15.05.2006

Kurdische Yezidi aus Georgien

Für eine Bleiberechtsregelung in Deutschland

Yezidi-Mädchen - Foto: GfbV-Archiv

Göttingen

EINLEITUNG

Anfang der 1990er Jahre flohen Tausende kurdischer Yeziden vor Verfolgung und Diskriminierung aus Georgien nach Deutschland. Die meisten von ihnen sind mittlerweile in andere Länder weitergewandert oder nach Georgien zurückgeschoben worden, weil die deutschen Behörden ihre Verfolgung nicht anerkennen. Die Mehrzahl der Familien, die noch in Deutschland sind, haben Duldungen, weil sie zu krank sind oder Papiere fehlen und sie deshalb nicht abgeschoben werden können. Die meisten von ihnen leben zehn Jahre und länger in der Bundesrepublik. Ihre Kinder haben deutsche Schulen besucht oder sind hier geboren, sie sind integriert in die Gemeinden, in denen sie leben. Wegen des Status‘ als Geduldete jedoch ist es ihnen unmöglich zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Die Eltern haben vielfach keine Arbeitserlaubnis. Die kurdischen Yeziden gehören zu jenen rund 250.000 Geduldeten in Deutschland, deren endgültige Eingliederung durch Einbürgerung Flüchtlingsorganisationen, Kirchen und einzelne Politiker seit langem fordern.

Asylanwälte und Flüchtlingshilfsorganisationen haben seit langem zahlreiche Belege geliefert dafür, dass die kurdischen Yeziden in Georgien als Gruppe und aufgrund ihrer Religion verfolgt werden. Kein einziger wurde jedoch von Bundesamt und Gerichten anerkannt.. Tatsächlich ist es sehr schwierig, Informationen über die Lage der kurdischen Yeziden in Georgien zu recherchieren. Die großen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch haben sich mit dieser Gruppe nicht beschäftigt. Die Länderberichte der USA und Großbritanniens handeln die kurdischen Yeziden mit wenigen nichtssagenden Sätzen ab. In Georgien selbst gibt es keine Menschenrechtsorganisation, die zuverlässig Informationen zur Verfügung stellt. Die Organisation FIDH (Fédération internationale des droits de l‘hommes) hat 2005 eine Recherchereise nach Georgien unternommen und die Ergebnisse ihrer Befragungen in dem Report "Ethnic minorities in Georgia" zusammengestellt, der jedoch weitgehend im Allgemeinen bleibt. Genauere Informationen stellen die yezidischen Flüchtlinge in der Regel selbst zur Verfügung. Diese werden jedoch von den deutschen Behörden als parteiisch und nicht ausreichend objektiv angesehen.

Mit diesem Memorandum soll der Versuch unternommen werden, die vorliegenden Informationen, ergänzt durch Presseberichte und Berichte von Einzelpersonen, insbesondere aus der Gruppe der Flüchtlingsbegleiter aus Herford und Bielefeld zusammenzufassen. Es soll deutlich werden, dass Yeziden in Georgien keine Zukunft haben, da sie dort in einem solchen Ausmaß stigmatisiert sind, dass sie von Polizei und Behörden nicht geschützt, sondern bedroht werden. Daher muß für diese kleine Flüchtlingsgruppe eine langfristige sichere Lösung gefunden werden muss, die ihr eine Perspektive bietet.

1. WER SIND DIE KURDISCHEN YEZIDEN?

In der wissenschaftlichen Fachliteratur wird seit einigen Jahren eine angeregte Debatte über die Wurzeln der yezidischen Religion geführt. Konsens herrscht darüber, dass in das Yezidentum Glaubenselemente, Riten und Gebräuche unterschiedlicher Religionen Eingang gefunden haben. Es wird als Mischung von alten heidnischen, iranisch-zoroastrischen und Elementen anderer Religionen wie der Jüdischen, Christlichen und Islamischen betrachtet. Wie stark die jeweiligen Einflüsse die Religion prägten, wird unterschiedlich bewertet. Wichtig ist, dass das Yezidentum heute allgemein als eigenständig und darüber hinaus als eine der ältesten Religionen in Kurdistan anerkannt wird. Ein umfassendes Bild der Glaubenslehre lässt sich kaum zeichnen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Yezidentum erheblich gewandelt. Schriftliche Quellen über die Religion sind rar, die regionalen Unterschiede in der Religionspraxis aufgrund der Streuung der Siedlungen der Yeziden beträchtlich. Heute wird von unterschiedlichen Seiten der Versuch unternommen, die Glaubensgrundsätze zu standardisieren und eine yezidische Glaubenslehre zu schaffen, die für alle Gläubigen Gültigkeit haben soll.

Einige Grundzüge des Yezidentums lassen sich aber dennoch herausarbeiten:

Es ist eine monotheistische Religion. Gott ist allmächtig und Schöpfer der Welt. Ihm untergeordnet sind die sieben Engel und die yezidischen Heiligen. Große Bedeutung hat der Engel Tawuse Melek. Die übrigen Engel sind ihm nachgeordnet. Die yezidische Religion ist gekennzeichnet von dem Glauben, an Gott und Tawuse Melek zu glauben, und sich an sozialen Normen zu orientieren, die für jeden Yeziden gelten. Seit dem 11. Jahrhundert gibt es innerhalb der Yeziden bestimmte Abgrenzungen oder Klassen, die der yezidische Reformator Sheikh Adi eingeführt hat. Jeder Yezide wird in eine dieser Klassen hineingeboren. Es sind dies die Laien - die kurdische Bezeichnung lautet "Murid" (das allgemeine Volk) - und die Geistlichen, die sich ihrerseits in zwei weitere Klassen gliedern - die der "Sheikh" und die der "Pir". Die Zugehörigkeit zu einer dieser Klassen wird vererbt. Jeder Sheikh- und Pir-Familie sind von Geburt Murids zugeordnet

Die Geistlichen betreuen die Laien und unterweisen sie in der religiösen Lehre. Darüber hinaus übernehmen sie wichtige soziale Funktionen. Im Gegensatz zum Kastenwesen im Hinduismus entsprechen die Klassen im Yezidentum keiner weltlichen Hierarchie, sondern sie legen hauptsächlich religiöse Funktionen fest. Der Kontakt zwischen den einzelnen Klassen ist nicht nur gewünscht, sondern Voraussetzung dafür, die Religion zu bewahren. Durch ihre Einführung wurde eine komplexe Gesellschaft geschaffen, die aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit zu einem besseren Zusammenhalt unter den Yeziden geführt hat. Durch die von Geburt festgelegte Zuordnung zu einer Klasse und einem Netzwerk gegenseitiger Betreuung hat Sheikh Adi ein religiöses System etabliert, das es den Yeziden ermöglichte, in der Unterdrückung auch ohne die sonst erforderliche öffentliche Organisation ihr religiöses Leben aufrecht zu erhalten.

Unabhängig von dieser Zugehörigkeit zu einer Klasse ist jeder Yezide an fünf Grundsätze gebunden:

1. Anerkennung des "Meisters" (hoste), gemeint ist Gott

2. Religiöse/seelsorgerische/soziale Betreuung durch einen Sheikh

3. Religiöse/seelsorgerische/soziale Betreuung durch einen Pir

4. Wahl eines Lehrers (Merebi)

5. Wahl eines Bruders bzw. einer Schwester für das Jenseits (Yar an Birayê Axretê)

Man muss als Yezide geboren werden, eine Konvertierung zu dieser Religion ist unmöglich. Dies schließt folglich jeden Missionierungsgedanken aus. Ein weiterer Grundzug der Religion ist die strenge Endogamie (das Gebot, nur innerhalb der eigenen Gruppe zu heiraten). Heiratet ein Yezide oder eine Yezidin außerhalb der yezidischen Gemeinschaft, wird er oder sie in der Regel ausgeschlossen.

Viele Yeziden verehren Erde, Wasser, Wind und Feuer. Die vier Elemente gelten als rein und wertvoll und sind laut der yezidischen Entstehungsgeschichte aus einer Perle entstanden. Das Leben endet für einen Yeziden nicht mit dem Tod, sondern es wird nach einer Seelenwanderung ein neuer Zustand erreicht. Diese Vorstellung entspricht weitgehend den herkömmlichen Überzeugungen der Wiedergeburt. Die Seele überwindet nach yezidischer Überzeugung mehrere Stufen: Ein Yezide, der ein vorbildliches Leben geführt hat, wird in einer höheren Stufe wiedergeboren.

Seit Jahrhunderten grenzt sich die yezidische Religion stark vom Islam ab. Die Yeziden werden von den Moslems nicht als "Schriftbesitzer" und damit nicht als Schutzbefohlene anerkannt. Vielmehr gelten sie als Abtrünnige vom "wahren Glauben", als Häretiker. Da dies religionsgeschichtlich-staatspolitisch einem Verbrechen gleichkommt, haben die Yeziden von den Muslimen immer wieder religiös motivierte Verfolgung zu erleiden. Sie sind im Rahmen der islamischen Religion und ihrer Welt keine anerkannte Minderheit.

Ihrem ethnischen Selbstverständnis nach sind Yeziden Kurden. Sie sprechen Kurmanci, einen der drei kurdischen Dialekte. Religiös jedoch grenzen sie sich von den muslimischen Kurden ab. Das Unterscheidungsmerkmal zu den muslimischen Kurden ist allein die durch Geburt vermittelte Religionszugehörigkeit. Nach außen ist die Gruppenzugehörigkeit dadurch wahrnehmbar, dass sich Yeziden nicht am religiösen Leben der Muslime beteiligen: Sie gehen nicht zum Freitagsgebet, feiern nicht die muslimischen Feiertage, halten sich nicht an die muslimischen Fastenzeiten, sondern an davon abweichende eigene und beteiligen sich nicht an den muslimischen und / oder politisch-religiösen Institutionen. Im Alltag unterscheidet sich ihre Lebensweise als deutlich von derjenigen der muslimischen Kurden.

Die Yeziden haben keine Berührungsängste mit anderen Religionsgemeinschaften. So ist z.B. ihr Verhältnis zu den Christen sehr gut. Dies hat auch mit der gemeinsamen Leidensgeschichte von Yeziden und Christen in den kurdischen Gebieten zu tun. Die Yeziden haben während der Zeit des Völkermords an den Armeniern (1914-1917) sehr viele Christen in ihren Häusern aufgenommen und damit Tausenden das Leben gerettet.

In einem Yezidischen Qewl (Gebet) heißt es:

Îsa Pexember, pêxemberekî ceye

Jesus ist ein guter Prophet

Ewî bab nebû, î bi dê ye

Er hatte keinen Vater, jedoch eine Mutter

Bê sik ew ji nûra xwedê ye.

Ohne Zweifel, er entstammt aus dem Licht Gottes

2. YEZIDEN IN GEORGIEN

2.1.DISKUSSION DER ZAHLEN

Wie viele Yeziden in Georgien leben ist nicht genau bekannt. Sicher ist, dass ihre Bevölkerungsgruppe den größten Verlust durch Auswanderung erlitt, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Georgiens, ca. 1 Million Menschen, emigrierte. Die meisten Menschen verließen Georgien zwischen 1993 und 1995. Viele von ihnen gehörten Minderheiten an. Sie emigrierten nach Russland, in die Ukraine, nach Armenien, Griechenland, Israel und Deutschland. In einer zweiten Emigrationswelle, die 1999 begann, verließen auch viele Georgier ihre Heimat. Nach offiziellen Angaben hat sich die Zahl der kurdischen Yeziden folgendermaßen entwickelt:

1926: 10027 Kurden und 2.262 Yeziden

1939: 12.915 Kurden

1959: 16.212 Kurden

1970: 20.690 Kurden

1979: 25.688 Kurden

1989: 33.331 Kurden

2002: 2.514 Kurden und 18.329 Yeziden

(Die Volkszählungen zwischen 1939 und 1989 beinhalteten keine Kategorie Yeziden, daher wurden unter der Kategorie "Kurden" alle yezidischen und nicht-yezidischen Kurden erfasst.)

Diese offiziellen Zahlen müssen jedoch massiv angezweifelt werden. Schätzungen der Menschenrechtsorganisation FIDH (FIDH, Fédération Internationale des Ligues des Droits de l’Homme, 2005) gehen davon aus, dass nur noch rund 6.000 Yeziden in Georgien verblieben sind. Schätzungen der GfbV, die mit den Aussagen der Flüchtlingsbegleiter in Herford, die in ständigem Kontakt mit den Flüchtlingen, auch denen, die schon nach Georgien abgeschoben wurden und weiteren noch in Georgien lebenden Yeziden, sind, gehen von 20.-30.000 Yeziden um 1990 und zur Zeit rund 1.000 bis 2.000 Menschen aus. Diese Gruppe soll sich fast ausschließlich aus alten Menschen zusammensetzen.

2.2.GESCHICHTE

Einige wenige Yeziden kamen schon im 18. Jahrhundert aus dem osmanischen Reich in den Transkaukasus. 1770 versuchte der Georgische König Irakli II die Yeziden in eine Koalition mit Armeniern und Assyrern gegen den türkischen Sultan einzubinden. Auch während des Russisch-Türkischen Krieges 1877-1878 kamen wieder Yeziden nach Armenien und Georgien. Ein Großteil der im 20. Jahrhundert in Armenien und Georgien lebenden Yeziden kamen jedoch um die Jahrhundertwende, aus dem Osmanischen Reich, wo sie verfolgt wurden, in den Kaukasus. Die Yeziden waren vorwiegend Landwirte und ließen sich in Armenien in den Dörfern nieder. In Georgien fanden sie jedoch Aufnahme in Tiflis und später in Telavi. Die Pirs (religiöse Lehrer) ließen sich mit den ihnen zugeordneten Muriden in Dörfern oder einzelnen Straßenzügen der größeren Städte nieder. Die kurdisch-yezidische Kultur in Georgien erlebte in den 1970er Jahren einen Aufwind. Es entstanden Musikgruppen und das damals weltweit einzige kurdische Theater. Im staatlichen Radio waren wöchentlich 15 Minuten den Kurden und ihrer Sprache gewidmet. In den russischen Schulen gab es fünf Klassen, in denen in Kurmanci, der yezidischen Muttersprache, unterrichtet wurde. Diese Regelung wurde 2002 abgeschafft. Unter Präsident Eduard Schewardnadse wurde das kurdische Theater geschlossen. In den Parlamenten, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gewählt wurden, gab es keine kurdisch-yezidischen Vertreter. Die Yeziden wurden in Georgien zunehmend marginalisiert und kriminalisiert. Viele der Dörfer, in denen früher überwiegend Yeziden gelebt haben, so zum Beispiel in der im Osten Georgiens gelegenen Kacheti Region, sind menschenleer. Die Yeziden, die noch in Georgien verblieben sind, leben heute größtenteils in Tiflis und dort als Angehörige der ärmsten und am stärksten diskriminierten Gruppe der georgischen Gesellschaft.

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2.3. FLUCHTGRÜNDE

Eine Kombination unterschiedlicher Faktoren hat dazu geführt, dass Yeziden zu Tausenden aus Georgien geflüchtet sind. Viele Yeziden, die in Deutschland Schutz suchten, haben massive staatliche Übergriffe durch Polizisten oder Beamte des georgischen Staates beklagt. Es wurden Mordvorwürfe erhoben. Sie haben schwere, noch in Deutschland diagnostizierbare Körperverletzungen erlitten. Weiterhin haben sie sich über Falschanschuldigungen beschwert. Sie werden von der georgischen Mehrheitsbevölkerung stigmatisiert. Ihnen wird mit Misstrauen und Hass begegnet. Auch in der Presse und öffentlichen Äußerungen von Politikern wird dieses negative Bild der Yeziden tradiert. 2003 verbreitete die georgische Presse sogar sehr undifferenzierte Anschuldigungen, in Georgien würden "neue Öcalans" (nach dem früheren Führer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan) heranwachsen. Sie sind weder in Parlament noch Regierung vertreten, so dass sie ihren Forderungen nicht Gehör verschaffen können und auf politische Entscheidungen auch nur sehr bedingt Einfluss haben. Zur Zeit der Sowjetunion wurden Garantiemandate an die Yeziden vergeben, solche Mandate sieht die neue Verfassung nicht mehr vor, so dass Yeziden aufgrund ihres geringen Bevölkerungsanteils kaum eine Chance haben, eigene Kandidaten bei Wahlen durchzubringen. Dies beklagte 2001 auch das UN Komitee für die Abschaffung von rassischer Diskriminierung in einem Bericht über Georgien. Auch die Tatsache, dass kein Yezide einen höheren Posten in der Polizei oder dem Militär innehat, wirkt sich negativ auf die Yeziden aus, die sich dadurch schutzlos fühlen. Auch auf der Ebene der Behörden gibt es Missstände zu beklagen. So haben die Yeziden zum Beispiel große Probleme, eine angemessene medizinische Versorgung zu erhalten oder auch Renten, die ihnen zustehen, ausgezahlt zu bekommen. Im Vergleich zu den anderen Minderheiten in Georgien, wie den Armeniern, Azerbajdschanis, Russen und Griechen, steht bei den Yeziden kein anderer Staat bereit, um sie als Schutzmacht gegen die Behandlung durch Georgien zu verteidigen. Untereinander sind die georgischen Yeziden zerstritten, d.h. sie sprechen nicht mit einer Stimme, sondern verfolgen unterschiedliche Ziele. Strittig ist schon die Selbstbezeichnung: Einige bezeichnen sich nur als Kurden, andere nur als Yeziden, wieder andere als kurdische Yeziden. Diese Streitigkeiten drücken sich in einem Brief an den armenischen Botschafter aus, in dem der Begriff "Nation der Yeziden", der in armenischen Schulbüchern verwendet wird, kritisiert wurde. Die Atmosphäre, in der man sich im Gespräch mit georgischen Yeziden typischerweise wieder findet, ist geprägt von Angst und Misstrauen. Dies allein verdeutlicht die mangelnde Verankerung der Yeziden in die georgische Gesellschaft heute und ihre Befürchtung, das, was, sie über sich und ihre Probleme sagen, könnte gegen sie eingesetzt werden.

 

2.3.1. BENACHTEILIGUNG IM BERUFSLEBEN

Den Yeziden ist der Zugang zu den höheren Einkommensklassen und zu Arbeitsstellen mit hohem Sozialprestige verwehrt. Als Straßenkehrer, Tagelöhner oder Lastenträger bewegen sie sich am untersten Rand der Gesellschaft. Dies betrifft insbesondere diejenigen Yeziden, die in den Städten, größtenteils in Tiflis leben. Auf dem Land sind sie Bauern oder Hilfskräfte bei anderen Landwirten. Eine breite yezidische Intelligenz konnte sich nicht herausbilden und das Bildungsniveau der Gruppe blieb niedrig.

2.3.2. BENACHTEILIGUNG IM BILDUNGSSEKTOR

Yeziden wird der Zugang zu höherer Bildung verwehrt. Nur gegen Zahlung astronomischer Bestechungsgeldern könnten sie einen Studienplatz ergattern. Nach Aussagen von Flüchtlingen wurden ihre Kinder in der Schule vielfach wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden gehänselt. Die negativen Zuschreibungen machen es nahezu unmöglich für Yeziden durch Bildung die untersten Gesellschaftsschichten hinter sich zu lassen.

 

2.3.3. ÜBERGRIFFE UND ERPRESSUNGEN DURCH DIE POLIZEI

Berichte von Flüchtlingen bestätigen, dass Aussagen wie unter Punkt 3.5 keine Einzelfälle sind, sondern Yeziden regelmäßig von Polizisten erpresst, bedroht und verfolgt werden. Dabei geht es zumeist um das Zahlen von Bestechungsgeldern, deren Höhe sich nach dem Einkommen der betroffenen Familie richtet und diese in große finanzielle Nöte stürzt. Immer wieder berichten Flüchtlinge darüber, dass sie aufgefordert wurden Georgien zu verlassen. Es liegen auch etliche Berichte über Körperverletzungen, Beschimpfungen und Misshandlungen durch Angehörige der georgischen Polizei vor.

 

2.3.4. ÜBERGRIFFE DURCH PRIVATPERSONEN

Im Oktober 2003 wurde Scheich Nasirow Reso Kasimowitsch in Tiflis ermordet. Unbekannte griffen ihn mit einem Hammer an und verletzten ihn schwer. Danach bekam er keine medizinische Hilfe, sondern wurde in das Untersuchungsgefängnis gebracht. Die Beamten dort lehnten seine Aufnahme ab, da er so schwer verletzt war. Sie legten ihn in die Quarantänezelle, ohne medizinische Hilfe zu leisten. Am nächsten Morgen wurde er in das Gefängniskrankenhaus überführt, wo er nach fünf Tagen seinen Verletzungen erlag. (Pressemitteilung der "Union der Eziden in Georgien", Nr 3, 6.10.2003)

Dieser Fall kann nicht als tragischer Einzelfall betrachtet werden, weil yezidische Flüchtlinge immer wieder von ähnlichen Verbrechen an ihren Familienangehörigen und anderen Yeziden berichten. Ihr Aussagen belegen auch Übergriffe, Beschimpfungen und Diskriminierung durch georgische Mitbürger, die nach Kenntnis der GfbV straffrei bleiben. Viele der Migranten berichten, dass sie bei der Polizei noch stärkerer Bedrohung ausgesetzt seien. Schutz vor Übergriffen gewährt der georgische Staat offensichtlich nicht. Aus Angst vor der Polizei verzichten die Betroffenen zumeist darauf Anzeige zu erstatten.

 

2.3.5. EINSCHNITTE IN DIE RELIGIONSFREIHEIT

Seit vielen Jahren fordern die georgischen Yeziden den Bau eines yezidischen Gebetshauses. Die georgischen Behörden haben solch einen Bau immer wieder verboten. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Rahmenabkommen über Minderheitenrechte, das Georgien als Mitgliedsstaat des Europarates ratifiziert hat. Die orthodoxe Kirche hat eine sehr starke Position in Georgien und nimmt auf das politische Geschehen großen Einfluss. Die Politik der Kirche zielt auf religiöse Intoleranz ab, die nicht nur die Yeziden, sondern in besonderem Maße auch die Zeugen Jehovahs in Georgien trifft, dies bestätigen immer wieder die Berichte über den Zustand der Religionsfreiheit weltweit, die das US-Außenministerium veröffentlicht. (s. die Berichte aus den letzten Jahren).

 

3. YEZIDEN IN DEUTSCHLAND

In Deutschland leben in den Bundesländern Nordrheinwestfahlen und Niedersachsen größere Gruppen von kurdischen Yeziden aus Georgien. Viele von ihnen kamen Anfang bis Mitte der 1990er Jahre. Ihre Asylanträge wurden in der Regel abgelehnt, einigen gelang die Weiterwanderung in andere Länder wie Frankreich, andere wurden nach Georgien abgeschoben. Von ehemals 360 Familien in Nordrheinwestfalen sind im März 2006 beispielsweise nur noch rund 40 Familien (rund 200 Personen) verblieben. Auch größere Gruppen von Yeziden aus der Türkei und Syrien wurden in Deutschland aufgenommen. Der frühere nordrheinwestfälische Innenminister Herbert Schnoor hatte sich auf einer Türkeireise davon überzeugt, dass die Yeziden dort sowohl von der türkischen Armee als auch von den kurdischen Dorfschützern (Kurden, die mit der türkischen Armee zusammenarbeiteten) und Angehörigen einzelner kurdischer Stämme aus ihren Dörfern vertrieben worden waren. Im Februar 2006 gaben die deutschen Behörden jedoch bekannt, dass die kurdischen Yeziden angesichts der sich angeblich verbessernden Situation in der Türkei zu Widerrufsverfahren aufgefordert seien. Hiergegen regte sich von Seiten der Yeziden und der Kirchen Widerstand. Die Bundesregierung oder Landesregierungen haben im Falle der georgischen Yeziden –sozusagen in der Tradition von Herbert Schnoor - nie eine unabhängige Recherchereise organisiert, so dass bis heute aufgrund von unzureichenden Informationen entschieden wird.

 

3.1. ZAHLEN

Insgesamt sollen unterschiedlichen Schätzungen zufolge rund 30.000 Yeziden aus ihren verschiedenen Herkunftsländern in Deutschland leben.

 

3.2. RECHTLICHE LAGE

Der GfbV sind nur einzelne Fälle bekannt, in denen die georgischen Yeziden die Anerkennung ihres Asylbegehrens erhalten hätten. Mehr als die Hälfte der früher in Nordrheinwestfalen lebenden Yezidi wurde schon zwangsweise abgeschoben oder sie flohen in andere EU-Staaten. Von etlichen zwangsweise Zurückgeführten fehlt bis heute jede Spur, andere haben per Telefon oder Fax von Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die meisten Yeziden, die noch in Nordrheinwestfalen sind, haben so genannte "Kettenduldungen". Das bedeutet, dass sie teils seit 15 Jahren ihre Duldungen alle zwei Wochen oder auch in längeren Abständen verlängern lassen müssen. Andere sind staatenlos, wobei die Ausbürgerung teils auf eigenen Wunsch geschehen ist. Laut Art. 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 spielt dies jedoch keine Rolle. Weder dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen, noch innerstaatlichen deutschen Rechtsvorschriften lässt sich unmittelbar ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel entnehmen. Eine Aufenthaltsbefugnis kann jedoch gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz erteilt werden.

Die Ausländerbehörden verhalten sich diesen Staatenlosen gegenüber nicht kooperativ. Der GfbV ist kein Fall bekannt, in dem ein Staatenloser bzw. seine Familie einen Aufenthaltstitel bekommen hätte Im Gegenteil verhindern die Behörden vielfach, dass die Menschen eine Arbeit aufnehmen und die Jugendlichen eine Ausbildung machen können. In einem Fall einer Scheichfamilie in Ostwestfahlen hatte die Behörde die Staatenlosigkeit zwar bei den Eltern akzeptiert, setzt die asylmündig gewordenen Kinder (ab 16 Jahren) nun jedoch unter Druck, ihre Staatenlosigkeit nachzuweisen bzw. nach Georgien auszureisen, obwohl die georgische Botschaft die Staatenlosigkeit der gesamten Familie schon dokumentiert hatte. Das Leben solcher Familien ist von ständiger Unsicherheit und Angst geprägt.

In vielen Gerichtsverfahren wurde die Glaubhaftigkeit der Vorwürfe, die die Yeziden gegen die georgischen Behörden erhoben haben, anerkannt. Dies hat jedoch nicht zu einer Asylanerkennung geführt. In allen bekannten Fällen wurden diese Vorwürfe nämlich als so genannte Amtswalterexzesse eingestuft. Die Gerichte argumentieren, diese Übergriffe seien nicht dem georgischen Staat zurechenbar, obwohl parallel in unterschiedlichen Fällen viele ähnliche Vorwürfe erhoben wurden und nie klar wurde, was der georgische Staat unternommen hat, um das Verhalten seiner Beamten, insbesondere der Polizisten zu verändern. Nach der Rechtssprechung unserer Nachbarstaaten, insbesondere Frankreich und England, werden die genannten Übergriffe dem georgischen Staat zugerechnet.

Durch das neue Aufenthaltsgesetz haben sich die Bestimmungen zum Schutzbegriff des Staates verändert. Der oben erwähnte so genannte Amtswalterexzess ist unter dem neuen Gesetz nicht mehr denkbar. Da § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz nun einen deutlich weiteren Schutzbereich hat, ist es denkbar, dass auch die deutsche Rechtssprechung heute einer großen Zahl von Yeziden Schutz gewähren muss. In den Asylfolgeverfahren der Yezidi haben die Anwälte häufig argumentiert, dass die Betroffenen aufgrund ihrer schlechten gesundheitlichen oder humanitären Situation nicht ins Heimatland abgeschoben werden dürfen. In nur einigen wenigen Fällen hat die Rechtssprechung daher auch Abschiebeschutz gemäß § 60 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes gewährt. In der Mehrzahl der Fälle jedoch, wurde darauf hingewiesen, die Menschen sollten sich in Georgien behandeln lassen. Dies ist aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung in Georgien jedoch nicht möglich (s. 3.5.). Die neue Regelung des § 25 Absatz IV des Aufenthaltsgesetztes bietet nun eine Handhabe, den betroffenen Yeziden aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

 

3.3. SOZIALE UND GESUNDHEITLICHE SITUATION

Auffällig viele kurdische Yeziden aus Georgien, die in Deutschland leben, sind seit ihrer Flucht erkrankt. Sie leiden unter psychischen Erkrankungen wie dem posttraumatischen Belastungssyndrom oder schweren Depressionen aber auch unter körperlichen Krankheiten wie Diabetes, erhöhtem Blutdruck etc. Besonders Besorgnis erregend sind Fälle von Selbstmord bzw. versuchtem Selbstmord. So hat sich am 16. Januar 2003 ein yezidischer Familienvater in Ostwestfahlen nach einer Abschiebeandrohung das Leben genommen. Auch schwerkranke Yeziden werden von den zuständigen Ausländerbehörden massiv unter Druck gesetzt. Davon berichten insbesondere die Flüchtlingsbegleiter in Herford. Der GfbV liegen Berichte vor, denen zu Folge Flüchtlinge während Anhörungen bei der zentralen Ausländerstelle Bielefeld zusammenbrachen, ein junger Diabetiker musste z.B. nach einer Abschiebeandrohung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Eine psychisch kranke Frau beging einen Suizidversuch, nachdem ihr Sohn, der seit 11 Jahren in Deutschland lebte, nur deutsch sprach und keine Verwandten mehr in Georgien hatte, im März 2006 abgeschoben wurde. Sie musste zunächst auf der Intensivstation, dann stationär im Krankenhaus versorgt werden. Der Abgeschobene ist ihr einziger Sohn und gleichzeitig der einzige Enkel eines bekannten yezidischen Scheichs. Auch der Scheich und seine Ehefrau, die Großeltern des Abgeschobenen, sind krank.. Gründe für diesen schlechten Gesundheitszustand der Gruppe müssen sicherlich im Zusammenhang der erlittenen Verfolgungserfahrung in Georgien aber auch in ihrer über Jahre hinweg unsichereren und bedrohlichen Situation in Deutschland gesucht werden. Die Flüchtlinge berichten, dass sie nur mit Angst ihren Briefkasten öffnen, weil sie fürchten ein Brief von der Behörde könnte weitere Unannehmlichkeiten zur Folge haben. Sie haben Angst selbst Behörden aufzusuchen, weil sie dort manchmal beschimpft und schlecht behandelt werden. Eine Therapie kann in vielen Fällen nicht durchgeführt werden, weil die Therapeuten das Risiko nicht eingehen können, dass ihr Patient in der Mitte der Behandlung abgeschoben wird. Anstatt diesen Familien die Möglichkeit zu geben, sich und ihren Kindern in Ruhe eine Lebensperspektive aufzubauen, befinden sie sich in einer anhaltenden und krankmachenden Stresssituation.

 

3.4. ARGUMENTATION DER DEUTSCHEN BEHÖRDEN IM VERGLEICH ZUR ARGUMENTATION IN FRANKREICH UND GROßBRITANNIEN

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF) erkennt keine Gruppenverfolgung für die Yeziden aus Georgien an. Auch die deutschen Gerichte, sowie in einem Fall der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg argumentieren, dass die von Asylsuchenden beschriebenen Menschenrechtsverletzungen nicht spezifisch die Gruppe der Yeziden, sondern alle Bürger Georgiens betreffen. Sie seien kennzeichnend für einen Staat im Umbruch bzw. im Konsolidierungsprozess. Von unabhängiger Seite überprüft wurde diese Annahme nicht.

Viele Yeziden, die zuerst in Deutschland um Asyl nachgesucht hatten und hier dann abgelehnt wurden, flohen weiter nach Frankreich, wo sie anerkannt wurden. Hier werden die Aussagen der Flüchtlinge nicht in Frage gestellt. In einem der GfbV vorliegendem Protokoll heißt es beispielsweise:

"1995 wurde sein Sohn (Sohn des Asylantragsstellers K.H:, Anmerkung d. Red.) zwei Mal entführt. Die Familie wurde erpresst. Der Vater musste nach und nach Summen von 5.000 und 7.000 Dollar zahlen, um die Freilassung des Sohnes zu erreichen, ohne dass die Behörden, die sich für machtlos erklärten, ihm in irgendeiner Weise geholfen hätten. Er war weiterhin Opfer unaufhörlicher Schikanen, damit er Georgien verließe. 1996 wurden seine Frau und sein Sohn Opfer eines Angriffs auf seine Wohnung durch Extremisten, die die Zahlung von 2.000 Dollar gefordert und seinen Sohn und seine Frau mit gezogener Waffe schwer verletzt haben. 1999 wurde er selbst von Nationalisten angegriffen und verletzt und musste danach ein hohes Bestechungsgeld zahlen, um in einem staatlichen Krankenhaus behandelt zu werden. (….) … müssen die Handlungen , denen Herr … zum Opfer fiel, so gesehen werden, dass sie von den staatlichen georgischen Behörden bewusst toleriert werden, daraus folgt, dass er mit Recht fürchten kann, im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland im Sinne der vorerwähnten Bestimmungen der Genfer Konvention verfolgt zu werden."

Auch in Großbritannien, wo nur wenige Yeziden leben, wurden die Flüchtlinge anerkannt. Auch hier schenkten die Behörden den Aussagen der Flüchtlinge Glauben. In einem Urteil heißt es zum Beispiel: "Ich akzeptiere daher die Aussage, dass sie (die yezidische Flüchtlingsfrau) am 21.12.1999 Georgien wegen religiöser Verfolgung verlassen hat. Sie musste fliehen, um für sich und ihre Tochter internationalen Schutz zu suchen. (…) Daher akzeptiere ich, dass die Klägerin eine glaubhafte Angst vor religiöser Verfolgung hat, sollte man sie nach Georgien zurück schicken." Weiter wird eine Parallele zwischen der durch staatliche und nicht-staatliche Organisationen belegten religiösen Verfolgung und der nicht belegten Verfolgung der Yeziden gezogen. Da wo Zeugen Jehovahs und Christen anderer Konfession verfolgt werden, kann auch von einer Verfolgung einer religiösen Minderheit wie der Yeziden ausgegangen werden, argumentiert der englische Richter.

Die deutsche Rechtssprechung argumentiert, dass glaubhaft gemachte Menschenrechtsverletzungen nicht dem georgischen Staat zuzurechnen seien. Daher könnten die Yeziden nach Georgien zurückkehren. Die medizinische Versorgung sei in angemessenem Maße gewährleistet (s. 3.5.) und die Abgeschobenen könnten sich dort behandeln lassen.

3.5. SCHICKSALE DER NACH GEORGIEN ZURÜCKGESCHICKTEN YEZIDEN (EINZELFÄLLE) UND MEDIZINISCHE VERSORGUNG IN GEORGIEN

Informationen über das Schicksal von Yeziden zu bekommen, die aus Deutschland nach Georgien abgeschoben wurden, ist sehr schwierig. Ein Grund dafür ist die Angst der Abgeschobenen, dass ihnen ein weiterer Kontakt nach Deutschland schaden könnte. Was sich dennoch auch Berichten und Telefonaten ergibt, ist ein Bild der Bedrängnis und der Korruption. Kaum im Flughafen von Tiflis angekommen, werden die Abgeschobenen erpresst und bedroht. Diese Erpressungen setzten sich fort, sobald sie irgendwo untergekommen sind. Täter sind offensichtlich sowohl kriminelle Banden als auch Angehörige der Polizei. Unterstützung durch Hilfsorganisationen gibt es für die Ankömmlinge nach der GfbV vorliegenden Berichten nicht. Eine Frau berichtet telefonisch nach ihrer Rückkehr nach Georgien, in einer U-Bahn-Station in Tiflis überfallen und krankenhausreif geschlagen worden zu sein. Auch ihre Tochter sei bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden. In einem anderen Fall wohnte eine Yezidin mit ihrem Sohn zwischen 1997 und 2001 in Deutschland. Um eine Abschiebung zu vermeiden, reiste sie "freiwillig" aus. Die Polizisten, die sie im Flughafen Tiflis in Empfang nahmen, verhörten sie fünf bis sechs Stunden lang und warfen ihr vor, in Deutschland schlecht über Georgien gesprochen zu haben. Die Polizisten fragten sie nach Geld und forderten sie auf, ihnen welches zu geben. Sie durchsuchten sie und nahmen ihr alles Geld ab. Als sie zu ihrer alten Wohnung kam, war diese von Georgiern bewohnt, die sie beschimpften und fortjagten. Eine Schulfreundin hat sie und ihren Sohn dann für ein Jahr aufgenommen. Die Freundin ist Armenierin und hatte Arbeit. Drei Tage, nachdem die Frau in Tiflis angekommen war, sind drei Männer zu dieser Wohnung gekommen und haben nach ihr gesucht. Die Männer waren bewaffnet und haben 3.000 Dollar von ihr gefordert. Als sie sagte, sie habe kein Geld, wurde sie gegen die Wand gestoßen, ihre Sachen wurden durchsucht, dann packten die Männer ihren Sohn und bedrohten auch diesen. Da sie durch die Misshandlung blaue Flecken hatte und sich bedroht fühlte, wandte sie sich an die Polizei. Dort sagte man ihr, es könne ja auch sein, dass ihr Mann sie geschlagen habe. Sie solle lieber still halten, sonst würde ihre Lage sich womöglich noch verschlechtern. Die bewaffneten Männer seien danach noch zweimal in die Wohnung ihrer Freundin eingedrungen und hätten immer Geld verlangt. Sie sagte: "Sie können mich töten aber ich habe kein Geld!" Die Bewaffneten antworteten: "Dich zu töten ist kein Problem, aber wir wollen Geld!" Seither lebte die betroffene Flüchtlingsfrau in Angst, sie bekam einen hohen Blutdruck, der kleine Sohn, der immer dabei war, stottert seit dieser Zeit. Die Yezidin setzte alles daran, Georgien wieder zu verlassen und floh mit gefälschten Papieren zurück nach Deutschland, wo ihr Asylantrag abermals abgelehnt wurde.

Viele Yeziden leiden unter Krankheiten (s. 3.3.). Sie werden mit dem Argument, sie könnten sich in Georgien behandeln lassen, trotzdem abgeschoben bzw. ihr Asylbegehren wird abgelehnt. Deutsche Mediziner und Flüchtlingsbegleiter haben sich daher um unabhängige Informationen über den Zustand des georgischen Gesundheitssystems bemüht. Alle Antworten, die nun aus Georgien vorliegen, haben eine Aussage gemeinsam: Nur wer genügend Geld hat, kann sich behandeln lassen. Es gibt keine kostenlose allgemeine ausreichende Gesundheitsversorgung in Georgien. Dies bestätigt insbesondere die Korrespondenz mit der "Georgischen Medizinischen Gesellschaft" (Georgian Medical Association). Aus den Informationen dieser Gesellschaft geht beispielsweise hervor, dass die Universitätsklinik in Tiflis, genannt "N. Kipshidze Central Clinical Hospital of Tbilisi State Medical University" nicht über eine psychiatrische Abteilung verfügt. Dort gibt es eine psychologische Beraterin, die jedoch nicht dauerhaft psychisch kranke Patienten therapiert, sondern lediglich Beratungen anbietet. Auf eine konkrete Familie angesprochen, der die Abschiebung nach Tiflis bevorstand, sagte der Arzt der medizinischen Gesellschaft aus, er sei vollkommen sicher, dass der georgische Staat nicht in der Lage sei, diese Familie angemessen zu unterstützen und dem chronisch kranken Vater eine notwendige Behandlung zu garantieren. Auf konkrete Medikamente angesprochen, die für eine psychiatrische Behandlung nötig wären, erklärt der Arzt, vielfach stünden diese Medikamente nicht kostenlos zur Verfügung und müssten von den Patienten selbst erworben werden. Zusätzlich führt er aus, dass die Situation in Heimen für psychisch Kranke katastrophal sei. Die Ernährung sei ungenügend, die sanitären und hygienischen Zustände seien schlecht, es gäbe Probleme mit der Elektrizität und der Heizung. Spezielle Programme zur Behandlung psychisch kranker Kinder gäbe es nicht. Auch die Behandlung von Hepatitis sei sehr teuer und müsse von den Patienten vielfach selbst getragen werden. Der Mediziner zeichnet also ein sehr kritisches Bild des georgischen Gesundheitssystems, welches verdeutlicht, dass psychisch Kranken eine Rückkehr nach Georgien nicht zugemutet werden kann.

 

4. FORDERUNGEN

- An die Innenminister: Für die yezidischen Flüchtlinge aus Georgien muss, wie auch für die anderen rund 200.000 "Geduldeten" eine Bleiberechtsregelung gefunden werden.

- Die neue Regelung des § 25 Absatz IV des Aufenthaltsgesetzes bietet eine Möglichkeit, den Yeziden aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Innenminister sind aufgefordert, eine entsprechende Weisung zu erteilen.

- Die Ausländerbehörden sind aufgefordert, für die staatenlosen Flüchtlinge eine befriedigende aufenthaltsrechtliche Regelung zu finden.