30.09.2004

Schicksalsgemeinschaft der Witwen des Barzan-Tales

Die kurdischen Witwen aus dem Barzan-Tal im Nordirak nahe der iranischen Grenze haben alle ihre Männer und Söhne vor 20 Jahren an nur einem Tag verloren: Am 30. Juli 1983 ließ der irakische Diktator Saddam Hussein rund 8.000 Kurden von der Armee und den Republikanischen Garden verschleppen. Die jüngsten Opfer waren zwölf Jahre alt. Sie wurden inhaftiert, als "Agenten des Imperialismus und Zionismus" durch die Straßen Bagdads geführt und auch im Fernsehen gezeigt. Seitdem sind sie verschwunden. Berichten zufolge wurden sie ermordet.

In einem Interview mit der Schweizer Journalistin Cristina Karrer schildert eine Augenzeugin, die Kurdin Amina, die Verschleppung: "Ich habe alles verloren. Meinen Mann, meine Söhne, meine Brüder, meinen Vater. Nur Fikri, mein ältester Sohn, ist mir geblieben. Wie durch ein Wunder.… Alle unsere Männer haben sie verschleppt. Sie kamen an einem Morgen in der Früh, es war noch dunkel. Von überall kamen Soldaten, zu Fuß, in Jeeps, in Panzern. Sie kamen auch in Helikoptern, mit denen sie über unseren Häusern kreisten. Die Soldaten … befahlen unseren Männern mitzukommen. Unsere Männer sagten: Nein, wir kommen nicht mit. Doch die Soldaten haben sie aus den Häusern gezerrt, in Lastwagen eingeschlossen und sind losgefahren. Wir haben uns vor die Lastwagen geworfen, sie haben uns aus dem Weg getreten. … Sie sagten, sie würden unsere Männer nur ein, zwei Tage behalten, sie befragen und dann wieder bringen. Doch unsere Männer sind nie mehr aufgetaucht. Nie mehr."

Schon seit 1976 war das Barzan-Tal systematisch zur "Kulturwüste" gemacht worden. Saddam Hussein hatte die kurdische Bevölkerung zwangsumsiedeln und in so genannten Modelldörfer internieren, Brunnen sprengen und die Walnussbäume als eine der Haupteinnahmequellen der Familien absägen lassen. Die 108 kurdischen Dörfer im Barzan-Tal wurden weitgehend zerstört, landwirtschaftliche Flächen mussten jahrelang brach liegen gelassen werden.

In dieser von Männern beherrschten Gesellschaft standen die Frauen und kleinen Kinder nach der Deportation ihrer Söhne und Ehemänner vor fast unüberwindbaren Schwierigkeiten. Ihre Hilferufe an die UN und westliche Regierungen wurden nicht gehört. Internationale Proteste blieben aus. Dadurch ermutigt führte das irakische Baath-Regime 1987/88 gegen die Bevölkerung im Nordirak eine Vernichtungskampagne, die so genannte Anfal-Offensive, bei der Giftgas eingesetzt wurde. 180.000 Menschen fielen ihr zum Opfer.

Die kurdischen Witwen kämpften im Stillen für ihre Gemeinschaft, die etwa 3.500 bis 4.000 Familien umfasst, und schafften die sozialen Grundlagen für einen Neuanfang. Bis Anfang der 90-er Jahre lebten viele dieser Hinterbliebenen in primitivsten Unterkünften entlang der Hauptverkehrsstraßen, bis die Gesellschaft für bedrohte Völker nach dem zweiten Golfkrieg 1991 den Wiederaufbau ihrer Dörfer initiierte. Auf den Frauen lastet noch immer ein enormer Druck. Sie sind strengen religiösen Regeln unterworfen, denn ihre verschollenen Männer wurden bis heute nicht für tot erklärt. Zur Zeit verschlechtert sich die humanitäre Lage der Frauen. Die Kurdische Demokratische Partei KDP sowie andere Barzani-Kurden, die die Witwen finanziell unterstützen, haben selbst empfindliche Einbußen bei ihren ihren Einnahmen zu verzeichnen und die UNO will ihre Lebensmittellieferungen nur noch bis einschließlich Juli aufrecht erhalten. Auch das Einkommen, das einige Frauen durch die Teppichproduktion erzielen, ist außerordentlich schlecht.