21.06.2006

Tschetschenien-Tagebuch Juni 2006

In diesem Tagebuch dokumentiert die GfbV die Lage in Tschetschenien jenseits der großen Schlagzeilen. Es soll dazu beitragen, die Blockade gerade von Nachrichten über die anhaltenden Menschenrechts-verletzungen in der Republik aufzuweichen.

Eintragung vom 15.6. - 30.6.2006

 

30.6.2006: Russland lehnt die Registrierung von 40 ausländischen Nichtregierungsorganisationen ab

Vor dem 18.10.2006 müssen ausländische Nichtregierungsorganisationen eine Neuregistrierung ihrer Organisation in Russland durchsetzen, um dort weiter legal arbeiten zu können. 40 Anträge wurden bislang von den russischen Behörden abgelehnt. Die Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisationen beklagen, dass diese Registrierungsvorschriften ein Schikane sind, die dazu führen sollen, ihre Arbeit zu behindern oder unmöglich zu machen. (Artikel im Guardian, unter www.guardian.co.uk)

 

29.6.2006: Top-Terrorist Schamil Basajew wird tschetschenischer Vizepräsident

Am 27.6.2006 hat Dokku Umarow, der Nachfolger des ermordeten Abdul-Chalim Sadulaew (Nachfolger des letzten frei gewählten tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow) den notorischen Terroristen Schamil Basajew zum Vizepräsidenten gemacht. Basajew wird von der russischen Regierung für mehrere Terrorakte in den letzen Jahren, unter anderem die Geiselnahme im Musiktheater Nord-Ost in Moskau oder auch die Geiselnahme in einer Schule in Beslan verantwortlich gemacht. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) verurteilt jede Form des Terrors scharf und bedauert sehr, dass Basajew in den politischen Führungszirkel des tschetschenischen Widerstands aufgenommen wurde.

 

26.6.2006: Verschleppungen, Leichenfunde und Angriff gegen einen Menschenrechtler

Ruslan Wasiew, der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation "Edinstwo" (Einheit) wird von Unbekannten angeschossen, als er mit seinem Wagen und einem Fahrer in der Region Schali unterwegs ist. Zum Glück bleiben beide Männer unverletzt. Wenige Tage vor dem Angriff drangen Unbekannte in sein Haus ein und drohten seiner Frau mit körperlicher Gewalt, sollte sie ihnen nicht den Aufenthaltsort ihres Mannes sagen, der an diesem Tag nicht zu Hause war. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass Wasiew aufgrund seiner Tätigkeit verfolgt wird. Mindestens 13 Menschenrechtsverteidiger wurden in Tschetschenien seit 1999 ermordet.

25. 6. 2006: Verschleppung

Der 20-jährige Chasan Jusupov Sultanovitsch wird in seiner Heimatstadt Argun in der Nacht von Unbekannten aus dem Bett geholt und verschleppt. Seine Verwandten wenden sich nach der Entführung an die Militärkommandantur von Argun, ohne jedoch erfolgreich zu sein.

23.6.2006 - Umweltkatastrophe in Tschetschenien, sagt WWF-Russland

Flüsse seien durch Ölleckagen verseucht, das Grundwasser durch die zerstörte Kanalisation verschmutzt. Über elf Jahre Krieg hätten die Natur in Tschetschenien nachhaltig zerstört, teilt der WWF-Russland mit. Wälder seien abgeholzt worden. Besorgnis erregend seien auch Nachrichten über chemische und atomare Verseuchung, verursacht durch das Bombardement von Chemieanlagen und atomaren Endlagerstätten. Tschetschenische Ärzte berichteten über vermehrte genetische Veränderungen bei Neugeborenen und Krankheiten von Schulkindern, die auf die starke Umweltverschmutzung zurück zu führen sind. Seit Jahren hat die GfbV gemeinsam mit tschetschenischen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen vor der ökologischen Katastrophe in Tschetschenien gewarnt. Die reichen Waldgebiete Tschetschenien wurden vorsätzlich von russischen Truppen gerodet, weil sie als Rückzugsgebiet für die tschetschenischen Kämpfer gelten. Es soll auch Agent Orange zur Entlaubung der Wälder eingesetzt worden sein. Die Bombardierung der Bergregion, die zudem stark vermint ist, dauert bis heute an.

22.6.2006 - Willkürliche Festnahmen und Schläge in Tschetschenien

Am 21. und 22. Juni sind in Tschetschenien mindestens acht junge Männer in Grosny, Wedenno, Itum-Kali und Schelkowski festgenommen worden. Als Grund für die Festnahmen wird- wie in diesen Fällen üblich- angegeben, sie stünden unter dem Verdacht, tschetschenische Kämpfer zu sein.

In Grosny wurde am 21.6. ein 20-Jähriger an der Bushaltestelle "Berezka" im Bezirk Staropromyslowski von Bewaffneten in Tarnanzügen zusammengeschlagen. Wie ein Augenzeuge berichtete, hielt ein Militärfahrzeug an der Bushaltestelle, mehrere Bewaffnete stiegen aus und schlugen den jungen Mann brutal zusammen. Sie verhinderten, dass andere Leute, die an der Bushaltestelle warteten, eingriffen. Zufällig kam der Vater des Opfers vorbei. Im gelang es, die Misshandlung seines Sohnes zu unterbrechen. Die Bewaffneten fuhren mit beiden zu deren Wohnung, um die Papiere der gesamten Familie zu prüfen. (www.kavkaz.memo.ru)

20.6.2006: Leichenfund

Der Leichnam einer 30- 35-jährigen Frau wird bei Dschalka, im Bezirk Gudermes von Dorfbewohnern gefunden. Die Leiche weist Spuren eines gewaltsamen Todes auf.

20.6.2006 - Flüchtlingsschicksal

Vor wenigen Tagen wurde die GfbV von Tschetschenienunterstützern aus Frankreich angerufen: Ein 26-jähriger Tschetschene sei nach Deutschland geflohen. Hier sei er abgelehnt worden und nach Frankreich, wo Verwandte leben, weitergeflüchtet. Frankreich habe ihn wegen der Schengenregelung (im ersten Schengenstaat, in den der Flüchtling einreist, muss das Asylverfahren bearbeitet werden) nach Deutschland zurück geschickt. Wieder kam hier vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge eine Ablehnung. Wieder fuhr er nach Frankreich. Erneut reagierten die Behörden mit der Abschiebung nach Deutschland. Nach einer neuerlichen Ablehnung reiste der 26-Jährige wieder nach Frankreich. Bevor ihn die Behörden wieder nach Deutschland abschieben konnten, flüchtete er nach Belgien. Am 30. Mai sollte er von Brüssel mit Zwischenstopp in Amsterdam nach Bremen ausgeflogen werden. Die Tschetschenienunterstützer aus Frankreich hatten jeden Kontakt zu ihm verloren und baten die GfbV darum, in Bremen nachzuforschen. Die Anrufe in Bremen führten jedoch nicht auf die Spur des jungen Mannes. Erst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg gab uns heute die Auskunft, dass der Flüchtling erst am 16. Juni von Brüssel nach Bremen abgeschoben worden sei. Wo er sich in Bremen aufhält, ist jedoch weiterhin unbekannt.

16.6.2006: Leichenfund

Der Leichnam von Toita Tesaeva Magomedowitsch wird in der Nähe des Dorfes Nojber im Bezirk Gudermes gefunden. Die Leiche weist Spuren von Verbrennungen auf. Das Opfer war aus dem Dorf Ojschar verschleppt worden. Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen.

15.6.2006: Leichenfund

Menschliche Überreste wurden auf dem Fluss Dschalka angeschwemmt. Bislang konnte nicht geklärt werden, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Leichnam handelt. Die Identität ist unklar.