14.02.2007

"Lasst unsere Geschichte nicht im Wasser versinken!"

Hilferuf der Bewohner von Hasankeyf

Ein kulturelles Erbe der Menscheit droht unterzugehen: Hasankeyf

Hasankeyf ist eine der wichtigsten Städte in Mesopotamien: Eine Stadt, die mit ihrer über 12.000-jährigen Vergangenheit die Geschichte der Menschheit erzählt; eine Stadt, die mit ihrer einzigartigen Naturkulisse und ihren historischen Monumenten und archäologischen Schätzen ein wertvolles Kulturerbe darstellt; eine Stadt, die verschiedenen Kulturen ihre Türen öffnete.

Im September 2006 legte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan den Grundstein für den Bau des Ilisu-Staudammes, der bis 2013 fertig gestellt werden soll. Er wird Hasankeyf, mindestens 95 Dörfer und 105 Weiler im Wasser versinken lassen.

Im Auftrag der GfbV führte Herr Ahmet Ün in den letzten Wochen zahlreiche Interviews in Hasankeyf. Wie die folgenden Aussagen deutlich machen, haben viele Einwohner resigniert – andere hoffen auf internationale Hilfe, um die drohende Überflutung abzuwenden und ihre Stadt zu retten.

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Eine besonders wichtige Rolle kommt dabei den Regierungen von Deutschland, Österreich und der Schweiz zu. Denn das Konsortium, das den Ilisu-Staudamm bauen soll, setzt sich vor allem aus Firmen aus diesen Ländern zusammen. Die Unternehmen wiederum setzen darauf, dass ihre jeweilige Regierung ihnen Exportrisikogarantien gewährt.

Hasankeyf wird verlassen!

Vor wenigen Jahren lebten in Hasankeyf selbst noch ungefähr 5.000 Menschen. Mittlerweile wird die Einwohnerzahl auf nur mehr 3.800 geschätzt. Und immer mehr Bewohner entscheiden sich dafür, Hasankeyf zu verlassen. Viele versuchen, im nur 35 Kilometer entfernten, weiter westlich gelegenen Regionalzentrum Batman Fuß zu fassen. Sie wollen nicht länger mit der Ungewissheit leben, ob sie in ihrer Stadt bleiben können oder nicht. Denn über den Staudamm wird nun schon zermürbende 40 Jahre lang diskutiert, ohne dass konkret mit dem Bau begonnen wurde. Wenn der Damm nun wirklich kommt, werden Viehzucht und Ackerbau in der gesamten Region massiv betroffen sein. Es ist damit zu rechnen, dass mindestens 55.000 Menschen ihre angestammte Heimat verlassen werden müssen.

Nur mehr wenige haben noch Hoffnung

Die meisten Einwohner von Hasankeyf, die sich gegen den Staudamm wehren, haben mittlerweile den Eindruck gewonnen, dass das Großprojekt sich kaum noch aufhalten lässt. Einige wenige haben noch Hoffnung, dass der türkische Staat von seiner Absicht, Hasankeyf zu überfluten, doch noch Abstand nehmen könnte. Aber auch sie können ihren Pessimismus nicht verstecken.

Der Staat informiert die Einwohner nicht

Denn konkrete Aussagen über die Perspektiven der Region sind von der türkischen Regierung trotz mehrfacher öffentlicher Aufforderungen nicht zu erwarten. Auch über die Vor- und Nachteile des geplanten Ilisu-Staudammes werden die Einwohner von Hasankeyf und die Landbevölkerung in der Region nicht ausreichend informiert. Sie fühlen sich nicht nur seit vier Jahrzehnten allein gelassen, sondern auch so verunsichert, dass sie sich wirtschaftlich nur auf die Deckung des täglichen Lebensbedarfes konzentrieren und in der Region keine Investitionen tätigten.

Die Kleinhändler schließen schon ihre Geschäfte

Bis heute betonen die Bewohner von Hasankeyf einstimmig, dass sie kollektiv gegen den Bau des Staudammes sind. Sie erwarten von ihm keinerlei Nutzen und halten die drohende Zerstörung des historischen Erbes Hasankeyfs und die Zunahme der wirtschaftlichen Probleme für ihre vordringlichsten Probleme.

Hasankeyf und die regionale Wirtschaft profitieren in den Sommermonaten vom inländischen und ausländischen Tourismus. Doch sobald die geschichtsträchtigen Plätze in den Fluten des aufgestauten Tigris zu versinken beginnen, wird dieser Tourismus völlig zum Erliegen kommen, dessen sind sich die Einwohner von Hasankeyf sicher. Schon jetzt schließen immer mehr Kleinhändler ihre Läden bzw. bereiten sich auf die Schließung vor. Menschen, die seit Jahrzehnten als Kleinhändler arbeiten und ansonsten keine weitere Ausbildung haben, sehen ihre gesamte Existenz bedroht.

Monumente sollen umgesetzt werden

{bild2} Der Plan einer möglichen Umsetzung verschiedener Monumente aus Hasankeyf stößt bei der Bevölkerung nicht nur auf große Skepsis, sondern auf totale Ablehnung: Die türkische Regierung hat erklärt und betont immer wieder, für den Abbau, Transport und Wiederaufbau historisch bedeutsamer Bauwerke aus Hasankeyf 80 Millionen Euro bereitgestellt zu haben.

Aus historisch-archäologischer Sicht ist ein Abbau wertvoller historischer Monumente und ihr Wiedeeraufbau an anderer Stelle höchst fragwürdig, denn jedes Bauwerk steht mit seiner ursprünglichen Umgebung in unmittelbarem, wesentlichem Zusammenhang. Auch Wissenschaftler kamen nach jahrelangen Untersuchungen zum Schluss, dass ein Abtransport der Monumente aus Hasankeyf nicht realisierbar sei.

Der Nutzen des Staudamm-Projektes für die türkische Wirtschaft

Im September 2006 sprach Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei der Grundsteinlegung des Ilisu–Staudammes von einem erwarteten Gewinn von 300 Millionen Dollar jährlich. 80.000 Arbeitsplätze würden durch das Großprojekt geschaffen. Das Stauvolumen des Dammes, dessen Fertigstellung für 2013 geplant ist, werde das zweitgrößte des gesamten Landes sein. Die Gesamtkosten des Projektes liegen bei 1,2 Milliarden Euro. Die durchschnittliche Energieerzeugung soll im Jahr bei 3,8 Milliarden Kilowattstunden liegen. Durch den Dammbau und die anschließende Aufstauung des Tigris werden mindestens 95 Dörfer und 105 Weiler überflutet.

Der Großteil der Bevölkerung von Hasankeyf hat klar betont, gegen den Bau des Staudammes zu sein, hier seien beispielhaft einige Stimmen zitiert:

A. VAHAP KUSEN (Bürgermeister von Hasankeyf)

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"Mit dem Ilisu–Staudammprojekt wird die gesamte historische Landschaft von Hasankeyf im Wasser versinken. Wenn man die Vor- und Nachteile abwägen müsste, so ist hervorzuheben, dass der Ilisu-Staudamm ein hydroelektrischer Staudamm ist, d.h. sein Hauptzweck dient der Energieerzeugung. Für uns überwiegen die Nachteile; darunter scheint die Überflutung von Hasankeyf am gravierendsten zu sein.

Hasankeyf ist kein gewöhnlicher Ort, sondern hat eine über 10.000 Jahre alte Geschichte mit historisch und kulturell sehr großer Bedeutung. Da die Nachteile des Ilisu-Staudammes gegenüber den Vorteilen überwiegen, stehen wir der ganzen Sache ablehnend gegenüber. In diesem Zusammenhang widersetzen wir uns einem solchen Projekt voll und ganz.

Wir glauben auch nicht, dass dieser Staudamm der einheimischen Bevölkerung nutzen wird, lediglich die Wirtschaft des Landes wird davon profitieren.

In letzter Zeit litt Hasankeyf unter dem Problem der Abwanderung, so dass die Population der Provinz ständig schrumpft. Dieses Problem wird mit der Realisierung des Staudammes vollständig gelöst sein. Da die Diskussionen um den Bau des Staudammes jetzt bereits seit 40 Jahren anhalten, wissen wir nicht genau, was noch auf uns zukommt.

Die Idee eines Abtransportes wichtiger Bauwerke aus Hasankeyf hat für uns keinerlei Bedeutung, denn dieses Unterfangen wird nicht durchführbar sein. Seit 1986 werden in der Stadt diesbezüglich Grabungen unternommen. Doch sogar die beteiligten Wissenschaftler haben erklärt, dass Hasankeyf in keiner Weise an einen anderen Ort transportiert und neu aufgebaut werden kann. Dadurch würden lediglich die epochalen Bauwerke zerstört. Zudem umfasse die historisch einzigartige Landschaft eine viel zu breite Region. Wir bewerten solch einen Plan als Illusion.

Wir sind, vor allem aus kulturellen und geschichtlichen Vorstellungen heraus, immer gegen eine Überflutung von Hasankeyf gewesen. Diesen Widerstand werden wir nicht aufgeben und allerorts zum Ausdruck bringen."

MEHMET EMIN ATES (Kleinhändler)

"Ich bin hier schon seit 15 Jahren Kleinhändler. Wir sind gegen eine Überschwemmung unserer Heimat Hasankeyf, denn dies ist der Ort, wo wir geboren und aufgewachsen sind. Sobald der Startschuss für den Bau des Staudammes gegeben wird, sind wir gezwungen, unseren Geburtsort zu verlassen. Den Menschen so etwas zuzumuten ist sehr unangenehm, denn niemand verlässt seine Heimat freiwillig. Mein Laden und mein Haus werden in den Fluten versinken. Der Staudamm wird uns in keiner Weise dienen."{bild4}

HAMDULLAH MARANGOZ (Kleinhändler)

"Als Einwohner von Hasankeyf bin ich gegen den Bau des Staudammes. Nicht nur ich - die gesamte Bevölkerung von Hasankeyf ist dieser Meinung. Denn wir haben uns an unsere Landschaft dermaßen gewöhnt, dass ich meine, es ist eine der schönsten auf der ganzen Welt. Wir glauben auch nicht an ein Wegtransportieren der historischen Bauwerke. Obwohl uns versprochen wurde, dass Arbeitsplätze geschaffen würden, glaube ich nicht daran. Meinen Laden werde ich aufgeben. Wir wollen doch nur in unserer Stadt unsere Arbeit verrichten, deshalb sage ich: Finger weg von Hasankeyf!"

FERHAT CIMEN (Schüler)

"Die Einwohner von Hasankeyf sind gegenwärtig in einem bedauerlichen Zustand. Das letzte in Hasankeyf erbaute Bauwerk stammt von den Artukiden. Ich bin voll und ganz gegen den Bau des Staudammes, denn es wird versucht, eine solch bedeutende Geschichte auszulöschen. Wir müssen umgehend von der Regierung und den zuständigen Behörden über den Stand der Dinge informiert werden, denn uns werden jegliche Planungen und Vorhaben vorenthalten, was uns sehr bedrückt. Wir können nichts unternehmen und warten nur hilflos ab."

FATMA DENIZ (Hausfrau)

"Es werden zwar hinsichtlich der Situation in Hasankeyf permanent neue Vermutungen geäußert, aber niemand weiß etwas Genaues. Wir wissen überhaupt nicht, was der Staudamm eigentlich bringen soll. In einem sind wir uns jedoch sicher, dass sie unsere Geschichte vernichten werden. Dagegen werden wir uns so gut wir können wehren. Wir fordern, dass die Staudammpläne aufgegeben werden."

SELAHATTIN META (Landwirt)

"Ich lebe seit 60 Jahren in Hasankeyf und es wird bereits seit 40 Jahren behauptet, dass Hasankeyf überschwemmt wird. Das hören wir auch heute. Sollte hier wirklich ein Staudamm errichtet werden, wird er uns erheblichen Schaden zufügen. Auch mein Haus wird untergehen. Es fällt mir schwer, den Ort zu verlassen, an dem ich jahrelang gelebt habe. Ich möchte in meinem Geburts- und Heimatort weiterleben. Es macht uns traurig, dass für einen Staudamm unsere historisch einzigartige Landschaft im Wasser verschwinden wird. Wir sind entschieden gegen einen Bau des Staudammes." {bild5}

SELMAN AYHAN (Reiseführerin)

"Wir haben ständig gefordert, dass kein Staudamm errichtet werden soll. Mittlerweile glauben wir aber, dass er realisiert wird. Unser Haus wird überflutet. Der Staat wird uns dafür zwar entschädigen, gleichzeitig aber unsere Geschichte auslöschen."

ABDULRAHMAN KÜSEN (Cafébesitzer)

"Sie sagen, sie wollen die Bauwerke in Hasankeyf abtransportieren und neu errichten. Ich möchte gerne mal wissen, wie sie den Turm von Hasankeyf transportieren wollen. Dieses Unterfangen ist unmöglich. Es reicht nicht, lediglich ein oder zwei Denkmäler wegzubringen. Das wäre bedeutungslos. Wir sind gegen den Bau des Staudammes! Hasankeyf soll nicht untergehen."

HÜLYA KAYA (Hausfrau)

"Aufgrund der Überflutung von Hasankeyf werden wir gezwungen sein auszuwandern. Wir wollen nicht mitansehen, wie unsere Geschichte im Wasser versinkt. Unser Haus wird vom Bau des Dammes betroffen sein. Obwohl der Staat sagt, er werde uns ein neues Haus erbauen, möchten wir das nicht, denn wir möchten in Hasankeyf leben - und zwar ohne Staudamm!"

NUSRETTIN NARIN (Landwirt)

"Wir wollen die Errichtung des Staudammes nicht, aber die Regierung pocht auf den Bau. Da unsere Mittel, gegenüber der Regierung etwas zu unternehmen, nicht ausreichen, schauen wir der Entwicklung lediglich verzweifelt zu."

SERDAR SEKER (Schüler)

"Ich will, dass der Staudamm gebaut wird, denn in wirtschaftlicher Hinsicht haben wir hier keinerlei Möglichkeiten mehr, die sind sämtliche ausgeschöpft. Mein Haus wird im Wasser versinken. Ich werde mit dem Geld, das ich hier bekomme, in den Westen auswandern. Ob dieses Geld dafür ausreichen wird, weiß ich nicht."

Werden Sie aktiv!

Im Firmen-Konsortium, das den Bau des Ilisu-Staudammes plant, sind auch deutsche Unternehmen vertreten, die sich um eine finanzielle Absicherung des Großprojektes durch die deutsche Bundesregierung bemühen.

Bitte unterstützen Sie unseren Online-Appell an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Herrn Michael Glos.

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