Kommersant, mit der Übernahme führe Usmanov einen Auftrag des Kreml aus. Unter dem russischen Präsidenten Putin hat es eklatante Einschnitte in Presse- und Meinungsfreiheit gegeben, nur noch sehr wenige Blätter, zumeist mit geringer Auflage recherchieren selbst und können noch unabhängig berichten.

(Berliner Zeitung, 4.9.2006)

 

5.9.2006: Hunderte Tschetschenen fliehen nach Pogromartigen Übergriffen

Eine Gruppe von Russen feierte die Entlassung eines Freundes aus dem Gefängnis in einem Restaurant in Kondopoga in Karelien an der Grenze zu Finnland, dessen Besitzer Aseri ist. Während der Feier kam es zu einem Streit mit dem Aseri. Dieser rief seinen teils tschetschenischen Sicherheitsdienst. Es kam zu einer Schlägerei, drei Personen wurden teils schwer verletzt. Danach jedoch riefen auch nationalistische russische Internetseiten zu Pogromen gegen die Tschetschenen auf. Rund 2.000 Menschen zogen durch die Stadt und demolierten Läden und Geschäfte, die Menschen aus dem Kaukasus gehörten. 30 tschetschenischen Familien gelang die Flucht, 109 Personen wurden festgenommen. (The Guardian, 5.9.2006)