09.03.2016

China: Fragwürdige „Entwicklung“ und Armutsbekämpfung in Tibet

57. Jahrestag des Volksaufstands (10.3.) (Pressemitteilung)

Vor allem Tibets Nomaden, die zwangsweise sesshaft gemacht wurden, fehlt es an Arbeit und Lebensperspektiven. Foto: Lyle Vincent via Flickr

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat der Regierung Chinas vorgeworfen, unter dem Deckmantel der „Entwicklung“ und Armutsbekämpfung die Sinisierung Tibets voranzutreiben, um die Tibeter zur Minderheit im eigenen Land zu machen. „Die Tibeter werden buchstäblich ihrer eigenen Kultur beraubt und entmündigt. Sie verlieren jeden Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebens“, erklärte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius anlässlich des 57. Jahrestags des Volksaufstands der Tibeter gegen die chinesische Herrschaft. „War  es 1959 die Macht der Gewehre, mit der China das Aufbegehren der Tibeter niederschlug, so sind es heute neue Infrastrukturprojekte, mit denen die Unterwerfung Tibets besiegelt wird.“ Am letzten Samstag hatte Chinas Regierung angekündigt, eine neue Eisenbahnverbindung zwischen Süd-China und Tibet zu bauen. „Tausende neue Siedler werden mit dieser Bahn jede Woche in das Hochland kommen und Tibet noch chinesischer prägen“, erklärte Delius. Bei der blutigen Niederschlagung des Volksaufstands waren 1959 mindestens 87.000 Tibeterinnen und Tibeter zu Tode gekommen.

Die im Rahmen des neuen Fünf-Jahres-Plans Chinas angekündigte zweite Tibet-Bahn soll von Tibets Hauptstadt Lhasa über 1629 Kilometer in die Stadt Chengdu (Provinz Sichuan) führen. Jeder Kilometer der Hochgebirgs-Strecke, die bis zum Jahr 2030 erbaut werden soll, wird mindestens 15 Millionen Euro kosten. Die Fahrzeit zwischen beiden Städten soll sich von 42 Stunden auf weniger als 15 Stunden verringern.

Im Jahr 2006 war bereits eine erste Tibet-Bahn von Lhasa nach Xining (Provinz Qinghai) in Betrieb genommen worden. Seit der Eröffnung der neuen 1659 Kilometer langen Bahnstrecke stieg die Zahl der Touristen in Tibet von 2,5 Millionen auf 10,58 Millionen Besucher im Jahr 2013 an. Aber auch hunderttausende Migranten nutzten die Bahn, um sich entlang der Strecke in neu entstehenden Städten niederzulassen. Auch wird die Bahn massiv für den Abtransport von Bodenschätzen sowie für den Handelsaustausch mit dem Osten Chinas genutzt. Die von Soldaten streng bewachte Bahn, die im Jahr 2014 in die tibetische Stadt Shigatse verlängert wurde, ist für China auch strategisch bedeutsam, da sie regelmäßig Polizisten und Soldaten nach Tibet transportiert.

China will 32.000 Kilometer Straßen bis zum Jahr 2020 in Tibet bauen, um die „Entwicklung“ zu fördern und 690.000 Menschen aus der Armut zu führen, kündigte Ende Januar 2016 die Regierung der Autonomen Region Tibet (TAR) an. Diese TAR macht nur einen Teil der tibe-tischen Siedlungsgebiete aus. „Das von China proklamierte 11% Wachstum des Bruttosozialprodukts in Tibet wird vor allem chinesischen Zuwanderern zugute kommen, nicht aber Tibetern. Vor allem Tibets Nomaden, die zwangsweise sesshaft gemacht wurden, fehlt es an Arbeit und Lebensperspektiven“, erklärte Delius. Die Tibeter sehen in diesen Programmen zur Armutsbekämpfung den gezielten Versuch der Sinisierung und Kolonisierung ihrer Heimat. Sie beklagen ihre fehlende Mitsprache bei allen Entscheidungen zur „Entwicklung“ Ti-bets. Der Widerstand der Tibeter entzündet sich heute vor allem an diesen umstrittenen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. So werden die meisten Tibeter inzwischen bei Protesten gegen neue Bergwerke und andere Großprojekte verhaftet.


Header Foto: Lyle Vincent via Flickr