04.05.2005

Ökonomische, Soziale und kulturelle Rechte für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge in Deutschland

Genf
Die "Residenzpflicht" für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge in Deutschland verstößt gegen das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit.

In Deutschland dürfen sich Asylbewerber nur im Geltungsbereich der Ausländerbehörde bewegen, in dem sie wohnen. Der Aufenthalt von geduldeten Flüchtlingen – auch von Kriegsflüchtlingen – ist in der Regel auf das Bundesland beschränkt, in dem sie leben. Die Betroffenen dürfen ohne Erlaubnis das Gebiet, auf das ihr Aufenthalt beschränkt ist, nur für Termine bei Behörden und Gerichten verlassen, sofern ihr persönliches Erscheinen dort erforderlich ist. Für die Wahrnehmung von Terminen bei Bevollmächtigten, dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen und bei Organisationen, die sich mit der Betreuung von Flüchtlingen befassen, soll dem Flüchtling – so sieht es das Gesetz vor - eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden. Andere Ausnahmegenehmigungen – etwa für den Besuch von Verwandten – liegen im Ermessen der jeweiligen Ausländerbehörde.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker weist darauf hin, dass diese Residenzpflicht für Flüchtlinge gegen das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit – Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – verstößt. So kommt es immer wieder vor, dass Betroffenen die Reiseerlaubnis für den Besuch von erkrankten Verwandten verweigert oder durch die Auflage bürokratischer Hürden erheblich erschwert wird. Der Gesellschaft für bedrohte Völker wurde der Fall eines jungen bosnischen Kriegsflüchtlings bekannt, der seinen Vater, der lebensbedrohlich erkrankt war, erst besuchen konnte, nachdem er der Ausländerbehörde seines Bezirkes die Erkrankung seines Vaters durch einen Attest nachweisen konnte.

Besonders belastend ist die räumliche Beschränkung des Aufenthalts für Flüchtlinge, die traumatische Erlebnisse vor und auf der Flucht hinter sich haben. Ihre Kommunikationsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt, da sie Familienangehörige und Freunde in vielen Fällen nicht besuchen können. Beantragen sie eine Reiseerlaubnis, müssen sie den persönlichen Grund ihrer Reisepläne offen legen. Dies stellt eine Verletzung ihrer Privatsphäre dar. Sie fühlen sich kontrolliert. Viele scheuen vor der Beantragung einer Reiseerlaubnis daher zurück. Da die meisten Betroffenen auch keine Arbeit haben, droht ihnen Isolation und Vereinsamung.

Auch Angehörige ethnischer Gruppen, deren Familien durch die Fluchtsituation aus Krieg und Verfolgung auseinandergerissen wurden und für die aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes der Zusammenhalt der Großfamilienverbände besonders wichtig ist, trifft die räumliche Beschränkung ihres Aufenthalts besonders hart. Zum Beispiel Roma aus dem Kosovo: Nach dem Kosovo-Krieg sind von den etwa 120.000 durch extremistische Albaner vertriebenen Roma Tausende nach Deutschland geflohen. Nur die Kernfamilien wurden gemeinsam untergebracht, auf größere Familienverbände wird keine Rücksicht genommen. Viele Betroffene haben Verwandte in Deutschland, die sich hier teilweise schon seit langem als Flüchtlinge aufhalten. Jeder Versuch, zu einem Familientreffen zusammenzukommen, stößt auf Probleme. Die Flüchtlinge sind auf das Verständnis der einzelnen Ausländerbehörde angewiesen. Immer wieder werden Reiseerlaubnisse zu privaten Besuchszwecken verwehrt.

Verstößt ein Flüchtling gegen die Residenzpflicht, so gilt das als Ordnungswidrigkeit, die mit hoher Geldbuße geahndet wird. Im Wiederholungsfalle droht sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Wird die Reiseerlaubnis zeitlich überschritten, können Lebensmittelgutscheine gekürzt werden. Die Kriminalisierung der Verletzung einer gesetzlichen Bestimmung, die dem Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit widerspricht, führt zu einem völlig unangemessenen Druck auf die Betroffenen. Dieser hat in mehreren Fällen in Deutschland schlimme Folgen gehabt: So berichtete die "African Refugees Association" im Oktober 2000 in Hamburg, dass sich Flüchtlinge schwere Verletzungen nach dem Sprung aus einem Fenster zugefügt haben – aus Angst vor einer bevorstehenden Personenkontrolle durch die Polizei. Sie hatten den Geltungsbereich ihrer Ausländerbehörde ohne Erlaubnis verlassen. Ein anderer Flüchtling, der ebenfalls ohne Erlaubnis verreist war, ertrank, nachdem er sich am Zielort seiner Reise von einem Wohnschiff ins Wasser gestürzt hatte, um sich einer drohenden polizeilichen Überprüfung zu entziehen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker bittet die Menschenrechtskommission darum, die "Residenzpflicht" für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge in Deutschland vor dem Hintergrund der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, insbesondere dem Recht auf Bewegungsfreiheit, zum Gegenstand der Diskussion zu machen.