14.06.2005

Rassismus in Australien

Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker zur Weltkonferenz gegen Rassismus - Durban / Südafrika (31.08. - 07.09.2001)

Göttingen
(Auszüge)

Rassismus ist in Australien auch heute noch lebendig. Dies betonte die australische Kommission für Menschenrechte und Gleichstellung (Human Rights and Equal Opportunity Commission; HREOC) im Juli 2001 auf ihrem Vorbereitungstreffen in Cairns zur Weltkonferenz gegen Rassismus (World Conference against Racism) der UNO in Durban (Südafrika). Zwar wurde Anfang der 1990er Jahre ein Versöhnungsprozess zwischen "weißen" und "schwarzen" Australiern begonnen (auf Regierungsebene wurde der Rat für die Versöhnung mit den Ureinwohnern, Council for Aboriginal Reconciliation, eingerichtet), doch der Amtsantritt der konservativen Regierung unter John Howard 1996 brachte den Prozess ins Stocken. Gerade die Veränderungen in der Landrechtsgesetzgebung von 1998 (Native Title), und die drakonische Strafgesetzgebung in Western Australia und Northern Territory (Mandatory Sentencing), die hauptsächlich junge Aborigines trifft, haben die Lage der indigenen Bevölkerung noch verschlimmert.

Laut Definition der Regierung ist ein Aborigine eine Person, die von Aborigines abstammt, sich selbst als Aborigine definiert und von der indigenen Gemeinschaft, in der sie lebt, als Aborigine akzeptiert wird. Für das Jahr 2001 wird die Zahl der Aborigines auf ca. 427 000 geschätzt. Das entspricht etwas mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung von ca. 19 Millionen. Laut Zensus von 1996 leben mehr als 50 Prozent der Aborigines in den Bundesstaaten New South Wales und Queensland, weitere 25 Prozent in Western Australia und Northern Territory sowie insgesamt 72,6 Prozent aller Aborigines in Städten, die meist weniger als 100 000 Einwohner haben. 40 Prozent der Aborigines sind jünger als 15 Jahre (gegenüber 21 Prozent unter den "weißen" Australiern).

Zur sozialen Lage der indigenen Bevölkerung

Die Säuglingssterblichkeit bei Aborigines ist mit 15,5 pro 1.000 Geburten dreimal höher als im nationalen Durchschnitt (5 von 1.000 Geburten). Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt bei männlichen Aborigines 56,9 Jahre und bei den Frauen 61,7 Jahre; im Vergleich zu 75,2 bzw. 81,1 Jahren in der "weißen" Bevölkerung. Gewalttätige Tode wie Suizid, Verkehrs- und andere Unfälle sowie die weite Verbreitung von Krankheiten wie Diabetes oder Tuberkulose sind für diese hohe Sterblichkeitsrate unter Aborigines verantwortlich. Alkoholismus ist ein verbreitetes Problem: 21 Prozent der männlichen Aborigines und neun Prozent der Frauen trinken in einem Ausmaß, dass lebensgefährdende gesundheitliche Schädigung nach sich zieht. Innerhalb der nicht-indigenen Bevölkerung trifft dies auf acht Prozent der Männer und drei Prozent der Frauen zu.

Nach Angaben von Workplace Relations Minister Peter Reith von 2000 waren 23 Prozent der indigenen Australier aber nur sieben Prozent aller Australier erwerbslos. Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit unter Aborigines sind unter anderem der Niedergang der ländlichen Industrie, mangelhafte Kenntnis der englischen Sprache, die für viele die Zweit- oder Drittsprache ist, und schlechte Ausbildung. Landesweit schlossen 1998 nur 32 Prozent aller jungen Aborigines ihre Schulbildung ab, im nationalen Durchschnitt waren es 73 Prozent. Berufstätige Aborigines sind meist bei Institutionen der Regierung oder der Gemeinden angestellt, nur selten im privaten Sektor. 1996 wurden allein 14,9 Prozent aller Arbeitsplätze für Aborigines von den Projekten zur Entwicklung und Beschäftigung auf Gemeindeebene (Community Development Employment Projects, CDEP) gestellt. Die im Rahmen dieser Programme ausgezahlten Löhne liegen mit $10 000 im Jahr noch unter der offiziellen Armutsgrenze von $12 500 Jahreseinkommen.

Native Title

1992 annulliert der Oberste Gerichtshof im sogenannten Mabo-Urteil die "Terra Nullius" Doktrin, nach der Australien als unbewohntes Land zum Zeitpunkt der Kolonisierung gegolten hatte. Dieses Grundsatzurteil führte 1993 zur Verabschiedung des "Native Title Act" (Gesetz zu Ureinwohnerlandrechten / NTA), in dem das Verhältnis zwischen indigenen Rechten und Rechtsakten der Krone bzw. Regierung geklärt wurde. Als zentraler Aspekt wurde ein "Right to Negotiate" – ein Recht auf Verhandeln in Konfliktfällen – für die Aborigines eingeführt. 1998 setzte die Regierung die "Native Title Amendment Acts" durch. In diesen Gesetzesänderungen wurde das Verhandlungsrecht ("Right to Negotiate") der Aborigines eingeschränkt. Insbesondere bei strittigen Bergbauvorhaben kann die Verhandlungsführung jetzt auf Landesregierungen und staatliche Körperschaften übergehen. Die Aborigines werden damit faktisch entmündigt. Aus Sicht des UN-Komitees zur Abschaffung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, CERD) diskriminieren die "Native Title Amendment Acts" von 1998 die Aborigines und sind somit ein Bruch der Grundlagen des CERD.

Mandatory Sentencing, Inhaftierung von Aborigines

1995 und 1996 führten der Bundesstaat Western Australia und das Northern Territory Zwangshaft als Strafen für Erwachsene ein, die als Wiederholungstäter Eigentumsdelikte begangen haben. Eigentumsdelikte sind weitgefasst und beinhalten nicht nur Diebstahl und Einbruch sondern auch Hausfriedensbruch, unerlaubtes Fahren eines motorisierten Fahrzeugs, Hehlerei und vorsätzliche Sachbeschädigung. Beide Regionen erweiterten diese Gesetzgebung auch auf das Jugendstrafrecht. Im Erwachsenenstrafrecht stehen seitdem in Western Australia auf wiederholte Eigentumsdelikte mindestens 12 Monate Haft. Im Northern Territory sind für Ersttäter mindestens 14 Tage Haft vorgesehen. Ein weiterer Delikt zieht 90 Tage Haft nach sich. Der dritte Rechtsverstoß wird mit 12 Monaten Haft geahndet. Jugendliche, die älter sind als 17 Jahre, werden wie Erwachsene behandelt. Im Jugendstrafrecht werden in Western Australia schon 16-18jährige Wiederholungstäter bei Wohnungseinbrüchen mit 12 Monaten Haft bestraft. Im Northern Territory müssen 15-17jährige bei einem wiederholten Eigentumsdelikt mit mindestens 28 Tagen Haft rechnen.

Diese Gesetze kriminalisieren hauptsächlich Aborigines, denn sie ahnden in erster Linie Bagatelldelikte, die typisch sind für Menschen, die verarmten sozialen Randgruppen angehören. Nach Meinung der ATSIC und vieler Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organisations, NGOs) der Aborigines steht die Gesetzgebung des "Mandatory Sentencing" im Widerspruch zu den Bestimmungen der Convention on the Rights of the Child [Konvention zu den rechten des Kindes] (Art. 3 (1), Art. 30, Art 37 (a/b), Art. 40 (4)) und des International Covenant on Civil and Political Rights [Internationale Konvention zu bürgerlichen und politischen Rechten] ICCPR (Art. 9 (1), Art. 10 (3).

Die "Mandatory Sentencing"-Gesetze sind auf nationaler und internationaler Ebene scharf kritisiert worden, so z.B. durch das UN Committee on the Convention on the Rights of the Child [CROC-Committee; UN-Komitee für die Konvention zu den Rechten des Kindes], die Kommission für Menschenrechte und Gleichstellung (HREOC) und den Law Council of Australia [Gesetzesrat von Australien]. Ihnen zufolge widerspricht die Praxis dieser Gesetze überdies dem grundlegenden Rechtsprinzip der Gewaltenteilung, denn die Polizei übernimmt zugleich exekutive und judikative Aufgaben, indem sie das Vergehen einem bestimmten Straftatbestand zuordnet und dadurch über die später von den Gerichten verhängte Strafe mitentscheidet. Durch die Verpflichtung der Gerichte, sich an Regelstrafen für bestimmte Vergehen zu halten, sind die Urteile zwangsläufig ungerecht, denn der individuelle Hintergrund einer Straftat wird nicht berücksichtigt.

Death in Custody – Tod in Haft

Parallel zu der steigenden Zahl inhaftierter Aborigines nehmen auch die Todesfälle unter Aborigines-Häftlingen zu. Nach Auskunft des Australian Institute of Criminology [Institut für Kriminologie] waren 22 Prozent aller 1999 während der Haft gestorbenen Häftlinge Aborigines. Ein Jahrzehnt nach der Einsetzung der Royal Commission into Aboriginal Deaths in Custody [staatliche Kommission zur Untersuchung von Todesfällen unter inhaftierten Aborigines, 1991] betrug die Quote der im Gefängnis zu Tode gekommenen Aborigines noch 12,1 Prozent aller inhaftierten Ureinwohner. Im Juli 2001 stellt die Rechtsberatungsstelle für Aborigines (Aboriginal Legal Service) fest, dass grundlegende Empfehlungen dieser Royal Commission auch nach 10 Jahren ganz offensichtlich immer noch nicht umgesetzt wurden. So seien bauliche Gegebenheiten, die den Suizid durch Erhängen in Gefängnissen ermöglichen, nicht beseitigt worden.

Stolen Generations

1997 veröffentlicht die Kommission für Menschenrechte und Gleichstellung HREOC den Report "Bringing Them Home". Er belegt, dass Aborigine-Kinder bis in die 1970er Jahre hinein gewaltsam ihren Familien entrissen wurden, um sie in die "weiße" Gesellschaft zu assimilieren. Die Zahl der gewaltsam ihren Familien entrissenen Kinder wird auf 100 000 geschätzt. Dass bedeutet, fast alle Aborigine-Familien waren von dem Kindsraub betroffen. 1997 wurde eine Entschädigung von insgesamt $63 Millionen als Wiedergutmachung für das Unrecht der Familientrennung beschlossen. Bis Ende Juni 1999 war davon allerdings nur ein Viertel ausgezahlt. Der Empfehlung, einen nationalen Fonds einzurichten, wurde nicht gefolgt.

Australien und die Vereinten Nationen

Australien ist der erste demokratisch verfasste Staat der westlichen Welt, der vom UN-Komitee zur Beseitigung der Rassendiskriminierung CERD aufgefordert wurde, seine Politik zu erläutern. Das CERD befürchtet, dass der Native Title Amendments Act von 1998 im Widerspruch zu den Verpflichtungen steht, die Australien mit der Ratifizierung der Beschlüsse zur Konvention gegen Rassendiskriminierung (Racial Discrimination Convention) von 1974 eingegangen ist. Die Entscheidung 2 (54) des CERD (54. Sitzung/1999) besagt zum "Native Title Amendment Act" von 1998: "While the original 1993 Native Title Act was a delicately balanced act between the rights of indigenous and non-indigenous title holders, the amended act appears to create legal certainty for Governments and third parties at the expense of indigenous title." [Während das ursprüngliche Gesetz von 1993 das Gleichgewicht zwischen den Rechten indigener und nicht-indigener Parteien sorgfältig ausbalanciert hatte, schafft die Ergänzung dieses Gesetzes ganz offensichtlich Rechtssicherheit für Regierungen und dritte Parteien auf Kosten der Inhaber der indigenen Landrechte.]

Das CERD betrachtet das Ergänzungsgesetz nicht als "Sondermaßnahme" gem. Art. 1 (4) und 2 (2) der Konvention, es steht somit im Widerspruch zu Art. 2 und 5 der Konvention. Dass die indigenen Gemeinschaften an der Formulierung des Ergänzungsgesetzes nicht beteiligt wurden, verletzt außerdem Art. 5 (c) der Konvention. Insgesamt drängt das Komitee darauf, die Umsetzung der Ergänzungsgesetzes von 1998 auszusetzen und eine erneute Diskussion der Landrechtsgesetzgebung hinsichtlich der Ansprüche der Aborigines zu eröffnen, und zwar "with a view to finding solutions acceptable to the indigenous peoples and which would comply with Australia’s obligations under the Convention." [mit dem Ziel, eine für die Aborigines akzeptable Lösung zu finden, die auch mit Australiens Verpflichtungen gemäß der Konvention übereinstimmt.]

Auch im Jahr 2000 geriet Australien in die Kritik des CERD, das in seinem Bericht A/55/18 2000 folgende Bedenken und Empfehlungen äußert:

     

  1. In der australischen Bundesgesetzgebung fehlt ein generelles Verbot rassischer Diskriminierung.

  2. Die übereinstimmung der nationalen Gesetze mit den Bestimmungen der CERD wird angemahnt.

  3. Der in dem Ergänzungsgesetz von 1998 bereits eingeschränkte Schutz der indigenen Landrechte darf zukünftig nicht weiter reduziert werden.

  4. Gemäß Art. 5 (c) der Konvention muss die Beteiligung der indigenen Gemeinschaften an allen Entscheidungen, die ihr Land und ihre Rechte berühren, sichergestellt werden.

  5. Die Beschränkungen der Arbeit von ATSIC und des ihr zugeordneten Kommissars für soziale Gerechtigkeit (Aboriginal and Torres Straits Islander Social Justice Commissioner) werden sehr kritisch bewertet.

  6. Der Vertrauensverlust der indigenen Bevölkerung in den Versöhnungsprozess wird angeprangert; eine "meaningful reconciliation" [ernsthafte Versöhnung] wird angemahnt.

  7. Die Weigerung der Regierung, sich formell bei den Opfern der erzwungenen Entfernung von Aborigineskindern aus ihren Familien zu entschuldigen und den Opfern dieser bis 1970 andauernden "Assimilierungspolitik" finanzielle Entschädigung zu zahlen, wird kritisiert.

  8. Die Aufhebung des Vorbehalts gegen Art. 4 (a) der Konvention und die Umsetzung durch die entsprechende nationale Gesetzgebung wird gefordert. Art. 4 (a) fordert, dass jegliche Beteiligung an oder Unterstützung von rassistischen Aktivitäten strafbar sein soll.

  9. Das Komitee ist besorgt über die im Vergleich zum Anteil der Aborigines an der Gesamtbevölkerung hohe Zahl der indigenen Gefängnisinsassen. Effektive Maßnahmen zur Verbesserung der sozioökonomischen Lage der Aborigines und die Aufhebung der diskriminierenden Strafgesetzgebung werden angemahnt.

  10. Die "Mandatory Sentencing"-Gesetzgebung in Western Australia und im Northern Territory wird als rassisch diskriminierend und somit als unvereinbar mit der Konvention angesehen.

  11. Das Komitee ist sehr besorgt über das Ausmaß der Diskriminierung der Aborigines hinsichtlich ihrer sozialen, kulturellen und ökonomischen Rechte.

     

Auch die UN-Menschenrechtskommission hat Australien in ihrem Report 2000 erwähnt und von der australischen Regierung gefordert:

     

  1. die Aborigines stärker an den Entscheidungen über Land und natürliche Ressourcen zu beteiligen;

  2. die Verhandlungen über den "Native Title Act" in diesem Sinne neu zu eröffnen;

  3. das indigene Erbe zu schützen;

  4. die Aufarbeitung vergangener Verbrechen des australischen Staates an den Aborigines (Stichwort: "Stolen Generation") zu intensivieren;

  5. die Strafgesetzgebung und insbesondere die "Mandatory Sentencing"-Gesetze den internationalen Menschenrechtsstandards anzupassen.

     

Die Regierung Australiens reagierte empfindlich auf die jüngste Kritik der Vereinten Nationen an der Behandlung der Asylsuchenden und der Aborigines und verkündete, ihre Zusammenarbeit mit der internationalen Organisation künftig zu reduzieren. Premierminister Howard: "We are for having matters affecting Australia resolved in Australia by Australians through Australian institutions." [Wir wollen, dass Australien betreffende Probleme in Australien von Australiern und durch australische Institutionen gelöst werden.]

Außenminister Downer verkündete, die weitere Zusammenarbeit zwischen Australien und den UN-Institutionen zum Schutz der Menschenrechte hinge von einer "effektiven Reform" dieser Institutionen ab. Außerdem warf er dem CERD vor, die Argumente von NGOs schwerer zu gewichten als die Positionen demokratisch gewählter Regierungen. Als Folge dieser Auseinandersetzung zwischen Australien und den Vereinten Nationen weigert sich Canberra jetzt, das Abkommen über die Rechte der Frau zu ratifizieren – obwohl Australien wesentlich an der Ausarbeitung des Abkommens beteiligt war. Dies schadet dem Ruf Australiens nicht nur in Bezug auf seine Menschenrechts-Politik.

APPELL

Die Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. fordert die Regierung Australiens auf:

     

  • die Landrechtsgesetzgebung entsprechend der Mabo- und Wik-Urteile zu gestalten, d.h. die Native Title Amendments von 1998 aufzuheben,

  • die Mandatory-Sentencing-Gesetze in Western Australia und im Northern Territory per Bundesgesetz abzuschaffen,

  • offizielle Gutachter und Experten der UNO weiterhin ungehindert einreisen und arbeiten zu lassen, d.h. die entsprechende Ankündigung Außenminister Downers vom letzten Jahr zurückzunehmen,

  • die eigenständige kulturelle Identität der Aborigines anzuerkennen und diese juristisch abzusichern.

     

Außerdem bittet die GfbV die World Conference against Racism [Weltkonferenz gegen Rassismus], die Europäische Union aufzufordern, ihre Handelsbeziehungen mit Australien so lange auszusetzen, bis das Land die Menschenrechtsklausel der EU, die seit 1996 Standard in allen Handelsverträgen ist, unterzeichnet hat.

Recherche: Markus Höhne, Theodor Rathgeber; Redaktion: Yvonne Bangert