26.04.2005

Terror und Gegenterror: PKK und Öcalan

Brutale Unterdrückung von Dissens, Morde und Attentate als Mittel der Politik – zum Schaden der Kurden.

Fast 60 Jahre lang haben türkisches Militär und amtierende Regierungen, von Beginn der 20er Jahre bis zur Entstehung der PKK Anfang der 80er, gnadenlos ihre kurdische Bevölkerung verfolgt. Es begann mit dem großen Vater der Türkei Atatürk. Zur Bekämpfung der westlichen Entente, zur Liquidierung oder Vertreibung eines Großteils der vertriebenen Armenier und Assyrer, zur totalen Säuberung des großen griechischen Sprachgebietes an der Ägäis und im Pontos benötigte der türkische Führer die kämpferischen Kurden. Im Namen des Türken und Kurden vereinigenden Islam trieb er die ionischen Griechen ins Meer.

Kaum waren die äußeren Feinde und die christlichen Volksgruppen bezwungen oder zum Teil vernichtet, wandte Atatürk sich gegen die Kurden. Er und seine Nachfolger führten Massendeportationen von über einer Million kurdischer Kinder, Frauen und Männer durch und ermordeten Zehn-, wahrscheinlich Hunderttausende.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging diese erbarmungslose Verfolgung weiter. Ganz Südostanatolien, Türkisch-Kurdistan, stand unter militärischer Willkürherrschaft. Immer wieder wurde über einzelne oder alle Provinzen der Ausnahmezustand verhängt. Die Dorfbevölkerung wurde drangsaliert, Menschenrechtsverletzungen waren immer wieder alltäglich. Es wurde vergewaltigt, inhaftiert, gefoltert. Gerichte setzten sich meistens über jede Rechtsstaatlichkeit hinweg. Die Kurden galten als Bergtürken. Die kurdische Sprache, Kultur und Identität wurde konsequent unterdrückt, Kurdische Parteien, Institutionen, Zeitungen oder Verlage blieben verboten.

Die Antwort auf die türkische Barbarei wurde die radikale PKK, eine Partei, die von Anfang an Terror nicht scheute. Vor allem nicht an der eigenen Bevölkerung. Aus dem Milieu türkischer und kurdischer Linksextremisten entstand die PKK unter autoritärer Führung eines Exstudenten Namens Öcalan. Einer weitgehend türkisierten Familie entstammend, lernte Öcalan zwar kurdisch, machte aber über Jahre das Türkische zur Verkehrs- und Schriftsprache seiner Bewegung. Anders als erfolgreiche Freiheitskämpfer wie der Fretilin in Osttimor, der südsudanesischen Widerstandsbewegung unter Garang oder der irakisch-kurdischen Befreiungsfront unter Mustafa Barzani, kämpfte Öcalan niemals in seiner Heimat. Vielmehr richtete er seine Lager im Libanon unter der Obhut des syrischen Diktator Hafes el Assad ein, der seine heute zwei Millionen Kurden nicht viel weniger unterdrückte als die Regierenden in der Türkei. Als Verbeugung gegenüber seinem syrischen "Schirmherren" leugnete Öcalan überhaupt die Existenz des kurdischen Sprachgebietes, die Existenz von Syrisch-Kurdistan insgesamt.

In vieler Hinsicht übertraf die politische Praxis Öcalans die diktatorische Härte Assads. Seine Partei organisierte er nach stalinistischen Prinzipien. Der große Führer regelte alles. Während er selbst kurdische Freiheitskämpferinnen missbrauchte, untersagte er seinen Partisanen sowohl die Ehe als auch erotische Kontakte. Vielfach liquidierte er junge kurdische Kämpfer, die Dienst in seinen Lagern hatten. Vor allem jene, die ihm widersprachen. Öcalan beseitigte sein gesamtes erstes Politbüro. Er mordete von Schweden über Deutschland bis in den Libanon. Öcalan überzog die kurdischen Gemeinschaften aus der Türkei im Exil und viele der kurdischen Städte der Türkei mit einem Netz von Kontrolle, Denunziation und Repressionen gegen Menschen, die sich nicht einordnen wollten. Während die türkische Armee, die Sicherheitskräfte und die von der Armee eingesetzte mörderische, terroristische Hisbollah nicht nur PKK Anhänger, sondern ungezählte normale kurdische Bürger, aber auch Akademiker, Politiker und Schriftsteller ermordete, benutzte die PKK, die 1984 ihre Angriffe gegen die türkische Armee begann, ihrerseits Morde und Attentate als politisches Mittel. So erklärte sie allen Türkischlehrern in Kurdistan den Krieg und ließ über hundert von ihnen ermorden.

Schrecklich war die Kampfweise der PKK für die eigene kurdische bäuerliche Bevölkerung. Fern von den Kampfgebieten mit den Direktiven des syrischen Diktators, fällte Öcalan unzählige Fehlentscheidungen, die ein Desaster nach dem anderen für die Partisanen verursachten. Öcalan griff in die Führungsstrukturen ein, setzte bewährte Kommandeure ab oder ließ sie verfolgen. Die Guerilla konnte so den Bauern und anderen Dorfbewohnern keinen wirklichen Schutz gewähren. Sie drangen nachts in die Dörfer ein, baten oder erzwangen Unterstützung. Tagsüber kamen die türkischen Soldaten mit neuen Repressionen. Schließlich stellte die Armee Kurdistans Dörfler vor die Entscheidung: "Ihr werdet Dorfschützer, nehmt unsere Waffen an, verteidigt Euch gegen die PKK oder wir zerstören Eure Dörfer." Fazit: 3.428 Dörfer Türkisch-Kurdistans wurden zerstört. Zweieinhalb Millionen Landbewohner mussten in die Elendsquartiere der Städte umziehen. Hunderttausende wanderten ab in die Westtürkei oder bildeten den Grundstock der großen kurdischen Emigration nach Deutschland und den Nachbarländern. Sie gingen ihrem Land verloren. Dafür ist die Türkei ebenso verantwortlich wie die PKK. Unerträglich, dass diese kurdische so genannte Arbeiterpartei sich über Jahre in ihren Pressekommuniques der täglichen Abschussquoten in Sachen "Dorfschützern" rühmte. Kein Wunder, dass etwa 35.000 der 40.000 Todesopfer des türkisch-kurdischen Bürgerkrieges Kurden waren.

Schließlich wurde Öcalan 1999 von verschiedenen Geheimdiensten, darunter dem israelischen, verfolgt und festgenommen. Seine Strategie hatte sich gegen ihn gewandt. Die Türkei hatte Truppen gegen Syrien aufmarschieren lassen und der Diktator hatte schnell klein beigegeben und die Auflösung der PKK Aufmarschbasis angekündigt. Öcalan verließ das Land und unternahm eine tragische Irrfahrt. Kein europäisches Land wollte ihn aufnehmen. Schließlich entführte ihn der israelische Geheimdienst aus Kenia und lieferte ihn an die Türkei aus. Dort sitzt er auf einer Insel im Maramameer, beschäftigt mehrere Rechtsanwälte und entsendet durch sie ständig Botschaften an die Reste seiner erfreulicherweise zusammenschrumpfenden Kampftruppen und an die Parteibasis in Südostanatolien.

Die 3.500 wirklichen oder angeblichen PKK-Sympathisanten, von Ausnahmegerichten zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, seinerzeit nicht selten gefoltert, angeklagt des Separatismus, des Terrorismus und oft einfach nur Flugblätterverteiler oder willkürlich Verdächtige, haben keine Möglichkeit, sich als politische Gefangene an die Öffentlichkeit zu wenden. Warum genießt der PKK Parteiführer und vielfache Mörder Öcalan dieses Privileg? Zuletzt hat er den Waffenstillstand gekündigt. Es wird wieder gekämpft, wenn auch auf kleiner Flamme. Die Erklärung vieler kurdischer Persönlichkeiten ist schwer nachvollziehbar, aber deutlich. Ohne PKK kein Krieg in Südostanatolien, keine Arbeit für die Armee, kein Argument für deren Führung für Sondergerichte, Ausnahmezustand und autoritären Staat. All das stellt die konservative aber maßvolle islamische Regierung infrage, bedrohte die Position der Armee durch eine Reihe von Reformen. Zwei traurige Tatbestände sind nachzutragen. Gemeinsam haben Assad und Öcalan mindestens Zehntausend junge syrische Kurden in die Einheiten der PKK gelockt. Sie wurden dann in die Kampfgebiete geschickt. Die große Mehrheit von ihnen, auch junge Frauen, sind gefallen oder von türkischen Einheiten liquidiert worden.

Nicht so dramatisch, aber schlimm genug, ist das Schicksal der deutschen Yeziden, heute eine Gruppe – vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – von mehr als 50.000 Menschen. Auch diese Gruppe wurde mit einem eng gespannten Netz der Kontrolle und Repressionen überzogen – jahrelang mitten in Deutschland. Wer sich zu wehren suchte, wurde bedroht oder zusammengeschlagen. Ihre kleinen Betriebe mussten Steuern zahlen. Wer sich weigerte, dessen Einrichtung wurde zerstört oder er wurde mit anderen Sanktionen konfrontiert. Eine Reihe junger Menschen, junge unmündige Männer und Frauen, wurden in niederländische oder belgische Lager geholt und dort ausgebildet. Erst die Gesellschaft für bedrohte Völker beendete diese Praxis, als sie die PKK und deren deutsche Freunde mit einem offenen Brief, gesandt an die Massenmedien, so unter Druck setzte, dass die letzten sechs Jugendlichen in ihre Heimat zurück geschickt wurden. Manchmal zahlt sich Härte und Ausdauer eben aus.

Noch hat die PKK nicht wirklich aufgegeben. Wieder wurde ein Konzert des berühmtesten kurdischen Sängers Sivan Perver in Athen von PKK Schlägern beendet, wie beinahe ein Jahr zuvor das Sivan Konzert der Gesellschaft für bedrohte Völker in Bonn. Die inzwischen weltbekannte kurdische Parlamentarierin Leila Zana – lange Zeit PKK Sympathisantin – und endlich aus politischer Haft entlassen, wurde öffentlich bedroht. Wieder wurden auch in Deutschland PKK Dissidenten misshandelt oder sogar ermordet. Die Weiterexistenz der PKK, als KONGRA GEL, beschädigt den kurdischen Namen, gefährdet die Regionalautonomie im Nordirak, überall als vergleichsweise human und zivilisiert gelobt, und gibt der Türkei neue Munition, Irakisch-Kurdistan zu bedrohen. Ihre schnelle Auflösung wäre ein großer Schritt nach vorn für die 15 Millionen türkischen Kurden und die Entwicklung einer Vielfalt von kurdischen Parteien, Institutionen und NGO’s.

 

Von der PKK brutal gefoltert – ein ehemaliger Gefangener berichtet

Ein Jahr lang musste Remzi Balyeci als Gefangener der PKK Folter, Scheinhinrichtungen und Demütigungen ertragen. Süleyman Yildirim hat seinen Bericht über diese Leidenszeit aufgezeichnet, aus dem hier Auszüge veröffentlicht werden:

  • Sie haben mich an Händen und Füßen gefesselt auf einen Hügel geschleift und mich mit einer dünnen, reißfesten Schnur an einen Baum gebunden. Einer trat mir mit Wucht auf den Bauch auf meine gerade verheilte Operationsnarbe. Als ich wieder zu mir gekommen war, schlug einer mit dem Gewehrkolben gegen meine Wange. Blutüberströmt und schweißgebadet wachte ich wieder auf. Mir fehlten mehrere Zähne. Dann stürzten sie mich gefesselt einen Abgrund hinunter. Ich schlug mit dem Kopf gegen einen Felsen.

    Meine Gefängniszelle in den Kandil-Bergen auf dem Gebiet von Osman Öcalan hatte kein Dach. Es war August und glühend heiß. In der Nachbarzelle war mein Freund Ertem Karabulut (Numan). Ich habe ihn an seinem Stöhnen erkannt. Nachts urinierten die Wachposten auf mich oder warfen mir Steine an den Kopf. Den Winter saßen wir in Einzelzellen in einem drei Meter tief in die Erde gegrabenen Gefängnis. Ein einziges Loch führte hinein. Die Deckenbalken waren mit Gestrüpp, Heu, Plastik und Erde bedeckt. Es war immer feucht. Der Boden und die Wände bestanden aus Erde. Manchmal flossen Schlamm und Wasser herab. Es war sehr kalt. Wir hatten nur eine Wolldecke. Es stank nach Dreck und Urin. Manchmal wurden wir nachts mitsamt unserer Kleidung in einen kalten Bach geworfen und nass wieder zurückgebracht. Manchmal kamen Maskierte und nahmen einen Gefangenen mit. Einige Minuten später hörten wir dann Schüsse. Wir warteten darauf, dass wir an die Reihe kämen. Tagsüber mussten wir wie Sklaven harte Arbeit verrichten. Manche haben die Folter nicht ausgehalten und sich selbst angezündet. In der Nacht vom 12. Oktober 2001 gelang uns die Flucht. Wir nahmen den Weg über die Minenfelder. Wir wollten lieber dort sterben als noch einmal von ihnen gefangen zu werden.