30.04.2005

Staudämme und Entwicklungsprojekte

59. Sitzung der UN Menschenrechtskommission 2003 - Genf 17.03.03-25.04.03

Schriftliche Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker

Item 7

Seit 1950 sind mehr als 35.000 Großstaudämme errichtet worden. Allein in der Volksrepublik China entstanden seit 1949 mehr als 19.000 Staudämme. Indien hat seit seiner Unabhängigkeit mehr als 3000 Staudämme gebaut. Weltweit wurden mehr als 400.000 Quadratkilometer Land durch Stauseen unter Wasser gesetzt.

Der Bau von Großstaudämmen gehört seit langem zu den besonders umstrittenen Entwicklungsprojekten. Die Befürworter heben dabei hervor, dass sie enorme Auswirkungen haben auch die Stromproduktion. Staudämme sorgen demzufolge für fast 20 Prozent der Stromproduktion und 10 Prozent der Nahrungsmittelproduktion weltweit. Die Gegner führen die Umweltzerstörung und die negativen sozioökonomischen Folgewirkungen an, insbesondere die Umsiedlung großer Bevölkerungsgruppen, die meist Indigenen Völkern oder verarmten Randgruppen angehören. Geschätzt 40 bis 80 Millionen Menschen sind in den vergangenen vier Jahrzehnten wegen des Baus von Staudämmen umgesiedelt worden. In der Planungsphase wurde dabei die Anzahl der direkt und indirekt betroffenen Menschen viel zu gering eingeschätzt. Entsprechend gering oder gar nicht werden die Betroffenen in Planung und Durchführung der Staudammprojekte einbezogen. Allein in Indien wurden in den vergangenen 40 Jahren mehr als 20 Millionen Menschen vertrieben, von denen nach Schätzungen bis zu 75 Prozent nicht entschädigt worden sind. Nach Angaben der Regierung Indiens gehören 40 Prozent aller durch Staudämme Vertriebenen der Adivasi - Urbevölkerung an. Großstaudämmen wirken sich gravierend auf Kultur, Leben, Lebensgrundlage und Spiritualität der Ureinwohner aus. Die Indigenen Völker haben dabei überdurchschnittlich stark unter den negativen Folgen der Großstaudämme zu leiden.

Mehr als 100.000 Adivasi sind im Narmada-Tal in Indien von der Zwangsumsiedlung bedroht. Im Hochland von Nord- und Zentralvietnam werden mindestens 120.000 Angehörige von Ureinwohnergemeinschaften durch Staudammprojekte bis 2006 umgesiedelt werden. Zehntausende Angehörige indigener Gemeinschaften in Brasilien, Chile, Costa Rica, Panama, Kanada, Malaysia und den Philippinen infolge des geplanten Baus von Staudämmen schon bald gegen ihren Willen umgesiedelt werden. Zahlreiche Studien haben bereits nachgewiesen, dass Zwangsumsiedlung Gemeinschaften auseinander reißt, Sozialstrukturen und zwischenmenschliche Verhältnisse zerstört sowie Gemeindeprojekte destabilisiert und unmöglich macht. Die Zerstörung sozialer Bindungen fügt einer Einzelperson vielleicht keinen physischen Schaden zu, die Gemeinschaften und die Identität indigener Völker aber werden vernichtet. Die große Mehrheit der Menschen, die durch Staudammbau entwurzelt wurden, sind aus den Statistiken verschwunden, aufgesogen durch die städtischen Slums der Wanderarbeiter.

Viele Großstaudamm-Projekte werden sehr viel teurer als geplant und haben eine sehr viel längere Bauzeit. Sie haben sich als unwirtschaftlich erwiesen, auch ohne die Kosten im sozialen und Umweltbereich einzubeziehen. Großstaudämme haben enorme Umweltschäden zur Folge, wozu auch der Verlust von Anbauflächen, Feuchtgebieten und Wäldern sowie die Vernichtung von Fischen und anderen im Wasser lebenden Arten gehören.

Die Weltkommission für Dämme (World Commission on Dams / WCD), die im Februar 1998 von der Weltbank und der Welt-Naturschutz-Union (IUCN) mit dem Mandat gegründet wurde, "die Effektivität von Dämmen und Alternativen im Zugang zu Wasser und Stromerzeugung zu prüfen" und "auf internationaler Ebene akzeptierte Standards, Richtlinien und Kriterien zu entwickeln für die Entscheidungsfindung in Planung, Entwurf, Bau, Überwachung, Betrieb und Stilllegung von Staudämmen" kam in ihrem im November 2000 veröffentlichten Bericht "Dämme und Entwicklung: Neue Rahmenbedingungen zur Entscheidungsfindung" zu dem Ergebnis, dass Großstaudämme zwar einigen Nutzen bringen, vor allem aber enorme Kosten in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Soziales verursachen. Die WCD appellierte an die internationalen Geldinstitute, die Staudammindustrie und die Regierungen, die Empfehlungen des Reports zu befolgen und damit zumindest die "menschlichen Kosten" von Großstaudämmen zu mindern. Regierungen und internationale Geldinstitute waren denn auch voll des Lobes für den Report; dessen wesentliche Empfehlungen jedoch haben sie bis heute bedauerlicherweise nicht angenommen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert die UN-Menschenrechtskommission daher auf, an Regierungen und internationale Geldinstitute zu appellieren, die Empfehlungen der WCD für Großstaudämme zu übernehmen und über den bau neuer Großstaudämme ein Moratorium zu verhängen, bis die Empfehlungen der WCD in ihrer Politik und ihren Verfahrensweisen vollständig Eingang gefunden haben.