22.06.2005

Minderheiten in Syrien

Kurden und Assyrer verfolgt und unterdrückt

Göttingen
Geschichte

Syrien gehörte seit 1516 zum osmanischen Reich. Während des ersten Weltkrieges wurde das Land von britischen Truppen besetzt. Nach dem Krieg wurde Syrien unter französisches Mandat gestellt; seine Unabhängigkeit erlangte es 1946. 1958 kam es zum Zusammenschluss Ägyptens und Syriens zur Vereinigten Arabischen Republik. Nach einem Militärputsch in Damaskus wurde dieses Bündnis von Syrien aufgelöst. Die Syrische Arabische Republik wurde gegründet.

Nach einem weiteren Putsch erlangte 1963 die alawitische panarabische Baath Partei die Macht und herrscht auch heute noch. 1970 wurde Hafez al-Assad Präsident. Nach seinem Tod im Juni 2000 ging die Macht an seinen Sohn, Bashar al-Assad über.

Der kurze Damaszener Frühling 2000

Viele hofften, die Präsidentschaft Bashar Al-Assads würde Reformen und eine Verbesserung der Menschenrechtslage für die Minderheiten Syriens mit sich bringen. Aber nachdem einige politische Gefangene freigelassen wurden und für kurze Zeit Pressefreiheit herrschte, setzte die syrische Regime ihre alte Politik fort. Einschränkende Pressegesetze wurden erlassen und jegliche Kritik an der Regierungspolitik brutal niedergeschlagen.

Der letzte Parteikongress (Juni 2005) gibt wenig Anlass zur Hoffnung auf Veränderung. Präsident Assad sprach lediglich von wirtschaftlichen Reformen, politische Veränderungen wurden kaum erwähnt. Die Legalisierung neuer politischer Parteien sowie neue Pressegesetze wurden zwar diskutiert, jedoch behält die Baath Partei ihr Machtmonopol, das in der syrischen Verfassung verankert ist. Parteien dürfen immer noch nicht einen ethnischen, religiösen oder regionalen Hintergrund haben, dies schließt die Hauptoppositionsgruppen der Baath Partei, nämlich die Muslimbrüder und die kurdische Minderheit aus.

Unterdrückt, diskriminiert, staatenlos: die Kurden in Syrien

Die Verfassung von 1973 charakterisiert die Arabische Republik Syrien als demokratischen, sozialistischen, souveränen Volksstaat, wo die Freiheit "ein heiliges Recht ist". Am 19. August 2004 ratifizierte Syrien der UN Konvention gegen Folter. Tatsächlich sind Menschenrechtsverletzungen in Syrien jedoch an der Tagesordnung.

Die 1,5 Millionen Kurden, die ungefähr 12% der Gesamtbevölkerung ausmachen, genießen keine der Rechte, die die Verfassung garantiert. Seit mehr als 50 Jahren werden sie einer aggressiven Arabiserungspolitik ausgesetzt, die das Ziel hat die größte Minderheit des Landes entweder zu arabisieren oder sie auszulöschen.

Beispielhaft für diese unmenschliche Politik ist die Schaffung des sogenannten arabischen Gürtels von 10 bis 15 km Breite und 350 km Länge entlang der Grenze Syriens zur Türkei und zum Irak. Kurden wurden enteignet, ihnen wurde das Recht auf Eigentum sowie das Recht auf Arbeit auf dem Land ihrer Vorfahren genommen. Tausende ehemals freie Bauern und ihre Kinder werden dadurch gezwungen sich als Taxifahrer, Müllmänner und Hilfsarbeiter durchzuschlagen, wenn sie überhaupt Arbeit finden.

Im Zuge der Arabisierung werden die historischen Namen hunderter kurdischer Dörfer und Städte gegen arabischen Namen ausgetauscht; auch viele Berge, Täler, Wasserquellen und kulturellen Stätten werden umbenannt.

Außerdem werden Kurden das Recht, ihre eigene Sprache zu sprechen, in ihr unterrichtet zu werden oder kurdische Traditionen zu bewahren, vorenthalten. Wer nicht Mitglied der herrschenden Baath Partei ist, wird diskriminiert, ihm wird die Meinungs- sowie Versammlungsfreiheit verwehrt.

Nach einer Volkszählung 1962, wurde schätzungsweise 120.000 Kurden die Staatsbürgerschaft und damit auch die Bürgerrechte entzogen. Heute können ungefähr 200.000 staatenlose Kurden keinen Pass beantragen, ihre Kinder können nicht eingeschult, die Ehen nicht registriert werden.

Menschenrechtsverletzungen

Jeglicher Versuch, das syrische Regime zu kritisieren, wie z.B. die Demonstrationen in Damaskus am 10. Dezember 2002 sowie am 25. Juni 2003 werden durch syrische Sicherheitskräfte brutal unterdrückt. Nach diesen Demonstrationen wurden viele Kurden verhaftet, einige sind heute noch inhaftiert. Angeklagt werden diese gewaltlosen politischen Gefangene wegen dem Versuch "eine Verfassungsänderung durch illegitime Mittel erreichen zu wollen" und "Verbreitung falscher Informationen".

Im März 2004 griffen syrische Sicherheitskräfte in der Stadt Qamishli bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und arabischen Fußballfans ein. Dabei gab es Tote und Verletzte. Bei den nachfolgenden Demonstrationen wurden mindestens 30 kurdische Zivilisten getötet, mehr als 1000 wurden verletzt und mehr als 2500 verhaftet. Nach Informationen der GfbV, wurden mindestens fünf Kurden in Haft zu Tode gefoltert. Sechs kurdische Wehrpflichtige wurden 2004 während ihres Militärdiensts ermordet.

Die syrische Regierung hat sich ständig geweigert, Informationen über die Anzahl und Identität der Inhaftierten zur Verfügung zu stellen und hat Menschenrechtsorganisationen den Zugang zum Land untersagt. Mehrere Freigelassene gaben an, während der Inhaftierung gefoltert worden zu sein.

Scheich Muhamed Maschuk (Maschuq) Al Khznawi (Xiznewi)

Im Mai 2005 wurde Scheich Muhamed Maschuk (Maschuq) Al Khznawi (Xiznewi), das geistlicher Oberhaupt der Kurden, ermordet. Der Scheich, bei den Kurden sehr beliebt und Kritiker des Baath Regimes, wurde einigen Wochen zuvor verschleppt. Die syrische Regierung gab an, er sei von einer Bande entführt worden. Seine Familie sagte jedoch aus, al Khznawis Leichnam sei von Folterspuren gezeichnet gewesen und dass er im Tesrin Krankenhaus 15 Stunden lang behandelt wurde. Während der gesamten Zeit habe der syrische Geheimdienst den Scheich bewacht. Er starb am 30. Mai.

Der Tod des Scheichs hat die Kurden in tiefer Trauer gestürzt. In Qamishli fand Demonstrationen statt. Noch einmal griffen syrische Sicherheitskräfte ein und eröffneten das Feuer auf die Menschenmenge. Mehr als 50 Kurden wurden daraufhin verhaftet.

Andere Minderheiten – die assyrischen Christen

Assyrische Christen werden nicht so sehr aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, denn wegen ihrer ethnischen Herkunft in Syrien verfolgt und diskriminiert. Sobald sie sich als Assyrer politisch betätigen z.B. in der wichtigsten Partei der Assyrer in Syrien, der ADO (Assyrian Democratic Organisation), drohen Verhaftung und Folter. Das Regime Assad läßt keine politische Opposition zu, sondern verfolgt die politisch Engagierten gnadenlos.

Am 30. Oktober 2004 wurden zwei assyrische Christen von einem Soldat außer Dienst und seinem Bruder in der Provinz Hassakeh ermordet. Die syrischen Behörden reagierten auf die darauf folgenden Demonstrationen der assyrischen Gemeinschaft mit der Verhaftung von 29 Assyrern. Sie wurden ohne Gerichtsverfahren fast ein halbes Jahr festgehalten. Gegen die Täter wurde keine Anklage erhoben.

Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Syrien

Der 1995 begonnene Barcelona Prozess hat die Einrichtung einer Freihandelszone im Mittelmeerraum bis 2010 zum Ziel. Syrien, der größte Handelspartner der EU in der Region, wird das letzte Land sein, das ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet.

Bis heute hat die EU angesichts der Menschenrechtsverletzungen in Syrien lediglich ihre Besorgnis geäußert. Obwohl "Respekt für Menschenrechte und demokratische Prinzipien ein wesentliches Element" des Abkommens darstellen und es "im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen aufgehoben" werden kann, hat die EU noch nicht darauf hingewiesen, dass ein Ende der gegenwärtigen Menschenrechtsverletzungen in Syrien Voraussetzung für die Ratifizierung ist. Die willkürliche Verhaftung von Regimegegnern, Berichte über Folter, unmenschliche Zustände in den Gefängnissen sowie die systematische Unterdrückung der Kurden und anderer Minderheiten stellten kein Hindernis für die Verhandlungen über Syriens Beitritt zur Euro-Mittelmeer Freihandelszone dar.

Trotz anhaltenden massiven Menschenrechtsverletzungen in Syrien, hat die EU sich für ein vorgezogenes Inkrafttreten der im Abkommen niedergelegte Handelsvereinbarungen ausgesprochen. Diese sollen nach der Unterzeichnung durch Syrien aber vor den Debatten in den europäischen Parlamenten umgesetzt werden.