25.05.2016

„Wir kämpfen für Gleichberechtigung in Syrien“

Interview mit Generalmajor Talal Silo, Sprecher der „Syrian Democratic Forces“ (SDF)

Die "Anti-IS-Koalition" soll nach internationalen Presseberichten eine Großoffensive auf die IS-Hochburg Rakka planen. In der Allianz sind auch die "Syrian Democratic Forces" (SDF) vertreten, zu denen unter anderen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören. Foto: Kurdishstruggle via Flickr

Nach internationalen Presseberichten steht eine Großoffensive der von den USA angeführten „Anti-IS-Koalition“ auf Rakka, Hochburg des Islamischen Staats in Syrien, bevor. Kurdische Quellen in Nordsyrien berichten, dass der Chef des US-Zentralkommandos, Joseph Vogel, in Kobane und anderen Ortschaften sowohl US-Militärberater, die Führung der „Syrian Democratic Forces“ (SDF) als auch Kommandeure der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) heimlich getroffen habe. Das Hauptthema der Gespräche soll die Vorbereitung einer großangelegten Offensive auf Rakka gewesen sein.

Rakka ist die Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements am mittleren Euphrat im Osten Syriens. Ende 2010 lebten in Rakka etwa 200.000 Menschen, davon ein Drittel Kurden. Auch eine kleine Anzahl von Schiiten und Christen gehörte zur Bevölkerung von Rakka. Mitte 2013 nahm der IS die Stadt ein und verjagte die so genannten „moderaten“ Islamisten aus der Region- Auch vertrieb er die meisten Kurden aus Rakka. Die wenigen verbliebenen Kurden forderte der IS im Juni 2015 unter Todesdrohungen auf, innerhalb von 72 Stunden die Stadt zu verlassen. Auch die meisten Christen flohen nachdem der IS Rakka eingenommen hatte. Die wenigen, die vor Ort geblieben sind, müssen sich bis heute vor der islamistischen Terrormiliz fürchten. Kurz nach der Einnahme der Stadt, am 26. September 2013, setzten IS-Islamisten die armenisch-orthodoxe Kirche Sajjida-al-Bishara in Brand, nachdem zuvor bereits die Holzkreuze und christliche Bildnisse von den Wänden gerissen und angezündet worden waren. Den Christen wurde eine Kopfsteuer auferlegt, die sie regelmäßig zahlen müssen. Auch dürfen sie in der Öffentlichkeit nicht beten. Das Rauchen, der Genuss von Alkohol und das Hören von weltlicher Musik wurden vom IS verboten.

Nun soll Rakka mit Luftunterstützung der Amerikaner durch die SDF befreit werden. Doch wer ist dieses neue Militärbündnis SDF? Darüber sprach GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido während seiner dreiwöchigen Reise durch Nordsyrien im März 2016 mit dem Generalmajor Talal Silo. Der 1965 in der Ortschaft Ar-Ra’ii im Norden von Aleppo geborene sunnitische Turkmene Silo ist Sprecher der „Syrian Democratic Forces“ und Mitglied des Oberkommandos der SDF.

Während seiner dreiwöchigen Reise durch Nordsyrien sprach GfbV-Nahostreferent Kamal Sido mit vielen verschiedenen Bewohnern der Region. In Al-Hasakeh traf er spät am Abend ein und wurde gleich von Talal Silo zum Essen eingeladen, bei dem sie über die SDF und die Zukunft Syriens sprachen.

Kamal Sido: Momentan gilt in Syrien eine vereinbarte Feuerpause. Halten sich Ihre Streitkräfte daran?

Silo: Ja, selbstverständlich halten wir uns an die Feuerpause, überall wo wir sind. Dies wurde auch durch ein offizielles Kommuniqué bekräftigt. Allerdings behalten wir uns das Recht vor, jegliche Angriffe zu erwidern. Im Übrigen gilt die Feuerpause nicht für die Gebiete, in denen wir den radikalislamistischen IS bekämpfen. Wie eben hier in der Provinz Al-Hasakeh.

KS: Gibt es Gruppen, die die Feuerpause missachten?

Silo: Die sogenannten moderaten Rebellen wie die Al-Nusra-Front, Ahrar al-Sham, die Sultan Murad-Brigaden und die Mutassim Billah-Brigaden halten sich überhaupt nicht an die Feuerpause. Insbesondere in Aleppo setzen sie ihre Angriffe auf die Zivilisten fort. Vor allem das Stadtviertel Scheikh Maksud ist davon schwer betroffen. Täglich werden dort Zivilisten angegriffen, Menschen verlieren durch diese Angriffe das Leben und es gibt viele Verletzte. Bei den Angriffen in Aleppo wurden auch giftige Gase wie z.B. Sarin benutzt.

KS: Die SDF müssen also gegen eine Vielzahl an islamistischen Gruppierungen kämpfen. Das erfordert eine hohe Anzahl an Soldaten. Wie stark sind die SDF zahlenmäßig?

Silo: Das sind militärische Geheimnisse. Diese Frage werde ich nicht beantworten. Aber ich kann so viel dazu sagen: Die SDF bestehen aus insgesamt zehn militärischen Verbänden, die sich wiederum aus den verschiedenen ethnischen und religiösen Volksgruppen wie Kurden, Turkmenen, Araber und Assyrer/Aramäer/Chaldäer zusammensetzen. Für die Christen ist zum Beispiel der „assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye“ (MFS) Mitglied der SDF.

KS: In Ihrer Aufzählung kamen keine Yeziden vor. Kämpfen diese auch bei Ihnen mit?

Silo: Wir haben viele Yeziden in unserer Reihen. Aber anders als bei den eben genannten Volksgruppen gibt es keinen bewaffneten yezidischen Verband. Das Gleiche trifft auch auf die Armenier zu. Es gibt einzelne armenische Kämpfer, aber sie sind nicht in einer armenischen militärischen Vereinigung organisiert, sondern befinden sich in den Reihen der YPG.

Kamal Sido vebrachte das Neujahrsfest Newroz in Kobane, wo er viele Mitglieder der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) traf. Auch diese junge Frauen sind im Kampf gegen den Islamischen Staat beteiligt. Foto: Kamal Sido

KS: Die SDF sind ein Militärbündnis. Doch gehören sie auch einer politischen Gruppierung in Syrien an?

Silo: Als die SDF im Herbst 2015 gegründet wurden, hatten wir noch keine politische Vertretung. Dann wurde im Dezember 2015 der „Syrian Democratic Council“ (SDC) gegründet. Seitdem sehen wir uns als militärischen Arm des SDC.

KS: Welche Ziele verfolgen die SDF für Syrien?

Silo: Zu Beginn unserer Gründung hatten wir das Ziel, den IS zu zerschlagen und unsere Gebiete vom IS zu befreien. Aber schnell erweiterten wir unsere Bestrebungen: Heute kämpfen wir für ein demokratisches, pluralistisches, föderales System in Syrien, das die Freiheit kultureller Rechte und die Glaubensfreiheit für alle Volksgruppen in Syrien garantiert. Und wir wären dann der Kern zukünftiger Streitkräfte eines demokratischen Syriens, in dem Religion und Staat voneinander getrennt sind. Das unterscheidet uns von nahezu allen anderen bewaffneten Gruppen: Die anderen wollen einen Scharia-Staat in Syrien einführen. Wir bei den SDF lehnen das ab. Wir kämpfen für eine vollständige Gleichberechtigung zwischen allen religiösen und ethnischen Gruppen in Syrien. Christen müssen das Recht haben, Kirchen zu bauen, so wie andere eben auch ihre Gotteshäuser errichten können.

KS: Gibt es momentan Konflikte zwischen den SDF und den Nachbarländern?

Silo: Wir sind Mitglied der „Anti-Terror-Allianz“, die von den USA angeführt wird. Diese Allianz bietet uns auch Luftunterstützung bei unserem Kampf gegen den IS. Leider haben wir aber ein großes Problem mit der Türkei. Die stören und behindern unseren Kampf gegen den IS. Außerdem bedroht die Türkei unsere Existenz und schadet und gefährdet langfristig unsere politischen Ziele in einem künftig demokratischen Syrien.

KS: Erhalten Sie auch Waffen von der Allianz?

Silo: Wir erhalten Luftunterstützung – vor allem durch die Amerikaner. Was Waffen angeht, leider sehr wenig. Wir haben bis jetzt nur dreimal Munition erhalten. Wir fordern die Allianz immer wieder dazu auf, uns auch mit Waffen zu unterstützen.

Die "Syrian Democratic Forces" gehören der "Anti-IS-Koalition" an, die von den Amerikaner angeführt wird. Während die US-Jets die Luftangriffe fliegen, kämpfen die SDF-Einheiten am Boden gegen die Radikalislamisten. Foto: tpsdave via pixabay [Symbolbild]

KS: Wie brutal der Krieg auch sein mag, in Kriegen gibt es jedoch auch immer Regeln, die durch das humanitäre Kriegsrecht festgelegt sind. Halten sich die SDF an diese Regeln?

Silo: Ja, wir halten uns daran. Das ist in unseren Statuten festgeschrieben. Das gilt für die Behandlung der Gefangenen als auch der Zivilbevölkerung. Auch Kindersoldaten lehnen wir strikt ab. Ich kann ein konkretes Beispiel nennen: Vor kurzem haben sich einige Angehörige der arabischen Volksgruppe uns angeschlossen. Darunter befanden sich auch Minderjährige. Wir haben uns bei Ihnen bedankt, sie aber wieder nach Hause geschickt. Die beiden waren 16 Jahre alt.

KS: Es gibt Vorwürfe gegen die SDF, dass sie Zivilisten verfolgen, die angeblich mit dem IS kooperiert haben. In diesem Zusammenhang soll es auch zu ethnischen Säuberungen gekommen sein. Stimmen diese Vorwürfe?

Silo: In dieser Frage verfolgen wir eine klare Linie: eine Diskriminierung auf religiöser oder ethnischer Grundlage lehnen wir ab. Es kommt jedoch hin und wieder in Einzelfällen zu Menschenrechtsverletzungen auch unsererseits. Wir haben aber immer wieder erklärt, dass wir bereit sind, mit internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten, um den Vorwürfen nachzugehen.

KS: Woher wissen die SDF-Kämpfer, welches Verhalten von ihnen - auch im Kampf - erwartet wird?

Silo: Bevor wir eine Schlacht beginnen, klären wir unsere Soldaten darüber auf, welches Verhalten wir von ihnen einfordern. Wenn es möglich ist, sorgen wir auch dafür, dass die Zivilbevölkerung nicht zu Schaden kommt. Groß angelegte Angriffe werden nur gestartet, wenn sich in den betroffenen Ortschaften keine Zivilisten mehr befinden. In der Regel finden die Kämpfe in Ortschaften statt, aus denen die Menschen längst geflohen sind. Zudem gibt es Luftangriffe, bevor wir mit den Kämpfen am Boden beginnen. Dadurch warnen wir die Zivilbevölkerung. Wenn wir eine Ortschaft erobern, lassen wir die Zivilbevölkerung erst in ihre Häuser zurückkehren, wenn die Minen weggeräumt und Autobomben entschärft sind. Erst dann erlauben wir den Zivilisten zurückzukommen. Leider haben wir aber zu wenige Fachkräfte, die Minen wegräumen oder Autobomben entschärfen können. Daher kommen wir nur schleppend voran.

KS: Herzlichen Dank für das Interview!

 

Das Interview wurde am 25.03.2016 in Al-Hasakeh von Dr. Kamal Sido geführt.


Header Foto: Kurdishstruggle via Flickr