21.01.2008

Kolumbien: Die Erde bebt

Indigene Gemeinschaften und Natur im Aufruhr

Die indigenen Völker im Department Cauca im Süden von Kolumbien haben seit dem 11. November 2007 die Initiative ergriffen und sich die ‘Befreiung ihrer Territorien’ (Liberación de la Madre Tierra) von fremder Herrschaft zum Ziel gesetzt. Logistisch unterstützt durch den Regionalen Ureinwohnerrat des Cauca (CRIC; Consejo Regional Indígena del Cauca) erhoben sich die Gemeinschaften der Nasa, Totoroes, Yanacona, Polindara, Kokonuko und Guambiano in den Landkreisen (Municipios) Santander de Quilichao, Caldono, Caloto, Silvia, Piendamó, Morales, Puracé, Popayán, Suarez und Totoró und besetzten bislang 15 Areale. Auch die indigenen Gemeinschaften im angrenzenden Departement Huila in den Landkreisen Itaibe und Pitalito werden in Kürze Land besetzen.

Nicht eingehaltene Absprachen mit der Regierung, die zum Teil vor mehr als 20 Jahren getroffen wurden, offene Vertragsbrüche, Angriffe gegen Führungspersonen und Dorfgemeinschaften, die verheerenden Folgen der Marktliberalisierung sowie einschneidende Veränderungen zentraler Gesetze ohne ihre Einbeziehung (zum Wasser, Wald, Bergbau etc.) ließen Geduld und Dialogbereitschaft auf Seiten der indigenen Völker des Cauca auf den Nullpunkt sinken. Die Gemeinschaften sehen nicht nur sich selbst mit dem Rücken zur Wand, sondern haben buchstäblich die Verwüstung ihrer Umwelt vor Augen.

Von den vielen gebrochenen Versprechen stechen einige hervor:

• Nach dem Massaker an Landbesetzern auf der Farm El Nilo 1991, bei dem es 20 Tote gegeben hatte, kam es im Zuge der juristischen Aufarbeitung im Dezember 1991 zu einer Entschädigungsregelung. Gegenüber dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde eine Garantieerklärung abgegeben, der zufolge der betroffenen indigenen Gemeinschaft innerhalb von drei Jahren die Landrechte des von Drogenhändlern okkupierten Terrains zugesprochen werden sollten. Geschehen ist bis heute nichts.

• Das kolumbianische Institut für ländliche Entwicklung (INCODER; Instituto Colombiano de Desarrollo Rural) hat ein Grundstück (Villa Carola) erworben, um es an Vertriebene zu verteilen. Dass just dieses Terrain innerhalb des Reservats (resguardo) von Poblazón liegt und der Dorfgemeinschaft der Kokonuko seit 1992 zugesagt ist, kümmerte das Institut nicht.

• Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe Vélez sagte im Dezember 2005 zu, der indigenen Gemeinschaft im Landkreis Caldono mittels des Dekrets 982/1999 in einem Zeitraum von sechs Monaten 1.000 Hektar Land (Finca Japio) zu übereignen. Das ist bis heute nicht geschehen mit der Begründung, bei dem Grundstück handele es sich um ein historisches Kulturerbe der Nation, das nicht an eine indigene Gemeinschaft abgegeben werden könne. Abgesehen davon, dass die historischen Wurzeln der indigenen Gemeinschaft und damit ihr Anspruch auf das Land weit tiefer gehen, hindert die Bedeutung des Landstrichs offensichtlich nicht daran, dort einen Forstbetrieb wirtschaften zu lassen.

• Mehrere Landkreise im Department Cauca beschlossen 2003 eine Flurbereinigung und schrieben darin fest, dass zukünftig an indigene Gemeinschaften kein Land verkauft werden darf.

• Das Grundlagengesetz zur ländlichen Entwicklung (Estatuto de Desarrollo Rural) gibt der kommerziellen Nutzung der natürlichen Ressourcen einschließlich des Bodens sowie dem Schutz auswärtiger Investitionen absoluten Vorrang. Dadurch wird jegliche Bodenreform und Übereignung von Land an ‚unproduktive‘ Eigner unmöglich.

• Landbesetzungen beantwortet der kolumbianische Staat zunehmend mit Maßnahmen aus dem Anti-Terrorismus-Katalog. So wurden Sicherheitsdienste gegen Landbesetzer auf der Farm La Perla im Landkreise Silvia, gegen Gemeinderäte des Resguardo Jebalá oder gegen Demonstranten im Zuge der ‘Befreiungs’-Aktion eingesetzt. Ein Toter ist bereits zu beklagen: Lorenzo Largo Dagua aus dem Resguardo Huellas (Landkreis Caloto) erlag seinen Schussverletzungen am 14. Dezember 2007. Die laufende Aktion ‘Liberación de la Madre Tierra‘ fällt unter den Generalverdacht, von der FARC-Guerrilla koordiniert zu sein (eine abwegigere Unterstellung kann es in diesem Fall nicht geben).

• Nicht nur Ureinwohner sind von dieser Politik betroffen: So wurden intern Vertriebene, die sich entlang der Straße von Cali nach Buenaventura (Barrio El Colorado, Sektor La Fortuna) sowie in der Umgebung von Buenaventura (Playa Renaciente) niedergelassen hatten, trotz Einwänden seitens der Ombudsstelle für Menschenrechte (Defensoría del Pueblo) und der Kommission für Menschenrechte im kolumbianischen Senat mit Gewalt geräumt.

• Die Vorgabe, vor öffentlichen Maßnahmen, die indigene Territorien betreffen, vorab und umfassend zu informieren sowie eine Vereinbarung mit den Betroffenen zu erzielen, wird immer weniger erfüllt; obwohl Kolumbien die ILO-Konvention 169 ratifiziert und durch das Gesetz 21/1991 in die nationale Gesetzgebung überführt hat.

Angesichts der verhärteten Gesprächsstrukturen beriefen der CRIC und die nationale Indigenenorganisation ONIC (Organización Nacional Indígena de Colombia) am 23. November eine ständige Versammlung indigener Gemeinschaften aus acht Großregionen des Cauca ein. Seitdem tagt dieses ‘Parlament von unten’ (Parlamento Indígena Popular) auf dem Resguardo-Gebiet La María / Piendamó, seit Jahren ein Zentrum für Dialog und Verhandlungen. Die ständige Versammlung soll sich aus gegebenem aktuellem Anlass mit institutionellen Verstößen des kolumbianischen Staates gegen historische Grundrechte der Ureinwohner (z.B. die Rückübereignung traditioneller Territorien) und in sozialer Armut Lebender beschäftigen. Eines der Themen ist nicht zuletzt der Freihandelsvertrag der kolumbianischen Regierung mit den USA und dessen Konsequenzen für die Lebensverhältnisse der Ureinwohner in Kolumbien.

Vulkanausbruch!

Zur Eigeninitiative der indigenen Gemeinschaften in Cauca zeitlich und inhaltlich passend, grollt auch die Natur: Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen meldete sich der Vulkan Nevado del Huila, ließ die Erde erbeben und verursachte mehrere Schlammlawinen, Überschwemmungen, Brückenschäden und Straßenblockaden. Die Folgen der Vulkanaktivität erinnerten nachdrücklich an den Raubbau an der Natur, denn da die Wälder für kurzfristigen Gewinn abgeholzt werden, können sie für Lawinen keine Barrieren mehr bilden. Vor Ort wird dieses Grollen der Natur als (Wut-) Ausbruch und Bestätigung des zivilen Ungehorsams interpretiert.

<b<Werden Sie aktiv!</b>

Die indigenen Organisationen CRIC und ONIC fordern ihre ausländischen Unterstützer dazu auf, sich aktiv einzumischen.

Bitte unterstützen Sie unseren Online-Appell an die kolumbianische Botschafterin Victoriana Mejía Marulanda. Bitte formulieren Sie wenn möglich auch eigene Briefe (auf Spanisch oder Deutsch), in denen Sie weitere Fallbeispiele erwähnen.

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