05.05.2005

Rechtsprechung in Osttimor

Genf
In Reaktion auf die Internationale Untersuchungskommission zu Osttimor hat der UN - Sicherheitsrat am 18. Februar 2000 festgestellt, dass die für die schweren Menschenrechtsverletzungen in Osttimor Verantwortlichen "so schnell wie möglich" der Gerichtsbarkeit zugeführt werden müssten und dass Indonesien ein "rasches, umfassendes, effektives und transparentes Rechtsverfahren einsetzen müsse, das sich in Übereinstimmung mit internationalen Standards des Rechtswesens und eines ordentlichen Gerichtsverfahrens zu befinden hat". Im Dezember 1999 empfahlen drei UN - Sonderberichterstatter zu außergerichtlichen, summarischen oder willkürlichen Hinrichtungen, zu Folter und zu Gewalt gegenüber Frauen die Einrichtung eines internationalen Tribunals, sollten die Gerichtsverfahren in Indonesien nicht "innerhalb weniger Monate" begonnen haben.

Unglücklicherweise scheint Indonesien bis zum heutigen Tage jedoch unwillig oder unfähig zu sein, Gerechtigkeit durchzusetzen und diejenigen der Strafverfolgung zuzuführen, die für die schweren Menschenrechtsverletzungen, für die Verletzung des Kriegsrechts und des internationalen Menschenrechts in Osttimor verantwortlich sind. Seit der Verlautbarung der Regierung Indonesiens, dass alle für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen in Indonesien vor Gericht gestellt werden sollen, wurden viele neue Hindernisse für eine faire und unvoreingenommene Strafverfolgung eingeführt. Im August 2000 trat eine Verfassungsänderung in Kraft, die das Prinzip der nicht rückwirkend möglichen Anklage in das Strafrecht Indonesiens einführte und dem Anwalt eines Verdächtigen die Möglichkeit einer uneingeschränkten Verteidigung einräumt bei Anklagen, die im Zusammenhang mit Verbrechen in Osttimor stehen. Zudem hat es der Generalstaatsanwalt versäumt, die Verfahren zu eröffnen, bevor ein im Gesetz zu Menschenrechtsgerichtshöfen vorgesehenes Zeitlimit wirksam wurde. Das Fehlen einer unabhängigen und unvoreingenommenen Gerichtsbarkeit sowie eines wirksamen Zeugenschutzprogramms zeigt, dass dem Erlangen von Verantwortlichkeit noch viele Hindernisse im Wege stehen. Straflosigkeit für hochrangige Offiziere wie General Wiranto und Generalmajor Zacky Anwar bleibt bestehen. Wir sind in besonderer Sorge darüber, dass Präsident Wahid in dem Dekret von April 2001, mit dem ein Menschenrechtsgerichtshof für Osttimor geschaffen wurde, den Kompetenzrahmen des Gerichts auf Verbrechen eingeschränkt hat, die nach der Volksabstimmung von August 1999 begangen wurden. Den Opfern schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen, die in der Zeit vor dieser Abstimmung begangen wurden, wird keine Gerechtigkeit widerfahren. Unsere Menschenrechtsorganisation veröffentlichte im August 1999 einen umfassenden Report über die massiven Menschenrechtsverletzungen, die in den Monaten zuvor begangen worden waren. Der Prozess der Gerechtigkeit für Osttimor steht am Scheideweg, denn diese Massaker, politisch motivierten Morde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Menschenrechtsverletzungen zu ignorieren würde jegliche Bemühungen um Versöhnung in Osttimor gefährden.

Gerechtigkeit ist keine Form von Rache sondern unabdingbarer Bestandteil des Versöhnungsprozesses. Rechtsprechung ist ein Mittel der Konfliktlösung, das dieser Versöhnung vorhergeht. Angesichts der mangelnden Bereitschaft der Regierung Indonesiens, Gerechtigkeit in Osttimor herzustellen, fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker die UN - Sub Commission für Menschenrechte auf, den UN - Sicherheitsrat zu drängen, unverzüglich Maßnahmen zur Einsetzung eines Internationalen ad hoc Tribunals zu Osttimor unter Kapitel VII der UN Charta zu ergreifen. Außerdem sollte die Sub Commission an die UN appellieren, ihre finanzielle und professionelle Unterstützung für Richter, Staatsanwälte und Verteidiger in Osttimor zu erhöhen.