22.04.2005

Ölförderung auf dem Land von Minderheiten

Fortschritt" gegen das Leben

Erdöl ist das Lebenselixier unserer westlichen Zivilisation. Doch die Ölreserven befinden sich überwiegend in anderen Teilen der Welt und dabei häufig auf dem Land von Minderheiten und indigenen Völkern. Die Global Players der Ölunternehmen, Konzerne wie Shell, BP Amoco, Texaco etc., stehen in einem Wettstreit um die Ausbeutung dieser Ressourcen. Die Ölförderung geht häufig auf Kosten von Mensch und Natur in den betroffenen Gebieten und führt sogar dazu, dass Unternehmen in Kollaboration mit Staaten für schwerste Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich werden.

Auf der anderen Seite hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht nur den Mitgliedstaaten, sondern auch jedem Einzelnen und allen Organen der Gesellschaft die Verpflichtung übertragen, die Menschenrechte durchzusetzen. Davon ist niemand ausgeschlossen, keine Regierung, kein Individuum und auch kein Unternehmen.

Der Einfluss von transnationalen Konzernen ist heute – in Zeiten der Globalisierung – größer als je zuvor. Deshalb versuchen seit etwa 10 Jahren nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch Kirchen und Umweltverbände, den Konzernen durch Kampagnen, Gespräche oder auch Boykotte, ihre Verantwortung für die Menschen, auf deren Gebieten sie agieren, deutlich zu machen. Erst empfindliche Imageverluste führten in Einzelfällen zum Eingestehen von Fehlern oder auch zu einer Änderung der Firmenpolitik. Vollmundige Erklärungen haben sich jedoch schnell als kosmetische PR-Maßnahmen entpuppt.

Um die Unternehmen auch künftig in die Verantwortung zu nehmen, muss auch weiterhin für eine kritische Öffentlichkeit gesorgt werden. Denn die Macht der Konsumenten ist, wenn einmal organisiert, groß: Durch ihre Wahl des Verkehrsmittels bzw. der Tankstelle, aber auch durch ihr Verhalten als Aktionäre können sie die Politik der Firmen beeinflussen. Deshalb haben sich gerade in den USA mehrere Organisationen gegründet, die das Verhalten der Unternehmen genau beobachten und sie für Umweltverschmutzungen und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich machen.

Seit einigen Jahren ist die zunehmende Tendenz zu verzeichnen, dass Unternehmen fusionieren, sich gegenseitig aufkaufen, Geschäftsbereiche an andere übergeben etc. Diese Bewegung macht den hohen Konkurrenzdruck in der Branche deutlich. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie sich immer mächtigeren und weniger fassbaren Gegnern gegenüber sehen, was im Einzelfall das Vorgehen gegen die Unternehmen immer schwieriger macht.

Um auf den Druck von NGOs zu reagieren, präsentieren sich die Konzerne in ihren Selbstdarstellungsprospekten und auf den Internetseiten fast wie Umweltschutzorganisationen oder Menschenrechtsverteidiger. Messen lassen kann sich aber eine Veränderung nur am Verhalten vor Ort. In der Vergangenheit sind die Multis für die Verseuchung ganzer Landstriche und schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich geworden. Von einer wirklichen Verbesserung kann man nur dort sprechen, wo staatliche Institutionen die Einhaltung der Menschenrechts- und Umweltstandards sicherstellen. Ansonsten sind auch heute noch Ureinwohnergemeinschaften und andere Minderheiten auf die Versprechen der Konzerne und der staatlichen Eliten angewiesen, denen es doch in erster Linie um den Profit aus dem Ölgeschäft geht. Statt des versprochenen "Fortschritts", sehen sich die Minderheiten zumeist schnell mit massiven Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen konfrontiert.

Empörend ist für die Betroffenen vor Ort immer wieder, dass in Europa und in ihren Ländern mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um die Umweltbestimmungen von Förderanlagen, Pipelines und Ölraffinerien geht. Während solche Anlagen in Europa auf dem neusten Stand und die Umweltbelastungen entsprechend gering sind, kommt z.B. in Nigeria veraltete Technik zur Anwendung, die zu höheren Belastungen führt. Die Konzerne scheinen noch nicht begriffen zu haben, dass Umweltzerstörung nicht lokal begrenzbar ist.

Die Liste der Fälle, wo Ölunternehmen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich wurden ist lang. Das bekannteste Beispiel ist Shell in Nigeria. Mobil Oil kollaborierte mit der indonesischen Armee, die ihre Anlagen in der unruhigen Provinz Aceh schützen sollte, und dort Massaker beging, Verschwindenlassen und Folter praktizierte. Im Süden des Sudan, der seit Jahrzehnten von Bürgerkrieg und Völkermord geschüttelt wird, sind mehrere internationale Ölfirmen aktiv. Damit dort überhaupt mit der Förderung angefangen werden konnte, ließ die arabische Regierung in Khartum Zehntausende Schwarzafrikaner von den Ölfeldern vertreiben und ermorden. In Burma haben der französische Konzern Total und sein amerikanischer Partner Unocal zugeschaut, als beim Bau ihrer Pipeline Zwangsarbeit eingesetzt wurde. In Angola fördern die Ölreserven einen jahrelangen blutigen Krieg. Etwa 20 Ölunternehmen, einschließlich BP Amoco, Exxon, Gulf und TotalFinaElf sind in dem afrikanischen Staat engagiert und planen weitere große Investitionen.

Die Ölunternehmen engagieren sich auch in Staaten, China, der Türkei, Russland, Saudi Arabien, Algerien, Pakistan, Libyen, der Kongo etc., die die Menschenrechte mit Füßen treten, Minderheiten oder Ureinwohnergemeinschaften diskriminieren oder Krieg führen. Allzu häufig entziehen sich die Unternehmen in diesen Ländern ihrer Verantwortung, indem sie sich auf vorgetäuschte politische Neutralität oder Pragmatismus zurückziehen: "Solange es keine UNO Sanktionen, kein Embargo gibt, dürfen wir hier weiterarbeiten. Der Rest ist die Sache der Politiker", so einer der Unternehmenschefs.

Wenn es um das "schwarze Gold" geht, vergessen oft auch demokratische Regierungen schnell, dass sie ja einmal die Menschenrechte zur Maxime ihrer Politik erklärt hatten. So hat auch Bundeskanzler Schröder die massiven Menschenrechtsverletzungen Russlands in Tschetschenien unter den Tisch fallen lassen, als es um neue Verträge über den Import von russischem Öl und Gas geht. Der Anteil des russischen Erdöls am gesamtdeutschen Import stieg von 26 auf 32 Prozent, bei den Gaseinfuhren beträgt der Anteil jetzt sogar 37 Prozent. Es wird vermutet, dass bis 2020 rund zwei Drittel des gesamteuropäischen Gasbedarfs aus Russland geliefert wird. Bei der Überlegung, dass Europa seine Abhängigkeit vom Opec-Öl abschütteln und Russland zum Öllieferant Nummer eins machen will, geraten besonders die kleinen sibirischen Völker ins Hintertreffen. Ihr überleben ist gefährdet.

Umweltschutz scheint manchmal leichter durchsetzbar als die Menschenrechte. Obwohl der Klimagipfel in Bonn im Juli 2001 von vielen Kompromissen geprägt war, gibt es mit dem Kyoto-Protokoll jetzt immerhin ein verbindliches Kontrollsystem für den weltweiten Ausstoß von CO2. Besonders wichtig für dessen Weiterentwicklung wird das sogenannte "Compliance System" sein, also die Frage, mit welchen Konsequenzen ein Land rechnen muss, wenn es seine Klimaschutzziele nicht erreicht. Die meist freiwilligen Verhaltenscodizes, die sich privatwirtschaftliche Firmen selbst geben, kranken daran, dass es eben kein solches System der Kontrolle und Sanktionen gibt.

In der Zukunft werden die Vereinten Nationen über die Einhaltung der Menschenrechte durch transnationale Konzerne wachen müssen. Schritte in diese Richtung versuchen NGOs zu gehen, die in Gespräch mit Ölkonzernen getreten sind. Diese Gespräche sind jedoch sinnlos, solange nicht auch die Betroffenen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.

Eigentlich müsste es auch im ökonomischen Interesse der Konzerne liegen, unter demokratisch einwandfreien Bedingungen zu produzieren. Gerade Ölfirmen sehen sich vor Ort oft mit massivem Widerstand konfrontiert. Sabotage und Anschläge auf die Anlagen sind in einigen Gebieten an der Tagesordnung. Schmiergelder und der Sold für Sicherheitspersonal erscheinen zwar nicht immer in den Bilanzen der Unternehmen, doch Kosten sind es allemal.

Die deutsche Ökosteuer soll – auch nach dem Willen ihrer Erfinder, der Grünen – nur noch um wenige Pfennige pro Liter Benzin erhöht werden. Doch vom Umweltstandpunkt aus ist der Ölpreis, wie die Autoren des Buches "Fossile Ressourcen, Erdölkonzerne und indigene Völker" schreiben, immer noch viel zu tief. Sie fordern, dass der Preis nicht über den Markt bestimmt wird, "sondern dass in abgestufter Form ein Umwelt- und Menschenrechts-Kostenfaktor in die Kalkulation der Konzerne eingerechnet werden muss." Ein Teil der Erlöse müsse den von Ölförderung Betroffenen zugute kommen und für nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz verwendet werden. Die Ölunternehmen sollten ihre Gewinne in die Erforschung regenerativer Energien investieren. Der Drang, die letzten Ölreserven weltweit auszubeuten, darf nicht dazu führen, dass neue Gebiete auf denen Ureinwohner und Minderheiten leben, durch die Unternehmen "erschlossen" werden.

In einem Appell der U’wa aus dem Jahr 1998 kommt zum Ausdruck, wie viele indigene Gruppen die Aktivitäten der Ölkonzerne auf ihren Land empfinden: " Wir suchen eine Erklärung für diesen "Fortschritt" der gegen das Leben gerichtet ist. Wir fordern, dass diese Art von Fortschritt gestoppt wird und dass die Ölförderung aus dem Herzen der Erde anhält, dass das Bluten der Erde ein Ende findet."

Zum Weiterlesen: Tobias Haller, Annja Blöchlinger, Markus John, Esther Marthaler, Sabine Ziegler: "Fossile Ressourcen, Erdölkonzerne und indigene Völker", hrsg. v. Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie (infoe), Schweiz, Giessen, 2000 (ausführliche Rezension in pogrom 209, S. 4).