13.12.2006

Sachalin

Sachalin, in der Sprache der Ureinwohner liebevoll "das wilde zerzauste Tier" genannt, ist 948 Kilometer lang und zwischen 27 und 160 Kilometer breit. Von 650.000 Einwohnern gehören 3.150 Personen den indigenen Gruppen der Nivchen, Nanai, Oroken und Ewenken an. Sie leben größtenteils als Selbstversorger, Fischer, Rentierhirten oder vom Sammeln von Wildpflanzen.

Vor der Küste der Insel Sachalin, im äußersten Nordosten Russlands, lagern die größten noch zu erschließenden Öl- und Gasvorkommenden der Welt. Das Ölvorkommen wird auf 13 Billionen Barrel geschätzt. Bereits erschlossene Öl - und Gasfelder sind Sachalin-1 bis Sachalin- 6. Sie ziehen die Großinvestoren unter den internationalen Ölmultis nach Russland. Exxon-Mobil, Chevron-Texaco, BP und Royal Dutсh/Shell haben sich mit weiteren Ölunternehmen zu Konsortien zusammengeschlossen. Yuzhno-Sachalinsk, die Hauptstadt der Insel hat sich zu einer Boomtown entwickelt. "Dieses Jahr geben wir 100 US Dollar pro Sekunde aus", sagt David J. Greer, der Programmchef von Shell auf Sachalin.

Leidtragende dieser Entwicklung sind die Ureinwohner Sachalins, die Niwchen, Nanai, Oroken und Ewenken. Sie sind traditionell Fischer und Rentierzüchter. Deshalb sind sie auf eine intakte Umwelt angewiesen. Ihre Interessen wurden bislang übergangen, Versuche der Vereinigung der Urvölker auf Sachalin und des Dachverbands der Ureinwohnervölker Sibiriens RAIPON, Verhandlungen über größere Mitbestimmung mit den Konzernen und der lokalen Behörden zu führen, scheiterten.

Schon 1999 wurden die Folgen der Ölbohrungen auf Sachalin spürbar: Fischer entdeckten im Juni des Jahres 900 Tonnen tote Heringe, die im Meer trieben. Offiziell dementierte Shell die Verantwortung für das Fischsterben, aber Wissenschaftler fanden Öl und Schwermetalle in den Körpern der meisten toten Fische. Anwohner, unter ihnen die indigene Minderheit der Nivchen, stellten Umweltveränderungen fest. So ging auf einmal die Anzahl der Robben zurück und es wurden viele Tiere tot aufgefunden. Vögel, die normalerweise Plankton fraßen, ernährten sich plötzlich von Landinsekten. Viele Fische wurden vergiftet und rochen stark nach Öl. Dennoch werden sie auch heute noch von der armen lokalen Bevölkerung gegessen, die es sich nicht leisten kann, sich andere Lebensmittel zu besorgen. Der Rückgang der Fischbestände und die sinkende Bedeutung des Fischfangs auf Sachalin hat auch direkte Auswirkungen auf Russland. Die Hälfte aller in Russland konsumierten Fische und sonstiger Meerestiere kommt von hier.

Derzeit plant das Konsortium um Shell, Mitsubishi und Mitsui, das Sachalin- 2 Projekt erheblich auszuweiten. Die zweite Phase des Projektes umschließt die Errichtung zweier neuer Öl - und Gasplattformen im Norden Sachalins sowie den Bau zweier 800 km langer Pipelines die sich der Länge nach durch die gesamte Insel ziehen werden. 10 Milliarden Dollar sollen dafür investiert werden. Die Pipelines sollen die bestehenden und geplante weitere Bohrinseln im Nordosten der Insel mit einem Hafen im Süden Nahe der Hauptstadt Juzhno-Sachalinsk verbinden, von wo Erdöl und Erdgas nach Nordamerika und Japan geliefert werden soll. Sie sollen teils über dem Meeresboden, teils auf Land verlaufen. Geplant ist ebenfalls der Bau einer Pipeline von über 200 Kilometer Länge für den Block Sachalin- 1 im Norden der Insel. Hinzu kommt der Bau einer LNG-Station (Liquid Natural Gas Production Plant) für die Verflüssigung von Erdgas und eines dazu gehörenden Hafens in der Aniva Bucht. Sachalin- 2 ist damit das weltweit größte Öl- und Gasprojekt mit der weltweit höchsten finanziellen Aufwendung.

Gegen diese Pipelines richtet sich der aktuelle Protest der Ureinwohner. Die Röhren werden 1.103 Flüsse und Bäche durchkreuzen, Laichgründe für Lachs zerstören, Wildwechsel und die letzten noch zusammenhängenden Rentierweidegründe zerschneiden. Die über Land gelegten Pipelines werden auf Erdbeben gefährdeten Zonen liegen. Transnationale Konzerne wie Shell, Exxon, British Petroleum und die Firma Sachalin Energy führen diese Projekte durch. Die indigenen Völker Sachalins, sind besonders stark von der Öl- und Gasförderung betroffen. Baumaßnahmen haben schon jetzt Weideflächen für Rentiere und Wälder zerstört. Die Rentierzüchter wurden nicht in die Entscheidung über den Verlauf der Pipelinerouten einbezogen. Das Unternehmen "MGP VAL", bei dem sie angestellt sind, trifft über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen, die sich negativ auf die Rentierzucht auswirken, und behauptet gleichzeitig, die Interessen der Rentierzüchter zu vertreten.

Sowohl Shell als auch Exxon-Mobil verwenden in ihren Projektabschnitten veraltete Technologien zum Bau ihrer Pipelines und Bohrinseln. Ein Leck in den Pipelines hätte katastrophale Folgen für die Grauwalpopulation, die Fischerei und das Leben der Nivchen-Gemeinde.