23.09.2010

Sarayaku – eine kleine Gemeinschaft im Widerstand gegen die Ölkonzerne

Die "Lebende Grenze" – das Projekt Sisa Ñampi

In der Nähe der Gemeinde Sarayacu (Ecuador) sind die Folgen der Ölförderung bereits ersichtlich (Foto: GfbV-Archiv)

Sarayaku (Sara - Mais und Yaku - Wasser) heißt die abgelegene Gemeinde der 1050 Kichwa am Fluss Borbonaza im südlichen Amazonasgebiet Ecuadors. Block 23 heißen die darunter liegenden Ölfelder, für die der argentinische Ölkonzern CGC (Companía General de Combustibles) 1996 eine Förderberechtigung bekam. Denn auch wenn 1992 den Sarayaku-Bewohnern ihr Stammesgebiet zugesprochen wurde, blieben die Bodenschätze im Besitz der Regierung.

Das 140.000 Hektar große Gebiet ist der Ort, an dem die Kichwa seit Generationen leben. Hier bauen sie Maniok, Bananen und Erdnüsse an und fahren mit dem Kanu zum Fischen oder Jagen. Sarayaku ist umgeben von dichtem Regenwald und nur mit dem Hubschrauber zu erreichen. Doch auch die Abgeschiedenheit von der Außenwelt schützt die Menschen nicht vor der Ölindustrie, die mit allen Mitteln versucht in das Territorium einzudringen, um die Bodenschätze zu Geld zu machen.

Sarayaku aber beharrt auf seinem Recht, den Konzernen ein Vordringen auf ihr Territorium zu verweigern. Als im November 2002 dennoch drei Arbeiter von CGC in das Gebiet eindrangen, wurden sie solange in Sarayaku festgehalten bis der Konzern zusicherte, die Sprengmittel zu entfernen. Dieses sogenannte pentolita (eine hochexplosive Mischung aus PETN und TNT) wird für die seismische Forschung, mit deren Hilfe man Ölfelder aufspüren kann, benutzt. Es wurde ohne die Zustimmung der Bevölkerung Sarayakus auf ihrem Gebiet verteilt. Repräsentanten der Kichwa wurden daraufhin mit Mord bedroht und die damalige Regierung versuchte, Anfang 2003 den Beginn der Erdölförderung mit dem Militär durchzusetzen. Sarayaku rief den Ausnahmezustand aus. Sie errichteten 25 "Camps für Frieden und Leben", eine lebendige Grenze mit der sie den Eindringlingen die Stirn boten. Die Soldaten zogen sich tatsächlich zurück. Bislang hat Sarayaku mit seinem friedlichen, aber entschlossenen Protest geschafft, das Eindringen der Ölkonzerne zu verhindern.

 

Die "Lebende Grenze" – das Projekt Sisa Ñampi

Um sich auch weiterhin vor dem Eindringen der Ölkonzerne zu schützen und um darauf aufmerksam zu machen, dass die Zerstörung des Waldes auch einen Lebensraum für Menschen mit einer einzigartigen Kultur vernichtet, hat Sarayaku das Projekt "Sisa Ñampi" begonnen. Rund um sein Stammesgebiet pflanzt Sarayaku bunt blühende Obst- und Medizinbäume an. Im Abstand von einigen Kilometern werden die Pflanzbereiche angelegt. Inzwischen ist schon eine Strecke von 30km an 16 Gebieten mit strahlend bunt blühenden Bäumen bepflanzt worden. Mehr als 5.000 Setzlinge wurden bisher gepflanzt. Die ältesten unter ihnen sind nun schon bis zu sechs Meter hohen Bäumen herangewachsen. Bei den Kichwa ist es Brauch, dass eine minga, eine Gemeinschaftsarbeit, organisiert wird. Die Bewohner Sarayakus machen dies alle zwei Monate und befreien die jungen Bäume von Lianen und Unkraut.

Diese bunte Linie der "Lebenden Grenze" soll das große Gebiet kenntlich machen. Weithin vom Flugzeug aus soll man sehen, dass hier ein Lebensraum mit einer lebendigen Kultur zu Hause ist.

 

Baumpatenschaft

Seit vielen Jahren unterstützt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Gemeinschaft dabei. Auch Sie können helfen, indem Sie eine Baumpatenschaft übernehmen. So zeigt die lebende Grenze aus Bäumen auch symbolisch, dass Menschen aus der ganzen Welt Sarayaku bei der Erhaltung seines Regenwaldgebietes und seiner Lebensweise unterstützen.

 

Spenden für das Projekt:

Postbank Hamburg

IBAN: DE89 2001 0020 0007 4002 01

BIC:PBNKDEFF

Betreff: "Sarayaku"

Vor Ort ist die "Asociación Atayak”, die Gemeinschaft der Schamanen (Yachaks) für das Projekt verantwortlich. Ihr Wissen geben sie durch die Anpflanzung der Obst- und Medizinbäume an die jüngere Generation weiter.

Das Projekt der Lebenden Grenze steht im engen Zusammenhang mit dem Plan Tayak, dem Plan des Lebens, der die Aufrechterhaltung der Kultur und der Weitergabe des Wissens dienen soll. Dieser Plan beinhaltet den Aufbau eines medizinisch-religiösen Drehpunktes, des Sasi Wasi. Hier soll das Wissen der Yachaks gesammelt und angewandt werden. Um den einen Ort Sasi Wasis herum, der auf einem Hügel liegt, wird ein Garten namens Sacha Runa angelegt. Die Fläche, auf der die wichtigsten Nutzpflanzen der Kichwa angepflanzt werden, soll dazu dienen, das Wissen über die Heilwirkung der Pflanzen weiterzugeben und zu erhalten. Ein Hektar ist schon fertig gestellt.

Schon seit mehreren Jahren gibt es nun eine Schule (Tayak Wasi), in der auf Spanisch und Kichwa gelehrt wird. Hier stehen auch die Erzählungen, das Wissen und die Kosmovision der Kichwa auf dem Lehrplan.

Das zeigt deutlich, dass sich die Kichwa nicht von der Außenwelt abschotten möchten. "Eine Isolation würde es allzu leicht machen uns zu dominieren", sagt Patricia Gualinga "wir wollen lernen zu schreiben, zu lesen und mit Computern umzugehen. Wir wollen professionell sein, aber das Eigene behalten."

Im Nordwesten des Gebietes will Sarayaku dringend weitere Bereiche bepflanzen. "In diesem Gebiet liegen die Pflanzungsgebiete "Tiam” und "Anguilla Urku”, die immer wieder von Nachbargemeinden, die sich mit Sergio Gualinga solidarisiert haben, sabotiert werden. Sie fällen die Palmen und die Bäume der ´Lebenden Grenze´", schreibt der besorgte José Gualinga, Oberhaupt der Schamanen.

 

Erdölförderung in Ecuador

Immer wieder wird versucht die Dorfbewohner zu bestechen, um die Gemeinschaft zu spalten; es werden Versprechungen von Entwicklung, Modernität und Reichtum gemacht. Zudem sind die Auswirkungen der Ölförderung angesichts des unberührten Regenwaldes kaum vorstellbar. Eriberto Gualinga aber hat den anderen aus dem Dorf Filmaufnahmen aus dem nördlichen Ecuador, wo große Teile von dem Konzern Chevron Texaco zerstört worden sind, mitgebracht. Hier sind Felder und Wasser verseucht, die Menschen leiden unter Hautausschlägen und Bauchschmerzen und die Krebsrate hat deutlich zugenommen. Durch den Straßenbau kommt auch das soziale Elend näher und Alkoholismus und Prostitution breiten sich aus. Die soziale Absicherung und Grundversorgung der Menschen durch die Ölkonzerne ist nichts wert, wenn ihre Lebensgrundlage zerstört ist.

Die Menschen von Sarayaku bleiben darum standhaft: Trotz der Versprechungen der Ölfirmen und ihren Bestechungsversuchen lehnen sie die Erdölförderung auf ihrem Gebiet strikt ab: "Wir bekräftigen hiermit von neuem unsere felsenfeste Ablehnung gegen jede Einmischung und Verletzung durch externe Akteure, die illegal versuchen in unser Stammesgebiet einzudringen, um die Ressourcen auszubeuten. Wie wir in der Versammlung von Sarayaku 2002 beschlossen haben, lehnen wir jedweden Dialog, jede Annäherung und Sozialisierung, die das Ziel verfolgt, die Erdölförderung voranzutreiben, konsequent ab." (Grundsatzerklärung von Sarayaku, 22.03.10)

 

Der Fall vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission

Im März 2004 zog Sarayaku vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission und war erfolgreich: Der Richter verpflichtete die ecuadorianische Regierung, die Rechte der Kichwa einzuhalten und ihre Unversehrtheit sicherzustellen: "Das Gericht (…) fordert vom Staat, dass er die Maßnahmen, die zum Schutz des Lebens und der persönlichen Integrität der Mitglieder der indigenen Gemeinde der Kichwa von Sarayaku und derjenigen, die sie verteidigen notwendig sind, ergreift." (IACHR, Resolution vom 06.07.04)

Im Juni 2005 wiederholte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte die Forderungen, die Sicherheit der Menschen aus Sarayaku zu gewährleisten und die Sprengstoffe zu entfernen. Die über der Erde Liegenden wurden inzwischen von der Regierung entschärft. Unter der Erde liegen jedoch noch immer Sprengmittel im Gebiet.

Im Februar 2010 überprüfte der Gerichtshof die Umsetzung der angeordneten Maßnahmen und kam zu dem Schluss, dass der Staat keine ausreichenden Gründe für die Verzögerung der Beseitigung aller Sprengmaterialien geben könne und ordnete die vollständige Entfernung dieser permanenten Gefahr auf dem Boden der Sarayaku-Gemeinde an. In den nächsten Monaten wird ein endgültiges Urteil zu dem Fall gesprochen werden.

Nach jahrelanger Unsicherheit hat die ecuadorianische Regierung in Abmachung mit den Vereinten Nationen den Erhalt des Yasuní-Nationalparkes im Norden Ecuadors beschlossen, in dem keine Ölförderung stattfinden soll. Trotz der Freude über diesen Erfolg befürchten die Menschen aus Sarayaku, wie viele der indigenen Gemeinden, dass die ecuadorianische Regierung nun weiter südlich Erdöl fördern wird oder mit dem Tagebau in bisher unberührte Natur vordringt. "Unsere Herausforderung besteht darin, das Ressourcenpotential unseres Landes zu entwickeln", sagte Präsident Correa im Januar 2010 in einer Radioansprache. "Wir können keine Bettler bleiben, während wir auf einem Goldhaufen sitzen."

Nach einer Zeit der Beruhigung rückt die Gefahr erneut näher, wie die Berichte aus Sarayaku aus diesem Jahr zeigen:

 

Territorialkonflikt Chuyayaku

In die Region Chuyayaku (klares Wasser) in Sarayaku sind Fremde vorgedrungen. Diese werden angeführt von Sergio Gualinga, der ursprünglich aus Sarayaku stammt, aber vor über 25 Jahren die Gemeinde verlassen hat. Mehrere Jahre arbeitete er für den Ölkonzern CGC und stellte die Kontakte zu den indigenen Gemeinden her.

"Seit ungefähr sechs Jahren versucht er ohne sich mit uns abzustimmen, auf illegale Weise und in klarer Verletzung der kollektiven Rechte, die in den Statuten von Sarayaku bestehen, eine Gemeinde namens Kutukachi mitten im Urwald zu gründen. Mit der Unterstützung des italienischen Ölkonzerns AGIP hat er eine Landepiste von 400m Länge und 20m Breite errichtet", erklärt Sarayaku.

In der Nähe der neu gegründeten Siedlung befindet sich eine Ölquelle von AGIP. Die Gründung einer so genannten Gemeinde hat das Ziel, die ablehnende Haltung Sarayakus zu unterwandern. Die Ölfirmen könnten sich eine freie Zustimmung der Bewohner der neuen Siedlung holen und somit ihre Ölförderung legitimieren.

Nach Artikel 171 der neuen Verfassung von Ecuador darf innerhalb von Stammesgebieten für interne Konflikte indigenes Recht gesprochen werden, sofern es der Verfassung und den Menschenrechten entspricht. Die Stammesrichter von Sarayaku urteilten im Juni 2009, dass Sergio Gualinga endgültig aus der Gemeinschaft verstoßen wird und alle Rechte von Sarayaku verliert. Außerdem wurde sowohl das Betreiben der Flugpiste als auch die Errichtung der Gemeinde Kutukachi verboten.

Da bis dahin eine Umsetzung des Urteils noch nicht erfolgt war, forderte Sarayaku im April 2010 von der Regierung von Pastaza und der Polizei formell die Umsetzung des Urteils. Das Gebiet müsse geräumt werden, um die Gründung der neuen Gemeinde endgültig zu unterbinden. Obwohl die Gouverneurin am 29. April 2010 das Polizeikommando angewiesen hatte einzuschreiten, blieb die Polizei untätig.

Ungefähr um acht Uhr abends des gleichen Tages wurden drei Männer aus Sarayaku überrascht und von Unbekannten mit Schüssen angegriffen. "Sie mussten auf einer Bahre vierzehn Stunden durch den Regenwald bis zur Flugpiste getragen werde, von wo aus sie mit einem Rettungshubschrauber zum Krankenhaus nach Puyo geflogen wurden." (Pressemitteilung von Sarayaku, 02.05.10)

"Wir sind im Zustand der maximalen Alarmbereitschaft. Wir werden wachsam gegenüber jeglichem Eindringen der Ölförderer auf unser Territorium sein. Unterstützung der von der CONAIE (Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors) aufgerufenen Mobilisierung bis in die letzte Konsequenz! Wir werden jeder Verletzung unserer kollektiven Rechte gegenüber, die in der neuen Konstitution festgeschrieben sind, aufmerksam bleiben." (Presseerklärung vom 22.03.10)

 

Protestbriefe

Sarayaku hat eine eigene Homepage, auf der sich auf Englisch und Spanisch Nachrichten und Informationen zu Sarayaku befinden. Hier kann man die aktuellen Protestbriefe unterschreiben und abschicken.

www.sarayaku.com

 

Weitere Materialien zum Thema

 

DVD "Ich verteidige den Regenwald" (Eriberto Gualinga, 2005)

Besonders eindrucksvoll zeigt der 20minütige Dokumentarfilm Eriberto Gualingas: die Kichwa der Gemeinde Sarayaku lassen sich nicht zu Opfern machen. Sie treten der Zerstörung ihrer Lebensweise und ihres Lebensraums entschieden entgegen. Mit "Ich verteidige den Regenwald" ("Soy Defensor de la Selva") hat Eriberto Gualinga Kamera und Regie selbst in die Hand genommen, um die Auseinandersetzungen seines Ortes Sarayaku mit Ölarbeitern und Militärs aufzuzeigen. Seine Nähe zu den gefilmten Personen und ihrem Kampf ist deutlich zu spüren. Der Film wurde mit dem bolivianischen ANACONDA-Filmpreis ausgezeichnet.

Bestellungen der deutschsprachigen Version des Films als DVD bei der GfbV in Göttingen: Von den 17.-€ Kosten gehen 12,- € in das Projekt "Lebende Grenze" in Sarayaku.

 

Film "Brief nach Deutschland"

Für Schulklassen und in der Jugendarbeit kann dieser Film ausgeliehen werden. Rahmenhandlung des Films ist ein Video-Workshop, den Jugendliche aus Deutschland gemeinsam mit Jugendlichen aus Sarayaku im Regenwald gemacht haben. Der Film veranschaulicht die interkulturelle Begegnung, das alltägliche Leben der Menschen in Sarayaku und den Konflikt um die Ölförderung. Die deutschsprachige DVD können sich LehrerInnen und PädagogInnen bei der GfbV in Göttingen ausleihen.