27.04.2005

Nach Darfur schauen, Ruanda erblicken

Stimmen zum Genozid

Jeden Tag wird die Welt mit neuen Berichten von Gräueltaten aus der westsudanesischen Region Darfur konfrontiert. In seiner Ansprache bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen letzten Monat sprach US-Präsident George W. Bush von "Genozid". Sowohl er als auch UN Generalsekretär Kofi Annan sagten die Unterstützung für Sanktionen gegen die sudanesische Regierung sowie eine Resolution des Sicherheitsrates um die Erweiterung der Streitkräfte der Afrikanischen Union in diesem Gebiet zu.

Doch ich bin besorgt, dass moralische Verurteilung, Wirtschaftsembargos und militärische Bemühungen seitens der afrikanischen Länder einfach nicht genug sein werden, um das Morden zu stoppen – nicht annähernd genug.

Ich weiß das, da ich all dies schon einmal gesehen habe. Vor einem Jahrzehnt war ich der kanadische General unter dem Kommando der UN Streitkräfte in Ruanda, als dort der Bürgerkrieg begann und sich schnell zu einem Genozid wandelte. Der Konflikt wurde oft als nicht mehr als eine uralte Fehde unter afrikanischen Stämmen dargestellt, als eine Situation, zu deren Beendigung die westliche Welt wenig beitragen könnte. Alles, was noch zu tun blieb, war zu warten bis das Morden vorüber war, die Stücke einzusammeln und Unterstützung zum Wiederaufbau des Landes bereitzustellen.

Obwohl die frühen Phasen der Geschehnisse um Darfur von einer viel umfassenderen Berichterstattung begleitet wurden, nähern ihr sich die westlichen Regierungen auf einer bestimmten Ebene mit dem gleichen Mangel an Priorität. Letzten Endes kommt es zur selben intuitiven Reaktion: "Was springt dabei für uns heraus? Ist es in unserem 'nationalen' Interesse?"

Der Sudan, eine unterentwickelte, verwaiste Nation, mit keinerlei Verbindung zu Kolonialherrschern früherer Zeiten, ist im Grunde sich selbst überlassen. Die Janjaweed-Milizen von Darfur, mit der komplizenhaften Billigung seitens der Regierung, sind entschlossen, die Region von ihren Bewohnern, hauptsächlich Schwarzafrikaner, zu "säubern", indem sie töten, vergewaltigen und Flüchtlinge in Lager an der Grenze zum Tschad fahren.

Die Vereinten Nationen, geschwächt durch die eigennützigen Manöver der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, haben es unterlassen zu intervenieren. Ihr einziger konkreter Schritt, die Resolution des Sicherheitsrates im Juli, ähnelt nur allzu sehr den Resolutionen für Ruanda vor zehn Jahren.

Wenn ich Sätze lese wie "...beteuern nochmals ihre Unterstützung der Souveränität, Einheit, territorialen Integrität und Unabhängigkeit des Sudan" und "...ihre Absicht ausdrücken, alles nur denkbar Mögliche zu unternehmen um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, eingeschlossen der Einleitung weiterer Schritte, sollte dies erforderlich sein", dann komme ich nicht umhin an die niederschmetternden Anweisungen zu denken, die die UN-Abteilung für friedenserhaltende Operationen 1994 entwickelte und mir dann ins Feld weiterleitete.

Ich erinnere mich nur noch zu genau an die westliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Horror, der sich in Ruanda im April 1994 ausbreitete. Frühe Warnungen wurden unbeachtet gelassen, Interventionen ausgeschlossen und selbst noch als sich die Körper entlang der Straßen von Kigali und überall im Land verstreut stapelten, debattierten die Führer dieser Welt noch darüber, wie denn die tatsächlichen Geschehnisse nun zu bewerten seien. Die einzigen internationalen Einheiten, die sie während der ersten Tage und Wochen des Massakers schickten, waren Truppen, um die Ausländer zu evakuieren.

Lange zuvor verbrannten wir bereits die Leichen mit Benzin, um Krankheiten zu verhindern und der Geruch klebte an unserer Haut wie Öl.

Mehrere afrikanische Länder versprachen mir Truppenbataillone und Hunderte Beobachter, um das schonungslose Blutbad zu stoppen. Sie hatten jedoch weder die Ausrüstung noch die logistische Ausstattung, um sich überhaupt selbst zu versorgen, geschweige denn eine Möglichkeit, die Fahrzeuge und Munition einzufliegen, die benötigt werden, um andauernde Operationen zu leiten.

Sicherlich ist die internationale Gemeinschaft in einem Auf und Ab komplexer politischer Probleme gefangen – besonders dem fragilen Waffenstillstand zwischen der islamischen Regierung und der großen christlichen Bevölkerung im Süden des Sudan. Mächtige Nationen wie die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben auf Grund der undurchsichtigen Situation im Irak weite Teile ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt. Und das Gerangel innerhalb der Vereinten Nationen hat eine zweite, von Amerika vorgeschlagene Resolution ins Stocken gebracht, die wahrscheinlich ohnehin nicht mehr bewirkt hätte als die vorangegangene im Juli. Letzten Endes bekommen wir also nicht mehr als die Zusage, die internationale Beobachtermission von ein paar hundert Beobachtern der Afrikanischen Union zu unterstützen. Nigeria und andere Länder sind bereit, eine größere Interventionseinheit zu schicken, können dies jedoch nicht wirksam umsetzen, ohne eine logistische Unterstützung, die die westlichen Länder bereitstellen könnten.

Der Sudan ist ein riesiges Land, mit einer rauhen Landschaft und einer Bevölkerung, die ausländische Interventionen wahrscheinlich nicht sonderlich begrüßen wird. Dennoch glaube ich, dass eine Mischung von mobilen Truppen der Afrikanischen Union und Soldaten der NATO Darfur's verschleppte Menschen in ihren Camps und verbliebenen Dörfern schützen und die Janjaweed beseitigen oder hinter Schloss und Riegel bringen könnte.

Wenn die NATO nicht fähig ist, angemessen zu handeln, so könnten vielleicht individuelle Einheiten von den so genannten mittleren Nationen kommen – Ländern wie Deutschland oder Kanada, die mehr politischen Spielraum haben und auch oft mehr Glaubwürdigkeit in den Entwicklungsländern genießen als die Mitglieder des Weltsicherheitsrates.

Am 10. Jahrestag des Völkermordes in Ruanda im April erklärte Präsident Paul Kagame seinem Volk und der ganzen Welt, sollte je ein Land an Genozid zu leiden haben, werde Ruanda gewillt sein, ihm zu Hilfe zu kommen. Er kritisierte die internationale Gemeinschaft für ihre gefühllose Reaktion auf die Massaker von 1994, bei denen 800.000 Menschen niedergemetzelt wurden und drei Millionen Menschen ihre Häuser und Dörfer verloren. Tatsächlich sandte Ruanda ein kleines Kontingent nach Darfur. Kagame hat sein Wort gehalten.

Nachdem der Westen die Geschehnisse um Darfur als Genozid bezeichnet hat und gelobte, diesem Einhalt zu gebieten, ist es nun auch für ihn an der Zeit, sein Versprechen einzulösen.

Übersetzung: Miriam Wolf

Artikel erschienen in: New York Times, Dienstag, 5. Okt. 2004