11.12.2008

Khder Kareem Bürgermeister von Halabja im Nordirak

Grußwort zum 40-jährigen Bestehen der Gesellschaft für bedrohte Völker

Göttingen
Sehr geehrte Damen und Herren,

zuallererst möchte ich mich herzlich bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bedanken, dass sie diese wichtige Versammlung ermöglicht hat. Es ist eine Ehre für mich Sie alle zu treffen und mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um dem was in meiner Stadt Halabja passierte, in Zukunft vorzubeugen.

Ich möchte einige Punkte über den Genozid in Irakisch-Kurdistan und über die Be-nutzung von Massenvernichtungswaffen gegen das kurdische Volk sprechen. Die fehlende Zeit hindert mich daran über die Verfolgung und Unterdrückung des kurdi-schen Volkes in allen vier Teilen Kurdistans, in der Türkei, im Irak und in Syrien ins Detail zu gehen; wie auch immer, möchte ich den Fokus auf die Kurden im Irak le-gen.

Seit der Gründung des irakischen Staates 1926 bis zum Sturz von Saddam Husseins Regime 2003, hatten alle Regierungen im Irak die Absicht, die kurdische Nationalität, Kultur und Sprache auszulöschen. Die Kurden kämpften unaufhörlich gegen solche Regime und versuchten Ihr Land zu befreien. Als die Ba’ath Partei im Irak die Macht unter der Führung Saddams ergriff, verschlechterte sich die Situation im Irak, und speziell in den kurdischen Gebieten.

Als Saddam den Irak regierte, benutzte er verschiedene Taktiken gegen die Kurden. Ich kann hier nur einige kurz darstellen:

1 – Arabisierung:

Die Politik der Arabisierung wurde konstruiert, um die kurdischen Gebiete und Bezir-ke mit Arabern zu bevölkern. Vor allem waren die Gebiete in der nahen Umgebung von arabisch-dominierten Städten, oder in den ölreichen Gebieten wie Kirkuk, Kha-naqin, Senjar, Mosul und hunderten anderer Städte und Dörfer betroffen.

Auf Grund dieser Methode, veränderte sich die Demographie dieser Gebiete.

Und nach wie vor, sind die Folgen der Arabisierung das Hauptproblem zwischen den Kurden und der neuen irakischen Regierung.

2 – Verstärkte Migration:

Ein weiteres Verbrechen des Saddam Regimes war die Vertreibung von Kurden aus ihren Dörfern in Konzentrationslager, mit der Absicht die Unterstützung der Pesh-marga-Kämpfer durch die Bevölkerung zu beenden. Als Konsequenz dieser Strate-gie, wurden zuerst mehr als 4500 Dörfer zerstört und anschleißend wurde das Land mit Landminen übersät, um die Menschen an Ihrer Rückkehr zu hindern. Eine andere Methode zur verstärkten Vertreibung war die Verschleppung und Deportation der kurdischen Familien in die Wüste im Süden von Irak.

3 – Ba’athtisierung:

Die Identität von tausenden Studierenden an Universitäten und Schulen wurde durch die Baath-Ideologie zerstört. Das heißt, dass kurdische Jugendliche gezwungen und gedrängt wurden der Ba’ath Partei beizutreten und gegen das eigene Volk zu kämp-fen.

Das barbarische Vorgehen des Regimes gegen die Kurden und die mit ihnen in Kur-distan lebenden Assyrer-Chaldäer-Aramäer, Turkmenen, Christen und Yeziden, ist als Anfal-Kampagne in die Geschichte gegangen.

Anfal steht für den Versuch von Saddams Regime das kurdische Volk auszurotten. Das bedeutete die Zerstörung aller Dörfer, die Festnahme von zehntausenden Zivilis-ten und die Verwendung von chemischen Waffen. Die irakische Regierung führte acht so genannte Anfal- Kampagnen durch. Die Folge waren mindestens 182 000 getötete Kurden. Es wurde keine Ausnahme gemacht: alte Männer, Frauen und auch Kinder wurden Opfer der grausamen Politik. Seit dem Ende der Regierungszeit Sad-dams bis jetzt wurden hunderte Massengräber in den Wüsten im Südirak gefunden.

Nun wenden wir uns dem Fall Halabja zu.

Geschichtlich war die Region Quell vieler Aufstände der Kurden gegen das totalitäre und diktatorische Regime im Irak. Die arabischen Machthaber antworteten stets mit barbarischer Gewalt auf die gerechtfertigten Forderungen der Menschen aus Halab-ja.

Im Jahr 1961 wurde Halabja von der irakischen Armee unter dem Kommandeur O-berst Sdiq zerstört. Daraufhin wurde Halabja 1974 zum ersten Mal mit Napalm-Bomben angegriffen. Über 75 Zivilisten wurden getötet.

Als das irakische Regime 1987 den Versuch unternahm die Dörfer um Halabja um-zusiedeln, demonstrierten die Menschen in der Stadt friedlich gegen diese Vertrei-bungspolitik. Jedoch antwortete die irakische Armee mit Waffengewalt und mehr als hundert Zivilisten wurden getötet. In derselben Nacht sammelte die irakische Armee alle verletzten Personen aus den Krankenhäusern ein und begrub sie bei lebendigem Leib in der Nähe von Halabja. Am folgenden Tag wurden mehr als 600 Häuser durch den Sprengstoff TNT völlig zerstört.

Das brutalste Verbrechen gegen Halabja geschah allerdings am 16. März 1988, als die Stadt mit verschiedenen Arten von chemischen Waffen, wie z.B. Senfgas, Cyani-de und VX, angegriffen wurde. Während des Angriffs starben mehr als 5000 Zivilisten und über 10 000 Menschen wurden verletzt. Eine kleine Gruppe konnte über die Grenze in den Iran fliehen.

Nach den schrecklichen Geschehnissen zerstörte das irakische Regime die Stadt völlig, so dass sie bis 1991 unbewohnt blieb. Bis sich die Kurden befreiten, befanden sich jedoch immer noch der größte Teil der kurdischen Gebiete im Irak.

Zusätzlich möchte ich darauf aufmerksam machen, dass noch immer tausende Men-schen unter den Folgen des chemischen Angriffs leiden, wie zum Beispiel unter Leu-kämie, Asthma, Atemschwierigkeiten und Geburtsfehlern.

Heute ist Halabja immer noch im Wiederaufbau und erholt sich nach und nach von den Angriffen von vor 20 Jahren. Die bewegende Geschichte unserer Stadt soll uns und alle daran erinnern, wofür wir hier sind - niemals soll anderen Menschen das gleiche geschehen müssen, wie den Menschen in Halabja. Deswegen herrscht in unserer Stadt nicht eine Atmosphäre von Rache oder Hass, sondern von Hoffnung und Zuversicht. Die Menschen von Halabja streben nach Frieden als Weg sich mit der Vergangenheit auszusöhnen und ihre Zukunft zu gestalten.

Das Wichtigste ist für uns, dass solch eine Gräueltat nicht mehr geschieht - nirgend-wo. Und so hoffen wir, dass im neuen Irak alle Religionen, Nationen und Ethnien friedlich zusammenleben werden.

Wir möchten der GfbV für ihre wertvolle Arbeit und starke Unterstützung danken, denn als noch niemand von uns sprach, hat die GfbV uns eine Stimme gegeben. So wünschen wir uns, dass die GfbV auch in Zukunft mit ihrem Engagement den unter-drückten Völkern der Welt weiterhin helfend zur Seite steht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.