14.06.2005

Neuer Kreuzzug gegen die Indianer?

Nach Jahren positiver Entwicklungen zeichnet sich ein "Backlash" in der amerikanischen Politik gegenüber ethnischen Minderheiten ab

pogrom, Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker
Noch vor 20 Jahren prägten Klischees wie das des "edlen Wilden" jenes Bild, das wir uns von "dem" Indianer machten. Wenig war bekannt von ihrer Kultur und Geschichte, von ihren politischen Forderungen. Dabei hatten schon in den 60er Jahren Aktionen des American Indian Movement AIM wie die Besetzung der Gefängnisinsel Alcatraz in der Bucht von San Francisco (1969 - 1971), der Trail of Broken Treaties nach Washington D.C. mit anschließender Besetzung der US-Indianerbehörde Bureau of Indian Affairs BIA (1972), der wochenlange Aufstand von Wounded Knee (1973) und der Longest Walk von Küste zu Küste (1978) erkennen lassen, daß eine wachsende indianische Bewegung mit immer größerer Entschlossenheit auf die Einhaltung der völkerrechtlich verbindlichen Verträge mit den USA pochte. Auch in Kanada kämpften indianische Organisationen um ihre Rechte, die sich aus den Verträgen mit der britischen Krone ergaben.

Mit dem Einzug der ersten pan-indianischen Delegation in das Palais des Nations in Genf (1977) änderte sich das Bild. Als Gesprächspartner seitens der UNO akzeptiert, wurden sie plötzlich von den Medien, von Politikern und Regierungen ernstgenommen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker GfbV organisierte damals zwei große Rundreisen durch die Bundesrepublik, bei denen die Sprecher indianischer Organisationen aus allen Teilen Amerikas im Oktober 1977 und im Mai 1978 mehr als 30.000 Menschen darüber aufklärten, daß sie ihrem Selbstverständnis nach souveräne Völker mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten sind.

Seitdem sind die Delegationen indianischer Nationen und Organisationen zu versierten Unterhändlern auf dem Parkett der UNO und gegenüber ihren nationalstaatlichen Regierungen geworden. Die UN-Menschenrechtskommission richtete eine Arbeitsgruppe indigene Völker ein und rief 1994 eine Dekade der indigenen Völker der Welt aus, in deren Verlauf eine Charta ihrer Rechte erarbeitet werden soll. Zu Recht wird gerade von den indianischen Unterhändlern immer wieder heftige Kritik an den Versuchen der Nationalstaaten geübt, die Entwürfe für diese Charta zu verwässern. Wer aber hätte 20 Jahre zuvor geglaubt, daß es jemals zu derartigen Verhandlungen kommen würde.

Als Kanada 1981 seine Verfassung, damals noch ein britisches Gesetz, reformieren und dabei die von der einstigen Kolonialmacht verbrieften Ureinwohnerrechte löschen wollte, machten sich erneut Indianer auf den Weg nach Europa. Eine Delegation der Union of British Columbia Indian Chiefs UBCIC kam kam auf Einladung der GfbV mit dem Constitution Express auch nach Bonn, wo sie u. a. von Altbundeskanzler Willy Brandt empfangen wurde. Sie konnten erreichen, daß Großbritannien der sog. "Heimholung der Verfassung" nur unter der Voraussetzung zustimmte, daß die Rechte der First Nations auch in Zukunft verfassungsrechtlich abgesichert würden. Seitdem verhandelt Kanada in der Royal Commission mit den Vertretern der Assembly of First Nations um die entsprechenden Formulierungen.

Vereinbarungen wurden bislang nur in Einzelfällen erzielt. Dazu gehört der Autonomievertrag, den die Inuit aus den kanadischen North West Territories mit der Bundesregierung in Ottawa unterzeichnet haben (s. Pogrom 182/1995, S. 18). Sie setzten im April 1999 ihr Autonomiestatut in Kraft und setzten die erste autonome Regierung von Nunavut ins Amt. Mit der Dene-Nation und den Gemeinschaften im Yukon-Territorium stehen Verhandlungsergebnisse noch aus. Auf der Ebene der Provinzregierungen dagegen ist die Durchsetzung indianischer Souveränität noch in weiter Ferne.

Ähnliches ist in den USA zu beobachten. Auch dort gibt es positive Ansätze, wie den medienwirksam inszenierten Empfang indianischer Reservatspolitiker im Weißen Haus durch den just ins Amt gekommenen Präsidenten Bill Clinton 1993. Clinton beschwor damals eine neue Partnerschaft zu den indianischen Nationen und bekundete seine Bereitschaft, künftig auf Regierungsebene (government to governement) mit ihnen zu verkehren. Gleichzeitig herrscht in den meisten Reservaten, die oft in strukturschwachen Gegenden liegen, weiter großes Elend. Die traditionellen Wirtschaftsweisen wurden zerstört, Alternativen nur selten geschaffen. Zugleich werden die Mittel der Förderprogramme für Indianer und auch der Etat des BIA kontinuierlich zusammengestrichen. Damit wächst der Druck auf die Stammesregierungen, Alternativen zu erschließen.

Indianische Nationen, die durch Rohstoffabbau, Tourismus oder Spielcasinos zu Geld kommen, müssen sich den Gepflogenheiten der "weißen" Wirtschaftswelt anpassen. Dabei die eigene Identität nicht zu verlieren, wird von vielen indianischen Kritikern als schwierig wenn nicht unmöglich betrachtet. Auch das seit 1990 existierende New Federalism Programm ist nicht für alle eine Alternative. Es geht auf die Ergebnisse eines Senatsausschusses zurück, der Amtsmißbrauch und Veruntreuung von Geldern seitens des BIA festgestellt und eine Verlagerung seiner Kompetenzen auf die Stammesregierungen empfohlen hatte.

Im Gegenzug zu der Verabschiedung einer demokratischen Verfassung, in der sie ihre Zugehörigkeit zur Union amerikanischer Staaten anerkennen und die Verfassung der USA als verbindlich akzeptieren, können anerkannte indianische Nationen nun direkt mit der US-Regierung in Washington D.C. Abkommen aushandeln, die ihnen Selbstverwaltung in Bereichen übergeben, in denen sie zuvor vom BIA als Vormund abhängig waren. Selbstverwaltung und eigenes Finanzmanagement erfordern aber entsprechend qualifizierte indianische Fachleute, über die nicht jede Nation verfügt. Insgesamt haben sich bislang nur wenige auf das Experiment des New Federalism eingelassen, denn die Befürchtungen sind groß, daß damit alle weitergehenden Verpflichtungen, die aus den Verträgen des 19. Jahrhunderts entstehen, abgegolten werden sollen.

Völlig ungeklärt ist überdies die Situation jener Gemeinschaften in den USA und in Kanada, die keinen offiziellen Ureinwohnerstatus haben. Sie können von allen Förderprogrammen, ob im Rahmen des BIA, dessen kanadischem Gegenstück DIA (Department of Indian and Northern Affairs) oder anderer Programme, keinen Gebrauch machen. Wenn sie sich um den offiziellen Status bemühen, wird dies von den bereits Anerkannten, die um ihren Anteil an den Fördergeldern fürchten, nicht gern gesehen. Die große Gruppe der Stadtindianer, die den Kontakt zu den Nationen ihrer Vorfahren zum Teil längst verloren haben, bleibt völlig außen vor.

Von der jüngsten Kampagne der Republikaner sind in den USA jedoch alle betroffen. Sie wollen die gezielte Förderung ethnischer Minderheiten abschaffen. Minderheitenschutzgesetze, so ihre These, diskriminieren die Mehrheit. In Kalifornien hatten sie mit einem entsprechenden Volksbegehren bereits Erfolg. Politiker wie der Lakota Milo Yellow Hair ziehen daraus die Konsequenz, daß sich das indianische Amerika auch in die US-Politik aktiver einmischen muß, zum Beispiel durch die Wahrnehmung des Stimmrechts bei Wahlen zu politischen Ämtern. Er selbst, der von Anfang an in der indianischen Bürgerrechtsbewegung aktiv ist, hat sich in den Stammesrat von Pine Ridge wählen lassen.

Auch sonst dürfte es den Republikanern schwer fallen, die Uhr um 20 Jahre oder mehr zurückzudrehen. Eine neue Generation indianischer Rechtsanwälte und Journalisten, Ärzte, Politiker, Lehrer und Kulturschaffender beiderlei Geschlechts bietet ihnen paroli. Von der Anwaltskammer bis zum Journalistenverband ist eine indianische Parallelstruktur entstanden, die sich an der schwierigen Gratwanderung "zwischen den Welten" versucht.

Natürlich darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß ungeklärte Konflikte um Land, heilige Gebiete oder verantwortlungslosen Rohstoffabbau fortbestehen. Die Landbesetzung am Gustafsen Lake in Britisch Columbia im Sommer 1995 ließ Erinnerungen an die Besetzung von Wounded Knee wach werden. Die Zerstörung des Shoshone Landes durch Goldabbau mit Cyanidlaugung, die Pläne, ausgerechnet auf Indianerland in Kanada nach Endlagerstätten für Uranmüll zu suchen, bleiben Fakten. Ansätze zu einer positiven Entwicklung indianischer Selbstbestimmung dürfen deshalb nicht dazu führen, die nach wie vor gravierenden Probleme schön zu reden. Eines aber hat sich immerhin verändert: "1996 kam die US-Regierung zu uns, um über den Fort Laramie Vertrag*zu verhandeln", so Milo Yellow Hair im Sommer 1997 in Genf, "früher schickte sie Truppen".

* Der Fort Laramie Vertrag (1868) legte das gesamte heutige Süd Dakota westlich des Missouri einschließlich der Black Hills als Reservation "zur uneingeschränkten und unbehelligten Nutzung und Besiedlung durch die Indianer" der Great Sioux Nation fest. Landabtretungen sollten nur dann möglich sein, wenn mindestens drei Viertel aller erwachsenen männlichen Sioux, die auf Reservatsgebiet leben mußten, dem zustimmten. Nach dem Goldrush von 1874 verloren die Sioux jedoch den größten Teil des Landes, auch die Black Hills. Nur 10 Prozent hatten dem zugestimmt. 1979 bekamen sie deshalb wegen Vertragsbruch eine Entschädigung von damals 101 Million Dollar zugesprochen. Bis heute verweigern sie die Annahme des Geldes. Sie wollen das Land zurück, vor allem die ihnen heiligen Black Hills.