27.04.2005

Konvention 169 der ILO sichert Ureinwohnerrechte ab. Auch reiche Industriestaaten sollten sie ratifizieren

Gegen die eigenen Ansprüche

Mit dem Ende der UN-Dekade für die Rechte der indigenen Völker ist ein wichtiger Schritt für die Besserstellung von 350 Millionen Menschen erreicht, die den fast 5.000 Ureinwohnervölkern weltweit angehören. Die UN-Arbeitsgruppe für indigene Bevölkerungen in Genf, das in New York ansässige Permanente Forum für indigene Belange oder der UN Sonderberichterstatter für indigene Völker sind wichtige Errungenschaften. Der Prozess, eine Universale Charta der Rechte indigener Völker zu entwickeln und zum Ende der Dekade im Dezember 2004 zu verabschieden, ist jedoch weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Einziges verbindliches Instrument zur Absicherung indigener Rechte bleibt daher vorerst die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt sich gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen dafür ein, dass auch die Bundesregierung die Konvention ILO 169 ratifiziert. Im Dezember 2002 verabschiedete der Bundestag bereits eine Resolution, in der die Bundesregierung aufgerufen wird, noch in der laufenden Legislaturperiode die Ratifizierung der Konvention in die Wege zu leiten. Doch geschehen ist seitdem wenig.

Warum ist die ILO 169 für die indigenen Völker so wichtig?

Die Konvention 169 verwendet ausdrücklich den Begriff "Völker" und anerkennt damit auch Kollektivrechte von Ureinwohnern. Für sie, die meist keinen Privatbesitz Einzelner kennen, ist dies eine entscheidende Verbesserung gegenüber anderen Mechanismen des Völkerrechts, die ausschließlich auf dem Individualrecht basieren. Das übereinkommen verankert wichtige Grundrechte der indigenen Völker, so ihr Recht auf ein eigenes Territorium, eine eigene Lebensweise, Kultur, Religion und Sprache. Gleichzeitig untersagt sie Diskriminierung im Ausbildungs-, Arbeits-, Gesundheits- und Sozialversicherungsbereich. Den Regierungen, die sie ratifiziert haben, erlegt die Konvention Mindeststandards im Umgang mit Ureinwohnern und in Stämmen lebenden Völkern auf. Wichtig ist zum Beispiel, dass betroffene Völker gründlich informiert werden und zustimmen müssen, bevor Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit realisiert werden können, die sich auf ihre Lebensverhältnisse auswirken. Die betroffenen Ureinwohner müssen an den entsprechenden Entscheidungsprozessen beteiligt werden.

Die wichtigsten der 44 Artikel sind:

  • volle Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 2, 3)
  • Recht auf Gestaltung der eigenen Zukunft (Art. 6, 7)
  • Recht auf kulturelle Identität und auf gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen (Art. 4)
  • Recht auf Land und Ressourcen (Art. 13-19)
  • Recht auf Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20)
  • Recht auf Ausbildung und Zugang zu den Kommunikationsmitteln (Art. 21)
  • Recht auf Beteiligung bei der Findung von Entscheidungen, die diese Völker betreffen ( Art. 6)
  • Gleichberechtigung vor Verwaltung und Justiz (Art 2, 8, 9).
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    Die Konvention 169 stärkt die traditionellen Selbstverwaltungsorgane (z.B. Stammesräte, Land Councils). Besonderen Schutz genießen die ursprünglich besiedelten Territorien, bis hin zum Recht auf Rückforderung von Land, die kulturelle Identität, die natürliche Umwelt sowie die in indigenen Territorien vorkommenden Rohstoffe. Außerdem erlaubt eine Ratifizierung der Konvention den Zugriff auf die Kontrollmechanismen der ILO:

     

  • Staaten, welche die Konvention ratifiziert haben, müssen alle fünf Jahre Berichte über die Umsetzung des Abkommens vorlegen.
  • Regierungen, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen können Klagen oder Beschwerden einreichen, wenn ein Signatarstaat gegen die Konvention verstößt.
  • Auf dem Umweg über diese Institutionen, zum Beispiel Gewerkschaften, können auch indigene Völker gegen Verletzungen der Konvention Klage erheben.
  • Auch Menschenrechtsorganisationen erhalten neue Möglichkeiten, sich einzumischen und Menschenrechtsverletzungen von Verursacherstaaten öffentlich zu machen.
  • Was ist in der Bundesrepublik bislang geschehen?

    Schon 1996 sprach sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einem Strategiepapier ausdrücklich für die Berücksichtigung der ILO-Konvention 169 in der bundesdeutschen Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik aus. Seitdem hat das BMZ mehrfach die Ratifizierung der Konvention befürwortet. Im selben Jahr setzte sich die damalige Regierung Kohl im Rahmen einer kleinen Anfrage mehrerer SPD-Abgeordneter sowie der SPD-Fraktion detailliert mit der Konvention 169 der ILO auseinander (Drucksache 12/5367). Darin heißt es unter anderem, dass "Menschenrechte (hier nicht zuletzt der Indikator Schutz nationaler Minderheiten), Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit und die Beteiligung der jeweiligen Bevölkerung am politischen Entscheidungsprozess (geeignet sind), Art und Umfang der Entwicklungszusammenarbeit mit einem Partnerland auch von der Situation indigener Bevölkerungsgruppen abhängig zu machen". Doch die Ratifizierung der Konvention wies die Bundesregierung zurück, da sie sich nur an Staaten wende, in deren Grenzen indigene Völker beheimatet seien. "Die Bundesregierung", so heißt es zu Punkt 24 der Anfrage, "geht davon aus, dass die genannten Umstände zwar einen Beitritt zum Abkommen Nr. 169 der ILO unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten nicht ausschließen, ihn aber derzeit nicht sinnvoll erscheinen lassen."

    Doch ist die Bundesregierung in der Pflicht, noch in der laufenden Legislaturperiode die Ratifizierung der Konvention 169 der ILO in die Wege zu leiten. Diesen Auftrag hat ihr der Bundestag auf Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 3. Dezember 2002 mit der Resolution "Menschenrechte als Leitlinie der deutschen Politik" (Drucksache 15/136) erteilt. Darin heißt es: "Die zu Ende gehende Dekade der indigenen Völker sollte zum Anlass genommen werden, die Ratifizierung des IAO-Abkommens Nr. 169 über indigene und in Stämmen lebende Völker in die Wege zu leiten. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der finanzpolitischen Leitlinien auf, zur Stärkung der Menschenrechte in der internationalen Politik (…) auf die Ratifizierung des IAO-Abkommens Nr. 169 über indigene und in Stämmen lebende Völker hinzuwirken."

     

    Während das Außen- und das Entwicklungsministerium eine Ratifizierung der Konvention befürworten, blockt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement das Verfahren und prüft noch immer, wie sich sein Ministerium dazu verhalten soll.

    Warum sollte die Bundesregierung die ILO-Konvention 169 ratifizieren?

    Durch eine Ratifizierung der ILO-Konvention Nr. 169 könnte die Bundesrepublik Deutschland Maßstäbe für eine neue Partnerschaft mit den Ureinwohnern im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit setzen und dieses bislang einzige verbindliche Vertragswerk stärken. Sie müsste sich auch selbst neue Maßstäbe in der Konzeption von Entwicklungsvorhaben setzen, die Beispielscharakter für andere Staaten erhalten könnten. Hermes-Kredite für Projekte, die sich auf Ureinwohner negativ auswirken, müssten zum Beispiel künftig unterbleiben, die Indigenen müssten in die Planung und Durchführung von Projekten mit deutscher Beteiligung einbezogen werden.

    Diese Bundesregierung hat zu Beginn ihrer ersten Legislaturperiode 1998 die Stärkung der Menschenrechte, die Veränderung internationaler Strukturen zugunsten gleichberechtigter Partnerschaft und den Abbau der Armut explizit zur Leitlinie ihrer Politik erklärt. Eine Ratifizierung der ILO-Konvention 169 wäre ein überzeugender Beitrag zur Verwirklichung dieses selbstgesteckten Ziels und gerade im letzten Jahr der UN-Dekade für indigene Völker ein wichtiges Signal für die Ureinwohner, dass ihre Menschenrechte, ihr kulturelles Anderssein und ihre nicht-staatliche Lebensweise von der Bundesregierung ernst genommen und respektiert werden.

    Infos:

    www.gfbv.de/download/ilo169faq.pdf

    www.gfbv.de/voelker/indigene/inhalt.htm

    www.ilo169.de