22.04.2005

Kosovo: Blutige Jagd auf Rechtlose

Vorurteile und Stereotype

NATO-Truppen haben mit ihrer Intervention 1999 im Kosovo die Rückkehr von über 1,5 Millionen albanischen Vertriebenen und Flüchtlingen in ihre Heimatdörfer durchgesetzt. Entgegen albanischen Angaben gehörten aber fast ein Viertel der kosovarischen Bevölkerung Minderheitengruppen an. Unter ihnen waren etwa 150.000 Angehörige von Volksgruppen indischer Abstammung, der Roma, Aschkali und der so genannten Kosovo-Ägypter. Bis 1999 verstanden sich die Aschkali, Menschen mit meist dunkler Hautfarbe, den Roma eng verwandt, aber – weil albanischer Muttersprache – als Teil der albanischen Nationalität. Wesentlich verschlechtert hat sich das Verhältnis unter den Minderheitengruppen mit dem Kosovo-Krieg. Da viele Roma in serbischen Enklaven lebten, schlugen sie sich auf die Seite der Serben und gerieten dadurch zwischen die Fronten des ethnischen Kampfes; in der Folge wurde sie von Albanern als Kollaborateure verfolgt – ein schlechtes Image bekamen sie damit auch bei den Aschkali. Die verwandten "Ägypter" führten ihre Abkunft auf das klassische Land der Pharaonen zurück.

Unter den Augen der NATO wandten sich radikalisierte chauvinistische Albaner gegen die Minderheiten. 75 Stadtteile und Dörfer der drei Volksgruppen wurden dem Erdboden gleichgemacht, 14.000 von 19.000 Häusern zerstört. Drohungen, Misshandlungen, Folterungen, Morde, Entführungen und Verschwinden lassen führten zur panischen Flucht der Roma und ihrer Verwandten. Während albanische Flüchtlinge sich sogar in den Häusern der Minderheiten niederließen, wurden allein 2.000 von deren Angehörigen über Jahre in Zelten oder Baracken untergebracht und mussten – ungenügend von KFOR-Truppen geschützt und unzureichend von UNHCR versorgt – pariagleich und verängstigt ausharren. Dabei gehörten die Roma und Aschkali Kosovos zu den integriertesten des Balkan. 95 % von ihnen hatten eigene Häuser, sehr viele waren Bergleute, Arbeiter in Energie- und Industrikombinaten oder kleine Händler, betrieben Gartenbau oder Landwirtschaften in kleinem Ausmaß.

Zwischen 1999 und 2004 änderte sich die Situation der im Lande zurückgebliebenen etwa 20.000 Menschen nur wenig zum Besseren, bis im März 2004 fast flächendeckend gewalttätige, extremistische albanische Massen gegen die verbliebenen Siedlungen der Roma und Serben vordrangen. Bei diesen Pogromen wurde z.B. die Aschkali Siedlung in Vucitrn/Vushtri verbrannt und ihre Einwohner zuvor von albanischer Polizei abtransportiert. Die Truppen der Deutschen Bundeswehr ließen in Prizren zu, dass albanische Extremisten das serbische Viertel mit uralten orthodoxen Kirchen niederbrannten. Roma-Vertreter hatten vergeblich die deutschen KFOR-Truppen um Intervention angefleht. Der Spiegel verglich inzwischen dieses Verhalten – leicht überzogen – mit dem Versagen der niederländischen Truppen bei dem serbischen Genozid an den bosnischen Muslimen in Srebrenica.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker war seit Juli 1999 immer wieder vor Ort, beobachtete die Situation, versuchte sie positiv zu beeinflussen. Aus den Recherchen entstand eine Dokumentation, versehen mit einem Appell von Günter Grass, der nicht nur durch seine Arbeit für Sinti und Roma mit der GfbV verbunden ist. Diese Informationen und die nachfolgenden Reporte unseres amerikanischen Mitarbeiters Paul Polansky trugen wesentlich zur Verhinderung von Abschiebungen aus Deutschland bei. Polansky etablierte ein GfbV-Kosovo-Team mit drei Roma-Mitarbeitern, brachte humanitäre Hilfe in Roma-Siedlungen sowie medizinische Hilfe für die hilflosen, weil ständig von Albanern bedrohten Menschen.

30.000 Roma und Aschkali flüchteten nach Deutschland, Zehntausende nach Italien, in mitteleuropäische Länder und in ihrer großen Mehrheit nach Serbien, Montenegro und Mazedonien. In den Nachbarländern des Kosovo erleiden die Roma unendliche Not, erhalten kaum humanitäre und medizinische Hilfe, leben in Notunterkünften und erhalten keine Arbeit.

Die Roma- und Aschkali-Flüchtlinge in Deutschland erhalten über Jahre nur Duldungen von wenigen Monaten, manche müssen die Duldung sogar wöchentlich verlängern. Ihr Status ist ungewiss, die Abschiebung in eine Gefahrensituation für Leib und Leben wird ständig angedroht. Für viele Aschkali-Familien wurde sie im vergangenen Jahr zur bitteren Realität. Dann folgten die Pogrome. Diese Vertriebenen dürfen in der Regel nicht arbeiten, die Kinder können keine Lehre absolvieren, die Menschen dürfen ihre Stadt oder ihren Landkreis nicht verlassen. Sie haben keine Perspektive, keine Zukunft. Die Rückkehr wird wohl nie mehr möglich sein. Aber darüber diskutieren weder deutsche Behörden noch deutsche Minister.

Dossiers

Albanischen Brandstiftern schutzlos ausgeliefert. Roma und Aschkali aus Kosovo evakuieren! – Eine Dokumentation der GfbV, 30. März 2004 www.gfbv.de/download/doku_300304.pdf

"Unter den Augen der KFOR" – Massenvertreibung der Roma,

Aschkali und Kosovo-Ägypter", 7. ergänzte Auflage, Februar 2001 www.gfbv.de/dokus/roma2_d.htm

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