15.06.2009

Kritische Menschenrechtslage in chinesischer Partnerstadt wird ignoriert

Stuttgart intensiviert Beziehungen mit Nanjing


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bedauert, dass in der neuen Partnerschaftsvereinbarung zwischen Stuttgart und Nanjing Menschenrechtsfragen ausgeblendet werden. "Denn Nanjing ist nicht nur eine Wirtschaftsmetropole, sondern eine chinesische Großstadt, in der systematisch grundlegende Bürgerrechte verletzt werden", erklärte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius am Montag in Göttingen. "So werden Regierungskritiker ruhig gestellt und Glaubensfreiheit unterdrückt.Daher wäre es nur konsequent, sich im Rahmen der Partnerschaft auch um mehr Verständnis für Menschen- und Bürgerrechte einzusetzen." Nur zehn Tage nach dem 20. Jahrestag der blutigen Niederschlagung des Massakers auf dem Himmlischen Frieden sei es ein falsches Zeichen, das Schicksal inhaftierter Reginekritiker aus dem Jahr 1989 zu missachten.

 

Besonders alarmierend sei der Fall des Dichters und Roman-Autors Yang

Tongyan, der eine zwölfjährige Haftstrafe in Nanjing verbüße. Der Regimekritiker wurde am 23. Dezember 2005 festgenommen. Sein Verbrechen: In seinen Schriften setzt er sich friedlich für Demokratie in China ein. Elf der vergangenen 17 Jahre hat der 48 Jahre alte Essay ist schon im Gefängnis verbracht. Denn in den 90er-Jahren musste er bereits eine zehnjährige Haftstrafe verbüßen, weil er die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 verurteilt hatte. Tongyan gilt mit seinem unermüdlichen Engagement für Demokratie als einer der bekanntesten Vertreter der Demokratiebewegung Chinas. Im April 2008 wurde ihm vom Schriftstellerverband P.E.N. in den USA in Abwesenheit die höchste Auszeichnung verliehen.

 

Der Journalist Sun Lin wurde in Nanjing im Juli 2008 zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Auch er ist landesweit bekannt, da er in Berichten, Fotos und Filmen seit Jahren den Machtmissbrauch der Behörden dokumentiert. Seine kritische Berichterstattung über die Verweigerung der Pressefreiheit im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking sowie über die Vertreibung von Bürgern aus ihren Wohnungen verärgerten die Behörden.

 

Besonders massiv verfolgt werden auch Anhänger der Meditationsbewegung Falun Gong. So ist der Verbleib des vor fast einem Jahr festgenommenen 50 Jahre alten Mechanikers Li Xianghai bis heute ungeklärt. Nach seiner Verhaftung am 20. Juni 2008, bei der auch sein Computer und zahlreiche Dokumente von der Polizei beschlagnahmt wurden, fehlt jede Spur von dem Festgenommenen. Zahlreiche Falun-Gong-Häftlinge berichteten nach ihrer Freilassung von massiver Folter und systematischem, tagelangen Schlafentzug in den Gefängnissen von Nanjing. Weniger als 40 Tage nach seiner Verhaftung starb im April 2006 der Falun-Gong-Praktizierende Wang Jianguo an den Folgen der in der Haft erlittenen Folter.

 

Besonders massiv gefoltert wird in dem neuen Frauengefängnis von Nanjing, berichten ehemalige Gefangene. Doch in den staatlich kontrollierten Medien wird die Haftanstalt als vorbildlich dargestellt.

 

Ulrich Delius ist auch erreichbar unter u.delius@gfbv.de