21.06.2005

Russlands Probleme mit der Demokratie

Das Beispiel Mari El

Göttingen
Im heutigen Russland treten verschiedenste Demokratiedefizite immer deutlicher zu Tage. Die großen Legitimationsschwierigkeiten der Politik aufgrund von Wahlbeteiligungen, die auf regionaler Ebene häufig nur knapp über 25 % liegen und somit bereits die Gültigkeit der Wahlen gefährden, sind nur ein Beispiel von vielen. Daneben ist vor allem die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch der Umgang mit oppositionellen Kräften und ethnischen Minderheiten, die sich politisch engagieren oder für ihre Rechte eintreten, mit größter Sorge zu betrachten. Die zunehmende Unterdrückung bzw. Einschränkung der demokratischen Grundrechte und Freiheiten lässt befürchten, dass sich auch der Umgang mit den ethnischen Minderheiten innerhalb Russlands noch repressiver und einschneidender gestalten wird, als dies bereits der Fall ist. Seit längerem sind deutliche Anzeichen dafür auszumachen. Ein Beispiel hierfür bildet die russische Republik Mari El.

Mari El

Die Republik Mari El liegt etwa 500 km östlich von Moskau, nördlich des mittleren Wolgagebietes im europäischen Teil Russlands. Mit einer Fläche von 23.400 km² grenzt sie an die Republiken Tatarstan sowie Tschuwaschien. Die einzige Großstadt des Landes ist die Hauptstadt Joschkar-Ola mit rund 260.000 Einwohnern, lediglich zwei weitere Städte überschreiten die Zahl von 20.000 Einwohnern. Aus der 1936 gegründeten Tscheremissischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) entstand 1991 die Republik Mari El, die seit 1992 den Status einer autonomen Teilrepublik innerhalb Russlands inne hat. Die wirtschaftlich eher rückständige Republik zählt zu einer der ärmsten Regionen in Russland.

Die Mari, ein indigenes Volk, welches früher als Tscheremissen bekannt war, fungieren zwar als Titularnation, machen jedoch lediglich 43 % der ca. 750.000 Staatsbürger Mari Els aus und sind somit selbst in der Republik der Mari eine Minderheit. Die Russen hingegen stellen mit 48 % den größten Bevölkerungsanteil. Die verbleibenden 9 % teilen sich unter Tataren, Tschuwaschen und Ukrainern auf.

Bei den vorherrschenden Religionen ist die Russisch-Orthodoxe Kirche, welcher auch der Großteil der Mari angehört, am stärksten vertreten. Daneben finden sich auch Protestanten, Muslime und Heiden. Die heidnische Religion ist die ursprüngliche und traditionelle Religion der Mari, auch wenn sie im Laufe der Zeit sowohl christliche, als auch islamische Einflüsse erfahren hat. Dennoch kann man sagen, dass die Mari trotz jahrhundertelanger Christianisierungsbemühungen der russisch-orthodoxen Kirche und dem staatlich verordneten Atheismus in der Sowjetzeit ihre alte Naturreligion weitgehend bewahren konnten. Sie wird von ihnen auch heute noch in den drei heidnischen Gemeinschaften der Mari in Mari El gepflegt.

Demokratiedefizite in der Teilrepublik

Der im Jahr 2000 erstmals und im Jahr 2004 wieder gewählte Präsident der Republik, Leonid Markelow, ist Russe und gehört der ultranationalistischen Partei von Wladimir Schirinowskij, der LDPR, an. Er gewann die Wahlen mit Hilfe einer massiven Medienkampagne, die in ihrer Art nicht mit den bestehenden Wahlgesetzen vereinbar war. Zudem brachte Markelow nicht nur die elektronischen Medien unter seine Kontrolle und veröffentlichte mehr Werbe- und Informationsmaterial, als vom Gesetz zugelassen, seine Beamten sorgten außerdem dafür, dass seine Mitkonkurrenten um das Präsidentenamt daran gehindert wurden, ihre Wahlkampfinformationen zu drucken. Auch der Zugang zu den meisten anderen Medien wurde den Opponenten Markelows verwehrt. Diesbezüglich kann die Wahl, welche mit 57 % der Stimmen für Markelow ausging, als Farce angesehen werden.

Während sich der neue Präsident öffentlich gern eines rasant steigenden Wirtschafts-wachstums rühmt, sieht die Realität in Mari El anders aus. Die Republik zählt heute zu den Ärmsten der Armen unter den russischen Regionen und steht mit Gebieten wie Inguschetien und Kalmückien auf einer Stufe. Die große Armut und sozialen Probleme führen zudem dazu, dass das Land auch in der Statistik der Selbstmordraten traurige Ergebnisse erzielt. Mari El zählt zu den Gebieten mit der höchsten Selbstmordrate weltweit.

Markelow zeichnet sich durch eine extrem repressive und autoritäre Amtsführung aus. Dies gilt für jeden Bereich seiner Aktivitäten, sei es nun auf dem politischen oder wirtschaftlichen Sektor. Unternehmen, die eine Zusammenarbeit verweigern, werden über kurz oder lang in den Ruin getrieben. Der Umgang mit kritischen Medien oder der politischen Opposition, die zum größten Teil von den Mari gestellt wird, gestaltet sich noch besorgniserregender.

In Mari El können zwei Hauptgruppen von Problemen ausgemacht werden, die jedoch in vielfältigster Weise miteinander verknüpft sind. Einerseits geht die Regierung mit repressivsten Mitteln gegen die politische Opposition (die zu großen Teilen aus Mari-Angehörigen besteht) vor und verstößt gegen jegliche demokratischen Grundrechte und Freiheiten – andererseits leiden die Mari als Ethnie und Minderheit unter zunehmender Unterdrückung ihrer kulturellen Rechte. War die Situation von Mari und Oppositionellen in der Wolgarepublik bereits Anfang 2000 mehr als kritisch, kommt es seit der Präsidentschaftswahl im Dezember 2004 massiv zu Verfolgungen und Bedrohungen bzw. Erpressungen sowie Zusammenschlagen und Ermorden von Journalisten, Oppositionsführern und in der Öffentlichkeit stehenden Personen mit Mari-Ursprung, welche sich für die Rechte der Mari einsetzen. Die immer gewaltsameren Übergriffe auf Opposition und Mari-Bewegung sind eng mit der Präsidentenwahl 2004 verknüpft. Dort stellten die Mari einen eigenen Kandidaten auf, der gegen den amtierenden Präsidenten Markelow antrat – Mikhail Dolgowia. Kaum war Leonid Markelow erneut ins Amt gewählt, begannen die Behörden eine breit angelegte Einschüchterungskampagne gegen die Mari bzw. die politische Opposition. Da die Mari, wie bereits erwähnt, einen großen Teil der politischen Opposition ausmachen, ist die Unterdrückung und Verfolgung sowohl der Mari als auch der Oppositionellen eng miteinander verknüpft.

Verletzung der demokratischen Grundrechte und Freiheiten

Um eine wirksame Opposition sowie eine freiheitliche und objektive Meinungsbildung in der Bevölkerung zu gewährleisten, bedarf es unter anderem auch unabhängiger und freier Medien. In Mari El allerdings besteht diesbezüglich ein drastischer Mangel. Bereits seit spätestens 1999 kommt es dort zur Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit durch die staatlichen Behörden.

Die Medien in Mari El können in zwei Lager unterteilt werden – die staatlichen und die nicht-staatlichen Massenmedien. Der Großteil der Medien ist dem ersten Lager zuzuordnen. Die kleinere Zahl der nicht-staatlichen, unabhängigen Medien zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie in unregelmäßigen Abständen erscheinen bzw. veröffentlicht werden, denn die Regierung setzt viel daran, auch diese Medien unter staatliche Kontrolle bzw. Leitung zu bekommen. Hauptinteresse ist dabei, jegliche Kritik und oppositionelle Gedanken gegen die Regierung zum Verstummen zu bringen. Dies geschieht meist in Form von umfangreichen Personalwechseln. Das heißt, es werden vor allem kritische oder gar oppositionelle Redakteure und Angestellte durch regierungstreue Personen ersetzt. Funktioniert dies nicht, wird z.B. durch staatliche Auflagen versucht, den Redaktionsalltag und die Produktion des entsprechenden Mediums zu stören bzw. dessen Wirtschaftlichkeit zu untergraben. Diese Strategie verfolgte bereits der ehemalige Präsident Mari Els, Wjatscheslaw Kislitsin. Sein Nachfolger Leonid Markelow hat diese übernommen und noch verschärft. Der Druck von oppositionellen Zeitungen wurde staatlich unterbunden, indem die lokalen Druckhäuser angewiesen wurden, keinerlei Verträge mit Zeitungen abzuschließen, die den Unwillen der Regierung auf sich gezogen haben. Das einzige verbliebene private Druck- und Verlagshaus ist mittlerweile stark weisungsgebunden, so dass die Regierung die Kontrolle über jegliche Druck- und Verlagshäuser in der Republik hat. Gelingt es trotz der genannten Maßnahmen nicht, die Redaktion eines kritischen Mediums gefügig zu machen, werden die Redakteure und Journalisten direkt erpresst oder bedroht. Im April 2001 fiel schließlich auch die Mari-Zeitung "Kodu + Kodu" beim Präsidenten in Ungnade, weil sie Texte mit Mari-Themen veröffentlichte. Seitdem sehen sich die Mitarbeiter der Zeitung ständigen Repressalien des Staates ausgesetzt. Der Zeitung wurde aus zweifelhaften Gründen der Druck im staatlichen Verlagshaus untersagt und auch sonst jede Möglichkeit genommen zu veröffentlichen. Heute wird die Zeitung außerhalb der Grenzen Mari Els gedruckt. Wobei sogar hier ein ständiger Wechsel der Druckorte vonnöten ist, da die Regierung ihre Repressalien selbst auf die angrenzenden Republiken ausweitet. Beim Versuch die gedruckten Exemplare nach Mari El zu bringen, werden die Transporter nicht selten von der Polizei gestoppt und die Ladung (Zeitungsexemplare) konfisziert. Ähnlich erging es seither verschiedenen anderen Zeitungen, die sich kritisch der Regierung gegenüber oder zu Themen die Mari betreffend geäußert hatten. Ergebnis dieser Vorgehensweise der Behörden ist, dass es inzwischen praktisch keine privaten Zeitungen mehr in Mari El gibt. Des Weiteren gehört es zum Standard, nachts in Redaktionen einzudringen und erheblichen Sachschaden anzurichten, unbequeme Redakteure und Journalisten zu bedrohen, in ihre Wohnungen einzubrechen oder sie gar zusammenzuschlagen. So attackierten drei Jugendliche am 7. Januar 2005 Elena Rogachewa, die für Mari El zuständige Korrespondentin von Radio Free Europe/Radio Liberty, und schlugen sie brutal zusammen. Rogachewa ist zudem mit einem der führenden oppositionellen Journalisten verheiratet. Da sie eine Frau ist, verzichtete man auf die inzwischen üblichen Eisenstangen, aufgrund derer mittlerweile mehrere Tote unter den Journalisten zu beklagen sind. Das Zusammenschlagen von Journalisten, insbesondere solchen mit Kontakten ins Ausland, steht in Mari El mittlerweile auf der Tagesordnung. Auch die Kontaktaufnahme mit dem Ausland versuchen die Behörden zu unterbinden. Telefongespräche "verdächtiger Personen" werden höchstwahrscheinlich abgehört und Mobiltelefonnummern sowie E-Mail-Adressen gesperrt – so erging es beispielsweise Wladimir Kolzow, dem Chefredakteur von "Kudo + Kudo" und Vorsitzenden des Rates der Mari ("Mer Kanasch"). Außerdem war er Initiator dreier Demonstrationen gegen die undemokratischen, von massiver und gewaltsamer Oppositionsunterdrückung und Verstößen gegen die Wahlgesetze geprägten Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2004. Kozlow wurde schließlich am 06. Februar 2005 direkt vor dem Pressehaus in Joschkar-Ola angegriffen und mit Eisenstangen fast zu Tode geprügelt. Er überlebte nur knapp mit schwersten Verletzungen. Erst kürzlich starben wieder zwei Journalisten und der Chef eines Druckhauses bei Angriffen dieser Art.

Die Ermittlungen infolge der von den Opfern und Hinterbliebenen immer wieder erstatteten Strafanzeigen haben bisher noch nicht eine einzige Aufklärung oder gar Verurteilung hervorgebracht.

Auch der Zugang zu den staatlichen Zeitungen wurde der Opposition unmöglich gemacht. Aufgrund der massiven Einschüchterungen seitens der Behörden wagt es heute kein Redakteur und Verleger mehr, Artikel, Informationen oder Kommentare der Opposition zu veröffentlichen, denn man befürchtet den Verlust des Arbeitsplatzes und der staatlichen Unterstützung.

Drohungen und tätliche Übergriffe, auch auf Mitglieder der demokratischen Opposition, nehmen immer mehr zu – so zum Beispiel im Frühjahr diesen Jahres, als ein Sarg vor der Tür eines führenden Oppositionellen platziert wurde, der sich öffentlich gegen Markelow geäußert hatte. Ein Foto von ihm war auf den Deckel geklebt und das Datum seines Todes eingraviert worden. Niemand will gesehen haben, wie der Sarg dort hinkam bzw. wer ihn abgestellt hat.

Insbesondere seit der Rosenrevolution in Georgien und der Orangenen Revolution in der Ukraine, befürchten viele Regierungschefs in Russlands Teilrepubliken offenbar, dass der Revolutionsfunke auch auf ihre Länder überspringen könnte – Präsident Markelow ist da keine Ausnahme. Durch immer stärkere Repressalien und mit zunehmend brutalen Methoden versucht man, diese "Gefahr" abzuwenden. Die Opposition hat im tagespolitischen Geschäft quasi keine Mitsprache- oder Gestaltungsmöglichkeit mehr. Präsident Markelow weigert sich strikt, ihr Gehör zu schenken oder ihnen irgendeine Art von Gesprächen anzubieten. Jegliche Kritik am Präsident wird gewaltsam unterdrückt.

Die Mari

Die Mari gehören zu den finnougrischen Völkern und sind der Familie der Wolga-Finnen zu zuordnen. Von den 640.000 Mari leben lediglich 48 % in der Republik Mari El, während sich der andere Teil in den Gebieten und Republiken des Wolga-Ural-Gebietes, insbesondere in Tatarstan, Baschkortostan und den Gebieten von Kirow sowie Jekaterinburg verstreut. Man unterscheidet drei Volksstämme – die so genannten "Berg-Mari", die "Wiesen-Mari" und die "Ost-Mari". Erstere leben am südlichen Wolgaufer, während zweitere, die größere Gruppe, eher im Gebiet des nördlichen Wolgaufers heimisch sind. Die "Ost-Mari" hingegen leben zu größten Teilen in Boschkortostan.

Auch auf eine eigene Sprache, die sich wiederum in zwei Schriftsprachen (Berg- und Wiesenmari) untergliedert, können die Mari verweisen. Die Mari-Sprache, welche zu den finnisch-ugrischen Sprachen zählt, ist eng verwandt mit dem Finnischen, dem Ungarischen und dem Estnischen. Beide Mari-Schriftsprachen sind neben dem Russischen als Amtssprachen in Mari El anerkannt.

Obwohl das Volk der Mari im Ganzen wächst, nimmt ihre Zahl in der eigenen Republik stetig ab. Unter der von Moskau praktizierten Assimilationspolitik und permanenten Russifizierung litten sie bereits während der Sowjetherrschaft, mit der Zwangskollektivierung und Repressionen einher gingen. Der Großteil der Mari-Intellektuellen wurde in den 1930er bzw. 1940er Jahren auf sowjetischen Befehl hin ermordet. In den 1950er Jahren folgte dann eine Welle der Besiedelung durch Einwanderer russischer Nationalität, die heute die größte Bevölkerungsgruppe in Mari El ausmachen.

In ihrer Republik organisieren sich die Mari seit Beginn der 1990er Jahre in verschiedenen Vereinigungen, darunter können die Partei "Marij Uschem" und die (in ganz Russland für die Belange der Mari eintretende) Organisation "Mer Kanasch" als die bedeutendsten gelten. Das wichtigste Presseorgan die Mari-Opposition ist die Zeitung "Kudo + Kudo". Eines der dringlichsten Anliegen der Mari ist es, ihre Sprache, Kultur und ethnische Identität zu bewahren. Die Mari-Sprache und Kultur wird hauptsächlich von der ländlichen Bevölkerung gepflegt, da vor allem in den Städten seit langem eine ständig zunehmende Russifizierung zu verzeichnen ist. Im Jahre 1991 wurden die Mari Mitglied bei der Unrepresented Nations and Peoples Organization (UNPO) .

Beschneidung der Minderheitenrechte und zunehmende Diskriminierung durch die Regierung

Präsident Leonid Markelow verfolgt eine aktive Politik der Unterdrückung der indigenen Minderheit. Er teilt offensichtlich die Ansicht der Anhänger Schirinowskis, welche besagt, dass Russland keiner Republiken bedarf, die auf ethnischen Nationalitäten beruhen.

Obwohl den Mari ein Autonomiestatus durch die russische Verfassung zugesichert wurde, wurde dieser nie in der Praxis umgesetzt, ganz im Gegenteil. Die russischen Behörden versuchen seit längerem systematisch, die Mari daran zu hindern ihre Sprache zu sprechen oder ihre kulturellen Bräuche zu pflegen. Die Mari leiden unter zunehmender Diskriminierung und Einschränkung ihrer kulturellen Rechte, die sich in Unterdrückung, Verfolgung sowie vielerlei Repressalien äußert.

So ist es in Mari El Usus, dass die russische Bevölkerung gegenüber den Mari bevorzugt behandelt wird, vor allem in Bezug auf Berufsaussichten, Gehälter und bei der Vergabe von Unterkünften mit besserem Wohnstandard. Des Weiteren wurde jegliche staatliche Unterstützung für die Kultur der Mari von der Regierung gestrichen. Der Direktor des Mari National Theaters, Viktor Nikolajew, wurde im Januar 2005 ohne ersichtlichen Grund entlassen. Er gilt als einer der führenden Köpfe der politischen Mari-Bewegung, die in offene Opposition zum derzeitigen Präsidenten tritt. Die Regierung ist seit längerem bestrebt, das Mari National Theater abzuschaffen und es in ein russisches Theater umzuwandeln.

Zudem wurden unter Präsident Markelow fast alle Positionen in Regierung und Verwaltung mit Russen besetzt – lediglich zwei der Minister in der Regierung sind den Mari zuzuordnen.

Gerade einmal ein Dutzend Mari arbeiten noch in der Verwaltung des Präsidenten und kein Einziger ist im bedeutsamen Pressekomitee vertreten. Die Statistik wiegt noch schwerer, wenn man die umfangreichen, meist illegalen Entlassungen von Mari aus Ämtern jeglicher Art dazurechnet.

Mari in höheren Positionen wurden systematisch entlassen bzw. ihnen wurde und wird der Zugang zu derlei Arbeitstellen verwehrt. Mit intensiven Einschüchterungsversuchen und Drohungen wurden Schuldirektoren und lokale Behördenangestellte genötigt, ihre Stelle aufzugeben und zu kündigen. Im öffentlichen Dienst wurden seit Dezember 2004 etwa 1000 Angestellte entlassen, die der Ethnie der Mari angehören. Ergebnis dieser Politik ist, das mittlerweile fast die gesamte Mari-Intelligenz arbeitslos ist.

Verbannung der Mari-Sprache aus dem öffentlichen Leben

Außerdem ist auf den drohenden Verlust der Mari-Sprache hinzuweisen, während Russisch in Mari El immer mehr auf dem Vormarsch ist. Russisch wird bevorzugt, da es inzwischen die Sprache der Staatsregierung, des gesamten öffentlichen Lebens und der Bildung ist. Es gab bereits mehrfach Versuche der Regierung, den gesetzlich zugesicherten Sonderstatus der Mari-Sprache abzuschaffen, bisher jedoch ohne Erfolg.

Dennoch schreitet die systematische Verdrängung der Mari-Sprache aus dem öffentlichen Leben fort. So ist bei Informationen und Anzeigen der russische Text stets deutlicher und zentraler dargestellt. Dadurch, dass die Regierung Russisch in Schulen und Kindergärten als Umgangssprache durchgesetzt hat, wird den jungen Mari in vielen Bereichen die Möglichkeit genommen, ihre Muttersprache zu lernen und zu sprechen. Diese können die Mari inzwischen nur noch in lediglich 21 % der Schulen erlernen. Im letzten Jahr wurde die Abteilung des Kultusministeriums, welche für die Erarbeitung der Schullehrpläne in der Mari-Sprache zuständig war, geschlossen und die Sprache selbst, die wie bereits erwähnt, auch offizielle Amtssprache ist, in den Schulen zum Wahlfach heruntergestuft. Dort wird sie wie eine Fremdsprache als eigenständiges Unterrichtsfach behandelt, da inzwischen alle Fächer in russisch unterrichtet werden.

Auch vor dem mari-sprachigen Rundfunk machte der gouvernementale Feldzug gegen die Minderheitenrechte nicht Halt. Die Fernseh- und Radioprogramme, die in Mari-Sprache senden, wurden auf ein Minimum reduziert. Rundfunk in Mari wird kaum noch angeboten, denn ein Großteil der Fernseh- und Radiosendungen wird direkt von Moskau und in russischer Sprache übertragen. Heute stehen den Mari im Fernsehen nur noch zwei bis drei Stunden pro Woche in ihrer Muttersprache zur Verfügung. Radiosendungen in Mari wurden auf weniger als eine Stunde täglich beschränkt.

Kaum Handlungsspielraum für die Mari

Auch auf politischem Wege bleibt den Mari eine Veränderung ihrer Situation verwehrt, denn die Opposition der Mari ist nicht stark genug, um die Verabschiedung von diskriminierenden Gesetzen im Parlament (Duma) von Mari El zu verhindern – von 67 Parlamentsmitgliedern gehören gerade einmal 18 den Mari an. Wenn die Mari ihre Situation ändern wollen, müssen sie ihr Anliegen auch auf die Medienagenda setzen, um die Öffentlichkeit, vor allem auch außerhalb der Landesgrenzen zu informieren. Des Weiteren ist auch allerdings die Stärkung der politischen Opposition gegen Präsident Markelow notwendig. Bemühungen in beide Richtungen aber werden vom Staat durch eine repressive Vorgehensweise zu unterbinden versucht, indem man sowohl die Medien unter Kontrolle bringt als auch aggressiv gegen kritische Journalisten und Oppositionelle vorgeht.

Man kann inzwischen wohl davon ausgehen, dass die Regierung Mari Els und die örtlichen Behörden die Straftaten und Angriffe unterstützen bzw. initiieren. Nachdem sich die Mari mit ihren Problemen und der Bitte um Abhilfe mehrfach erfolglos an den Kreml in Moskau bzw. direkt an Präsident Wladimir Putin gewandt haben, erscheint es als sicher, dass auch die russische Staatsregierung weit davon entfernt ist, den Vorgängen in Mari El energisch Einhalt zu gebieten und sich der Situation der Mari anzunehmen.

Die Mari sandten bereits mehrere Appelle ins Ausland und veröffentlichten einen Aufruf um Unterstützung, der beispielsweise auf der Internetseite www.ugri.info/mari einzusehen ist.

Einige Fallbeispiele zur Situation in Mari El

Verbrechen gegen Journalisten und Oppositionsführer während der Präsidentschaft von Leonid Markelow, die ohne weitere Ermittlungen blieben:

21. November 2001: Aleksandr Babaykin, stellvertretender Chefredakteur der oppositionellen

Zeitung "Die guten Nachbarn”, wird im Zentrum der Hauptstadt Joschkar-Ola brutal

ermordet.

November 2001: Leonid Plotnikow, stellvertretender Abteilungsleiter des Verlagshauses "Periodika Mari El”, wird ermordet.

November 2001: Aleksei Bakhtin, Journalist einer regionalen Zeitung wird ermordet.

12. März 2002: Wladimir Maltsew, Chefredakteur der Zeitung "Die guten Nachbarn”, wird am Abend angegriffen und erleidet ernsthafte Verletzungen.

14. März 2002: Die Wohnungstür von Vladimir Maltsew, Chefredakteur der Zeitung "Die guten Nachbarn”, wird von Unbekannten mit Benzin übergossen und angezündet.

16. April 2002: Viktor Nikolajew, Mitglied des beratenden Ausschusses von Finno-Ugric Peoples und Vorsitzender der russlandweiten Mari-Bewegung Mer Kanasch, wird vor seinem Haus angegriffen und brutal zusammengeschlagen. Nikolajew berief den sechsten außerordentlichen Kongress der Mari ein, der am 26. April 2002 stattfinden sollte.

14. August 2004: Das Appartement von Valentin Matveyew, einer öffentlichen Person und Autors kritischer Artikel in " Die guten Nachbarn ”, wird geplündert und verwüstet.

Oktober 2004: Maskierte und bewaffnete Männer stürmen im Auftrag der staatlichen Strafverfolgungsbehörde das Appartement eines Mitarbeiters der Menschenrechtsorganisation "Citizen And Law”.

Oktober 2004: Der Journalist Vitali Igitow wird überfallen. Zuvor hatte Präsident Leonid Markelow Igitow als den Mann bezeichnet, der ihn am schlimmsten beleidigt habe.

7. Januar 2005: Die Korrespondentin von Radio Liberty / Radio Free Europe

Yelena Rogacheva wird überfallen und zusammengeschlagen.

7. Februar 2005: Wladimir Kozlow, Chefredakteur von "Kudo + Kudo", Vorsitzender des Rates der Mari "Mer Kanasch" und Mitglied des Beratungsausschusses des Weltkongresses der Finno-Ugrischen Vöker, wird mit Eisenstangen angegriffen und schwer verletzt.

Quelle: Estnisches Institut für Menschenrechte

Quellen und weitere Informationen zu Mari El:

www.mari.ee

de.wikipedia.org/wiki/Mari_El

www.suri.ee

www.helsinginsanomat.fi/english/

www.unpo.org