21.06.2005

KOSOVO: Roma und Aschkali ohne Zukunft?

Ergebnisse einer Recherche vom 1. Januar bis 31. Oktober 2004

Ich kann den Nutzen unserer GfbV-Mission im Kosovo gar nicht hoch genug einschätzen. Ich glaube, dass wir die einzige Organisation sind, die ständig, jeden Tag, über die wahre Situation der Minderheiten berichtet. Manchmal sind wir in der Lage, Hilfe für diese Notleidenden zu finden. Wir sind aber auch diejenigen, die über sie und ihre persönlichen Schicksale berichten. Wie oft habe ich nur Menschen im Kosovo reden hören, die kein Dach überm Kopf haben: ´Suchen Sie für uns keine Lebensmittel. Wir brauchen Bewegungsfreiheit. Wenn wir uns frei bewegen können, können wir auch für uns selber sorgen!´

Paul Polansky in seiner Rede an die Teilnehmer der Jahreshauptversammlung der Gesellschaft für bedrohte Völker im Juni 2004 in Hann. Münden

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1. Sicherheitslage

2. Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Produkten

3. Medizinische Versorgung

4. Arbeitsmarktlage

5. Schulsituation

6. Wiederaufbau

7. Rückkehr

ANHANG

Lage der Aschkali in Ferizaj

Lage der Roma und Kroaten in Janjevo

Fazit und Zusammenfassung

Vorbemerkung

Seit dem Einmarsch der NATO-Truppen ist die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im Kosovo präsent. Während der zwölf vorangehenden Jahre hatte sie regelmäßig über die Menschenrechtslage in dieser damals jugoslawischen autonomen Provinz berichtet. Zuletzt hatte sie kurz vor Kriegsbeginn einen umfangreichen Report veröffentlicht und dem Milosevic-Regime vorgeworfen, genozidale Verbrechen an der albanischen Bevölkerung zu begehen.

Umso betroffener war unsere Menschenrechtsorganisation als im Juni 1999 aus der albanischen Mehrheit, die gerade zu Opfer geworden war, eine große Tätergruppe wurde, die vergleichbare Verbrechen an den Minderheiten der Provinz verübte. Besonders von der Verfolgung betroffen waren die Volksgruppen der Roma und Aschkali. Radikale Albaner zerstörten 14 000 von 19 000 ihrer Häuser und 75 ihrer Siedlungen und Stadtteile. Zahlreiche Minderheitenangehörige wurden misshandelt, gefoltert, entführt, vergewaltigt, ermordet oder verschwanden für immer. In panischer Flucht verließen 70 % der Roma und Aschkali den Kosovo.

Seither untersuchen Mitarbeiter der GfbV kontinuierlich die Situation der wenigen Angehörigen der beiden Minderheiten. Ein vierköpfiges Team unter Leitung des amerikanischen Journalisten Paul Polansky, dem auch drei junge Roma angehören, legt nun den folgenden Menschenrechtsreport vor. Nur 10 % der Roma und Aschkali leben noch im Land. Alle anderen sind nach Westeuropa, nach Bosnien, Serbien oder Montenegro geflüchtet. Massenausschreitungen im März 2004, die Zerstörung der Aschkali-Siedlung in Vushtrri/Vucitrn und die pogromartigen Angriffe führten zu einer neuen Fluchtwelle. Die Situation der Zurückgebliebenen, von denen viele auf Fluchtmöglichkeiten ins Ausland warten, erscheint den meisten unter ihnen hoffnungslos.

Die humanitäre Lage der Roma und Aschkali ist katastrophal. Den meisten von ihnen fehlen Grundnahrungsmittel wie Mehl und Öl, Hygieneartikel, Kleidung und Schulbücher. Besonders bei den Binnenflüchtlingen herrscht schrecklicher Mangel an allem, was für das Überleben notwendig ist, auch außerhalb der in Leposavic, Zitkovac und in Nord-Mitrovica gelegenen Flüchtlingslager.

Die medizinische Versorgung der Minderheitenangehörigen hat sich durch mangelnde Sicherheit und Bewegungsfreiheit nach den Ausschreitungen im März 2004 weiter entscheidend verschlechtert. In einigen von dem GfbV-Team dokumentierten Fällen wurden im Zentralkosovo Roma-Patienten jetzt auch von serbischen Ärzten abgewiesen, obwohl sie krank oder lebensgefährlich verletzt waren. Unter albanischen Ärzten ist ein derartiges Verhalten bereits seit langem üblich. Unser Team berichtete über zwölf Kinder im Flüchtlingslager Zitkovac, bei denen extrem hohe Bleiwerte im Blut entdeckt wurden. Sie müssten dringend in Krankenhäusern behandelt werden. Vielerorts kursieren Läuseplagen und Infektionskrankheiten. Allein seit dem Januar 2004 haben drei Roma-Frauen Selbstmord begangen.

Der Wiederaufbau der Häuser der beiden Minderheiten kommt kaum voran. Von 14 500 zerstörten Häusern, sind nach Einschätzungen des GfbV-Teams vor Ort, ganze 200 wieder aufgebaut. Im März 2004 hatten albanische Extremisten noch einmal 50 Häuser von Roma und Aschkali niedergebrannt und geplündert. Die Arbeitslosigkeit beträgt vielerorts fast 100 %. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit erlaubt den meisten Roma und Aschkali weder die Fahrt zum Arbeitsplatz noch der Besuch des Schulunterrichts. Unter diesen Bedingungen ist es verständlich, wenn die Rückkehrer aus Deutschland und anderen Ländern Westeuropas das Land um jeden Preis wieder verlassen möchten.

Nach wie vor sind Roma und Aschkali im Kosovo an Leib und Leben gefährdet. Werden sie von der albanischen Bevölkerung als Angehörige dieser Minderheiten erkannt, so müssen sie mit körperlichen Angriffen rechnen. Für die etwa 38 500 aus dem Kosovo vertriebenen Roma und Aschkali in Deutschland gibt es keine Chance auf Rückkehr. Sie brauchen dringend einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Zurzeit werden sie mit kurzfristigen Duldungen bis zu höchstens einem halben Jahr in einem Zustand der Rechtlosigkeit gehalten. Die meisten dürfen nicht arbeiten, die jungen Leute finden bis auf ganz wenige Ausnahmen nach der Schule keine Ausbildungsplätze.

Diese Situation ist für die betroffenen umso schmerzlicher, als sie im Kosovo in ihrer großen Mehrzahl sozial und ökonomisch vollständig integriert waren. 95 % von ihnen besaßen eigene Häuser, viele bebauten Gemüsegärten mehr als 80 % hatten Arbeit im Energiebereich, in Bergwerken und den Industriekombinaten. Einige waren außerdem als Nebenerwerbslandwirte tätig.

Die GfbV empfiehlt deshalb dringend, diesen Flüchtlingen in Deutschland einen Aufenthaltsstatus von mindestens einem Jahr zu erteilen und Ausländerbehörden davon abzuhalten, diese Menschengruppe zu schikanieren, indem sie immer wieder kurzfristigste Duldungen aussprechen und Abschiebungen androhen.

Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt und den Ausbildungsplätzen darf ihnen nicht länger versperrt bleiben. Denjenigen, die bereits längere Zeit in Deutschland leben, sollte ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt werden.

Die GfbV appelliert außerdem dringend an den deutschen Außenminister, den im Kosovo stationierten Truppen ein robustes Mandat zur Verteidigung von Leib und Leben sowie den Besitz der Minderheiten zu geben. Vom Gewaltmonopol der KFOR muss konsequent Gebrauch gemacht werden, wenn albanische Extremisten erneut Amok gegen die Minderheiten laufen. Außerdem fordern wir das Auswärtige Amt auf, dafür zu sorgen, dass aus seinem humanitären Fond eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und Medikamenten für die im Lande zurückgebliebenen Roma und Aschkali gewährleistet wird.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker wird darüber hinaus die deutschen und österreichischen Hilfsorganisationen und insbesondere Caritas und das Diakonische Werk bitten, diesen europäischen überwiegend muslimischen existenziell bedrohten Minderheiten Hilfe zu leisten.

Für Deutschland und Österreich besteht eine besondere historische Verpflichtung, weil das NS-Regime für den Völkermord an Teilen dieser Minderheiten verantwortlich war.

Tilman Zülch

1. Sicherheitslage

Die Lage der Roma, Aschkali und "Ägypter" im Kosovo ist nach wie vor sehr besorgniserregend. Nach Einschätzung des Leiters des GfbV-Teams, das seit fünf Jahren die Lage der Minderheiten kontinuierlich recherchiert und dokumentiert, besteht zurzeit die akute Gefahr, dass die bisher im Kosovo verbliebenen Angehörigen dieser Minderheiten die Region für immer verlassen werden. Hunderte haben dies bereits getan. Die Ereignisse des 17. und 18. März 2004, in deren Verlauf mindestens 20 Menschen getötet, mehr als 950 verletzt und etwa 4100 Serben, Roma, Aschkali und "Ägypter" aus ihren geplünderten und danach angezündeten Häusern vertrieben worden sind, haben gezeigt, dass sich die Lage der Kosovo-Minderheiten seit dem Kosovo-Krieg 1999 nicht verbessert hat. Auch wenn die Gewalt vom März in erster Linie gegen die Serben und die Aschkali in Vushtrri/Vučitrn gerichtet war, waren auch Angehörige der anderen Minderheiten der Roma, "Ägypter", Bosniaken, Goranen und Bosniaken betroffen. Die Angehörigen dieser Minderheiten wurden – wenn sie auch oftmals nicht direkte Opfer der albanischen Übergriffe waren - durch traumatische Erlebnisse völlig verunsichert, und viele wagen sich seit März dieses Jahres nicht mehr, ihre Häuser ohne eine Polizeieskorte zu verlassen.

Es gibt zwar noch immer wenige Enklaven wie Rahovec/Orahovac, Bostane, Kamenica, oder Janjevo, wo Albaner, Serben, Kroaten, Roma und Aschkali friedfertig und in guter nachbarschaftlicher Beziehung zusammenleben, doch in großen Teilen des Kosovo

beherrscht der Kampf ums Überleben den Alltag der Minderheiten. (Siehe Seite …)

Bei der nächsten größeren Gewalttat ist daher mit der Flucht der großen Mehrheit der Angehörigen der Minderheiten der Roma, Aschkali und "Ägypter"zu rechnen.

Die angespannte Lage im Kosovo beunruhigt ebenfalls die Angehörigen dieser Minderheiten in den benachbarten Ländern Serbien und Montenegro sowie in ihren Exilländern in Westeuropa.

Die Angehörigen der Minderheiten erheben nach wie vor schwere Vorwürfe gegen die KFOR-Schutztruppen sowie die UNMIK-Polizei, die entweder unfähig oder nicht willens sind, gegen die Gewalt der Kosovo-Albaner vorzugehen. Besonders während der Demonstrationen und Ausschreitungen im März zeigte sich, dass die internationalen Institutionen hilflos überfordert mit der Lage im Kosovo sind. Sie versagten in vielen Fällen und kamen den Opfern nicht zu Hilfe, obwohl ihre Stützpunkte sich im selben Ort befanden. (Die Soldaten waren schlecht ausgebildet, ausgestattet und schlecht organisiert ). Auch die Soldaten der deutschen Bundeswehr versagten in Prizren. Nicht einmal Tränengas durften sie gegen albanische Angreifer einsetzen.

In dem Zeitraum von 1999 bis zu den Pogromen im März 2004 gab es so gut wie keine Verhaftungen von Tätern, die für etliche, wahllose Morde an den Minderheitenangehörigen im Kosovo verantwortlich waren. Nach Schätzung des Leiters des GfbV-Teams im Kosovo haben die Minderheiten der Serben, Roma, Aschkali und anderen über 1 000 Tote seit 1999 zu beklagen. (Von Januar bis November 2003 wurden nach Angaben des UNHCR zwölf Serben ermordet, im Jahr davor fünf.) Die aktuell erschütternden so genannten "drive-by-shootings", bei denen aus dem Auto auf Serben, Roma oder andere Minderheiten geschossen wird, bleiben unbestraft. Mindere Vergehen werden meist gar nicht erst angezeigt, da die Opfer Angst vor Vergeltungsschlägen haben. Diese beinahe vollkommene Straffreiheit bei Straftaten gegen die Minderheiten hat die Opfer so verschüchtert, dass sie ihr letztes Vertrauen in die internationalen Schutzeinrichtungen verloren haben.

Seit dem Beginn der Vorbereitungen für die Unabhängigkeit des Kosovo wächst der Druck auf die Roma, Aschkali und "Ägypter", das Land zu verlassen. Die Kosovo-Polizei (KPS- Kosovo Police Service), die offiziell eine multiethnische Polizeimacht ist (in Wirklichkeit jedoch überwiegend aus Albanern besteht), schikaniert Angehörige der Minderheiten, die an Polizeikontrollen gestoppt werden. Seit die UNMIK-Administration "ID-Cards" ausgibt, die den Wohnort ausweisen, ist es für die Polizei einfach, die Person einer Gruppe zuzuordnen, je nach dem, ob sie in einer albanischen oder serbischen oder einer gemischten Gemeinde lebt. Ist der oder die Angehaltene wohnhaft in einem serbischen Dorf oder einer Roma-Gemeinde, werden Fahrzeug sowie Papiere meist konfisziert, bis das Opfer sich an ein Gericht wendet, um beides zurückzuerhalten. Der Kosovo-Polizei wird von den Minderheiten sogar vorgeworfen, zumindest teilweise aktiv am Brandschatzen und an weiteren Gewalttaten im März teilgenommen zu haben. Ebenfalls nicht selten sind Berichte der Roma-Mädchen, die von albanischer Polizei aufgegriffen werden und über Nacht oder sogar über mehrere Tage, in einer Gefängniszelle missbraucht und misshandelt werden.

Ein weiteres großes Problem der Minderheiten ist der Mangel an Bewegungsfreiheit, der gerade seit Mitte März Ausmaße wie zu Kriegszeiten angenommen hat. In einigen Orten trauen sich die Roma aus Angst vor Gewalttaten durch Albaner nicht einmal mehr auf den lokalen Markt, um Lebensmittel einzukaufen. In anderen Orten im Kosovo ist das zwar möglich, aber zwischen den Orten können sich die Minderheitenangehörigen nicht bewegen. Die wenigen Roma und Aschkali, die ein Auto besitzen, trauen sich damit nicht auf die Straße, aus Furcht angehalten und dann zusammengeschlagen oder gar umgebracht zu werden. (Im Zentralkosovo können Roma von Preoce und Laplje Selo nicht länger nach Prishtine/Priština, Gračanica, Čaglavica, Lipljan oder Shtime/Štimlje fahren). Trotz der Wiedereinrichtung vieler Straßensperren sind KFOR und UNMIK auch hiergegen machtlos.

Die Formen der ethnischen Säuberung haben mit und seit dem März 2004 wieder stark zugenommen. Es wird immer eindeutiger, dass sich extremistische Albaner bis zum Tag der Unabhängigkeit (nach Einschätzung von Polansky im Jahr 2005 oder 2006) einen "ethnisch bereinigten" Kosovo wünschen. Die Gespräche des Kosovo-Teams mit den Angehörigen der Minderheiten haben ergeben, dass außer einigen Serben, die nach den Unrechtmäßigkeiten im März neue Hoffnung (in Form von UN-Unterstützung) geschöpft haben, eigentlich keine der Minderheiten ihre Zukunft im Kosovo sieht. Besonders die Roma sind entschlossen, ihr Zuhause zu verlassen. Die pessimistische Einschätzung von Polansky im Kosovo lautete schon im Mai 2004, dass es in einem Jahr keine Roma mehr im Kosovo geben wird.

In Serbien und Montenegro sehen die Kosovo-Roma im Gegensatz zu den Kosovo-Serben ebenfalls keine Zukunft. Während die Serben durch den vorherigen Verkauf ihrer Häuser im Kosovo dort ein neues Leben anfangen können, rechnen sich die armen Roma kaum Überlebenschancen in Serbien aus. Die wenigen Roma, die bereits in Serbien sind, leben unter unwürdigen Bedingungen. Auch nach UNHCR-Einschätzung bietet Serbien für die Minderheiten keine Alternative. Daher geben sich Roma und andere Minderheitenangehörige immer häufiger in die Hände von Schlepperbanden, die sie für teures Geld (ca.2.500 € pro Erwachsenen, 1.500 € pro Kind und 500 € für ein Kleinkind) nach Westeuropa (zumeist nach Italien und Deutschland) bringen. Paul Polansky berichtet bereits von Wartelisten bei Schleppern über mehrere Monate, weil diese nicht genügend Kapazitäten haben, um den vielen Anfragen entsprechen.(Viele dieser Schlepperbanden werden von hochrangigen albanischen Verwaltungsbeamten im Kosovo angeführt und gedeckt. Obwohl das Team der GfbV einen dieser Ringe aufgedeckt und dies der UNMIK-Polizei gemeldet hat, wurde nichts dagegen unternommen). Bis zur Unabhängigkeit des Kosovo wird diese illegale Auswanderungswelle weiter anschwellen – etliche Todesfälle beim Menschenschmuggel mit inbegriffen.

Momentan herrscht im Kosovo die latente Gefahr weiterer Gewaltausbrüche. Während die Differenzen zwischen den internationalen Vertretern über die staatliche Zukunft des Kosovo immer deutlicher werden, drängt die albanische Mehrheit auf Souveränität der Provinz. Albanische Extremisten kündigen regelmäßig weitere pogromartige Aktionen an. Doch auch serbische Anführer machen Andeutungen eventueller Gegen-Maßnahmen. Und während sich die internationalen Vertreter im Kosovo über die genaue Form der Unabhängigkeit streiten, auch nach dem März noch viele Soldaten abziehen, packen die Minderheitenangehörigen ihre wenigen Besitztümer zusammen, um möglichst vor der Unabhängigkeit ein neues und ungewisses Leben im Ausland zu beginnen.

Beispiele aus den Gemeinden:

     

  • Seit den März-Ausschreitungen gibt es in den Gemeinden Obiliq/Obilić und Gllogovc/Glogovac keine Serben, Roma, Aschkali und "Ägypter" mehr. Sämtliche Angehörige der Minderheiten haben die Orte verlassen. Ihre Häuser wurden erst geplündert und dann verbrannt.

  • In Vushtrri/Vučitrn war die Kosovo-Polizei (Kosovo Police Service, KPS) nicht in der Lage, die Aschkali während der Ausschreitungen im März 2004 in Schutz zu nehmen. Dort wurden am 18. März dieses Jahres 260 Aschkali (56 Aschkali-Familien) durch albanische Demonstranten aus ihren Häusern vertrieben, die daraufhin in Brand gesteckt wurden. Aus Sicherheitsgründen wurden diese Familien zu dem Stützpunkt der französischen KFOR-Friedenstruppen nach Selo Madjunsko/Maxhunaj gebracht. 30 Aschkali fanden danach eine alternative Unterkunft in einem benachbarten Motel, eine kleine Anzahl der Vertriebenen verließ den Kosovo oder ging zu Verwandten in anderen Teilen der Provinz. Der Rest der Vertriebenen, darunter Alte und Kinder sowie die Aschkali-Anführer, die in der Vergangenheit von der KPS misshandelt worden waren, stellten einen Asylantrag an einige EU-Länder und baten diese um vorübergehenden Schutz. Die angeschriebenen EU-Länder verweigerten die Aufnahme der Aschkali. Anstatt dessen wurde ihnen eine Unterkunft in dem renovierten Vicianum-Motel außerhalb der Stadt Vushtrri/Vučitrn angeboten, von wo aus sie ihre niedergebrannten Häuser sehen könnten. Am 12. August 2004 sollten 47 Aschkali aus dem Lager im französischen Stützpunkt zwangsweise evakuiert werden. Erst nach den internationalen Protesten wurde ihnen erlaubt, im Flüchtlingscamp der französischen KFOR zu bleiben, bis sie mit notwendigen Personalpapieren versorgt werden. Diese Familien lehnen eine Rückkehr nach Vushtrri/Vučitrn ab, weil ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht.

     

Die Geschichte einer 20 Jahre alten Roma-Frau (Bericht 1. Juni ) ursprünglich aus Obiliq/Obilić ist bezeichnend für die Gewalttaten der albanischen Polizei. Als sie (noch vor dem März 2004) ihren Vater aus Plementina abholen wollte, wurde sie auf dem Weg von zwei albanischen Polizisten angehalten. Diese schlugen sie und nahmen sie dann mit auf die Polizeistation. Dort fand sie bereits eine andere junge Frau vor, die schon mehrere Tage auf der Station verbracht hatte. Nachdem die beiden von den Polizisten die ganze Nacht misshandelt worden waren, konnten sie am nächsten Tag flüchten. Ihre Tante hatte zuvor bereits nach einer Vergewaltigung Selbstmord begangen. Die junge Roma-Frau glaubt, dass ihre Schönheit ihr Verhängnis ist.

In Prilužje und Plementina beschweren sich besonders die Roma-Frauen über den Verlust ihrer Bewegungsfreiheit. Seit März 2004 ist es ihnen aus Angst vor Gewalt nicht mehr möglich, mit dem Zug nach Mitrovice/Mitrovica zu fahren. So mussten sie ihre Arbeit aufgeben und haben keine vernünftige Einkaufsmöglichkeit mehr. Für die ohnehin sehr armen Roma bedeutet dies, dass sie ihre Kinder kaum noch ernähren können.

Seit dem Krieg 1999 wurden in Lipjan/Lipljan etwa 40 Serben und Roma erschossen, ohne dass es eine Verhaftung gegeben hätte. Am 5. Juni 2004 wurde in einem "drive-by-shooting" im benachbarten Gračanica, in dem sich viele Flüchtlinge vom März 2004 aufhalten, ein Serbe erschossen. In Lipjan/Lipljan gab es im Februar 2004 einen Mord an einem serbischen Professor und seiner Studentin. Hier leben die wenigen Roma-Familien in getrennten Stadtteilen und trauen sich kaum, sich gegenseitig zu besuchen. Das Stadtzentrum wird nur bei sehr wichtigen Gelegenheiten betreten. Sogar in der eigenen Nachbarschaft haben die Roma Angst, sich frei zu bewegen. Die Gefahr, Opfer von gewalttätigen Albanern zu werden, ist zu hoch.

In vielen Ortschaften wie Plementina, Dobrotin, Livadje und Gushterica, haben grundsätzlich alle befragten Roma angegeben, dass sie den Kosovo vor der Unabhängigkeit verlassen wollen. Sie warten oft nur noch auf Geld von Verwandten im Ausland oder auf den Verkauf ihrer Häuser an Albaner. Wenige andere wissen einfach noch nicht, wohin sie auswandern möchten.

Eine Ausnahme stellt die Gemeinde Rahovec/Orahovac dar. Hier versuchen nicht nur die Serben und Roma, die Sprache der Albaner zu sprechen, sondern auch einige Albaner haben etwas Romanes gelernt. Hier hat niemand Angst, auf die Straße zu gehen. Die unterschiedlichen Volksgruppen sind häufig miteinander befreundet. Leider gab es auch in Rahovec/ Orahovac im März 2004 einige wenige Gewalttaten gegen Serben. Dennoch ist es die einzige der Enklaven, wo Roma sich eine Zukunft auch nach der Unabhängigkeit des Kosovo vorstellen können.

2. Versorgung mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und anderen Produkten

Die humanitäre Lage der Minderheiten im Kosovo ist äußerst schlecht, oftmals katastrophal. Besonders bei den Binnenflüchtlingen (IDP‘s) herrscht schrecklicher Mangel an allem, was für das Überleben notwendig ist, auch außerhalb der in Leposavić, Žitkovac, Plementina und Nord-Mitrovica gelegenen Flüchtlingslager. Die meisten Roma, Aschkali und "Ägypter" sind nicht ausreichend mit Lebensmitteln versorgt. Sie sind auf Spenden der Nachbarn und Hilfsorganisationen angewiesen. Doch leider gibt es im Kosovo so gut wie keine humanitäre Hilfsorganisation, welche die Minderheiten unterstützt. An erster Stelle werden Mehl und Öl benötigt. Besonders die Familien, die weder Kuh noch Ziege oder Hühner besitzen, müssen sich von dem ernähren, was andere in den Abfall geworfen haben. Kinder sind häufig unterwegs, um im Müll Essbares zu finden.

Bei Hygieneprodukten sieht es ähnlich bitter aus. Die meisten Familien der Roma, Aschkali und "Ägypter" können es sich nicht leisten, Reinigungsmittel, Seife, Shampoo, Läusemittel und Damenbinden zu kaufen. Da Wasser- und Stromversorgung in den Siedlungen der Minderheiten wegen der unbezahlten Rechnungen für Monate von den albanischen Behörden unterbrochen werden, sind hygienische Maßnahmen kaum durchführbar (Bericht Juli 2004). Das Waschen der vorhandenen Kleidung beschränkt sich auf das Ausspülen mit mehr oder weniger unreinem Wasser. Waschmittel gibt es nicht. Damenbinden werden oft provisorisch aus alten Kleidungsfetzen hergestellt. So ist es nicht verwunderlich, dass vielerorts Läuseplagen ausgebrochen sind und die Menschen besonders an Hautkrankheiten leiden. Hinzu kommt, dass viele der schlecht aufgeklärten Roma, Aschkali und "Ägypter" den Zusammenhang zwischen mangelnder Hygiene und den daraus folgenden unterschiedlichsten Infektionskrankheiten nicht kennen.

Während Läuseplagen besonders in den Orten wie Fushe Kosova/Kosovo Polje und Lipjan/Lipljan, in denen das Wasser abgestellt wurde und in den Lagern der Binnenflüchtige (z.B. in Grachanica/Gracanica oder Plementina) verbreitet sind, beschweren sich eigentlich alle Frauen in den vom GfbV-Team besuchten Gemeinden über einen Mangel an Lebensmitteln und Hygieneprodukten. Viele Familien sind gezwungen, auf den umliegenden Müllkippen nach Blechdosen zu suchen, um diese dann für sehr wenig Geld eintauschen zu können. In vielen Familien kann nicht einmal gekocht werden, weil die Häuser keine Kochstellen haben. Die meisten Menschen in den Flüchtlingslagern sind fehl- oder unterernährt. Bei einigen Frauen führte das zu Fehlgeburten.

Neben den Lebensmitteln und Hygieneprodukten fehlt es vielen Roma, Aschkali und "Ägyptern" auch an Kleidung (vor allen Dingen warme Sachen wie dicke Pullover, Hosen) und Schuhwerk. Besonders für die potentiellen Schulkinder ist dies schlimm, da sie regelmäßig barfuss und ohne angemessene Kleidung nicht in die Schulen gelassen werden. Schulhefte, Materialien und Bücher können sich die wenigsten Familien für die Kinder leisten.

Kurz- und Weitsichtigkeit kann nicht ausreichend entgegengewirkt werden. Die wenigen Brillen, die unter den Angehörigen der Minderheiten vorhanden sind, sind Spenden aus Westeuropa und somit nicht in optimaler Glasstärke.

 

Es kommen zwar Hilfstransporte in den Kosovo vor allem aus Serbien, doch diese sind lange nicht ausreichend, um alle Bedürftigen zu versorgen. Ähnliches gilt für die finanzielle Unterstützung, die nach eigenen Angaben der Betroffenen zwischen 30 und 60 Euro monatlich liegt. Doch viele Menschen, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, bekommen diese nicht. Das liegt einerseits daran, dass sie für ihre Kinder keine Dokumente (etwa eine Geburtsurkunde) vorlegen können und somit ihren Anspruch auf Unterstützung verlieren, oder an dem oft auch scheinbar willkürlichen System der Zuordnung. Laut einem UN-Report braucht eine siebenköpfige Familie im Kosovo ca. 200 € im Monat zum Überleben. Die meisten der Familien haben aber viel weniger als 100 € monatlich zu Verfügung.

 

Beispiele aus den Gemeinden:

Das GfbV-Team hat folgende Ortschaften besucht: Medvec, Suvi Do, Radevo (Lipljan), Ferizaj/Uroševac, Salahone, Dubrova, Prishtine/Pristina, Kuzmin (bei Fushe Kosova/Kosovo Polje), Mitrovice/Mitrovica, Malisheva/Mališevo, Leposaviq/Leposavić, Lipjan/Lipljan, Prizren, Gjakove/Đakovica, Fushe Kosova/Kosovo Polje, Rahovec/Orahovac, Peja/Pec, Klina, Istog/Istok, Obiliq/Obilić, Plementina, Prishtine/Priština, Podujevo, Viti/Vitina, Gjilan/Gnjilane, Kamenica, Shtrpce/Štrpce, Novo brdo, Shtime/Štimlje, Suva reka/Theranda

     

  • Fushe Kosova/Kosovo Polje: Die hygienische Situation unter den Roma, Aschkali, "Ägyptern" stellte sich verheerender heraus als erwartet (Bericht Januar/Februar 2004). Als größtes Problem erwies sich eine Läuseplage. Diese ist nicht nur das Resultat fehlender Hygienemittel, sondern eines akuten Wassermangels. Die albanische Administration in Fushe Kosova/Kosovo Polje hatte das Wasser für die Roma, Aschkali und "Ägypter" sechs Monate lang abgestellt. Die UNMIK-Administration ignoriert dieses Problem anscheinend.

    Von 36 befragten Roma-Frauen gaben 17 an, grundsätzlich nie genug zu essen für die Familie zu haben. 19 von ihnen beklagten sich darüber, dass sie keine Hygieneprodukte zur Verfügung haben, keine Cremes für die Babys, kein Schampoo, keine Seife und keine Waschmittel für ihre Kleidung. Sieben Frauen berichteten, dass sie täglich hungern müssen und drei erzählten, dass ihre Kinder oder Ehemänner zu der nahe gelegenen Müllhalde gehen müssten, um dort nach Blechdosen zu suchen, um sie dann für ein paar Euro eventuell zu verkaufen.

  • Auch im Binnenflüchtlingslager in Zvecan/Zvečani wurde das Wasser sechs Monate lang abgestellt. Als Grund für dieses Vorgehen wurde von der Verwaltung des Lagers der hohe Wasserverbrauch der Kosovo-"Ägypter" genannt. Die Frauen müssen zweimal am Tag zu einer vier Kilometer entfernt liegenden Gasstation gehen, um dort ihre mitgeführten Plastikbehältnisse mit dem notwendigen Wasser zu befüllen. Allerdings bekommen sie das Wasser nicht "kostenlos". Einige junge Roma-Frauen mussten dafür dem serbischen Besitzer zu Willen sein.

  • In Plementina ist heute die größte Roma-Gemeinschaft im zentralen Kosovo zu finden. Hier ist das Büro der BSF (Balcan Sun Flowers), eine der wenigen aktiven humanitären Hilfsorganisationen vor Ort. Die Hilfe aus Serbien für die Roma wurde im März eingestellt. Das Geld wird seitdem für die serbischen Binnenflüchtlinge/IDP’s (Internally Displaced Persons) ausgegeben. Die Roma-Frauen beschweren sich, dass sie nicht genug Lebensmittel (Mehl und Öl), kein Reinigungsmittel, keine Seife, kein Shampoo, kein Feuerholz, keine Windeln und auch keine Medikamente haben (Bericht April 2004).

  • Die Situation in Lipjan/Lipljan ist ähnlich. Hier ist der Mangel an Hygieneprodukten noch schlimmer als der Mangel an Lebensmitteln. Besonders Damenbinden und Reinigungsmittel werden benötigt. Zusätzlich können sich die Mütter keine Kleidung und Schulsachen für die Kinder leisten (Bericht April 2004). Für sieben Roma-Familien wurde nach den Ausschreitungen im März 2004 die Stromversorgung abgestellt, weil sie keine Rechnungen bezahlt haben.

  • Die kleine Roma-Gemeinde im Gushterica/Gušterica ist eine der ärmsten im zentralen Kosovo. Vier Familien leben hier in absoluter Armut. In einer Familie sind Mutter, beide Söhne und die Tochter blind. Es mangelt an allem: Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung, Schulsachen und Medikamente sind nie genug vorhanden (Bericht April 2004).

  • Auch in der Ashkali-Gemeinde in Mali Alash herrscht großer Mangel an Lebensmitteln und Hygieneprodukten, obwohl die Ashkali-Gemeinden generell etwas vermögender als die Roma-Gemeinden sind. Dies liegt daran, dass sie Albanisch sprechen und daher öfter von Albanern Arbeit bekommen. Für die Frauen in Mali Alash ist die Versorgung mit Lebensmitteln wichtiger als ausreichend Hygieneprodukte zu besitzen (Bericht April 2004).

  • In Malisheva/Mališevo leben nur noch zwei Brüder, ihre Familien und die Eltern gemeinsam in einem Haus. Sämtliche anderen Familien der Roma-Gemeinde haben den Ort verlassen. Die Großfamilie ist extrem arm. Die Mutter beschwert sich, dass sie nicht (wie es in anderen Roma-Familien meist üblich und für das Überleben notwendig ist) von einem weiteren Sohn in Deutschland unterstützt werden. Sie sagt sogar, dass die Familien am Verhungern sind. Zusätzlich fehlt es an Hygieneprodukten, an Kleidung, Medikamenten und einer Brille für die sieben Jahre alte Tochter (Bericht Mai 2004).

  • Medvec, eine zu Lipjan/Lipljan gehörende Gemeinde, ist die Heimat von etwa 400 Aschkali. Hier fehlt es vor allem an Lebensmitteln. Die Kinder ernähren sich hauptsächlich von Bohnen, die ihre Väter für einen Arbeitstag auf albanischen Feldern bekommen oder von Essensresten, die von Albanern weggeworfen wurden. Seit 1999 versorgt keine humanitäre Organisation die hungernden Aschkali-Familien. Neben Lebensmitteln fehlt es an Hygieneprodukten, Damenbinden, Schulsachen, und Kleidung. Es herrscht eine verheerende Läuseplage (Bericht Juli 2004). In den letzten fünf Jahren haben die Aschkali ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können. Deswegen wird ihnen immer wieder der Strom von albanischen Unternehmen abgestellt.

  • In Suvi Do (Gemeinde Lipjan/Lipljan)/ sind alle Roma arbeitslos. 25 Roma-Frauen berichteten über eine desolate Situation in ihrem Dorf. (Bericht Juli 2004). Mehrere Familien wohnen unter einem Dach. Auch mehrere Personen schlafen in einem Bett. Die Kinder haben nichts zu essen. Die Schulkinder haben keine Schuhe und keine Bekleidung. Kranke werden nicht richtig medizinisch versorgt. Familien mit behinderten Kindern sind in einer verzweifelten Lage.

     

3. Medizinische Versorgung

Die Mängel in der medizinischen Versorgung treffen vor allem die verwundbarsten Gruppen bei den Minderheiten der Roma, Aschkali und "Ägypter". Besonders ältere Personen, Kinder und chronisch Kranke, die einen größeren Bedarf an ständiger medizinischer Betreuung haben, leiden unter dem Ausmaß und der Schwere der Gesundheitsprobleme im Kosovo. Medizinische Behandlung durch einen Arzt oder im Krankenhaus ist in vielen Fällen auch auf Grund der Sicherheitslage nicht möglich. Eingeschränkte Bewegungsfreiheit stellt eine große Erschwernis für den Zugang zu medizinischer Versorgung in vielen Gemeinden des Kosovo dar. Medikamente, die nach einer Behandlung verschrieben werden, können sich die Roma, Aschkali und "Ägypter" meistens nicht leisten.

Zu unterscheiden ist zwischen dem serbischen und dem albanischen Gesundheitssystem im Kosovo. Serbische Ärzte und Krankenhäuser werden hauptsächlich von Serben und Roma besucht, während Albaner, Aschkali und "Ägypter" albanische Ärzte und Krankenhäuser aufsuchen. Das GfbV-Team berichtete über ein positives Beispiel in Rahovec/Orahovac, wo Roma ohne Probleme den albanischen Arzt im Ort aufsuchen, ohne Angst dass sie von ihm nicht oder falsch behandelt werden könnten (Bericht Mai 2004). Es ist aber in der Regel nicht davon auszugehen, dass albanische Ärzte Serben oder Roma behandeln oder serbische Ärzte Albaner und die anderen Minderheiten. In serbischen Krankenhäusern ist die Versorgung häufig umsonst, nur Medikamente müssen aus eigener Tasche gezahlt werden. In den albanischen Krankenhäusern kostet die Behandlung normalerweise Geld und so sind von

vorneherein bereits viele Aschkali und "Ägypter" von einem Krankenhausbesuch ausgeschlossen.

Besonders Frauen klagen in ihren Gesprächen mit unserer Mitarbeiterin im Kosovo-Team, Frau Miradija Gidžić, über fehlende medizinische Versorgung und fehlende Medikamente. Sie benötigen vor allem Antibabypillen, Cremes und Zäpfchen gegen vaginale Infektionen sowie Medikamente gegen Infektionen im Mund- und Rachenraum. Immer wieder tauchen Probleme bei der Bekämpfung von Kopfläusen auf. Es fehlt an adäquaten Mitteln. Die schlechten hygienischen Bedingungen führen dazu, dass die Möglichkeiten, das Problem in den Griff zu bekommen, sehr bescheiden sind. Schlechte bis gar keine Wasserversorgung, fehlende Hygieneartikel und Kleidung erschweren das Ganze sehr.

Allerdings besteht auch grundsätzlich ein hoher Aufklärungsbedarf. Viele Frauen sind nur schlecht oder gar nicht darüber informiert, wie Kopfläuse bekämpft werden können oder wie man die entsprechenden Bekämpfungsmittel richtig einsetzt. Frauen scheinen erschöpft, physisch und psychisch angeschlagen. Sie beklagten sich darüber, immer häufiger zu Infektionen zu neigen, insbesondere zu Pilzinfektionen im Vaginalbereich, die sie auf die schlechten hygienischen Verhältnisse zurückführen. Zudem haben die Menschen im Allgemeinen ein schwaches Immunsystem, das auf die grundsätzlich schlechte Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und vitaminarme, einseitige Ernährung zurückzuführen ist. Ein weiteres Problem ist die schnellere Ausbreitung von Infektionskrankheiten durch die beengten Wohnverhältnisse und die schlechten hygienischen Bedingungen. Einfache grippale Infekte können sich schnell zu einer Grippeepidemie ausweiten. Hinzu kommt der Mangel an Medikamenten für die Behandlung von Krankheiten aber auch für prophylaktische Maßnahmen.

Nach den Ausschreitungen im März 2004 verschlechterte sich die medizinische Versorgung der Roma weiter. Der Leiter des GfbV-Teams Polansky konnte beobachten, dass, nachdem das Krankenhaus in Fushe Kosova/Kosovo Polje im März niedergebrannt worden war, serbische Ärzte im Zentralkosovo (nicht in Mitrovice/Mitrovica) nicht mehr willig sind, Roma-Patienten zu behandeln, auch wenn diese ernsthaft krank oder lebensgefährlich verletzt sind. Das GfbV-Team hatte z.B. große Schwierigkeiten, Roma in Laplje Selo oder im Krankenhaus in Gračanica medizinisch zu versorgen. Sogar bei Fällen wie gebrochenen Gliedmaßen, Dehydrierung oder Nahrungsmittelvergiftung wird den Roma oftmals die Versorgung verweigert. Meistens heißt es, dass die Dienst habenden Ärzte entweder nicht da sind oder dass sie, bzw. deren Vertretung, nicht aufzufinden sind. Serbische Patienten hingegen werden nicht zurückgeschickt (Bericht 1. Hälfte Juli 2004). Das GfbV-Team konnte (in dem Zeitraum Januar-September 2004) unter schwierigen Umständen mindestens 14 Minderheitenangehörigen pro Woche in die Krankenhäuser in Mitrovice/Mitrovica, Gracanica und Laplje Selo bringen.

Sehr fatal für kranke Angehörige der Minderheiten ist die momentane Sicherheitslage im Kosovo. In erster Linie ist die hohe Einschränkung der Bewegungsfreiheit das Problem. Roma, Aschkali und "Ägypter" können sich derzeit nicht frei bewegen. Es ist zu gefährlich für sie, auf die Straße zu gehen. Daher trauen sie sich nicht, zum Arzt oder ins Krankenhaus zu fahren. Hinzu kommt, dass die meisten Roma, Aschkali und "Ägypter" nicht im Besitz eines Autos sind. Ein Taxi kommt auf Grund der hohen Preise auch nur selten in Frage. Doch die großen Entfernungen zur nächsten medizinischen Anlaufstelle erlauben es normalerweise nicht, ohne Motorisierung zu reisen. Auch wenn die Minderheitenangehörigen es schaffen, einen Arzt aufzusuchen, ihre Armut macht es ihnen schwer, nachdem sie in ärztlicher Behandlung waren, die vom Arzt verschriebenen, verhältnismäßig sehr teuren Medikamente zu erwerben. Oft stehen sie vor der Entscheidung entweder die Familie zu ernähren oder sich selbst mit Medikamenten zu versorgen.

Aus der schlechten Versorgung mit Hygieneartikeln und häufig auch mit fließendem Wasser lässt sich schnell schließen, dass es viele Infektionskrankheiten unter den Roma, Aschkali und "Ägyptern" gibt. Als Hauptproblem gelten vor allem unterschiedlichste Hautkrankheiten. Daher hätten sie eigentlich besonders großen Bedarf an medizinischer Versorgung. Leider wird dieser, wie oben erkenntlich wird, in viel zu vielen Fällen nicht erfüllt. Läuseplagen sind seit Monaten nicht zu bekämpfen. Ein großes Problem tauchte im Zusammenhang mit dem Schampoo gegen Läuse auf. Wegen der andauernden Gewalt im Kosovo und einer erbärmlichen und äußerst deprimierenden Lage der Frauen und Kinder haben bis heute drei Frauen durch das Einnehmen dieses Shampoos Selbstmord begangen. Das GfbV-Team musste beim Verteilen von Shampoos bestimmte Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, dass sich diese Tragödie wiederholt (siehe Bericht von Frau Miradija Gidžić über die Hygieneklassen mit Frauen!).

Beispiele aus den Gemeinden:

     

  • Alduza Berisha, 42 Jahre alt, Mutter von fünf Kindern, beging mit dem Shampoo gegen Läuse Selbstmord. Alduza lebte mit ihrem Ehemann und fünf Kindern als Flüchtling aus Crkvena Vodica in Obiliq/Obilić. Ihr schönes Haus in Crkvena Vodica wurde mit 104 anderen Roma-Häusern von Albanern niedergebrannt. Das Flüchtlingsschicksal hat Alduza dermaßen traumatisiert, dass sie keinen Ausweg mehr sah und sich das Leben nahm.

  • Das GfbV-Team im Kosovo hat im Zeitraum von Januar bis September 2004 über 120 akut kranke Roma und Aschkali in regionale Krankenhäuser gefahren. Ohne diesen Service hätten viele von ihnen keine ärztliche Behandlung erhalten können. Besonders schockierend ist ein Bericht von unserem Team vom 9. Juli 2004:

    Am Abend des 8. Juli hatte sich ein Roma-Junge beim Ballspiel einen Arm an zwei Stellen gebrochen; er war ohnmächtig. Das Team machte sich sofort auf, um den Jungen ins 10 km entfernte serbische Krankenhaus in Gračanica zu fahren. Dort weigerten sich Ärzte, den Jungen zu behandeln, weil der für die Röntgenaufnahmen zuständige Arzt nicht vor Ort war. Sie rieten den Doktor aufzusuchen und mit ihm wiederzukommen. Doch dieser war auch zu Hause nicht zu finden. Auf dem Rückweg zum Krankenhaus trafen sie auf einige schwedische KFOR-Soldaten und fragten, ob es möglich sei, den Jungen in einem der nahe gelegenen Militärkrankenhäuser zu behandeln. Diese verneinten und rieten, das albanische Krankenhaus in Prishtine/Priština aufzusuchen. Da die meisten albanischen Ärzte keine Roma behandeln und auch die Roma, aus Angst von ihnen falsch behandelt zu werden, sich gar nicht erst trauen, einen albanischen Arzt aufzusuchen, ein unnützer Tipp. So machte sich der Transport wieder auf in das Krankenhaus in Gračanica. Die Ärzte dort hatten noch immer kein Mitleid und rieten nun zu warten, bis der zuständige Arzt zu erreichen sei, oder weiter bis nach Nord Mitrovice/Mitrovica (über eine Stunde entfernt) zu fahren. Der zwischenzeitlich aufgewachte Junge lag nun wieder im Koma. Für die Eltern und das GfbV-Team erschien dies wie reine Schikane. So fuhren sie zurück, um Ausweise zu holen und sich dann auf den langen Weg nach Mitrovice/Mitrovica zu machen. Die Familie des Jungen hatte auf Grund der Sicherheitslage große Angst, die Fahrt anzutreten. Nur auf Grund des KFOR-Passes des GfbV-Teams gelang es ihnen, an einer Sperre der albanischen Polizei vorbeizukommen. Da Nord Mitrovice/Mitrovica serbisches Territorium ist, mussten sie die Kosovo- Nummernschilder abnehmen, um sicher zum Krankenhaus zu gelangen. Glücklicherweise wurde der Junge dort sofort behandelt. Die beiden Armknochen hatten jeweils einen Doppelbruch. Obwohl der Arzt den Jungen über Nacht dort behalten wollte, entschieden sich der Junge und seine Eltern, aus Angst im fremden Territorium, mit dem GfbV-Team direkt nach der Behandlung zurück zu fahren.

  • Seit im Juni 2003 das serbische Krankenhaus in Bresije durch Albaner besetzt und im März 2004 das Krankenhaus in Fushe Kosovoa/Kosovo Polje im Zusammenhang mit den Unruhen abgebrannt worden ist, ist das serbische Krankenhaus in Mitrovice/Mitrovica die einzige Anlaufstelle für Serben und Roma mit größeren Verletzungen und schlimmeren Krankheiten im zentralen Kosovo. Doch vielen, insbesondere den Roma, ist es auf Grund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und den hohen Fahrtkosten nicht möglich, den langen Weg nach Mitrovice/Mitrovica anzutreten. Sie haben keine Chance eine ärztliche Behandlung zu erhalten.

  • In Medvec können die Ashkali ausnahmsweise bei einem serbischen Arzt in Kosovo Polje oder Lipjan/Lipljan behandelt werden. Es besteht jedoch das Problem des Transports. Normalerweise wird ein albanisches Taxi genommen. Die Kosten für das Taxi, welche die Aschkali nur in den seltensten Fällen sofort begleichen können, müssen dann über einen längeren Zeitraum abgearbeitet werden (Bericht Juli 2004).

     

Die Mitglieder der Ashkali-Gemeinde in Prishtine/Priština werden gut von ansässigen albanischen Ärzten behandelt. Jedoch beschweren sich viele der interviewten Frauen, dass sie sich die Behandlung kaum und die Medikamente gar nicht leisten können (Bericht März 2004).

Roma in Rahovec/Orahovac können ohne Probleme den albanischen Arzt im Ort aufsuchen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gemeinden haben sie keine Angst, vom albanischen Arzt falsch behandelt oder gar getötet zu werden (Bericht Mai 2004).

In Malisheva/Mališevo ist die medizinische Versorgung sehr schlecht. Die Roma haben weder Geld für den Arzt noch für Medikamente. Dabei sind mehrere Mitglieder der kleinen Gemeinde sehr krank, haben Bluthochdruck und Probleme mit dem Herzen. Ein 13-jähriges Mädchen müsste eigentlich eine Herzoperation bekommen. Doch der Familie ist es nicht einmal mehr möglich, sie wegen ihrer schlechten Augen zum Arzt zu schicken (Bericht Mai 2004).

4. Arbeitsmarktlage

Es gibt zwar keine genauen Statistiken doch nach Einschätzung von Paul Polansky sind nahezu alle Roma, Aschkali und "Ägypter" arbeitslos. (Vor dem Krieg 1999 hatten über 80% Arbeitsplätze.) Zwischen den Minderheitenangehörigen gibt es jedoch geringe Abweichungen bei der Zahl der zumindest gelegentlich Beschäftigten. Aschkali und "Ägypter" haben im Allgemeinen häufiger Arbeit als Roma. Sie haben den Vorteil der gemeinsamen Sprache mit den Kosovo-Albanern. Roma können in der Regel nur für Serben arbeiten.

Heute gehen Roma, Aschkali und "Ägypter", wenn sie beschäftigt sind, eigentlich immer einfachen Aushilfstätigkeiten nach oder verrichten Jobs, in denen sie körperlich arbeiten müssen. Die wenigen, die tatsächlich Ärzte, Lehrer, Journalisten, Ingenieure oder ähnliches waren, haben auf Grund ihrer besseren wirtschaftlichen Lage den Kosovo längst verlassen. Es sind vor allem die Armen, die bis jetzt geblieben sind bzw. gezwungen waren, zu bleiben.

In einigen Orten ist es dem GfbV-Team gelungen, Kleinbetriebe einzurichten. Durch finanzielle Unterstützung der Schweizer Regierung sind so z.B. ein von Roma-Frauen geführter Minimarkt in Rahovec/Orahovac und neue Friseurstudios für einen Ashkali und eine "Ägypterin" in Prishtine/Priština und Gjakove/Đakovica entstanden. Auch sonst gibt es einige wenige Familienbetriebe von Aschkali und "Ägyptern", in denen auch ab und zu Roma angestellt sind.

Da fast niemand eine feste Stelle hat, sind die Männer überwiegend Tagelöhner. Für einen mickrigen Lohn von 5-15 Euro am Tag arbeiten sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf dem Feld oder auf dem Bau. Oft bekommen sie den Lohn auch nicht ausgezahlt und stattdessen nur einige Lebensmittel ausgehändigt. Leider ist auch die Arbeit für Tagelöhner begrenzt und Roma, Aschkali und "Ägypter" sind nur an wenigen Tagen im Monat auf diese Weise beschäftigt. In einigen Orten, wie z.B. Prilužje versuchen sie mit dem Verkauf von Müll (Altpapier, Altmetall, alte Dosen und Gläser), Geld zu verdienen.

Die Bezahlung liegt immer unter dem Durchschnitt. Die Roma, Aschkali und "Ägypter" sprechen selber von "Sklavenarbeit". Doch sie sind froh über jede Möglichkeit zu arbeiten, die sich ergibt. Es gibt ihnen die Gelegenheit, ihre bescheidene, wenn überhaupt vorhandene finanzielle Unterstützung um einige Euro aufzustocken. Unterstützung gibt es meist von wenigen in Serbien ansässigen humanitären Organisationen (wie z.B. von BSF) oder von Verwandten, die im westlichen Ausland Asyl gefunden haben. Auch die wenigen, die einen festen Arbeitsplatz haben, verdienen nie mehr als 150 € monatlich.

Frauen haben noch seltener Arbeit als Männer. Meistens sind sie dann Putzfrauen bei Unternehmen in den größeren Ortschaften oder in privaten Haushalten der reicheren Albaner oder Serben.

Seit dem März 2004 können einige, die bis dato einen Job hatten, ihn nicht mehr ausüben. Dies liegt vor allem an der Sicherheitslage. Die Roma, Aschkali und "Ägypter" haben Angst, ihre ehemaligen Arbeitsplätze in den größeren Orten aufzusuchen, oder sehen keine Möglichkeit, dorthin zu gelangen. Zusätzlich wurden einige im Laufe der März-Krawalle hinausgeworfen und durch Albaner ersetzt.

Beispiele aus den Gemeinden:

In Prishtine/Priština gibt es eine Aschkali-Gemeinde mit 65 Häusern. Doch nicht ein einziger Bewohner hat einen regulären Job. UNMIK unterstützt einen Teil der Familien mit jeweils 52 Euro monatlich. Viele erhalten jedoch keine finanzielle Hilfe. Drei der Projekte, die von der Schweizer Regierung gefördert und vom GfbV-Team umgesetzt werden, sind in Vorbereitung in Prishtine/Priština: eine Schmiede und ein Friseursalon. Zusätzlich hat ein Roma, ein blinder Pianist, ein Keyboard erhalten, um bei unterschiedlichen Hochzeiten für musikalische Unterhaltung zu sorgen. Die anderen Männer der Roma, Aschkali und "Ägypter" sammeln alte Glasbehälter aus dem Müll und verkaufen diese – erhalten dadurch etwas 50 Cent am Tag (Bericht vom März 2004).

Auf der Suche nach einem Job in Fushe Kosova/Kosovo Polje bekam ein junger Roma zu hören, dass in dieser Gemeinde kein Platz für Roma wäre. Die meisten Männer und Frauen aus der Roma-Gemeinschaft sind arbeitslos. Eine Frau arbeitet im Krankenhaus. Viele sammeln alte Dosen, verkaufen diese und versuchen mit dem geringen Erlös, ihre Familien zu ernähren (Bericht vom März 2004).

In Rahovec/Orahovac, einem Ort der multiethnisch ist, ist die Arbeitslosigkeit das größte Problem. Die meisten Roma, Aschkali und "Ägypter" haben keine feste Anstellung. Gelegenheitsjobs sind häufig Gartenarbeiten bei Serben oder Albanern. Dabei werden Roma hier überdurchschnittlich gut bezahlt. Sie erhalten Tageslöhne von 12-15 Euro. Doch diese Arbeiten gibt es nur für wenige Tage im Monat. Mehrere Männer überlegen, ein paar Monate nach Europa zu fahren, um dort zu betteln und danach mit Geld für ihre Familie zurückzukehren (Bericht vom Mai 2004).

Die Arbeitslosigkeit ist ebenfalls ein großes Problem in Bostane. Jeder der Befragten gab dies als Hauptproblem an. Vor dem März 2004 sind die Kinder oft in den Wald gegangen, um Pilze zu suchen. Doch seitdem ist es zu gefährlich geworden, die Kinder alleine wegzulassen (Bericht vom Mai 2004).

80 Aschkali waren ehemals in einer lokalen Fabrik in Medvec angestellt. Doch mit dem Krieg 1999 haben alle ihren Arbeitsplatz verloren. Sie erhalten keinerlei Renten, obwohl sie teilweise über 30 Jahre dort gearbeitet haben. Heute arbeiten dort nur Albaner und kein Aschkali aus Medvec hat noch einen festen Arbeitsplatz (Bericht von Juli 2004).

Die Zugverbindung von Plementina nach Mitrovice/Mitrovica wurde nach den März-Unruhen kurzzeitig eingestellt. Seit der Zug fährt, traut sich kein Roma mehr, ihn zu benutzen. Die Roma aus Prilužje und Plementina, die vor dem März Arbeit hatten, hatten oft Teilzeitjobs in Mitrovice/Mitrovica. Jetzt haben die meisten der Roma keine Möglichkeit mehr, ihren Arbeitsplatz aufzusuchen. In beiden Orten ist die humanitäre und finanzielle Hilfe für die Roma eingestellt worden. Diese geht jetzt, lt. Polansky, an die serbischen Binnenflüchtlinge, die im März aus ihren Häusern vertrieben wurden (Bericht vom April 2004).

In Gračanica, einem der sichersten Orte für die Minderheiten seit dem März 2004, war es üblich, dass die Männer auf die Straße gingen und darauf warteten, für den Tag als Arbeitskraft angeheuert zu werden. Seit den Krawallen trauen sich die meisten Roma dies nicht mehr. Eine mutige Frau aus Gračanica arbeitet noch immer als Köchin in einem türkischen Haushalt in Prishtine/Priština. Sie hat große Probleme, zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen und von dort wieder nach Hause zu kommen. Nur Dank einem befreundeten albanischen Kioskbesitzer ist dies möglich. Da viele internationale Helfer bei ihm einkaufen, findet er meistens für sie eine Mitfahrgelegenheit. Trotzdem sieht sie sich bei ihren täglichen Fahrten der Gefahr von Gewalt durch Albaner ausgesetzt. Seit das GfbV-Team sie kennen gelernt hat, nimmt es sie regelmäßig mit nach Hause (Berichte vom März und April 2004).

5. Schulsituation

Offiziell gibt es für alle Kinder der Roma, Aschkali und "Ägypter" die Möglichkeit eines Schulbesuches. Faktisch jedoch ist es nur einem geringen Teil der Kinder möglich, tatsächlich eine ausreichende Schulausbildung zu erhalten.

Die Schulen im Kosovo sind streng nach Sprache getrennt. Es gibt albanische und serbische Schulen. Serben und Roma besuchen meist die serbischen Schulen, während Albaner, Aschkali und "Ägypter" ihre Kinder in die albanischen Schulen schicken. Dies stellt bereits diejenigen Serben und Roma vor Probleme, in deren Ort es keine serbische Schule gibt.

Auch ihre krasse Armut stellt die Kinder der Minderheiten vor große Probleme. Vielen Eltern ist es nicht möglich, ihren Kindern die benötigten Schulsachen zu kaufen. Ohne Bücher, Hefte und Stifte können sie in der Schule nicht mitarbeiten. Der Schulbesuch gestaltet sich dementsprechend kurz. In manchen Orten werden die Kinder von den Lehrern sogar nach Hause geschickt, weil sie keine angemessene Kleidung und auch keine Schuhe tragen.

Auf Grund der Sicherheitslage lassen die Eltern ihre Kinder vielerorts nicht mehr alleine in die Schule gehen. Seit März 2004 bestehen sie darauf, die Kinder zur Schule zu bringen und auch wieder abzuholen. In Haushalten, wo die Eltern dies nicht können, gehen die Kinder gar nicht mehr in die Schule. Ein weiteres Problem ist die Gewalttätigkeit der albanischen und ab und zu auch der serbischen Kinder. In der Schule werden die Kinder der Roma, Aschkali und "Ägypter"oft zusammengeschlagen und trauen sich folglich danach nicht mehr in die Schule zu kommen.

Kinder, besonders Mädchen, die tatsächlich eine Schule besuchen können, werden häufig zwischen 11 und 13 Jahren von ihren Eltern aus der Schule genommen und auf ein Leben als Hausfrau vorbereitet. Das "durchschnittliche" Heiratsalter ist bei Mädchen auf ca. 12-13 und bei Jungen auf 15-16 Jahre gesunken. Die Eltern der Töchter müssen nach der Hochzeit nicht mehr für sie sorgen, denn traditioneller Weise lebt fortan die Frau bei der Familie des Mannes. Tradition ist auch der vorherige Verkauf der Töchter; daher ist für die Familie der Mädchen eine frühe Hochzeit oft mit einem "lukrativen" Geschäft verbunden.

Insgesamt haben Aschkali und "Ägypter" eine etwas bessere Ausbildung als Roma. Ihnen ist es dank der albanischen Sprache vermehrt möglich, zumindest die Primarstufe abzuschließen. Roma hingegen haben generell nur selten die Chance, so weit zu kommen. Sekundäre Bildung erhält von den Minderheiten fast niemand. Nur in Einzelfällen wird eine Universität besucht. Diese katastrophale Bildungssituation der Roma, Aschkali und "Ägypter" wirkt sich natürlich direkt auf ihre Chancen am Arbeitsmarkt aus.

Beispiele aus den Gemeinden:

Einigen der Roma-Frauen aus Plementina war es nicht möglich, den Hygieneunterricht der GfbV – Mitarbeiterin Miradija Gidžić zu besuchen, da sie unterwegs waren, ihre Kinder in die Schule zu begleiten. Doch viele der Frauen, die gekommen waren, beklagten sich, dass ihre Kinder die Schule nicht besuchen können. Die Familien haben kein Geld, um Schulsachen für ihre Kinder zu kaufen (Bericht vom April 2004).

In Gushterica gibt es eine serbische Schule, welche die Roma-Kinder besuchen können.

Es kommen sogar Kinder aus den Nachbarorten, wie Janjevo, in diese Schule. Doch es herrscht wieder allgemein das Problem, dass viele der Eltern kein Geld für entsprechende Schulsachen haben (Bericht vom April 2004).

Die Aschkali-Gemeinde in Mali Alash kann ihre Kinder ebenfalls kaum in die Schule schicken. Ein Mann erzählt von seinem Enkel, der ehemals auf die albanische Schule im Ort gegangen ist. Doch dort wurde er, wie andere Aschkali-Kinder auch, beleidigt, schikaniert, geschlagen und schließlich sogar mit dem Tode bedroht. Zwar gibt es im Nachbarort eine serbische Schule, die besucht werden könnte, doch sprechen die Aschkali die Sprache nicht ausreichend, um mitzuhalten (Bericht vom März 2004).

Im Jahr 2002 hat eine österreichische Nichtregierungsorganisation (NGO) in Medvec eine neue Grundschule errichtet. Diese Schule war für die Minderheiten gedacht. Doch obwohl es in der Gemeinde drei Aschkali- Männer mit Universitätsabschluss gibt, sind in der Schule nur Albaner angestellt. Da die Aschkali und die anderen Minderheiten nicht genug Geld für Bücher, Kleidung, Schuhe und ähnliches haben, sind heute nur albanische Kinder auf der neuen Schule für Minderheiten (Bericht vom Juli 2004).

Rahovec/Orahovac ist auch, was die Schulbildung betrifft, ein außergewöhnlicher Ort. Hier gehen alle 20 Roma-Kinder, die im Schulalter sind, auf die lokale albanische Schule. Nur ein Kind besucht die serbische Schule. Es gibt auch keine Probleme mit albanischen Kindern, die sonst gewalttätig gegenüber Roma-Kindern sind (Bericht vom Mai 2004).

 

In der "Ägypter"-Gemeinde in Gjakove/Đakovica gehen die meisten Kinder in eine albanische Schule. Sie müssen doch jeden Morgen zur Schule hingebracht und nach der Schule auch wieder abgeholt werden. Die Kinder werden zwar nicht, wie anderenorts, von der Schule verwiesen, weil sie keine Bücher und Schulsachen kaufen können, dennoch ist dies ein riesiges Problem für die Weiterbildung der Kinder (Bericht vom März 2004).

6. Wiederaufbau

Der Wiederaufbau der Häuser von Roma, Aschkali und "Ägypter", die im Krieg zerstört wurden, geht noch immer sehr schleppend voran. Auch wenn am 17. und 18. März 2004 hauptsächlich serbische Häuser zerstört wurden, waren auch etwa 50 Häuser von Aschkali und Roma geplündert und niedergebrannt. Von etwa 14.500 zerstörten Häusern sind nach Einschätzungen des GfbV Teams vor Ort, wohl weniger als 200 wieder aufgebaut worden

Im Kosovo gibt es keine Schadensversicherung. Daher fehlt den meisten der Kosovaren, die in und seit dem Krieg ihre Häuser verloren haben, das Geld, diese selbständig wieder zu errichten. Nur in einigen Ausnahmefällen könnten sich dies reichere Serben mit eigenen Mitteln leisten. Doch möchte niemand so viel Geld für solch eine ungesicherte Sache ausgeben. Roma, Aschkali und "Ägypter" haben generell nicht die Möglichkeiten, den Aufbau ihrer Häuser zu finanzieren. Deswegen tragen die UNMIK-Verwaltung, das Land Serbien und Montenegro sowie einige NRO‘s die Gesamtkosten am Wiederaufbau. Doch die finanzielle Unterstützung sowie die Bereitstellung von Rohstoffen sind viel zu gering, um den Bedarf zu decken.

Auch wenn sich in einigen Fällen eine NRO gefunden hat, die den Aufbau eines serbischen oder Roma-Hauses finanziert, wollen diese das Haus meistens nicht behalten. Da der Großteil von ihnen den Kosovo sehr bald verlassen möchte, warten sie oft nur auf den Wiederaufbau, um dann das neu errichtete Haus an albanische Interessenten zu verkaufen. So wird nach und nach das ganze Land an Albaner verkauft, so dass dann schließlich, ganz allmählich und ohne weitere Gewalttaten, ein ethnisch bereinigtes Kosovo entsteht. Das Geld aus dem Hausverkauf wird zumeist in einen "Schlepper" investiert.

Beispiel aus der Gemeinde Malisheva/Mališevo

Die Roma-Großfamilie in Malisheva/Mališevo hat 1999 durch Übergriffe von Serben ihr Haus verloren. 2000 haben Albaner es wieder aufgebaut. Doch im Jahr 2003 wurde es ihnen durch Albaner abermals genommen und sie mussten in ein verlassenes Gebäude in der Nähe ziehen (Bericht vom Mai 2004).

7. Rückkehr

Bis zum März 2004 gab es im Kosovo zwar insgesamt unter den Roma, Aschkali und "Ägyptern" einen Bevölkerungsschwund, doch zumindest in einigen Orten war es umgekehrt. Seit den Ausschreitungen im März gibt es im gesamten Kosovo keine freiwilligen Rückkehrer mehr. Die schrecklichen Ereignisse haben sämtliche Projekte zur Rückkehr zum Stillstand gebracht. Auch bei Befragungen in Serbien, z.B. in Niš, wo Roma, Aschkali und "Ägypter" unter schlimmsten Bedingungen leben, gab kaum jemand an, in den Kosovo zurückkehren zu wollen.

Stattdessen möchten fast alle Angehörigen der Minderheiten den Kosovo verlassen. Für sie gibt es keine Zukunft im Kosovo. Sie haben Angst, noch länger dort zu leben. So entstehen statt Rückkehrerkolonnen Schlepperwartelisten.

Diejenigen, die tatsächlich in den Kosovo zurückkehrt sind, taten dies nicht freiwillig. Es sind ausschließlich Abgeschobene aus Westeuropa.

Das GfbV-Team führte im Kosovo, in den Ortschaften Peja/Peć, Istog/Istok und Ferizaj/Uroševac) Interviews mit aus Solingen, Lüneburg, Osterode und anderen deutschen Städten abgeschobenen Familien der Aschkali und "Ägypter". Die Berichte der Familien sind erschütternd.

Die Abschiebung erfolgte oft ohne Vorbereitung und Unterstützung. Mitten in der Nacht dringt die Polizei in die Wohnungen in Deutschland ein und steckt die Bewohner dann in ein Flugzeug nach Prishtine/Priština. Dabei durften sie den Großteil ihres Besitzes nicht mitnehmen. Oft wurden Familien getrennt. Während des Fluges war es ihnen sogar untersagt, miteinander zu sprechen.

Versprechen, dass sie dort von KFOR oder UNMIK abgeholt werden, erfüllen sich nie. Tatsächlich wurden alle Befragten von der deutschen Polizei in den Kosovo zurückgesandt, ohne die UNMIK von der Rückkehr zu verständigen. So mussten die Rückkehrer bei ihrer Ankunft ihre Verwandten anrufen oder mit dem Taxi nach Hause fahren. Dies verstößt gegen die Übereinkunft der deutschen Regierung mit der UNMIK. Die Abgeschobenen sind im "feindlichen" Territorium auf sich allein gestellt.

Einmal zurückgekehrt, haben die Abgeschobenen und auch die ehemaligen Binnenflüchtlinge selten ein Haus, in das sie zurückkehren können. Sie haben keine Chance, eine Arbeit zu finden und bringen auch kein Geld mit zurück. Abgeschobene aus Deutschland kommen ohne Besitz, da es ihnen nicht erlaubt wird, mehr als ein Koffer oder Geld mitzunehmen. Daher fallen sie häufig ihren Verwandten zur Last, die bereits um ihr eigenes Überleben kämpfen. Oftmals ist der Platz auch zu gering, um die ganze Großfamilie vernünftig zu beherbergen.

Die aus Deutschland abgeschobenen Kinder der Roma und Aschkali sprechen als "Muttersprache" Deutsch und beherrschen das Serbische oder Albanische nicht ausreichend, um eine Schule zu besuchen. Sie werden dort auch nicht akzeptiert, da sie nicht über genügend Sprachkenntnisse in Albanisch oder Serbisch verfügen. Folglich endet ihr Bildungsweg mit der Rückkehr in den Kosovo. Im August 2004 berichtete das GfbV-Team über die Probleme der Roma-Kinder, die aus Deutschland nach Süd-Serbien abgeschoben wurden. Da diese Kinder ohne jegliche Vorbereitung u.a. auch ihre Schule in Deutschland verlassen mussten, waren sie nicht in der Lage, ihre Abschlusszeugnisse mitzunehmen. Und da sie diese in den serbischen Schulen nicht vorweisen können und dazu noch kein Serbisch sprechen, landen sie meistens auf der Straße, wo sie dann auf Deutsch betteln gehen.

Auch die Binnenflüchtlinge werden gezwungen, in ihre Herkunftsorte zurückzukehren. Dabei wird nicht ausreichend untersucht, ob eine Rückkehr überhaupt ungefährlich ist. Auch wenn sie vor Übergriffen geschützt werden, wird die psychische Seite oft vernachlässigt. Trauma-Experten raten dringend davon ab, Flüchtlinge alsbald wieder zurückzuschicken. Für ihre seelische Gesundheit wäre es am wichtigsten, längere Zeit an einem Ort zu verbringen, an dem sie sich sicher fühlen können. Dies ist mit Sicherheit nicht der Ort, an dem ihnen Gewalt angetan wurde. So sind zwar inzwischen viele Binnenflüchtlinge der März-Ausschreitungen wieder "daheim", doch ihre Lage ist in vielerlei Hinsicht unsicher.

Da bis März 2004 verstärkt Roma, Aschkali und Ägypter in den Kosovo abgeschoben wurden, bauten internationale NGOs Häuser für die Rückkehrer auf. Dies geschah vor allem für Rückkehrer aus Serbien und Montenegro, aber nicht für diejenigen aus Deutschland. Es wird fälschlicherweise angenommen, dass die deutschen Rückkehrer genug Geld haben, um im Kosovo weiter leben zu können, insbesondere die, die bereits 10 oder 12 Jahre in Deutschland gewohnt haben. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die deutsche Polizei den Rückkehrern nicht erlaubt, mehr als einen Koffer ihres Besitzes mitzunehmen!

Beispiele aus den Gemeinden:

In Dubrava, einer Gemeinde mit etwa 60 % Roma, Aschkali und "Ägyptern", gibt es eine abgeschobene Aschkali-Familie, die ca. zehn Jahre in der Nähe von Bitburg in Deutschland gelebt hat. Eines Morgens um 6 Uhr früh kam die Polizei und holte sie aus der Wohnung. Nur mit Kleidung ausgerüstet, wurden sie im Düsseldorfer Flughafen in ein Flugzeug gebracht, welches extra für die Abschiebung bereit stand. Mit mehr als 80 anderen Roma, Aschkali und "Ägyptern" wurden sie nach Prishtine/Priština geflogen. Auf dem Flug durfte nicht gesprochen werden, aber viele weinten und trauerten um die Angehörigen, die sie in Deutschland zurückließen. Dort angekommen, musste die Familie für viel Geld ein Taxi nehmen. Jetzt wohnt sie bei einem Onkel. Die gesamte Großfamilie schläft gemeinsam in einem Zimmer. Wenn die Unabhängigkeit kommt, möchten sie es noch einmal im Ausland probieren (Bericht vom März 2004).

Ebenfalls bei seinem Onkel lebt ein Ashkali aus Sallahane. Er hat ein halbes Jahr in der Schweiz von Sozialhilfe gelebt. Am 12. Januar 2004 wurde er von der Polizei gezwungen, zu gehen; immerhin wurden ihm 3000 SF dafür versprochen. Doch am Flughafen in Zürich erhielt er nur 300 SF und wurde mit normalen Passagieren nach Prishtine/Priština geflogen. Dort musste er sich von seinem Vater abholen lassen. Zur Unabhängigkeit möchte er nach Montenegro ziehen. Ebenfalls in Sallahane gibt es eine Frau, die drei Tage nach ihrer Abschiebung aus Deutschland einen Schlepper zahlte, der sie daraufhin wieder zurück brachte. Ein anderer Rückkehrer in diesem Ort konnte, nachdem er abgeschoben wurde, nicht zurück in sein Haus, weil dieses von Albanern besetzt worden war (Bericht vom März 2004).

Als das GfbV-Team Anfang März in Gjilan/Gnjilane eintraf, um mit einigen Zurückgekehrten zu sprechen, erfuhren sie, dass vor kurzem beinahe sämtliche Roma den Ort verlassen hatten und nach Serbien gegangen sind. So war es nicht möglich, mit den Rückkehrern zu sprechen, da diese den Ort bereits wieder verlassen hatten.

Die flüchtigen Roma in Niš, Serbien, erwägen keine Rückkehr in den Kosovo. In Niš leben sie in einem Stadtteil mit dem Namen "Jüdische Gräber". Die eine Hälfte des ehemaligen Friedhofgeländes wird als Müllhalde und öffentliche Toilette genutzt, während der andere Teil des Friedhofes von den Roma gemeinsam mit ihren Tieren bewohnt wird. Sie leben hier in großer Armut meist schon seit 1999. Aufgrund der aktuellen Lage sieht niemand für sich oder seine Familie die Möglichkeit, je dorthin zurückzukehren. Sie sind "lieber frei als tot" (Bericht vom Mai 2004).

Die 56 Aschkali-Familien, die im März in Vushtrri/Vučitrn aus ihren Häusern vertrieben worden waren, sind inzwischen teilweise wieder in den Ort zurückgekehrt. Dort leben sie momentan in einem alten Motel. Die meisten sind jedoch traumatisiert und haben sich daher geweigert, nach Vushtrri/Vučitrn zurückzukehren. Sie sind noch immer auf dem französischen KFOR-Stützpunkt und warten darauf, dass sie Asyl in einem westeuropäischen Land erhalten. Ihre Zukunft ist jedoch unsicher. Es kann gut sein, dass auch sie früher oder später nach Vushtrri/Vučitrn zurückkehren müssen.

 

Anhang 1:

Auch wenn die Minderheitenangehörigen der Roma, Aschkali u.a. in wenigen Gemeinden im Kosovo keine Sicherheitsprobleme haben, ist ihr alltägliches Leben dort ein ständiger Kampf ums Überleben

 

Lage der Aschkali in Ferizaj/Uroševac und der Roma und Kroaten in Janjevo

(Bericht 16.-31.08.2004)

Die Aschkali in Dubrava (Gemeinde Ferizaj/Uroševac), etwa 60 % der Bevölkerung, haben keine Probleme mit ihren albanischen Nachbarn (etwa 40 % der Bevölkerung). Alle, die ihre Hände nicht schmutzig gemacht haben, haben nichts zu befürchten, meinen die interviewten Aschkali. 60 % der Aschkali sind in Dubrava arbeitslos. Einige arbeiten bei ihren albanischen Nachbarn für einen kleinen Tageslohn und würden nur im schlimmsten Fall ihr Dorf verlassen. Diejenigen, die keine Arbeit finden, sammeln Aluminium, altes Eisen oder Metallschrott. Einige Aschkali-Familien bekommen soziale Unterstützung in Höhe von 50 bis 60 EUR.

Die Aschkali in Ferizaj/Uroševac haben keine Probleme mit ihren albanischen Nachbarn und leben dort relativ ruhig. Einige arbeiten als Schmiede, Schlosser oder als Secondhand-Ladenbesitzer. Ihre Kinder gehen in albanische Schulen. Sollte aber der Kosovo bald unabhängig werden, werden nach Einschätzung vieler Aschkali die Minderheitenangehörigen mit dunklerer Hautfarbe das Land verlassen müssen.

Von den 70 interviewten Aschkali-Frauen wurden als Hauptprobleme mangelnde Hygiene und eine Läuseplage angegeben. Kinder wagen sich nicht auf die Straße, weil sie sich schämen, Läuse zu haben. Dazu kommt noch der Mangel an Lebensmitteln. Viele Frauen berichteten, dass sie tagsüber nicht genug zu essen haben. Auch wenn die eine oder andere Aschkali-Frau in einem albanischen Haushalt tätig ist, bekommt sie nicht genug Geld, um ihre Kinder richtig zu versorgen. Kinder werden deswegen nicht selten auf Müllabladeplätze geschickt, wo sie nach Nahrungsresten suchen. Es wird aber auch beklagt, dass dort oft nichts Essbares zu finden sei. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Es gibt keine Hilfsorganisationen, die die Familien regelmäßig unterstützen könnten. Das Team der GfbV konnte dank der Unterstützung der deutschen Organisation Kleiner Prinz an 100 Frauen Shampoos gegen Läuse verteilen. Auch wenn ihr Dorf von den Ausschreitungen im März 2004 nicht betroffen war, ist bei den interviewten Aschkali-Frauen Angst spürbar, wenn sie über die Zukunft des Kosovo sprechen. Besonders besorgt sind sie um die Zukunft ihrer Kinder.

Lage der Roma und Kroaten in Janjevo

(Bericht 16.-31.08.2004)

In Janjevo leben noch Albaner, Kroaten und Roma. Albaner in dem Ort distanzieren sich von den Verbrechen ihrer Mitmenschen während der Ausschreitungen am 17. und 18. März 2004. Während der Ausschreitungen wurde in Janjevo nur eine Fensterscheibe in einem Roma-Haus eingeschlagen. Es wird davon ausgegangen, dass es jemand absichtlich getan hat, um den Albanern außerhalb des Ortes zu signalisieren, dass sich die Albaner im Janjevo auch an den Übergriffen auf die Minderheitenangehörigen beteiligt und somit ihren "Beitrag" geleistet haben. Wäre nichts passiert, hätten die Minderheitenangehörigen Probleme bekommen, darüber sind sich die albanischen Nachbarn einig. Sollte es zu Übergriffen kommen.

wollen die interviewten Albaner in Janjevo ihre Roma und Kroaten in Schutz nehmen. Die verblieben Kroaten in Janjevo sind jedoch entschlossen, Janjevo zu verlassen, sobald der Kosovo unabhängig wird. Dass Kroaten in Janjevo kein Albanisch sprechen, könnte dort das Haupthindernis für ein weiteres Zusammenleben sein.

 

Fazit und Zusammenfassung

Fazit der ständigen Recherchen der Gesellschaft für bedrohte Völker: eine Rückkehr von Angehörigen der Minderheiten der Roma, Aschkali und "Ägypter" in den Kosovo ist ohne Gefahr für Leib und Leben unmöglich. Versprechungen der internationalen Gemeinschaft, von UNMIK und KFOR werden nicht eingehalten. Seit 1999 wurden gerade 200 der 14 000 zerstörten Häuser wieder aufgebaut. Viele von diesen wieder errichteten fielen im März 2004 der Zerstörungswut des albanischen Mobs zum Opfer.

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage der Minderheiten im Kosovo ist unverändert sehr besorgniserregend. Roma, Aschkali und "Ägypter" sind in ihren Gemeinden - mit ganz wenigen Ausnahmen -permanent der Bedrohung von gewaltbereiten Albanern ausgesetzt. Sie haben keine Bewegungsfreiheit und leben in ständiger Angst. Internationale Kräfte wie die KFOR, die UN-Zivilpolizei und der Kosovo Police Service (KPS), helfen nur minimal. Sie sind nicht fähig, die schwierige Lage im Kosovo unter Kontrolle zu halten. Besonders die Vorfälle vom März bekräftigten diese Tatsache. Vor allem sind Angehörige der Minderheiten der Roma auf dem Sprung, den Kosovo zu verlassen.

Versorgungslage

Die humanitäre Lage der Minderheiten ist äußerst schwierig. Den Menschen fehlt es an Lebensmitteln und Hygieneprodukten genauso wie an Kleidung und Schulsachen. Wie immer sind besonders die Kinder betroffen. Die absolute Armut macht das Überleben in vielen Fällen beinahe unmöglich.

Medizinische Versorgung

Nach wie vor stellt sich als besondere Schwierigkeit mit teilweise lebensbedrohlichen Folgen die medizinische Versorgung der Angehörigen der Roma, Aschkali und "Ägypter" dar. Aufgrund der Sicherheitslage, der langen Transportwege, aber auch der ethnischen Diskriminierung sind die meisten nicht in der Lage, einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen. Wenn sie es trotzdem wagen, müssen sie Gefahr für Leib und Leben in Kauf nehmen. Hinzu kommt, dass ebenfalls kein Geld für verschriebene Medikamente vorhanden ist. So entstehen immer wieder Gefahren für Leib und Leben.

Der größte Teil der Roma, Aschkali und "Ägypter" ist arbeitslos. Die meisten Kinder, besonders der Roma, haben keine Möglichkeit eine Schule zu besuchen, und so wächst beinahe eine ganze Generation ohne jegliche Bildung auf. Da auch der Wiederaufbau der zerstörten Häuser aus dem Krieg von 1999 nur schleppend vorangeht, erwartet alle potentiellen Rückkehrer im Kosovo ein neues Flüchtlingsdasein. Hinzu kommt natürlich die bedrohliche Sicherheitslage in den meisten der Gemeinden.

Schlussfolgerungen

Aus diesen Tatsachen ergeben sich für die GfbV dringende Notwendigkeiten für Veränderungen, die - besonders im Hinblick auf die baldige Unabhängigkeit des Kosovo - Vorbedingung für einen unabhängigen multiethnischen Staat sein müssen, in dem der weitreichende Schutz der Minderheiten gewährleistet wird.

Auch andere Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch empfehlen einen Strukturwandel im Kosovo. Um eine effektivere Einsatzmöglichkeit der internationalen Sicherheitskräfte zu garantieren, ist es notwendig, eine Zentralisierung der Befehlskette durchzuführen. Auch die GfbV ist der Auffassung, dass die einzelnen Truppenverbände zu sehr den sogenannten "rules of engagement" unterworfen sind. Dies führt zu einer extremen Inflexibilität. Zusätzlich ist es von hoher Bedeutung, dass die Zahl der im Kosovo stationierten Soldaten nicht weiter abgebaut wird. Die momentane Sicherheitslage, die - in Hinblick auf eine baldige Unabhängigkeit des Kosovo – sich noch deutlich verschlechtern könnte, fordert grundsätzliche Änderungen, nämlich den effektiven, wirklichen Schutz der Minderheiten. Wie Verteidigungsminister Peter Struck inzwischen auch feststellen musste, ist eine bessere Ausrüstung und Ausbildung in einigen Bereichen ebenfalls notwendig. Auch in der Verbrechensbekämpfung muss besonders UNMIK eine aktivere Rolle einnehmen. Es kann nicht sein, dass für Gewaltverbrechen gegen Minderheiten eine generelle Straflosigkeit besteht.

Ein weiteres Ziel der internationalen Politik muss die Verbesserung und Unterstützung der KPS sein. Es ist von großer Bedeutung, dass die Polizei eine multiethnische Macht bleibt und als solche ausgebaut wird. Vergehen gegen das Gesetz und gegen die Minderheiten müssen auch innerhalb der KPS bestraft werden. Wenn im Kosovo der Glaube entstanden ist, dass man als Polizist keinen Regeln unterworfen ist, können rechtsstaatliche Verhältnisse nicht hergestellt werden. Da im Falle der Unabhängigkeit die KPS sämtliche Aufgaben der UNMIK-Polizei übernehmen wird, ist eine gute Ausbildung der Polizisten besonders wichtig. Sie müssen ebenfalls angemessen ausgestattet werden.

Im Kosovo existieren zwei parallele Verwaltungsinstitutionen, zwei verschiedene Gesundheitswesen, getrennte Schulsysteme sowie parallele Arbeitsmärkte. Diese Aufteilung in getrennte albanische und serbische Einrichtungen führt zu zahlreichen Schwierigkeiten auch für die Minderheitenangehörigen der Roma, Aschkali und "Ägypter". Besonders Roma sind auf die serbischen Krankenhäuser und Schulen angewiesen, da sie ansonsten mit keiner Behandlung bzw. Ausbildungsmöglichkeit rechnen können.

Für die Minderheiten der Roma und Aschkali besteht weiter Gefahr für Leib und Leben im Kosovo. Ihre erzwungene Rückführung käme einer Deportation gleich und wäre politisch und humanitär nicht verantwortbar.

Auf Grund der in diesem Bericht verdeutlichten Lage dürfen Roma, Aschkali und Ägypter (genau wie Serben) nicht abgeschoben werden. Auch der UNHCR vertritt diese Überzeugung. Eine sichere Rückführung ist momentan nicht möglich und wird auch auf lange Zeit unwahrscheinlich bleiben. Erzwungene Rückkehr darf nicht länger von deutschen Behörden und Innenministern als freiwillige Rückkehr ausgegeben werden.

Die GfbV fordert weiterhin eine ausgedehnte humanitäre und finanzielle Unterstützung der Minderheiten der Roma und Aschkali im Kosovo. Die momentane politische Lage verbietet es ihnen, selbstständig auszukommen. Daher wäre es unverantwortlich, die Roma, Aschkali und "Ägypter" sich selbst oder dem "Gutdünken" ihrer albanischen Nachbarn zu überlassen. Eine internationale Präsenz muss beibehalten und auch im humanitären Bereich ausgeweitet werden. Besonders den Kindern sollte die Möglichkeit eines Schulbesuches geschaffen werden.

Etwa 130 000 von 150 000 Roma, Aschkali und "Ägyptern" leben heute als Flüchtlinge in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Italien und Skandinavien. (Etwa 15 000 bis 20 000 Angehörige der Minderheiten der Roma, Aschkali und "Ägypter sind im Kosovo noch zurückgeblieben (Angaben des GfbV-Teams). Die derzeit 38 500 Vertriebene in Deutschland können nicht in ihre Heimat zurückkehren. Da ihre Rückkehr nach menschlichem Ermessen völlig unmöglich ist, fordert die GfbV die deutschen Innenminister auf, diesen Vertriebenen eine Aufenthaltsbefugnis von mindestens einem Jahr zu gewähren. Denjenigen, die bereits längere Zeit in Deutschland leben, sollte ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt werden.