12.05.2006

"Nagelprobe für Glaubwürdigkeit des Europarates":

Russland übernimmt Vorsitz des Ministerkomitees

Als Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des Europarates hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Übernahme des Vorsitzes seines Ministerkomitees durch Russland am 15. Mai bezeichnet. Damit werde ausgerechnet jenem Staat dieses Gremiums die Führung übertragen, in dem furchtbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt oder unterstützt werden, der zunehmenden Rassismus toleriert und mit umfangreichen Waffenlieferungen Kriegsverbrechen in anderen Ländern ermöglicht.

 

Trotz internationaler Proteste werde der Völkermord in Tschetschenien fortgesetzt. Russland unterstütze durch umfangreiche Waffenlieferungen an die sudanesische Regierung den Genozid an der schwarzafrikanischen Bevölkerung im Westsudan/Darfur und blockiere darüber hinaus eine Friedensinitiative für die Überlebenden dieses Völkermordes im Weltsicherheitsrat. Außerdem verweigere die russische Regierung den verarmten Ureinwohnergemeinschaften in Sibirien die Bürger- und Nationalitätenrechte und toleriere im eigenen Land die zunehmenden Gewalttaten vor allem gegen Afrikaner und Kaukasier.

 

Als Menschenrechtsorganisation mit "Mitwirkendem Status beim Europarat" wandte sich die GfbV in Schreiben an die 45 Außenminister des Rates Und appellierte an sie, Russland die Kritik an diesen Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit durch mutiges Benennen von Menschenrechtsverletzungen auch und gerade in Russland zu bewahren.

 

Die Außenminister der Mitgliedsstaaten des Europarates übernehmen abwechselnd für sechs Monate den Vorsitz im Ministerkomitee. Die Reihenfolge des Vorsitzes richtet sich nach dem englischen Alphabet der Ländernamen: von A wie Albania bis U wie United Kingdom. Portugal hat den Vorsitz im Ministerkomitee am 17. November offiziell an Rumänien übergeben. Das den Vorsitz bis 14. Mai 2006 innehat und dann an Russland weitergibt.

 

Auf folgende eklatante Menschenrechtsprobleme in der Russischen Föderation wies die GfbV in ihren Schreiben hin:

 

Der Krieg in Tschetschenien

Trotz Protesten aus vielen Teilen der Welt führt die russische Armee seit 1999 einen zweiten Verfolgungs- und Vernichtungskrieg gegen das Volk der Tschetschenen im Nordkaukasus. Seit 1994 sind dadurch insgesamt bis zu 200.000 Menschen, das sind rund 20% der kleinen tschetschenischen Nation, umgekommen. Zehntausende Kinder wurden zu Invaliden und Waisen. Tausende Tschetschenen fanden sich in so genannten Filtrationslagern wieder, wurden in Erdgruben festgehalten und systematisch gefoltert. Hunderttausende mussten vor den Flächenbombardements vor allem der Hauptstadt Grosny im Winter 1999/2000 fliehen. Bei so genannten Säuberungsaktionen in tschetschenischen Dörfern und Städten durften Armeeeinheiten morden, vergewaltigen, entführen und plündern. Tausende Tschetschenen wurden in den letzten Jahren verschleppt und sind überwiegend nicht wieder aufgetaucht. Inzwischen hat die russische Regierung in Tschetschenien ein System etabliert, in dem tschetschenische Milizen Verbrechen an der eigenen Zivilbevölkerung begehen.

 

Missachtung der Minderheitenrechte indigener russischer Völker In der russischen Förderation leben rund 200.000 Angehörige von 43 Ureinwohnergemeinschaften. Die Minderheitenrechte dieser Menschen, die auch in der Europäischen Minderheitencharta festgeschrieben sind, werden vielfach mit Füßen getreten und dem wirtschaftlichen Profit geopfert. Sie leben gerade dort, woher Russlands Reichtümer in Form von Öl und Gas stammen, in Sibirien. Nach Jahrzehnten brutaler Sowjetisierung und Ressourcenausbeutung, die dazu geführt hat, dass die Lebenserwartung der Ureinwohner rund zehn Jahre unter dem russischen Durchschnitt liegt, könnten neue Förderprojekte sowie die geplante Privatisierung von Wald und Wasser das Ende der traditionellen Lebensweise der meisten Ureinwohnergruppen bedeuten.

 

Verstärkter Rassismus innerhalb der Russischen Föderation

In den letzten Jahren ist die Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten in der Russischen Föderation kontinuierlich angestiegen. Im Jahr 2005 wurden über 100 Personen angegriffen, 14 von ihnen wurden ermordet und 92 verletzt. Seit Beginn des Jahres 2006 sind in Moskau neun Personen ermordet und 35 zusammengeschlagen worden. In St. Petersburg wurden zwei Personen getötet und 17 verwundet. Mehr als 50.000 Skinheads sollen mittlerweile in Russland ihr Unwesen treiben. Sie greifen nichtrussisch erscheinende oder Menschen mit dunklerer Hautfarbe, aber auch kritische Jugendgruppen an. Diese Verbrechen werden von der russischen Justiz nicht angemessen geahndet und bestraft.

 

Blockadepolitik im UN-Sicherheitsrat bei Völkermorden z.B. Sudan

Immer wieder sind es die Russische Förderation und China, die mit ihrer Vetomacht im UN-Sicherheitsrat Initiativen blockieren. Eklatantestes Beispiel hierfür ist die internationale Reaktion auf den Völkermord in Darfur im Westsudan. Monatelang hat Russland gemeinsam mit China Sanktionen gegen das Regime in Khartum verhindert. Auch jegliche andere Art der Intervention, die ein Ende des Mordens in Darfur zum Ziel hatte, wurde von Russland unterlaufen.

 

Waffenexport an den Sudan

Für den Sudan ist Russland der führende Waffenlieferant. Zwischen 2001 und 2004 exportierte Russland dorthin Rüstungsgüter im Wert von 549 Millionen US-Dollar. Das sind 77% aller Waffenlieferungen an den Sudan. Der Sudan kaufte hauptsächlich MIG-Kampflugzeuge, die dann bei Bombenangriffen auf Dörfer und Flüchtlingslager in Darfur eingesetzt werden. Dem Völkermord in Darfur fielen seit 2003 bis zu 400.000 Menschen zum Opfer.