09.12.2011

Pogrome von radikalen Islamisten gegen Christen und Yeziden in Irakisch-Kurdistan

Gesellschaft für bedrohte Völker in großer Sorge

Mit großer Sorge hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zur Kenntnis nehmen müssen, dass ein radikaler islamistischer Mob am 2. Dezember 2011 in zwei nordirakischen Städten 28 Geschäfte und Einrichtungen von Christen - Assyrer-Chaldäer-Aramäer und Armenier - sowie von kurdischsprachigen Yeziden angegriffen hat. Die Geschäfte, in denen auch Alkohol verkauft wurde, mehrere Massagepraxen und ein Salon eines Damenfriseurs in der Ortschaft Zakho in der Provinz Dohuk und der Stadt Sumel wurden nach dem muslimischen Freitagsgebet demoliert oder angezündet. Dabei wurden 37 Menschen, überwiegend Polizisten, verletzt. Es entstanden Schäden in Millionenhöhe.

Nach diesen Pogromen haben sich entrüstete kurdische Bürger gegen sechs Büros der islamistischen Extremisten gewandt und deren Vertretungen in den Städten Dohuk, Zakho und Sumel zerstört. Außerdem demolierten sie sechs islamistische Pressebüros.

In Irakisch-Kurdistan haben seit 2003 mindestens 40.000 christliche Assyrer-Aramäer-Chaldäer, kurdischsprachige Yeziden, Armenier, Mandäer sowie Turkmenen aus dem Süd- und Zentral-Irak Zuflucht gefunden. Die Minderheitenpolitik des weitgehend autonomen Bundesstaates galt bisher als vorbildliches Modell für den Nahen Osten. Den alteingesessenen Nationalitäten der Assyrer-Aramäer-Chaldäer, der Armenier und Turk-menen wurde ein eigenes Schulsystem zugestanden. Ihre Radio- und Fernsehsender sowie ihre Zeitungen werden subventioniert.

Der Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International, Tilman Zülch, bemüht sich derzeit um ein Ferngespräch mit dem kurdischen Präsidenten Masud Barzani. Die Schuldigen müssen betraft und jede Form der Diskriminierung der ethnischen und religi-ösen Gemeinschaften muss zukünftig verhindert werden. Zülch begrüßt, dass Barzani sofort zum Ort des Geschehens reiste und die anti-christlichen und anti-yezidischen Pogrome deutlich verurteilte.

Im Namen der GfbV wird Zülch an Präsident Barzani appellieren, die 18 islamistischen Privatschulen, in denen Schüler gegen Christen und Yeziden aufgehetzt werden, bald-möglichst zu schließen. Nach Informationen aus Irakisch-Kurdistan versuchen das islamistische Regime des Iran sowie radikale islamistische Gruppen aus der Türkei, ihren Einfluss in der autonomen Region planmäßig auszubauen.

Die GfbV setzt sich seit 42 Jahren für die Menschenrechte der Kurden, der christlichen Nationalitäten sowie der Yeziden in Irakisch-Kurdistan ein (siehe Anlage).


 Anlage: Einige Daten zur Menschenrechtsarbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker für Kurden, Assyrer/Aramäer/Chaldäer, Armenier, Yeziden, Turkmenen und Mandäer

1969 - 2011 Unzählige Initiativen zur Befreiung kurdischer politischer Gefangener aus allen vier Teilen Kurdistans und Betreuung von kurdischen Flüchtlingen

1969 - 2011 Vorträge, Veranstaltungen, Mahnwachen und Demonstrationen zum Kurdenproblem und der mit ihnen wohnenden Nationalitäten und religiösen Gemeinschaften wie Assyrer/Aramäer/Chaldäer, Armenier, Yeziden, Turkmenen und Mandäer

1969 - 2011 Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Völkermord (u.a. den „Anfal“-Genozid) und Vertreibung von Kurden. Unter anderem weltweit erste Publikation der Massaker von Sorya und Dakan (im irakischen Kurdistan).

1970 - 2011 Betreuung kurdischer und assyrischer Intellektueller, Politiker und Exilpersönlichkeiten

1974/75 Bundesweite Kampagne gegen die Diffamierung der Widerstandsbewegung Mustafa Barzanis durch große Teile der linksdoktrinären Bewegung in Westdeutschland

1975 Erfolgreiche Kampagne gegen den Weltkirchenratspräsidenten Potter, der den Massenmord an Kurden geleugnet hatte, nachdem ein britischer General sich im Auftrag des Rates im Kriegs- und Genozidgebiet umgesehen hatte

1975 Durchsetzung der Aufnahme eines Kontingentes von 86 kurdischen Persönlichkeiten des Widerstandes in Deutschland nach dem Zusammenbruch der kurdischen Bewegung im Irak

1978, 1989 Dokumentation des türkischen Völkermordes an den christlichen Assyrern / Aramäern / Chaldä-ern durch Herausgabe von zwei Büchern

1980, 1984, 1987 Dokumentation des türkischen Völkermordes an den Armeniern durch Herausgabe von drei Büchern

1984, 1986, 1988 Herausgabe eines dreibändigen Werkes zur Geschichte, Politik und Freiheitsbewegung der Kurden auf 1500 Seiten sowie weiteren Büchern und Broschüren zur kurdischen Frage

1988-1994 Durchsetzung der kollektiven Anerkennung der yezidischen Flüchtlinge in Deutschland nach einer Kundgebung und Demonstration im ehemaligen KZ Bergen-Belsen sowie nach der Herausgabe zweier Bücher über Geschichte, Tradition und Verfolgung der Yeziden

1989-1991 Versorgung der irakisch-kurdischen und -assyrischen Giftgasflüchtlinge in türkischen Lagern

1990 Erfolgreiches Eindringen in ein Lager der Firma MBB (Messerschmidt-Bölkow-Blohm) zur Aufdeckung der Lieferung von Ersatzteilen für die Kampfhubschrauber der Air Force von Saddam Hussein trotz Embargo

1991 - 2003 Initiierung des Wiederaufbaus von über 100 Dörfern im Barzan-Tal durch deutsche Bundes-länder und kirchliche Hilfswerke

1991 Versorgung der hungernden 50.000 kurdischen und christlichen Flüchtlinge aus Irakisch-Kurdistan im Notlager Üzümlü auf 3.000 Meter Höhe auf türkischem Gebiet

1991 Pressekonferenz in Jerusalem nach dem Einmarsch der USA in Kuwait zum Völkermord an Kurden und Assyrern/Chaldäern/Aramäern im Irak

1992 Auseinandersetzung mit den beiden deutschen Firmen Pilot-Plant und Karl Kolb vor dem Land-gericht Bonn und dem Oberlandesgericht Köln über ihre Beteiligung am Aufbau der Giftgasindustrie Saddam Husseins in Samara