07.09.2007

Nordugandas Sehnsucht nach Frieden

Opio ist erst acht Jahre alt und noch zu klein, um auf einen Fahrradsattel zu klettern. Doch Töten kann er schon. Opio war Kindersoldat in Norduganda bei der Lord’s Resistance Army (LRA), der "Widerstandsarmee Gottes". In dem mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichneten Dokumentarfilm Lost Children erzählt er, wie er anderen Kindern befehlen musste, das Gehirn eines von ihm getöteten Soldaten zu essen. "Nein: Roh, nicht gekocht!", versichert er mit hellem Lachen. Er konnte schließlich flüchten – wie Jennifer. Sie war elf, als sie vergewaltigt wurde und eine Waffe bekam. Menschen, die sie getötet hat, verfolgen sie bis heute in ihren Träumen.

So wie Opio und Jennifer geht es vielen Kindern in Norduganda. Rund 25.000 Kinder hat die LRA internationalen Studien zufolge seit Beginn des Krieges bei Überfällen auf Dörfer Nordugandas und Flüchtlingslager für intern Vertriebene geraubt und sie mit äußerster Brutalität zu Kindersoldaten gedrillt oder als Sexsklavinnen missbraucht. Die verschleppten Kinder wurden dabei zutiefst traumatisiert. Damit sie ihre Hemmungen verlieren, wurden sie nicht selten dazu gezwungen mit anzusehen, wie ihre eigenen Eltern oder Geschwister gequält und getötet wurden.

Die aktuelle Lage

Noch nie war die Hoffnung auf Frieden in Norduganda so groß wie jetzt. Seit Juli 2006 führen die LRA und die ugandische Regierung in Juba, im benachbarten Südsudan Friedensverhandlungen, um den 21jährigen Krieg zu beenden. Im August 2006 erreichten beide Parteien einen Waffenstillstand, der Norduganda zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder relative Ruhe brachte. In den folgenden Monaten sank auch die Anzahl der verängstigten Kinder, die jahrelang jeden Abend für die Nacht aus Angst vor Übergriffen der LRA aus den ländlichen Gebieten und den Flüchtlingscamps in die Städte flüchteten, auf einen historischen Tiefstand.

Dennoch ist die humanitäre Situation katastrophal. Immer noch leben rund 90% der Menschen in Acholiland, benannt nach der Bevölkerungsmehrheit der dort lebenden Acholi, in Flüchtlingscamps. Bislang konnten erst wenige Menschen in ihre Dörfer zurückkehren. Es fehlt an Nahrungsmitteln und Gesundheitseinrichtungen. Die meisten Flüchtlinge können gerade einmal 40% ihres Nahrungsmittelbedarfs decken und sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese musste gerade aufgrund von ungenügender Finanzierung der internationalen Gemeinschaft von den Hilfsorganisationen weiter gekürzt werden. So gehört Massensterben aufgrund von Unterernährung und Krankheiten zum Alltag.

Doch auch Übergriffe und Vergewaltigungen auf Frauen und Mädchen sind immer noch an der Tagesordnung. Allein im Kitgum-Bezirk werden täglich fünf junge Mädchen vergewaltigt. Außerdem drängt die Nahrungsmittelknappheit junge Frauen in die Prostitution, die es danach schwer haben einen Heiratspartner zu finden.

Ursachen und Geschichte des Krieges

Die Ursachen des Konflikts in Norduganda reichen bis weit in die britische Kolonialzeit zurück. Damals wurde mit einer Politik des "Teilens und Herrschens", bei der die ethnischen Gemeinschaften des Nordens und Südens gegeneinander ausgespielt wurden, der Grundstein für spätere Auseinandersetzungen gelegt. Nach der Unabhängigkeit Ugandas 1962 setzten die nachfolgenden Regierungen diese fatale Politik fort, so dass die Spannungen zwischen Nord und Süd wuchsen und es zu Massakern kam.

Seit mit Yoweri Museveni wieder ein Präsident aus dem Süden regiert, fühlen sich die Acholi marginalisiert und ausgegrenzt. Mitte der 80er Jahre kam es zum Aufstand gegen die Regierung. Dabei genoss die LRA anfangs Unterstützung seitens der Acholi. Heute hat sie jedoch aufgrund ihres Terrors keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung.

Lange setzte die ugandische Regierung ausschließlich auf eine militärische Lösung des Konfliktes mit der LRA. Dabei ging sie auch rücksichtslos gegen die Zivilisten im Norden des Landes, vor allem gegen die Acholi vor. In Acholiland wurden mehr als 90 Prozent der Bevölkerung vertrieben und in Lagern zusammengepfercht. Ausgangspunkt hierfür war eine militärische Strategie der ugandischen Regierung, um der LRA den "Nachschub" an Kindern und Nahrungsmitteln abzuschneiden. Doch Schutz konnten diese Lager nicht bieten. Immer wieder waren die Camps Übergriffen von LRA-Kämpfern und regulären ugandischen Soldaten ausgesetzt. Kinder wurden entführt und Frauen vergewaltigt. Aus diesem Grund flüchteten jahrelang rund 40000 Kinder jeden Abend in die Städte, um erst am darauffolgendem Morgen zurückzukehren.

Herausforderungen für einen nachhaltigen Frieden

Die Friedensgespräche zwischen der LRA und der ugandischen Regierung werden gerade über die umstrittenen Themen der Verantwortung und der Versöhnung geführt.

Zurzeit scheinen dabei die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen die LRA-Führer ein Hindernis im Friedensprozess darzustellen, denn bisher hat sich die LRA geweigert einen Friedensvertrag zu unterschreiben, solange die Haftbefehle aufrecht erhalten werden. Der Internationale Strafgerichtshof will die Haftbefehle allerdings nicht zurückziehen, obwohl sowohl Artikel 16 als auch Artikel 53 des Rom-Statuts dies im Interesse der Opfer erlaubt. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Nordugandas hat sich jedoch schon öfters für eine Aufhebung der Haftbefehle ausgesprochen, solange diese den Friedensprozess behindern.

Doch auch ein Friedensvertrag kann allein keinen Frieden garantieren. Für einen nachhaltigen Frieden muss die Bevölkerung wieder ihr ursprüngliches Leben zurückgewinnen. Daher ist es unabdingbar, dass alle Vertriebenen in ihre Heimatdörfer zurückkehren können. Unter den Flüchtlingen besteht jedoch die Angst, dass sie nicht zurückkehren dürfen.

Das Wiederansiedlungsprogramm der Regierung sieht vor, die Vertriebenen, anstatt in ihre Dörfer zurückkehren zu lassen, zunächst nur in kleinere Camps umzusiedeln. Hintergrund ist eine Urbanisierungspolitik, die den sozialen Umbruch, der durch den Krieg verursacht wurde, nutzen will, um die Flüchtlingscamps in städtische Gebiete umzuwandeln und groß angelegten mechanisierten Ackerbau einzuführen. Das Resultat ist nicht nur verstärkte Armut, da Land das einzige produktive Gut ist, das der Bevölkerung durch den Krieg geblieben ist, sondern auch ein Verlust der traditionellen Acholi-Kultur.

Für die Acholi hat Land eine herausragende Bedeutung. Es ist nicht nur der Ort, in dem man geboren ist und Ackerbau betreibt, sondern es ist vor allem der Ort, an dem ihre Vorfahren begraben wurden. Ein Verlust des Landes führt somit zu einem Identitätsverlust, dem Niedergang der Rituale und der Verarmung traditioneller sozialer Beziehungen. Die Folge ist nur weiteres Misstrauen, Wut und Verzweiflung gegenüber der ugandischen Regierung.

Für einen nachhaltigen Frieden ist es vor allem wichtig, dass das Vertrauen zwischen Regierung und der Bevölkerung Nordugandas wieder aufgebaut wird. Wenn die Landrechtsfragen nicht zur Befriedigung der Bevölkerung gelöst werden können, entsteht hier neues Konfliktpotential, das zu einem Aufstand der Bevölkerung führen kann.

Sollte der Friedensprozess scheitern, hätte dies nicht nur fatale Auswirkungen auf die humanitäre Situation Nordugandas, sondern würde auch zu einer weiteren Destabilisierung der gesamten Region der Großen Seen führen. Schon jetzt steht Uganda wieder an der Schwelle zu einem neuen Krieg mit dem Kongo. Immer wieder kommt es zu Spannungen, weil Rebellen oder reguläre kongolesische Armeesoldaten die Grenze nach Uganda überschreiten und sich dort an Überfällen auf die Zivilbevölkerung schuldig machen. Nun besteht die Angst, dass Uganda die Situation zur Rechtfertigung nutzen könnte, um wieder in den Kongo einzumarschieren und sich am Rohstoffreichtum des Ostkongos zu bedienen. Schon einmal nahm Uganda zwischen 1998 und 2003 große Gebiete des Kongo ein und eignete sich gewaltsam Ressourcen an. Auch jetzt wieder gibt es Streitigkeiten um Ölfunde im Albertsee, der auf der Grenze zwischen den beiden Ländern liegt. Im August 2007 wurden vier ugandische Soldaten von der kongolesischen Armee festgenommen und ein britischer Ölarbeiter erschossen. Anfang September 2007 zog die ugandische Regierung weitere Soldaten und schwere militärische Ausrüstung an der Grenze zum Kongo zusammen.

Das fordert die GfbV

Seit mehreren Jahren setzt sich die GfbV für Frieden in Norduganda ein und wies mit verschiedenen Aktionen auf die verzweifelte Lage der Kinder in Norduganda hin.

Wir sind der Auffassung, dass die internationale Gemeinschaft den Friedensprozess stärker unterstützen muss, damit endlich Frieden für die Bevölkerung Nordugandas einkehren kann. Dabei ergeben sich für uns spezielle Forderungen:

- Der Weltsicherheitsrat muss den internationalen Strafgerichtshofs drängen, die Haftbefehle auszusetzen, damit der Friedensprozess nicht gefährdet wird.

- Die internationale Gemeinschaft muss dafür Sorge tragen, dass die Bevölkerung Nordugandas in ihre Dörfer zurückkehren kann. Nur so kann nachhaltiger Frieden gewährleistet werden.

- Die Bevölkerung muss beim Rückführungsprozess nach Kräften unterstützt werden. Ihre Nahrungsmittelversorgung ist nicht gewährleistet, es fehlt sowohl an Saatgut und Landwirtschaftsgeräten, als auch an Gesundheits- und Schuleinrichtungen. Darüber hinaus besteht weiterhin die Gefahr vor Minen und lokalen Gangstern. Hier ist die internationale Gemeinschaft gefordert, auch großzügige finanzielle Unterstützung bereitzustellen. Auch die ugandische Regierung muss aufgefordert werden, deutlich mehr Unterstützung zu leisten, um das Vertrauen zur Bevölkerung Nordugandas langsam wieder aufbauen zu können.

- Die Grenzkonflikte zwischen Uganda und Kongo dürfen nicht vernachlässigt werden. Die internationale Gemeinschaft muss beide Staaten auffordern, die internationalen Grenzen einzuhalten und das Völkerrecht zu respektieren. Anderenfalls sollten seitens der internationalen Gemeinschaft Konsequenzen gezogen werden.