18.03.2005

Laudatio auf die Vereinigung der ehemaliger weiblicher bosnischen Lagerhäftlinge

Laudatio von Sharon Silber (New York), Jews Against Genocide

Wir sind heute hier zusammengekommen, um die bewundernswerte Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen auszuzeichnen, die furchtbarsten Lebensbedingungen zu ertragen, Zeugnis für die Wahrheit abzulegen und dafür zu sorgen, dass die Welt heiler und gerechter wird. Ich bin stolz, dass ich heute als Vertreterin meiner Organisation "Jews Against Genocide -Juden gegen Völkermord" der Vereinigung der ehemaligen weiblichen bosnischen Lagerhäftlinge Ehre erweisen kann.

Der Krieg in Bosnien hat auf schreckliche Weise die Anwendung von Vergewaltigungen als gezieltes Mittel der politischen Strategie im Rahmen der sog. ethnischen Säuberung möglich gemacht. In diesem Rahmen waren die Vergewaltigungen Teil einer systematischen Kampagne der Gewalt, die einem vorgeschriebenen Muster folgte. Dieses Muster ist in vielen Zeugenaussagen beschrieben wurden - so auch in den Aussagen, die von den Frauen der heute geehrten Vereinigung der weiblichen ehemaligen Lagerhäftlinge gesammelt wurden. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker und Human Rights Watch haben solche Zeugenaussagen zusammengetragen.

In einer Stadt nach der anderen waren bosnisch-serbische Zivilisten, Polizei, Militär und serbisches Paramilitär durch die Propaganda eines angeblich unmittelbar bevorstehenden muslimisch-fundamentalistischen Angriffs aufgehetzt worden. Die Aufgehetzten bedienten sich des Terrors, einschließlich des Terrors von Vergewaltigungen, um ethnisch reine Städte zu erzeugen. Das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien hat diesen Prozess als "Vertreibung durch Terror und Völkermord" bezeichnet. Die Städte Ostbosniens, aus denen viele der Frauen der heute geehrten Vereinigung stammen, waren Schauplätze einiger der brutalsten Verbrechen, die während des Krieges in Bosnien 1992-1995 verübt wurden.

Oftmals hatte der Terror die Gestalt von Konzentrationslagern, in denen nichtserbische Zivilisten inhaftiert waren, einschließlich Frauen und Kindern. Die Menschen, die hier festgehalten wurden, wurden immer wieder gefoltert und vergewaltigt - manchmal über viele Monate hinweg. Manchmal auch zwei Jahre lang. Danach wurden sie entweder verbannt, hingerichtet oder sie verschwanden, mit dem Ergebnis, dass in den Städten fast ausschließlich bosnische Serben zurückblieben. Firmen, Geschäfte und Häuser eigneten sich diejenigen an, die die Verbrechen begangen hatten, oder die Nachbarn.

Es ist schwer zu glauben, dass dies im Europa der vergangenen zehn Jahre geschah. Konzentrationslager- Folter und Mord an Zivilisten - nur aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Aber natürlich wissen wir, dass so etwas geschehen kann. Es geschah wieder.

Mit dem Ende des Krieges in Bosnien waren die Qualen der Frauen, die diese Verbrechen erleiden mussten, noch nicht zu Ende. Viele von ihnen müssen weiterhin als Flüchtlinge in ihrem eigenen Land leben. Viele haben keine angemessene Unterkunft, keine Arbeit, keinerlei Unterstützung. Die Bedingungen in ihren Heimatorten sind bis heute für eine Flüchtlingsrückkehr vollkommen ungeeignet. Häufig wurden ihre Häuser zerstört oder von anderen in Besitz genommen.

Nach dem Krieg hatte ich das Privileg, sowohl allein als auch gemeinsam mit der Gesellschaft für bedrohte Völker Bosnien zu besuchen. Eine Erfahrung, die etwas Unwirkliches hatte: Einerseits gab es genügend Anzeichen für ein Leben, wie es sich auch in anderen europäischen Städten abspielt: Die Menschen besuchen Cafes, Gasthäuser, kulturelle Veranstaltungen, und gehen ihren Geschäften nach. Auf der anderen Seite gibt es Sammellager, in denen Menschen, die aufgrund der Vorfälle in ihren Heimatstädten von dort vertrieben worden waren, unter den schwierigsten Bedingungen leben. Oft waren diese Menschen während des Krieges Opfer unvorstellbar furchtbarer Grausamkeiten geworden.

 

Jedoch war ich immer und immer wieder tief beeindruckt zu erfahren, dass die Frauen, die in diesen Lagern leben und Kriegsverbrechen erlitten hatten, die ihre Ehemänner und Söhne verloren haben, die ihr Heim und ihr ganzes Leben aufgeben mussten, mir mit einer unglaublichen Großzügigkeit und Gastfreundschaft begegneten, mir immer einen Kaffee und Gebäck anboten. Ganz gleich, wie wenig sie besaßen, sie teilten es mit jedem Fremden. Ich war zutiefst beeindruckt, wie sehr sie als Mütter um das Wohlergehen ihrer Kinder besorgt sind, und wie sehr sie sie lieben.

Ich war beeindruckt davon, wie entschieden sie für ihre Überzeugungen eintraten, Demonstrationen organisierten, Zeugnis ablegten, einander halfen. Tatsächlich waren es die Zeugenaussagen dieser und anderer Frauen über die erlittenen Verbrechen während des Krieges, die viele von uns in meiner amerikanischen Aktivisten-Gruppe für Bosnien dazu anspornten, uns als einfache, berufstätige Menschen zu engagieren und für Bosnien einzusetzen. Wie hätten wir uns abwenden und unbeteiligt bleiben können - wenn die bosnischen Frauen, die selbst so viel erlitten haben, ihre Stimme so deutlich erheben?

Diese Frauen haben so unendlich vieles erreicht und geleistet. Zum ersten Mal in der Geschichte ist Vergewaltigung als ein Kriegsverbrechen verfolgt worden. Das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das Ehemalige Jugoslawien erhob erste Anklagen wegen Vergewaltigungen, die in Ostbosnien begangen worden waren. Und es hat Urteile gefällt. (Auch wenn mir scheint, dass einige dieser Urteile weniger hart waren, als es aufgrund der Schwere der begangenen Verbrechen hätte gerechtfertigt sein können.) Gegenwärtig wird Slobodan Milosevic, der grandiose Architekt von Großserbien, vom Tribunal angeklagt. Wir hoffen, dass noch weit mehr Verbrechern der Prozess gemacht wird. Diesen Frauen sind wir das schuldig.

Es muss noch viel mehr getan werden. Natürlich müssen Mittel gefunden werden, diese Frauen dabei zu unterstützen, eine Lebensperspektive zu entwickeln und nach vorne zu schauen. Als Psychologin weiß ich, dass oft gesagt wird, zur Überwindung eines Traumas stelle sich als erstes die Aufgabe, für Sicherheit zu sorgen. Häuser wieder aufzubauen, ist einfach. Zerstörtes Leben wieder zu heilen, dagegen wesentlich schwieriger. Besonders in Bosnien, wo es schwer ist, psychotherapeutische Hilfe zu bekommen. An dieser Stelle sind die psychologischen mit den politischen Aspekten eng verzahnt. Wie kann Sicherheit geschaffen werden, wenn die Verbrecher, die für die grausamen Taten verantwortlich sind, auf den Straßen angetroffen werden können und weiterhin Einfluss ausüben? Wenn immer wieder willkürlich feindselige übergriffe erfolgen? Wenn es nicht möglich ist, sich zu Hause sicher zu fühlen? Wenn eine Rückkehr in die eigene Heimatstadt undenkbar und gefährlich ist? Und wenn nicht begriffen und anerkannt wird, welche Verletzungen den Menschen zugerügt worden sind?

 

In diesem Bereich würden wir gern erleben, dass mehr Anklagen und Festnahmen erfolgen würden. Wir hoffen, dass die Anwesenheit von Mme Mitterrand hier und heute dazu beitragen wird, dass die französischen Truppen, die in Ostbosnien stationiert sind, einige Kriegsverbrecher festnehmen, bevor die Frist am 15. Juni abläuft. Die Europäische Union muss damit fortfahren, Druck auszuüben, damit es endlich zu einer serbischen Kooperation kommt. Wir müssen die finanzielle Unterstützung der ostbosnischen Region, die bis heute unter dem Einfluss der Karadzic-Anhänger steht, von der Durchrührung von Rücksiedlungsprogrammen abhängig machen. Damit meine ich keine Zwangsrücksiedelung, sondern, dass Menschen, die zurückkehren wollen, rigoros und demonstrativ unterstützt werden, und feindseligen Übergriffen auf Rückkehrer eine klare Abfuhr erteilt wird. Dies erfordert auch eine sorgfältige Überprüfung öffentlicher Personen und der Polizei bezüglich einer möglichen früheren Beteiligung an Kriegsverbrechen. Das bedeutet auch, dass mehr Serben und serbische Bosnier eingehen müssen, welchen Charakter die von ihnen begangenen Verbrechen haben.

Etliche Vertriebene werden nicht in der Lage sein, zurückzukehren - das ist nur zu verständlich, denn für einige wäre das Wiederaufleben der Traumata, das eine Rückkehr begleiten würde, schwer auszuhalten. Für diese Frauen, die Opfer schwerster Verbrechen geworden sind, müssen mehr Mittel zu Verfügung gestellt werden, damit sowohl materielle als auch psychologische Hilfe geleistet werden kann und nach Möglichkeit auch Entschädigungen gezahlt werden können.

Bevor ich zum Ende komme, möchte ich den jungen Menschen, die heute zugegen sind, noch einige Worte sagen. Was bedeutet das für Sie, was Sie hier hören? Es bedeutet, dass die Welt immer noch sehr viel schlechter ist als sie sein sollte, dass trotz all unseres Redens darüber, dass wir vom Holocaust lernen sollen, immer noch schreckliche Dinge geschehen. Ganz offensichtlich haben wir Erwachsenen unsere Sache nicht so gut gemacht, und es ist an Ihnen, das besser zu machen - und wir sind sicher, dass das gelingt. Wir kann Ihnen das gelingen? Eine große amerikanische Frau mit dem Namen Eleanor Roosevelt, die eine sehr wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes gespielt hat, hat darüber etwas gesagt. Sie sagte: "Universelle Menschenrechte beginnen ganz in der Nähe von zu Hause." Was bedeutet das?

Es bedeutet, dass Sie dann, wenn Ihnen Menschen begegnen, die sich von Ihnen unterscheiden - in Ihrer Klasse oder in Eurer Stadt - diese mit Freundlichkeit und Respekt behandeln und versucht sollten, ihre Situation zu verstehen und ihnen zu helfen.

Es bedeutet, dass dann, wenn Sie von etwas überzeugt sind, Sie dafür auch eintreten sollten, auch dann, wenn alle Ihre Freunde etwas anderes glauben- Und wenn etwas Schlimmes passiert, dass Sie dann klar sagen, dass Sie dagegen sind. Das bedeutet, dass Sie immer dann, wenn Sie sich freundlich und anständig gegenüber einem anderen Menschen verhalten, dazu beitragen, dass universelle Menschenrechten verwirklicht werden. Dafür zählen wir auch Euch, Ihr jungen Leute. Und wir sind überzeugt davon, dass Ihr das hervorragend hinbekommt.

Am Schluss möchte mich direkt an die bosnischen Frauen wenden. Wenn wir Sie heute mit dem Menschenrechtspreis auszeichnen, erkennen wir Ihren Mut, Ihre Stärke und Ihre Leistungen an. Es ist extrem schwierig, Zeugnis abzulegen, denn jedes neue Erzählen der Geschichte der Grausamkeiten bedeutet ein inneres Wiederaufleben des Erlittenen. Trotzdem haben Sie die Stärke bewiesen, die dafür nötig ist. Und dadurch schmieden sie an der Möglichkeit, dass am Ende die Gerechtigkeit obsiegt. Wir freuen uns darauf, dass Sie nach und nach Ihre Vitalität und Freude wiedergewinnen, die Teil Ihres letztendlichen Sieges über die Unterdrückung ist.

Wir erkennen auch unsere eigene Verantwortung, immer wieder deutlich über das, was Sie ertragen haben und noch immer ertragen, in aller Öffentlichkeit zu sprechen. Wie Rabbi Marschall Mayer, der eine entscheidende Rolle bei der Gründung unserer Gruppe gespielt hat, gesagt hat: "Wenn Menschen erniedrigt, gedemütigt und verfolgt werden, ist die Unantastbarkeit menschlichen Lebens überall bedroht. Wir müssen auf die Stimmen derer hören, die ihr Leid herausschreien. In einer demokratischen Gesellschaft sind nicht alle schuldig, aber alle tragen Verantwortung."

Ich zolle der Arbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker Beifall: Sie nimmt diese Verantwortung wahr, indem sie dafür sorgt, dass die Stimme der Vereinigung der weiblichen ehemaligen bosnischen Lagerhäftlinge gehört wird. Diese Ihre Stimme ist die Stimme der bosnischen Frauen, die Stimme aller Frauen, die aufgrund politischer Interessen und Zielsetzungen geopfert werden, die Stimme aller Menschen, die wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt wurden oder noch immer verfolgt werden. Ihre Anwesenheit und Ihr Wirken lässt uns stärker als zuvor erfahren, was Menschlichkeit bedeutet. Es ist mir eine Ehre und Freude und ich empfinde es als Privileg, hier bei Ihnen zu sein.