27.09.2006

Nach Bombenattentat auf Kirche im Irak

Hamburger Flüchtlingspolitik scharf kritisiert

Vor dem Hintergrund des jüngsten Bombenattentates auf eine christliche Kirche im Irak am vergangenen Sonntag hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die harte Hamburger Flüchtlingspolitik scharf kritisiert. In einem offenen Brief an den 1. Bürgermeister der Hansestadt, Ole van Beust, und den Senator für Inneres, Udo Nagel, warf der Generalsekretär der GfbV, Tilman Zülch, den Politikern Inhumanität gegenüber Schutzsuchenden vor. Zuvor hatte Senator Nagel dem Menschenrechtler mitteilen lassen, dass für ein "generelles Bleiberecht zugunsten der in Deutschland lebenden Christen ... derzeit keine Veranlassung gesehen (werde)".

 

Es folgt der offene Brief im Wortlaut:

 

Offener Brief

An den 1. Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Herrn Ole van Beust und den Senator für Inneres Herrn Udo Nagel

 

Göttingen, den 27. September 2006

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Senator,

 

das Schreiben Ihres Herrn Jörg Klußmann, Referat Grundsatzangelegenheiten des Aus-länder- und Staatsangehörigkeitsrechts, vom 28. August dieses Jahres hat uns nicht gefreut, sondern schockiert, weil es eigentlich alles offenbart: die Inhumanität gegenüber Flüchtlingen und Vertriebenen in einer Stadt, in der mindestens ein Drittel der Bevölke-rung das Schicksal der Vertreibung erlitt oder von Vertriebenen abstammt.

 

Weiter demonstrieren Sie mit Ihrer Verweigerung des Bleiberechts für in Deutschland ansässige verfolgte Christen aus dem Irak, wie ernst Sie die Tatsache nehmen, dass Deutschlands Bevölkerung schrumpft, dass die Geburtenrate der Freien und Hansestadt Hamburg, verglichen mit anderen westlichen Bundesländern, extrem niedrig liegt und wie unsinnig es ist, dass Sie deutschsprachige, christliche Flüchtlingskinder aus dem Irak nach in der Regel mindestens zehnjährigem Aufenthalt durchaus zur Deportation freigeben wollen. Denn ein generelles Bleiberecht für diese extrem verfolgte Menschengruppe lehnen Sie ab.

 

Ihre Weigerung ist vor allem deshalb besonders gnadenlos, weil jedermann weiß, dass der islamische Fundamentalismus im Irak täglich bis zu 100 Todesopfer fordert und dass sich Schiiten und Sunniten, also islamische Konfessionen, im Bürgerkrieg befinden.

 

Es ist auch bekannt, dass Christen im Mittel- und Südirak nur existieren können, wenn sie sich als Muslime verkleiden. Die kurdische Region, die in dieser für den Gesamtstaat fast aussichtslosen Lage bisher über 20 000 christliche Flüchtlinge aufgenommen hat und in die andere Flüchtlingsgruppen drängen, ist keine ernsthafte Aufnahmeregion für christliche Flüchtlinge aus Deutschland und inzwischen völlig überfordert.

 

Die christlichen Flüchtlinge aus dem Irak, gelten als besonders integrationswillig, unter der Voraussetzung, dass Ihre Behörden Arbeitsaufnahme und Ausbildung gestatten würden.

 

Vielleicht sollten Sie einmal daran denken, wie viel weiser unsere Vorfahren waren, als sie den Hugenotten aus Frankreich in deutschen Ländern eine Heimat boten.

 

Sollten Sie christliche Familien deportieren wollen, werden Sie mitschuldig, wenn diese Menschen in Lebensgefahr geraten.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Tilman Zülch, Generalsekretär

 

 

Hintergrund zur aktuellen Lage der Christen im Irak

 

Christen leben heute im Irak im Untergrund. Sie müssen sich wie Muslime verschleiern und ihre Identität verbergen. Bereits 31 ihrer Kirchen wurden gezielt in die Luft gesprengt, viele ihrer Priester und Gottesdienstbesucher ermordet. Wahllos werden die rund 650.000 Angehörigen der assyrisch- katholischen, der syrisch-orthodoxen, der chaldäischen, der assyro- anglikanischen, der altapostolisch-nestorianischen, der armenisch- katholischen, der armenisch-orthodoxen und der adventistischen Missionskirche angegriffen, verfolgt, misshandelt, vergewaltigt oder ermordet.

 

Mindestens 100.000 christliche Flüchtlinge aus dem Irak, deren Zahl täglich zunimmt, kämpfen unter schwierigsten Umständen in den arabischen Nachbarstaaten des Irak um ihr Überleben und versuchen, Auswanderungsvisa für westliche Länder zu erlangen.

 

Die GfbV fordert die 17 Innenminister des Bundes und der Länder dringend dazu auf, den in Deutschland lebenden Christen aus dem Irak eine langfristigen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu geben und ihre Einbürgerung zu ermöglichen.

 

Auszug aus einer GfbV-Dokumentation über die Verfolgung der assyro- chaldäischen Christen im Irak:

 

Chronik der Anschläge auf christliche Kirchen /Institutionen im Irak

 

Ende 2003 gab es verschiedene Angriffe auf christliche Institutionen: Ein Raketenangriff auf einen Konvent in Mosul, Sprengsätze in zwei christlichen Schulen in Bagdad und Mosul, an Heiligabend eine Explosion an einer Kirche in Bagdad. In der Nähe eines Klosters in Mosul wird eine Bombe gefunden und entschärft. (Daniel Pipes, Vom Verschwinden der irakischen Christen, in: New York Sun, 24.8.2004)

 

26.6.2004 Zwei Unbekannte werfen einen Sprengsatz aus einem silbernen Opel auf die Heilig Geist Kirche (al-Rooh al-Qudos) im Akha` Viertel in Mosul. Bei der Explosion wird die Schwester des Priesters verletzt. (www.christiansofiraq.com, 3.12.2004)

 

01.08.2004 Bei Anschlägen gegen vier christliche Kirchen in Bagdad und eine Kirche in Mosul werden zwölf Menschen getötet und 61 verletzt. Ein weiteres Attentat kann verhindert werden. Die Anschläge richten sich gegen eine syrisch-katholische, eine armenisch-katholische, zwei römisch- katholische und eine chaldäische Kirche. (Beate Seel, Christen werden zu Anschlagszielen, in: taz, 3.8.2004, S. 10, FAZ.net, 17.10.2004; kath.net, 26.10.2004, Daniel Pipes, Vom Verschwinden der irakischen Christen, in: New York Sun, 24.8.2004)

 

10.09.2004 Die Kirche Sankt Georg und die Wohnung von Pater Sabah Kamura in Doura, einem Vorort von Bagdad, werden Ziel eines Anschlags mit Handgranaten und Maschinengewehrfeuer. Der Pater entgeht dem Attentat nur knapp. (kath.net, 28.9.2004)

 

11.09.2004 Im Zentrum von Bagdad explodiert eine Autobombe an der Virgin Mary Seventh-Day Kirche der Adventisten im Al-Sa´doun Park. (www.christiansofiraq.com, 3.12.2004.)

 

09.10.2004 Bei der assyrischen anglikanischen Kirche bei der al-Andalus Straße in Bagdad explodiert in der Nacht eine Bombe (www.christiansofiraq.com, 3.12.2004).

 

16.10.2004 Gegen sechs christliche Kirchen in Bagdad werden Anschläge verübt. Dabei wird eine Per-son getötet, neun werden verletzt. Die Kirchen werden zum Teil schwer beschädigt; die aus Holz gebaute römisch- katholische Kirche Sankt Georg brennt vollständig ab. Die Anschläge am zweiten Tag des Rama-dan waren, so die SZ, offensichtlich gezielt geplant. (FAZ.net, 17.10.2004; Süddeutsche.de, 17.10.2004.)

 

8.11.2004 Bei Anschlägen auf zwei orthodoxe Kirchen in Bagdad kommen mindestens acht Personen ums Leben. Die Anschläge richten sich gegen die syrisch-orthodoxe Kirche St. Georg und die St. Matthäus Kirche der assyrischen Kirche des Ostens. Bei den Anschlägen sei, so Cindy Wooden vom Catholic News Service, auch die chaldäische Kirche St. John beschädigt worden. (www.christiansofiraq.com, 8.11.2004)

 

07.12.2004 Sprengsätze explodieren in zwei Kirchen in Mosul: Die neue, noch nicht eröffnete armenisch-orthodoxe Kirche in dem Viertel Al Wihda wird um 14.30 Uhr angegriffen. Dabei werden drei Personen verletzt. Die chaldäische Kirche Al Tahira und Erzdiözese in dem Stadtteil Alshafa wird um 16.30 Uhr angegriffen. Bewaffnete Männer bringen die Gläubigen aus der Kirche, bevor sie die Explosion lösen. (Rev. Emmanuel aus dem Irak, 8.12.2004)

 

24. 09.2006- Auf den PKW des Priesters Izria Wurda wird eine Handgranate geworfen, als die Gläubigen um 10.00 Uhr morgens gerade die altorientalische orthodoxe Maria-Kathedrale im Stadtteil ar-Riad in Bagdad verlassen. Gottesdienstbesucher, Polizeikräfte und Passanten eilen herbei, um den Verletzten Erste Hilfe zu leisten. In diesem Moment explodiert dort ein mit Sprengstoff beladenes Auto. Zwei Menschen werden durch die beiden Anschläge sofort getötet: der Wachmann der Kirche Josef Ischo und ein Kind, dessen Identität noch nicht geklärt ist.