30.04.2005

Sprachliche Vielfalt in Europa: Der Stand der Dinge

In der Europäischen Union gibt es über 50 autochthone Sprachen, die im täglichen Leben Verwendung finden. Von diesen sind jedoch nur 11 offizielle Amtssprachen der EU: Dänisch, Deutsch, Englisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch, Schwedisch, Spanisch, sowie Irisch für wichtige Verträge. Von den 370 Millionen Bürgern der EU sprechen fast 50 Millionen eine andere Sprache als die offizielle Staatssprache des Mitgliedslandes, in dem sie leben; fast jeder siebte Unions-Bürger gehört einer sprachlichen Minderheit an. Einige dieser Minderheitensprachen zählen zu den ältesten Europas, die meisten verfügen über eine reiche kulturelle, literarische und volkstümliche Tradition. Wird im Rahmen der EU von "Sprachenmosaik" gesprochen, ist darunter eben diese Vielfalt an Sprachen zu verstehen.

Für deren Bezeichnung sind Begriffe und Konzepte wie "regional", "Minderheit", "weniger verbreitet" und "minorisiert" nicht in allen Fällen geeignet. Eine Sprache kann, zum Beispiel, in einem Staat eine Minderheitensprache sein, jedoch in bestimmten Regionen dieses Staates von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen werden. Das Katalanische, um ein anderes Beispiel zu nennen, ist in Frankreich, Spanien und Italien eine Minderheitensprache, doch es wird von mehr Menschen gesprochen als die offiziellen EU-Sprachen Dänisch oder Finnisch.

Es ist zu betonen, dass die Begriffe keine eindeutige Bedeutung besitzen, und in den einzelnen Staaten unterschiedlich interpretiert werden. Deshalb erscheint es sinnvoll eine kurze Definition zu geben. Der Ausdruck "Regional- oder Minderheitensprachen" bezeichnet Sprachen, die

    herkömmlicher Weise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates, und

    die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden.

Dieser Ausdruck umfasst weder Dialekte der Amtssprache(n) des Staates noch die Sprachen von Zuwanderern, noch die künstlichen Sprachen, wie Esperanto.

In der Europäischen Union werden die Minderheitensprachen in fünf große Kategorien unterteilt:

  • Die Nationalsprachen zweier kleiner Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die keine offiziellen Amtssprachen der Union sind: Irisch und Luxemburgisch
  • Die Sprachen von Gemeinschaften in einem einzigen Mitgliedstaat der EU, beispielsweise das Bretonische in Frankreich, das Friaulische und das Sardische in Italien, das Walisische im Vereinigten Königreich
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  • Die Sprachen von Gemeinschaften in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten der EU, beispielsweise das Baskische in Frankreich und Spanien, das Okzitanische in Frankreich, Italien und Spanien, das Lappische (Sami) in Finnland und Schweden
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  • Die Sprachen von Gemeinschaften, die in einem Staat eine Minderheit, in einem anderen jedoch eine Mehrheit darstellen, beispielsweise Deutsch in Belgien, Dänisch in Deutschland, Französisch und Griechisch in Italien, Finnisch in Schweden und Schwedisch in Finnland
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  • Nicht territorial gebundene Sprachen, die traditionsgemäß in einem oder mehreren Staaten gesprochen, jedoch nicht einem bestimmten Gebiet zugewiesen werden können, zum Beispiel die Sprachen der Sinti und Roma (Romanes) und der Juden (Jiddisch, Judenspanisch).
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    Unabhängig von der Anerkennung von Minderheitensprachen durch die Europäische Union, welche den Wert dieser Sprachen anerkennt und eine Reihe von Maßnahmen zu ihrer Unterstützung eingeleitet hat, ist der nationale juridische Status unterschiedlich: er reicht von der offiziellen Anerkennung bis zur völligen Leugnung von sprachlichen Minderheiten auf dem eigenen Staatsgebiet. Die Bedeutung welche die EU den Minderheitensprachen zuweist, wird von der Anerkennung der historischen und kulturellen Bedeutung begleitet. Diese weniger verbreiteten Sprachen werden von Land zu Land unterschiedlich behandelt; oft werden sie im Vergleich zu anderen, die in allen Bereichen des öffentlichen Lebens Verwendung finden, nur beschränkt eingesetzt oder an den Rand gedrängt.

    In fünfzehn Mitgliedstaaten wird zusätzlich zur Staatssprache mindestens eine weitere angestammte Sprache vollkommen unterschiedlicher Herkunft und Kultur gesprochen. Durch die Förderung dieser Sprachen wird ein wesentlicher Teil unseres Kulturgutes erhalten und aufgewertet, sowie der Grundstein für ein mehrsprachiges Europa gelegt. Denn eine Sprache ist mehr als nur Laute, Worte und Grammatik. Eine Sprache ist das kollektive Bewusstsein einer Gemeinschaft und ist oft untrennbar mit den verschiedenen Aspekten ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse, moralischen Werte und politischen Traditionen verbunden.

    Die Minderheitensprachen sind ein wesentlicher Bestandteil für die Gestaltung eines mehrsprachigen Europa. Im übrigen sind die meisten Mitglieder kleiner Sprachgemeinschaften mindestens zweisprachig: diese Mehrsprachigkeit ermöglicht ein einfacheres Erlernen von weiteren Sprachen. Die Europäische Union hat, trotz diverser Schwierigkeiten, einige Resolutionen zugunsten der Regionalsprachen erlassen. Den ersten historisch bedeutsamen Schritt unternahm es am 16. Oktober 1981, als das Parlament die so genannte Arfé-Resolution verabschiedete, die von dem italienischen Abgeordneten Gaetano Arfé vorgelegt worden war. Mit diesem Dokument bekundete das Europäische Parlament sein Interesse für die Minderheitensprachen der damaligen EG, wobei es eine Gemeinschaftscharta der Regionalsprachen und Regionalkulturen sowie eine Charta der Rechte ethnischer Minderheiten forderte. Kurz darauf folgte am 11. Februar 1983 eine zweite Arfé-Entschließung, in welcher die Europäische Kommission und der Ministerrat aufgefordert wurden, die Maßnahmen zugunsten der Sprachminderheiten zu intensivieren. Im Anschluss an diese Initiativen des Abgeordneten Arfé wurde im Europäischen Parlament eine interfraktionelle Arbeitsgruppe für Minderheitensprachen eingerichtet, die von Europaabgeordneten aller politischen Strömungen gebildet wird. Zugleich wurde 1982 auch das Europäische Büro für Sprachminderheiten (European Bureau for Lesser Used Languages - EBLUL) gegründet, das sich als Forum und Netzwerk für Sprachminderheiten betrachtet und sich um eine politische, rechtliche und finanzielle Unterstützung der weniger verbreiteten Sprachen bemüht.

    Einen weiteren Meilenstein in der Anerkennung sprachlicher Rechte in Europa stellt die Kuijpers-Resolution - benannt nach dem flämischen Abgeordneten Willy Kuijpers - dar. In dem am 30. Oktober 1987 vom Europäischen Parlament angenommen Text werden nicht nur die europäischen Institutionen sondern auch die Mitgliedstaaten der EG aufgefordert, eine ganze Reihe von Maßnahmen in den wichtigsten Bereichen für die Sprachminderheiten einzuleiten, also im Bereich der Bildung, der Medien, der öffentlichen Verwaltung oder Justiz und Wirtschaft.

    Am 9. Februar 1994 wurde vom EP erneut eine Entschließung zu den Sprachminderheiten angenommen, die dieses Mal von dem Iren Mark Killilea eingebracht wurde. Zentrale Punkte bilden in diesem Dokument die Unterstützung der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats sowie die Einführung eines EU-Programms für Sprachminderheiten.

    Die bisher letzte Resolution zu den regionalen und weniger verbreiteten europäischen Sprachen wurde vom Europäischen Parlament am 13. Dezember 2001 angenommen und ging auf eine Initiative der Vorsitzenden der interfraktionellen Gruppe, der Waliserin Eluned Morgan, zurück. Darin findet sich unter anderem:

  • Das Europäische Parlament fordert die Kommission mit Nachdruck auf, bis spätestens zum 31. Dezember 2002 einen detaillierten Bericht über die Bewertung der Ergebnisse sowie eine Gesamtbewertung mit allen Fakten über das Europäische Jahr der Sprachen vorzulegen, wobei besonderes Gewicht auf die regionalen und weniger verbreiteten Sprachen zu legen ist.
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  • das Europäische Parlament fordert die Kommission auf, auf der Arbeit im Rahmen des Europäischen Jahres der Sprachen (2001) aufzubauen und bis Ende 2003 ein Mehrjahresprogramm für Sprachen vorzulegen, in dem Mittel für Regional- und weniger verbreitete Sprachen zweckgebunden werden.
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  • Der Rat und die Kommission müssen die Beitrittsländer auffordern, die Sprachen und Kulturen von Regionen und Minderheiten zu achten und Artikel 22 der Charta der Grundrechte uneingeschränkt zu respektieren sowie sich an die Absätze 1.1 und 1.2 der Jahresberichte über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt zu halten; die Mitgliedstaaten und die Beitrittsländer müssen ferner bei der Förderung ihrer internen Sprachenvielfalt unterstütz werden.
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    Der Europarat verabschiedete diesbezüglich 1992 die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Ziele dieser Charta sind unter anderem:

  • Die Anerkennung der Regional- oder Minderheitensprachen als Ausdruck des kulturellen Reichtums.
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  • Den Gebrauch der Regionalsprache, in Ausbildung, Massenmedien, öffentlicher Verwaltung, Justiz, sowie im wirtschaftlichen und sozialen Leben zu garantieren.
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    Die erwähnten Dokumente berühren in keiner Weise die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Staaten.