20.02.2008

Tiananmen-Mütter fordern Gerechtigkeit

Opfer des Massakers von 1989 bis heute nicht rehabilitiert

aus: bedrohte völker_pogrom 246, 1/2008

Auch 18 Jahre nach der blutigen Niederschlagung der Proteste der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking im Juni 1989 fordern Angehörige der Opfer noch immer vergeblich eine Rehabilitierung der Ermordeten. Seit sich 1995 die Bewegung der "Tiananmen- Mütter" gründete, schreiben die 27Mütter jedes Jahr kurz vor dem Jahrestag des Massakers an die chinesischen Behörden und bitten um Gerechtigkeit für die Ermordeten. Die Sprecherin der Bewegung ist die heute 71 Jahre alte emeritierte Universitätsprofessorin Ding Zilin. Ihr Sohn Jiang Jielian war erst 17 Jahre alt, als er durch die Kugeln der Sicherheitskräfte starb. Schätzungen zufolge wurden damals mehr 200 friedliche Demonstranten getötet. Bis heute können der genaue Hergang und der Umfang der brutalen Niederschlagung der Proteste nicht untersucht werden, weil Chinas Behörden jede unabhängige Recherche über das Massaker verhindern.


Ihr Engagement hat Frau Zilin schon viele Schwierigkeiten gebracht. So wurde sie am 28.März 2004 mit den beiden Müttern Zhang Xianling und Huang Jinping, die ebenfalls in der Bewegung mitarbeiten, im Vorfeld des Jahrestages verhaftet. Ihr wurde vorgeworfen, an einem Video über die Opfer des Massakers mitgewirkt zu haben. Zwar kam sie nach kurzer Zeit wieder frei, jedoch darf sie keinen Kontakt mit Fremden aufnehmen. In den vergangenen Jahren wurden die rund 50 aktiven Angehörigen der Ermordeten regelmäßig vor dem Jahrestag unter Bewachung oder Hausarrest gestellt. Manche wurden auch verhaftet, um Kontakte zu Journalisten oder öffentliche Proteste zu unterbinden.


Angesichts der bevorstehenden Olympiade lockerten die Behörden im Jahr 2007 ihre Überwachung, und einige ausländische Journalisten durften Frau Zilin interviewen. Dies bedeutet

jedoch nicht, dass Chinas Machthaber nun an eine Rehabilitierung der Opfer denken. Denn als am 4. Juni 2007 in der Tageszeitung "Chengdu Evening News" im Südwesten der Volksrepublik eine Anzeige erschien, in der die "Tiananmen-Mütter" wegen ihres Mutes und Einsatzes gelobt wurden, wurden der stellvertretende Herausgeber der Zeitung und zwei Redakteure unverzüglich entlassen. Außerdem lehnten es führende chinesische Politiker in den vergangenen Monaten ab, den brutalen Einsatz der Sicherheitskräfte 1989 zu verurteilen und das friedliche Engagement der Demonstranten für die Demokratisierung des Landes zu würdigen.


Bis heute bleiben die wichtigsten Forderungen der "Tiananmen-Mütter" unerfüllt: Sie verlangen eine Neubewertung der blutigen Niederschlagung der Proteste und eine Bestrafung der Verantwortlichen. Außerdem sollen das letzte Dutzend Oppositioneller, die aufgrund der damaligen Proteste noch immer festgehalten werden, endlich freigelassen werden. Fast alle mussten ihre Haftstrafen vollends verbüßen. Niemand wurde vorzeitig begnadigt oder wegen guter Führung freigelassen. Die "Tiananmen-Mütter" fordern, dass auch diejenigen, die das Massaker verletzt überlebt haben, und die Angehörigen der Ermordeten nicht länger eingeschüchtert und drangsaliert werden. Es sei außerdem nicht hinzunehmen, dass sie keine humanitären Spenden aus dem Ausland annehmen dürften und es ihnen nicht gestattet sei, in aller Öffentlichkeit der Opfer des Massakers

zu gedenken.


"Wir wollen endlich Gerechtigkeit", erklärt Ding Zilin. Doch ihre Kräfte werden matter nach fast zwei Jahrzehnten der Einschüchterung und Willkür. 15 Frauen, die den ersten Protestbrief 1995 unterzeichneten, sind bereits gestorben. Offenbar setzt Chinas Führung darauf, dass die mahnenden Stimmen mit fortschreitendem Alter bald verstummen werden.