01.06.2005

Mende Nazer und die Sklaverei im Sudan

Trotz zahlloser Augenzeugen-Berichte ehemaliger Sklaven bestreitet die sudanesische Regierung vehement, dass es Sklaverei im Sudan gibt. Angesichts wachsender internationaler Kritik räumt Khartum inzwischen jedoch ein, es gebe bereits seit Jahrhunderten Entführungen unter den Völkern des Südsudan und der Nuba-Berge. Doch mit dem historischen Sklavenhandel und "Geiselnahmen" unter benachbarten Völkern hat die seit Beginn des Krieges in den Nuba-Bergen 1985 beobachtete Sklaverei wenig gemeinsam. Denn Sklaverei wurde zunächst von einer demokratischen Regierung und seit 1989 von einem Militärregime als Mittel der Kriegführung und der Aufstandsbekämpfung eingesetzt.

In den Nuba-Bergen und in den Grenzgebieten zwischen Nord- und Südsudan wurden arabische Milizen seit 1985 systematisch von der Regierung bewaffnet. Viele Milizionäre stehen auch als Hilfstruppen zur Bewachung von Eisenbahnlinien im Sold der Regierung. Sie brennen Dörfer nieder in Regionen, in denen die sudanesische Freiheitsbewegung SPLA operiert, stehlen Vieh, vergewaltigen und ermorden Zivilisten und verschleppen Frauen und Kinder. Mindestens 25.000 Nuba-Frauen und Kinder wurden nach Schätzungen geraubt und als Sklaven eingesetzt oder zur Heirat gezwungen. Viele Verschleppte wurden in Militärlager gebracht und Offizieren sowie ihren Familien als Sklaven zugeteilt. Nach Flucht oder Freikauf berichten die Sklaven von erniedrigender Behandlung und Schlägen. Viele wurden auch Opfer sexueller übergriffe. Jede Kontaktaufnahme der Verschleppten zu ihren Familien wurde gewaltsam unterbunden, sofern sie nicht Muslime waren wurden sie oft zur Konvertierung gezwungen. Systematisch wurde den Versklavten ihre Identität genommen. Sie erhielten arabische Namen. Mit physischer und psychischer Gewalt wurde jeder Widerstand gebrochen, bis die Sklavin sich so unterordnete, dass sie es nicht mehr wagte, an eine Flucht zu denken.

Sklaverei im Sudan ist nicht nur Mittel der Kriegführung, sondern auch Ausdruck eines ausgeprägten Rassismus der arabisch-muslimischen Bevölkerung gegenüber schwarzafrikanischen Nuba oder Südsudanesen. Schwarzafrikaner und ihre Kultur gelten in den Augen vieler arabischer Sudanesen als minderwertig, obwohl sie über eine Jahrhunderte alte Kultur verfügen und zum Teil lange vor den Arabern in der Region ansässig waren.

Schwerste Menschenrechtsverletzungen sind in den Nuba-Bergen bis zur Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens am 19. Januar 2002 während mehr als anderthalb Jahrzehnten alltäglich gewesen: Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen, Folter und systematische Vertreibung und Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen wurden von der sudanesischen Armee und mit ihnen verbündeten Milizionären planmäßig betrieben. Die sudanesische Führung machte sich des Völkermordes, d.h. der gezielten Auslöschung der Nuba-Völker schuldig.

Doch kein Vorwurf wird von der sudanesischen Führung so vehement zurückgewiesen wie die Anklage der Sklaverei. Wenn auf internationalen Konferenzen oder in Gesprächen mit Menschenrechtsorganisationen das Problem der Sklaverei erörtert wird, verweigern sudanesische Regierungsvertreter regelmäßig jeden konstruktiven Dialog. Wer den Vorwurf der Sklaverei erhebt, diskreditiert sich nach dem Verständnis der sudanesischen Machthaber als ernstzunehmender Gesprächspartner. Dabei haben führende internationale Menschenrechtsorganisationen zahllose Fälle der Sklaverei im Sudan dokumentiert. Die zuständigen Gremien der Vereinten Nationen fordern den Sudan seit Jahren vergeblich auf, Sklaverei wirksam zu unterbinden. Eine auf Druck der USA gebildete achtköpfige internationale Untersuchungskommission, kam nach mehrwöchigen Recherchen im Sudan im Mai 2002 zu dem Schluss, dass Sklaverei noch immer fortbesteht.

Angesichts des wachsenden internationalen Druckes bildete der sudanesische Justizminister zwar 1999 das Komitee zur Ausrottung der Entführung von Frauen und Kindern (CEAWC) und kündigte an, jeden Entführer strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Doch bis heute ist kein Fall einer Strafverfolgung bekannt geworden. In der CEAWC werden die Interessen der Opfer nicht angemessen vertreten. Das Komitee kümmerte sich bislang vor allem um die Rückführung von Sklaven aus dem Grenzgebiet zwischen Süd- und Nordsudan, das katastrophale Schicksal der Nuba fand kaum Beachtung.

Mende Nazer ist mit ihrer Bestseller-Autobiographie eine lebende Anklage der Sklaverei im Sudan. Wenn abgelehnte Asylbewerber aus dem Südsudan oder den Nuba-Bergen in ihre Heimat abgeschoben werden, müssen sie um ihr Leben fürchten. Denn sudanesische Botschaften sammeln gezielt Informationen über die Aktivitäten von Regimegegnern im Ausland. In mehreren Fällen kamen aus dem Nahen Osten abgeschobene Flüchtlinge in sudanesischen Gefängnissen zu Tode. Im Falle einer Abschiebung aus Großbritannien droht Mende Nazer ein ungleich schwereres Schicksal als vielen anderen gescheiterten Asylbewerbern. Mit jedem verkauften Buch nimmt die Gefahr für ihr Leben zu! Denn von den sudanesischen Machthabern wird sie aufgrund ihrer Sklaverei-Kritik als Staatsfeindin angesehen.