15.07.2009

Klimaflüchtlinge und Menschenrechte

Man kennt sie aus dem Fernsehen oder aus dem Reisekatalog: Hübsche kleine Hütten, die auf ihren Stelzen im türkisblauen Wasser stehen, einen Steinwurf von atemberaubenden Korallenriffen entfernt. Der gut situierte Tourist genießt den Urlaub im Paradies und lauscht dem Plätschern der Wellen. Mancher wird neidisch sein auf die Menschen, die hier leben.

Wenn die Bewohner von Tuvalu, den Malediven, Kiribati und anderen kleinen Inselstaaten im Pazifik das Rauschen der Brandung hören, denken sie an Abschied.

Tausende Inseln der Region sind aufgrund des Klimawandels akut vom Untergang bedroht. Der steigende Meeresspiegel sorgt schon heute dafür, dass ganze Bevölkerungen evakuiert werden müssen. Zurück bleibt die Heimat, die kulturelle Verwurzelung der Menschen.

Klimawandel bedingte Umweltveränderungen und -zerstörungen berauben Menschen überall auf der Welt ihrer natürlichen Lebensgrundlagen und bedrohen die Gesundheit und Existenz ganzer Gemeinschaften. In immer mehr Fällen gelingt es den Menschen nicht mehr, sich an die neuen Bedingungen anzupassen, sie werden gezwungen zu flüchten.

Die Prognosen sind dramatisch. Studien gehen davon aus, dass die Zahl dieser Klimaflüchtlinge innerhalb der kommenden 30 Jahre auf eine Zahl zwischen 200 Millionen und einer Milliarde Menschen ansteigen könnte. Der Klimawandel ist damit zu einer ernsten Gefahr für die Menschenrechte geworden.

 

Klimaflucht ist ein weltweites Problem

Schon lange bevor Inselstaaten im Pazifik tatsächlich im Meer verschwinden, wird das Leben dort unmöglich. Salziges Meerwasser sickert langsam ins Grundwasser und verunreinigt Trinkwasserreserven. Damit stirbt auch die Landwirtschaft.

In der Arktis bedroht die Eisschmelze die Lebensgrundlage von Indigenen. Menschen, die die ehemals sicheren Wege über die Eisflächen überqueren wollen, begeben sich in Lebensgefahr. Es kommt zu Küstenerosionen, Dörfer verschwinden in den Fluten der arktischen See. Mit dem Klimawandel verwandelt sich das Ökosystem, traditionelle Nahrungsketten werden unterbrochen.

In Afrika und Asien verschlimmern die extremen Wetterschwankungen das Wasserproblem. Langfristige Dürreperioden und Überschwemmungen wechseln sich ab und rauben den Menschen die Chance zur Anpassung. Davon betroffen ist besonders die Landbevölkerung, die entweder von Landwirtschaft oder Viehhaltung lebt. Die Folge sind Hungersnöte. Es kommt daher öfter zu gewaltsamen Ressourcen-Konflikten zwischen verschiedenen Volksgruppen, insbesondere auch zwischen nomadischen und sesshaften Völkern.

 

Klimawandel und Klimaflucht verletzen Menschenrechte

Die Vereinten Nationen ziehen schon seit einiger Zeit eine klare Verbindung zwischen dem Zustand der Umwelt und der Realisierung von fundamentalen Menschenrechten. Hierbei geht es vor allem um die Rechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser und Unterkunft.

Bis zum Jahre 2020 werden schätzungsweise weitere 50 Millionen Menschen aufgrund des fortschreitenden Klimawandels unter Hunger leiden. Dem afrikanischen Kontinent drohen Rückgänge der Ernten von bis zu 50 Prozent bis zum Jahre 2050, in Asien sind es 30 Prozent Bei einem weiteren Anstieg der Meerestemperatur sterben die Korallenriffe, die Heimat von ca. 25 Prozent aller Fischbestände. Etwa eine Milliarde Menschen weltweit leben vom Fischfang.

Der Verlust von Gletschern und Dauerschnee auf Berggipfeln hat erhebliche Folgen für die Wasserversorgung von über einer Milliarde Menschen, die direkt vom Schmelzwasser abhängig sind. Gleichzeitig werden Trinkwasserreserven durch einsickerndes Salzwasser und Überschwemmungen verunreinigt. Krankheiten können sich leichter ausbreiten. Der Anstieg der Durchschnittstemperatur und die Ausweitung von Überschwemmungsgebieten begünstigt außerdem die Verbreitung von Tropenkrankheiten wie Malaria in ganz neuen Regionen.

 

Klimaflucht trifft Indigene besonders hart

Für indigene Völker hat der Klimawandel besonders gravierende Folgen. Durch die klimabedingten Veränderungen von Flora und Fauna werden ihre traditionellen Nahrungsketten gestört oder unterbrochen und die Lebensgrundlage ganzer Gemeinschaften gefährdet. Massive Umweltveränderungen lassen den Menschen nicht viel Raum zur Anpassung.

Zudem leben indigene Völker oft in enger kultureller Verbundenheit mit ihren Siedlungsorten und bestimmten Stätten, die seit Generationen eine wichtige religiöse Bedeutung haben. Der Zwang zur Flucht aus diesem Lebensraum stellt deshalb einen massiven Einschnitt in das Recht auf Selbstbestimmung dar, das dem Menschen freie ökonomische, soziale und kulturelle Entfaltung und Entwicklung zugesteht.

 

Drama im rechtsfreien Raum

Menschen, die aufgrund der Folgen des Klimawandels flüchten müssen, haben derzeit nach internationalem Recht keine Möglichkeit auf Anerkennung eines Flüchtlingsstatus. Grund dafür ist unter anderem die anhaltende Diskussion über eine Definition von Klimaflucht. Kritiker bemängeln, es handele sich viel mehr um eine Migrationsbewegung, denn sie bezweifeln den zwanghaften Charakter der Umsiedelung.

Die Vermischung von anthropogenen und natürlichen Ursachen macht aus dem Klimawandels zudem ein komplexes System von Interaktionen, das sich oft nur mühsam entwirren lässt. Es ist deshalb nicht ohne weiteres möglich, die Schuld prozentual auf einzelne Akteure zu verteilen.

Die Industriestaaten scheinen ohnehin wenig Interesse an einer schnellen Einigung über rechtliche Feinheiten zu haben. Denn so viel ist klar: Wenn der Klimawandel als Fluchtursache völkerrechtlich anerkannt wird, liegt die Frage nach der Verantwortung auf der Hand. Die logische Folge wäre der Versuch, die Verursacher auch trotz der problematischen Ursachenforschung zur Rechenschaft zu ziehen. Und das könnte sehr teuer werden.

Für die Betroffenen ist die Situation dramatisch. Ohne Flüchtlingsstatus sind sie von der Hilfe der meisten internationalen Organisationen ausgeschlossen. Wenn die Staatengemeinschaft die Situation weiterhin verleugnet, wird es zu einer dramatischen humanitären Katastrophe kommen. Vor diesem Hintergrund ist es unbedingt nötig, dass die Industriestaaten ihre Verantwortung für die Folgen des Klimawandels erkennen und versuchen, die Folgen von Umweltveränderungen und Flucht zu begrenzen.

 

Industriestaaten verschlimmern das Problem

Statt Vernunft regiert jedoch weltweit weiterhin die Profitgier. Mit dem Rückgang der Eisschichten im Arktischen Meer hat ein Kampf um Macht und Ressourcen begonnen. Ohne Rücksicht auf die Lebensräume der indigenen Völker versuchen die Industrienationen der Region mit Hilfe von großen Rohstoffmultis ihren Einflussbereich auszudehnen. Die Zerstörung und Umweltverschmutzung im Zuge der Erschließung neuer Erdöl- und Erdgasgebiete verschlimmern die ohnehin prekäre Situation der Indigenen.

Auch in der Amazonasregion führt die Gier nach Rohstoffen seit langem zu gewaltsamen Konflikten und der Verletzung von Landrechten der indigenen Bevölkerungsgruppen. Von der Zerstörung des Regenwaldes sind auch die letzten in freiwilliger Isolation lebenden Völker der Welt betroffen.

Auch im Zuge des vermeintlich umweltfreundlichen Booms von Öko-Kraftstoffen werden gewaltige Flächen an Regenwald zerstört. Der Platzbedarf für Plantagen, auf denen die Pflanzen zur Ethanol-Gewinnung gepflanzt werden, ist enorm. Die Klimabilanz von Öko-Sprit ist negativ, denn der Regenwald speichert riesige Mengen an CO2, die bei der Rodung frei werden und den Klimawandel noch befeuern.

 

Klimaflucht verhindern

Kurz vor dem Klimagipfel in Kopenhagen Ende diesen Jahres zeigen aktuelle Zahlen, wie dramatisch die Situation ist. Selbst mit radikalen Maßnahmen gegen den Schadstoffausstoß kann jetzt nur noch mühsam erreicht werden, dass sich der durchschnittliche Temperaturanstieg aufgrund des Klimawandels auf ein moderates Maß bei 2°C einpendelt. Benötigt wird eine konsequente Kurskorrektur. Die Staats- und Regierungschefs entscheiden in Kopenhagen über die Zukunft der vielen Millionen Menschen, die bereits heute vom Klimawandel betroffen sind. Sie haben es in der Hand, Leid und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Es könnte die letzte Chance sein.

Um die Anpassungsfähigkeit der Menschen an neue Umweltbedingungen zu verbessern, muss an geeigneten Strategien gearbeitet werden. Hierzu gehören beispielsweise neue Landwirtschaftsformen, Küstenschutzmaßnahmen und Knowhow-Transfer. Es ist essentiell für die Menschenrechte und den Erfolg der Maßnahmen, dass bei der Entwicklung die indigen Völker der betroffenen Regionen angehört und beteiligt werden. Sie kennen die Ökosysteme ihrer Heimat und leben in enger kultureller Verbundenheit mit ihrem natürlichen Umfeld.

 

Klimaflucht begegnen

Der Einfluss des Klimawandels auf die Menschenrechte ist Realität – Klimaflucht ist kein Zukunftsszenario, sondern findet statt. Um die drohende humanitäre Katastrophe zu verhindern, müssen Klimaflüchtlinge einen Anspruch auf Unterstützung erhalten. Die Industriestaaten haben eine besondere Verantwortung für die Klimaflüchtlinge und müssen ihre Asylpolitik den realen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anpassen. Den Menschen auf Tuvalu steht das Wasser sinngemäß bis zum Hals – obwohl sie seit vielen Jahren auf die Veränderungen ihrer Umwelt hinweisen und vor den Folgen des Klimawandels warnen. Lange wurden sie nicht ernst genommen, heute kommt die vermeintliche Einsicht der großen CO2-Emittenten zumindest für sie zu spät.