30.08.2005

Tschetschenen in Hamburg fühlen sich pauschal diskriminiert

Terrorverdächtige kamen nicht aus Tschetschenien

Nach der Freilassung von drei Terrorverdächtigen in Hamburg hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Auf einer Pressekonferenz der Menschenrechtsorganisation am Dienstag in der Hansestadt berichtete die GfbV-Osteuropareferentin Sarah Reinke, dass sich die Gemeinschaft der in Hamburg lebenden Flüchtlinge aus Tschetschenien durch die "vorschnelle und unüberlegte Verbreitung" der angeblichen Nationalität der Gesuchten pauschal diskriminiert fühle. "Die Verdächtigten kommen jedoch nicht - wie von der Polizei mehrfach behauptet - aus Tschetschenien, sondern aus der Nachbarrepublik Inguschetien", sagte sie. "Statt die Herkunft der Betroffenen sorgfältig zu prüfen oder zu sagen, sie kämen aus der Russischen Föderation, ist die Polizei grob fahrlässig einem bereits fest gefahrenen Vorurteil gefolgt. Sie hat so eine ethnische Gruppe insgesamt in Misskredit gebracht, die auch von dem russischen Präsidenten Putin pauschal des Terrorismus beschuldigt wird." Putin rechtfertige damit den Völkermord an den Tschetschenen, der bereits bis zu 200.000 Tote gefordert habe.

 

"Wenn Tschetschenen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Opfer von Kriegsverbrechen werden und nach Deutschland flüchten, dann werden sie als Bürger der Russischen Föderation behandelt und bekommen hier als Gruppenverfolgte in der Regel keinen Schutz", kritisierte Reinke, "wenn jedoch ein Verdachtsmoment auftaucht, dann sind unsere Behörden schnell mit dem Terrorismusvorwurf gegen die Tschetschenen bei der Hand." Unter den in Hamburg lebenden Tschetschenen herrsche jetzt große Unruhe und Empörung. Die Vorverurteilung der Tschetschenen erinnere die Betroffenen in Hamburg an ihre Situation in Russland, wo die gesamte Gruppe durch Politik und die staatlich gelenkte Presse kriminalisiert werde.

 

Die GfbV verurteile aufs Schärfste Terroranschläge von einzelnen tschetschenischen Extremisten. "Doch notwendige Schutzmaßnahmen vor gewaltbereiten Terroristen hier werden durch unprofessionelle Aktionen wie die der Hamburger Polizei unglaubwürdig und ad absurdum geführt. Das fügt dem Ruf Hamburgs als weltoffene Hansestadt massiven Schaden zu", sagte sie.

 

Für die Belange der in Hamburg lebenden Flüchtlinge setzte sich auf der Pressekonferenz auch die bekannte tschetschenische Menschenrechtlerin Lipkan Basajewa ein, die auf Einladung der Hamburger "Stiftung für politisch Verfolgte" für ein Jahr in der Hansestadt lebt und arbeitet. Sie soll im Dezember mit dem diesjährigen Weimarer Menschenrechtspreis ausgezeichnet werden.

 

Insgesamt rund 200 Tschetschenen leben heute in Hamburg, darunter Ärzte und ein bekannter Theaterregisseur, aber auch viele Kinder, die durch den Krieg traumatisiert oder verwundet wurden und ihre Mütter, sowie junge Menschen, die gern eine Ausbildung oder eine Arbeit in Hamburg aufnehmen würden, berichtete Reinke. 34 Familien hätten jedoch von den Hamburger Gerichten negative Bescheide bekommen.

 

Inguschetien ist die Nachbarrepublik von Tschetschenien. Die Inguschen und Tschetschenen sind miteinander verwandte Ethnien, auch ihre Sprachen weisen Ähnlichkeiten auf. Beide Völker wurden 1944 kollektiv durch die Rote Armee nach Sibirien deportiert, wobei jeweils ein Drittel der Deportierten zu Tode kam. Diese Deportation wurde kürzlich vom Europarat als Völkermord anerkannt.