18.03.2005

Portrait der Preisträgerinnen Zainap Gaschajewa und Lipkan Basajewa aus Tschetschenien

Menschenrechtspreis der Gesellschaft für bedrohte Völker

Zainap Gaschajewa ist Jahrgang 1953. Sie wurde wie fast alle Tschetschenen ihrer Generation in der Verbannung in Kasachstan geboren. Denn 1944 auf Befehl Stalins kollektiv deportiert, durften die überlebenden dieser Vertreibung erst 1957 nach Tschetschenien zurückkehren. Zainap Gaschajewa war Direktorin eines Unternehmens in Grosny. Die vierfache Mutter gab ihren Beruf jedoch nach dem ersten Tschetschenien-Krieg 1994 bis 1996 auf und gründete die Organisation "Echo des Krieges", die heute in großen Teilen Tschetscheniens als einzige humanitäre Hilfe leistet.

In fast allen tschetschenischen Dörfern hat "Echo des Krieges" Ansprechpartnerinnen, die regelmäßig über die humanitäre und soziale Situation der Familien und Kriegswaisen berichten. Über die Kinder will die Organisation einen Grundstein für eine friedliche Zukunft des tschetschenischen Volkes legen. Schon mehrmals hat "Echo des Krieges" tschetschenische Kinder nach Moskau geholt. Dort leben sie einige Wochen bei russischen Gastfamilien und lernen, dass nicht alle Russen wie die Soldaten sind, die sie aus Tschetschenien kennen.

 

Über die Situation der ortsansässigen Zivilbevölkerung in Tschetschenien und der Binnenflüchtlinge ist Frau Gaschajewa bestens informiert. Regelmäßig fährt sie in das kriegszerstörte Land, um Hilfsgüter zu verteilen. Auch Videokamera und Fotoapparat sind in ihrem Gepäck, um die schweren Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung zu dokumentieren. Frau Gaschajewa zeichnet Gespräche mit den Opfern russischer Soldaten auf, fotografiert Leichen. So entstand seit 1994 das größte Archiv über den russischen Völkermord in Tschetschenien. Doch die Kamera wurde zum Verhaftungsgrund: Als Frau Gaschajewa am 11. Mai 2001 Hilfsgüter in Grosny verteilte und filmte, nahmen russische Soldaten sie fest. Zwei Tage wurde sie gefangen gehalten. Ihre Moskauer Wohnung wurde schon fünf Mal durchsucht. Vom russischen Geheimdienst wurde sie vorgeladen und bedroht. Doch die Sorge, im Ausland könnte die russische Propaganda gegen die Tschetschenen unreflektiert wiederholt werden, motiviert Frau Gaschajewa trotz aller Gefahren: Immer wieder reist sie nach Westeuropa, um hier mit Journalisten, Menschenrechtsorganisationen und Politikern Gespräche zu führen.

Lipkan Basajewa wurde 1949 in Kasachstan geboren. Als Achtjährige kehrte sie nach Tschetschenien zurück. Sie schloss ihr Studium mit einer Dissertation über die gegenseitige Beeinflussung der Sprachen Russisch und Tschetschenisch an der Universität Moskau ab. Die Mutter von zwei Töchtern und zwei Söhnen arbeitete als Philologin an der Universität in Grosny.

Als der russische Präsident Boris Jelzin im Dezember 1994 zum Krieg gegen Tschetschenien mobil machte, organisierte Frau Basajewa Antikriegsdemonstrationen. Sie beteiligte sich an Friedensmärschen mit russischen Frauen und half russischen Soldatenmüttern, ihre Söhne heimlich von der Front zu holen. 1996 wurde ihr Bruder Chamad Kurbanow, Vertrauter des ersten gewählten tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew, bei einem Attentat auf Dudajew getötet. Ihr zweiter Bruder ist von grausamer Folter in einem russischen "Filtrationslager" für immer gezeichnet.

 

In der kurzen Zeit bis zum Ausbruch des zweiten Krieges arbeitete sie unter Präsident Aslan Maschadow im tschetschenischen Außenministerium in Grosny. Sie gründete die Union der Tschetschenischen Frauen Itschkeria und betrieb seit Frühjahr 1999 eine Landwirtschaftskooperative für die Selbstversorgung tschetschenischer Kriegswitwen und -waisen. Schon zu Beginn des zweiten Krieges jedoch wurden die mit Spenden finanzierten Kühe und Ziegen von der russischen Luftwaffe bombardiert und getötet. Die erste Ernte verbrannte. Familie Basajew entschloss sich zur Flucht aus Grosny. Als die russische Armee am 29.10.1999 eine aus mehr als 1000 Wagen bestehende Flüchtlingskolonne nahe des Dorfes Otschoj Martan einschloss und stundenlang mit Raketen beschoss, wurde auch der Wagen der Familie Basajew getroffen. Erst Sekunden zuvor hatten sich die Flüchtlinge retten können. Frau Basajewa hat wegen dieses Angriffs beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Klage gegen Russland eingereicht.

Inzwischen lebt Frau Basajewa als Flüchtling in der inguschetischen Hauptstadt Nasran. Dort arbeitet sie im Büro der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial. Sie sammelt Zeugenaussagen über den Genozid an ihrem Volk. Über Folter in den Filtrationslagern, Elend, Demütigung, Mord, Vergewaltigung und die Krankheiten der Flüchtlinge berichtete sie auf Konferenzen in mehreren europäischen Städten sowie bei Gesprächen mit Politikern. Denn sie hat es sich inzwischen zur wichtigsten Aufgabe gemacht, Informationen über Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und die tatsächliche Situation der Zivilisten vor Ort zu verbreiten. Frau Basajewa war es auch, die UN-Hochkommissarin Mary Robinson im Jahr 2000 mit tschetschenischen, nach Inguschetien geflohenen Zivilisten zusammenbrachte, ein Treffen, das die russische Regierung verhindern wollte. Anfang März 2001 war sie die einzige Menschenrechtlerin, die bei der Exhumierung der Leichen aus einem Massengrab bei Grosny zugegen war. Westliche Journalisten wurden nicht zugelassen.