06.09.2012

Menschenrechtsprobleme in der Ukraine

Ukraine - Einsatz nur für Timoschenko ist nicht genug

© European Union 2008 - European Parliament

Aus bedrohte völker_pogrom 271, 3/2012

Nahezu täglich berichtet die deutsche Presse über Julija Timoschenko, die inhaftierte einstige Anführerin der Orangefarbenen Revolution in der Ukraine. Haftbedingungen und medizinische Versorgung der früheren Regierungschefin sollen verbessert werden, fordern westliche Politiker. Timoschenko und ihr Schicksal stehen dabei stellvertretend für die schlechte Menschenrechtslage in der Ukraine. Aus Protest gegen die Behandlung der 51-Jährigen ließ sich kein westlicher Politiker auf der Tribüne neben Präsident Janukowitsch blicken. Bundespräsident Joachim Gauck blieb dem EM-Gastgeber fern.

Der Einsatz der westlichen Politiker für Timoschenko ist gewiss löblich und notwendig. Doch sollten sie die Menschenrechtslage in der Ukraine insgesamt wie Folter in Haftanstalten, willkürliche Gewalt, Rassismus gegen Roma und Antisemitismus in den Blick nehmen. Der Europarat war erschüttert über die Zustände in ukrainischen Gefängnissen. Das Komitee gegen Folter und Misshandlung(CPT) besuchte Haftanstalten im Dezember 2011 und kam zu erschreckenden Resultaten. So wurden einzelne Häftlinge in Metallkäfige oder Boxen gesperrt. Auch Amnesty International machte wiederholt auf die Lage in ukrainischen Gefängnissen aufmerksam. Dort kommt es immer wieder zu Todesfällen nach Folter.

Die Euphorie, mit der westliche Politiker für Julija Timoschenko kämpfen, teilt die ukrainische Bevölkerung nicht. Massenproteste gegen ihre Haftbedingungen blieben aus. Auf Blogs werden Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgehen soll, dass Timoschenko tatsächlich in ihrer Zeit als Unternehmerin gegen Gesetze verstoßen hat und die ihre Regierungszeit sehr kritisch beleuchten. Auf Internet-Portalen verschiedener Zeitungen hinterlassen Leser Kommentare, aus denen tiefe Enttäuschung über die Regierung Timoschenko spricht. Viele Erwartungen hat sie nicht erfüllt.

Das könnte der Hauptgrund für das Desinteresse an ihrem Schicksal sein. Sie hatte den Rückgang der Korruption, eine schnelle Europa-Integration sowie soziale Reformen versprochen. Bei der Korruptionsbekämpfung scheiterte sie, wie Transparency International für die Jahre von 2005 bis 2010 feststellt. 2005 war die Ukraine auf dem Korruptionswahrnehmungsindex auf Platz 107 von insgesamt 158 untersuchten Staaten, 2010 nur noch an 134. Stelle. So schlecht wurden unter anderem auch Sierra Leone und Simbabwe eingestuft. Die

Nichtregierungsorganisation Freedom House kommt nach ihren Untersuchungen ebenfalls zu dem Schluss, dass sich das Korruptionsniveau in Timoschenkos Zeit als Premierministerin von 2004 bis 2010 nicht wesentlich verändert hat. Weiterhin berichtet die Organisation,dass ein unabhängiges Justizsystem nicht vorhanden war.

Repräsentanten der Legislative und Exekutive übten sehr viel Druck auf die Justiz aus. Im Jahr 2008 erreichte der Missbrauch der Justiz für politische Ziele unerwartet hohe Werte. Ein Zustand, unter dem Timoschenko jetzt selbst zu leiden hat. Dass Präsident Janukowitsch die Justiz dazu missbraucht, seinen persönlichen Machtkampf gegen Timoschenko zu führen, ist der eigentliche Skandal. Nur, wenn Timoschenko freigelassen wird, haben die beiden politischen Lager die Möglichkeit, sich im Oktober dieses Jahres bei den geplanten Wahlen zu messen. Aber wahrhaftiges Engagement für einen verbesserten Menschenrechtsschutz kann nur bei den vielen Opfern von Menschenrechtsverletzungen beginnen, auf die Timoschenko und die Diskussion um ihre Person den Blick verstellen.


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