25.06.2005

Kein Frieden im Sudan ohne Menschenrechte in Darfur

Ein Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker

Göttingen
Zusammenfassung

Im Schatten des Irak-Krieges eskalierten im März/April 2003 schwere Menschenrechtsverlet-zungen der sudanesischen Armee und verbündeter Milizen im Westen des Sudan. Während US-Präsident George W. Bush mit Blick auf die Friedensverhandlungen zwischen der sudanesischen Regierung und der südsudanesischen Freiheitsbewegung Sudan People’s Liberation Army (SPLA) die Friedensbereitschaft der sudanesischen Staatsführung lobte, nahmen in Darfur im Westen des Landes die Kämpfe zwischen der Armee und Freiheits-bewegungen deutlich zu (Associated Press, 23.4.2003). Die afrikanische muslimische Zivilbevölkerung der drei Provinzen Darfurs leidet unter massiven Menschenrechtsverlet-zungen der sudanesischen Armee und den mit ihr verbündeten Milizen, die mit willkürlichen Verhaftungen, politisch motivierten Morden, Überfällen, Brandschatzungen, Plünderungen, Vergewaltigungen, Vertreibungen und Bombardements Terror und Willkür verbreiten.

59 Dörfer der Bevölkerungsgruppe der afrikanischen Fur wurden seit 1996 entvölkert. In den letzten Monaten haben die Angriffe der von der sudanesischen Armee bewaffneten und ausgebildeten Milizen in alarmierendem Umfang zugenommen. Zwischen dem 1. Oktober 2002 und dem 30. Juni 2003 wurden bei 34 Überfällen auf Siedlungen afrikanischer Bevölkerungsgruppen der Fur, Massaleet, Zaghawa, Tama, Bergid, Mima, Kenana und anderer ethnischer Gemeinschaften mindestens 269 Menschen getötet und 76 Personen verwundet. Erst am 18. Juni 2003 starben vierzehn Menschen – unter ihnen sechs Kinder – bei der Bombardierung des Dorfes Kornoy. Bei Angriffen von Soldaten und Milizionären auf elf weitere Siedlungen wurden zwischen dem 17. und 24. Juni 32 Menschen getötet, sieben verletzt und mehr als 300 Häuser, Krankenstationen, Schulen und Geschäfte zerstört. Mehrere tausend afrikanische Muslime sind in Darfur zwischen Mai 1990 und Ende September 2002 nach Schätzungen von Beobachtern bei Überfällen und bewaffneten Auseinandersetzungen zu Tode gekommen. Rund 80.000 Familien flüchteten in diesem Zeitraum vor den Angriffen aus ihren Siedlungen, 18.500 Häuser und über 510 Geschäfte wurden geplündert oder niedergebrannt, 200.000 Stück Vieh wurden geraubt.

 

Die schwerbewaffneten berittenen Milizionäre überfallen auf ihren Pferden und Kamelen die Dörfer und Städte meist vor kurz vor Morgengrauen, so dass die Bewohner kaum eine Möglichkeit haben zu fliehen. Die Angreifer schrecken aber auch nicht davor zurück, Siedler während ihres Freitagsgebets in der Moschee zu überfallen. Leistet die Bevölkerung Widerstand, so werden die Dorfältesten nach dem Überfall regelmäßig von den Sicherheits-kräften verhaftet. Die sudanesische Regierung setzte gemäß dem Notstandsrecht Sondergerichte in Darfur ein, um "Verbrecherbanden" und "Banditentum" wirksam zu bekämpfen. Auch werden neue Armee- und Polizei-Einheiten zur Verstärkung der Sicherheitskräfte nach Darfur verlegt. Doch statt die Straflosigkeit zu beenden und die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen vor einem rechtmäßigen Gericht unter Beachtung rechtlicher Mindeststandards zur Rechenschaft zu ziehen, herrschen in den Sondergerichten Willkür und Rechtlosigkeit. Wahllos wird mutmaßlichen Unterstützern der in Darfur operierenden Freiheitsbewegung Sudan Liberation Army / Movement (SLA / SLM) und Dorfältesten, die sich gegen Übergriffe gewehrt haben, der Prozess gemacht. Ohne ordnungsgemäßen Rechtsbeistand werden mutmaßliche Beteiligte an Massakern und anderen Übergriffen in unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Seit Dezember 2001 haben die Sondergerichte in mehreren Fällen die Amputation von Gliedmaßen gemäß dem traditionellen Scharia-Recht oder die Steinigung von Angeklagten angeordnet. Die meisten Verurteilten sind Angehörige afrikanischer Bevölkerungsgruppen. Statt Recht zu sprechen, wird neues Unrecht verursacht, das nur zu weiteren Spannungen zwischen den ethnischen Gemeinschaften und das Vertrauen in die staatliche Ordnungsmacht weiter untergräbt.

Verstärkt wurden in den vergangenen Monaten Fur, Tunjur und Zaghawa allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit willkürlich verhaftet oder erschossen. Viele der Verhafteten werden festgehalten ohne die Angehörigen über ihren Aufenthaltsort zu informieren. Andere kommen in der Haft gewaltsam zu Tode. So wurde der inhaftierte 42 Jahre alte Suliman Mahmood Nadi aus dem Ort Saraf Omra zu Tode gefoltert, bevor sein Leichnam am 21. Juni 2003 seinen Angehörigen übergeben wurde. Auch in Khartum und anderen Städten im Zentrum des Sudan werden Menschen aus Darfur Opfer von Übergriffen und willkürlichen Verhaftungen durch Sicherheitskräfte.

Die sudanesische Regierung setzt ausschließlich auf eine militärische Lösung des Konfliktes und drohte mit der Zerschlagung jeder bewaffneten Opposition. Ohne sich mit den Hintergründen und Ursachen der Rebellion zu beschäftigen, werden die Aufständischen pauschal als "Banditen" und "Verbrecher" bezeichnet. Der Generalsekretär der Regierungs-partei Nationaler Kongress, Ibrahim Ahmed Omar, kündigte an, die Rebellion mit mili-tärischer Gewalt zu zerschlagen (SUNA, 27.3.2003). Auch der Erste Stellvertretende Staatspräsident Ali Osman Mohamed Taha betonte, es sei notwendig, militärische Gewalt gegen die "bewaffneten Banditen" einzusetzen (Associated Press, 27.3.2003).

Angesichts dieser massiven Drohungen, jeden Widerstand im Westen des Sudan gewaltsam niederzuschlagen, erscheint das jüngste Dialog-Angebot des sudanesischen Außenministers wenig glaubwürdig. Minister Mustafa Ismail rief wenige Tage vor einer Europa-Reise die Menschen in Darfur auf, die Waffen niederzulegen und Gespräche mit der Regierung aufzunehmen (Agence France Presse, 19.6.2003). Der Außenminister versprach, seine Regierung wolle ihre Anstrengungen zu einer besonderen Förderung der Region verstärken. Mit diesem Dialog-Angebot sollten vor allem Kritiker in der Europäischen Union ruhig gestellt werden, ein tatsächlicher Politikwechsel in der Darfur-Frage deutet sich in der sudanesischen Regierung nicht an. So verstärkte die Armee im Juni 2003 ihren Druck auf die Zivilbevölkerung, um jede Unterstützung der Freiheitsbewegungen zu unterbinden. So wurden Brunnen zugeschüttet, um die Bevölkerung zum Verlassen umkämpfter Gebiete zu zwingen. Auch wurden die Meinungs- und Bewegungsfreiheit der in Darfur lebenden Menschen massiv eingeschränkt, um jedes Überlaufen von Zivilisten zu den bewaffneten Aufstandsbewegungen zu verhindern. Mit einer Welle von Angriffen auf von Zivilisten bewohnte Dörfer machten die Sicherheitskräfte und die Milizen im Juni 2003 deutlich, dass Khartum allen Dialog-Angeboten zum Trotz nur an einer gewaltsamen Zerschlagung der bewaffneten Opposition interessiert ist.

Seit Beginn der 80er Jahre schwelt der Konflikt im Westen des Sudan. Schätzungen zufolge sind ihm seit 1984 rund 10.000 Menschen zum Opfer gefallen. Eine umfassende unabhängige internationale Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen und eine Bestrafung der Verantwortlichen scheiterte bislang am mangelnden politischen Willen der sudanesischen Führung. Nicht nur die Militärs und die Regierungspartei Nationaler Kongress, sondern auch vorangegangene demokratisch gewählte Regierungen sind für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. Mit ihrer Politik der Jahrzehntelangen Vernachlässigung der abgelegenen Region haben sie maßgeblich dazu beigetragen, den Unmut in der Bevölkerung zu schüren. Mit der bewussten Bevorzugung einzelner ethnischer Gruppen heizten sudanesische Regierungen nicht nur im Südsudan, sondern auch in Darfur ohnehin bestehende Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen weiter an und provozierten bewaffnete Auseinandersetzungen. Systematisch ließ die sudanesische Staatsführung regierungstreue Milizen arabischer oder arabisierter Bevölkerungsgruppen bewaffnen, um verschiedene ethnische Gruppen gegeneinander auszuspielen. Die von der Armee bewaffneten Milizen schüchtern mit massiven Übergriffen die afrikanische Zivilbevölkerung Darfurs ein, die eine weitere Arabisierung, den Verlust des Landes ihrer Vorfahren sowie eine Vertreibung aus ihrer Heimat befürchtet.

Die gezielte Ausschaltung von Intellektuellen sowie religiösen und weltlichen Führern der afrikanischen muslimischen Bevölkerungsgruppen in Darfur erinnert an den Beginn des Vernichtungsfeldzuges der sudanesischen Armee in den Nuba Bergen in den 80er Jahren. Angesichts der militärischen Schlagkraft der SLA und der Zustimmung, die die bewaffnete Opposition in Darfur genießt, ist eine weitere Zunahme der Repression staatlicher Sicher-heitskräfte im Westen des Sudan zu befürchten. Nicht gewährleistet ist ein wirksamer Schutz der Zivilbevölkerung, die erneut die Hauptlast des Krieges zu tragen hat.

Die jüngste Eskalation der Konflikte im Westen des Sudan macht deutlich, dass ein dauer-hafter Frieden im Sudan nur erreicht werden kann, wenn eine umfassende Friedenslösung für alle Konfliktregionen von den Betroffenen vereinbart wird. Da viele der Konflikte sich gegenseitig beeinflussen, muss ein umfassender Friedensvertrag auch eine Lösung der Konflikte in Darfur, den Nuba-Bergen, in Abyei sowie in Southern Blue Nile enthalten. Zwar hat die sudanesische Führung inzwischen ihre anfängliche Weigerung aufgegeben, den Status dieser umstrittenen Gebiete bei den zur Zeit in Kenia stattfindenden Friedensverhandlungen mit der Sudan People’s Liberation Movement/Army (SPLM/A) zu erörtern. Doch bei den Gesprächen wurden hinsichtlich dieser Konfliktregionen bislang keine nennenswerten Fortschritte erzielt.

Solange Khartum ethnische Gemeinschaften systematisch gegeneinander ausspielt, wird die "Tribalisierung" des Sudan weiter voranschreiten. Die ethnische Zugehörigkeit bekommt immer mehr Gewicht. Da der Staat keinen Schutz bietet, wird die ethnische Gemeinschaft zum einzigen Rückhalt der verängstigten Bürger. Ein konfliktfreies Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gemeinschaften in dem Vielvölkerstaat Sudan wird vor diesem Hintergrund deutlich erschwert.

 

Empfehlungen

- Sofortige Unterzeichnung eines Waffenstillstandes zwischen der sudanesischen Armee und bewaffneten Freiheitsbewegungen in Darfur,

- Aufnahme von Verhandlungen über einen wirksamen Schutz der Bevölkerung vor Landverlust, Vertreibung und Überfällen sowie über eine gezielte Förderung von Entwicklungsmaßnahmen für die jahrzehntelang vernachlässigte Region. Nur ein politischer Dialog kann zu einer wirksamen dauerhaften Befriedung der Region führen,

- Ein dauerhafter und gerechter Frieden ist im Sudan nur möglich, wenn im Rahmen der zur Zeit in Kenia stattfindenden Friedensverhandlungen auch der Status Darfurs und anderer im Norden des Sudan gelegener afrikanischer Siedlungsgebiete umfassend geklärt wird,

- Stopp der Bewaffnung und Ausbildung von Milizen arabischer oder arabisierter Bevölkerungsgruppen, wirksame Entwaffnung aller Milizen,

- Freilassung der politischen Gefangenen,

- Entschädigung der Opfer von Überfällen, Förderung der Rückkehr und des Wiederaufbaus ihrer Dörfer,

- Auflösung der Sondergerichte im Westen des Sudan, da ihre Verfahren nicht juristischen Mindeststandards entsprechen,

- Einsetzung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission, um die schweren Menschenrechtsverletzungen in Darfur zu dokumentieren und eine Strafverfolgung der für die Verbrechen Verantwortlichen zu ermöglichen,

- Ausweitung des von den Konfliktparteien im Südsudan beschlossenen Programms zum Schutz der Zivilbevölkerung auf den Westen des Landes. Dringend notwendig ist eine Verstärkung des internationalen Drucks auf die sudanesische Regierung, damit das Schutzprogramm endlich umgesetzt werden kann,

- Freier Zugang für Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen

 

 

Eskalation der Gewalt

Im Westen des Sudan herrscht Krieg. Ein Krieg, von dem die Weltöffentlichkeit nicht spricht, da er unter Ausschluss von Augenzeugen stattfindet. So haben die sudanesischen Behörden die umkämpften Gebiete im Westen des Landes weiträumig abgeriegelt und insbesondere Ausländern den Zutritt zu der Region verweigert. Aber auch die Bewegungsfreiheit der einheimischen Bevölkerung wurde drastisch eingeschränkt: Von der Armee kontrollierte Städte verwandeln sich in Festungen, um jeden weiteren Landgewinn von Freiheitsbewegungen zu verhindern. So hat die Armee arabische Volksgruppen erneut bewaffnet und mit Mobiltelefonen ausgerüstet, um die Ausgänge von Al Fasher, der Hauptstadt der Provinz Nördliches Darfur, zu bewachen.. Ende April 2003 hatte die Freiheitsbewegung Sudan Liberation Army / Movement (SLA / M) kurzzeitig die Provinzhauptstadt erobert und unter ihre Kontrolle gebracht. Groß ist die Angst der Soldaten vor einer weiteren Solidarisierung der Bevölkerung mit der bewaffneten Opposition. So darf kein Auto die Stadt ohne Genehmigung verlassen, kein Fahrzeug darf ohne behördliche Genehmigung mehr als zehn Liter Treibstoff tanken. Auch wurde den Bewohnern der Stadt der Besitz von Satellitentelefonen, Geländewagen sowie Ersatzteilen für diese Fahrzeuge untersagt (Albayan, 26.5.2003). Ähnliche Bestimmungen wurden auch in den beiden anderen Provinzhauptstädten in Darfur, Niyala und Al Jenaina, erlassen. Jugendliche die im Frühsommer zur Abiturprüfung nach Al Fasher kamen, dürfen die Stadt nun nicht mehr verlassen, um in ihre Heimatdörfer zurückzukehren. Die Behörden befürchten, die jungen Leute könnten sich dem bewaffneten Widerstand in den Bergen anschließen.

Wieder einmal ist es die Zivilbevölkerung, die am meisten unter den Folgen des Krieges leidet. Angehörige der Volksgruppen der Fur, Zaghawa und Tunjur werden alleine aufgrund ihrer ethnischen Abstammung willkürlich verhaftet und der Unterstützung der Aufstandsbewegung beschuldigt. Der 27 Jahre Krankenpfleger Ahmed Adam Hassan Kunjook aus dem Ort Katama wurde am 12. Juni 2003 verhaftet. Sein Schicksal teilte der 42 Jahre alte Suliman Mahmood Nadi aus der Siedlung Saraf Omra. Nadi starb jedoch an den Folgen der in der Haft erlittenen Folter. Sein Leichnam wurde den Angehörigen ohne nähere Erklärungen am 21. Juni 2003 übergeben. Auch weit von ihrer umkämpften Heimat entfernt werden Fur und Angehörige anderer Volksgruppen aus dem Westen des Sudan aufgrund des Krieges Opfer von Menschenrechtsverletzungen. So wurden in der nahe der Hauptstadt Khartum gelegenen Stadt Omdurman am 27. Mai 2003 Geschäfte von Händlern aus Darfur von der Polizei durchsucht und zahlreiche Personen festgenommen. In Khartum wurden der 26 Jahre alte Abbas El-Tijani und der 35 jährige Gamar Eldin Mohamed, die an der dortigen El-Nilein-Universität studieren, verhaftet.

Am meisten fürchtet die Zivilbevölkerung Darfurs aber die Überfälle arabischer Milizen, die von der Armee bewaffnet wurden, sowie die Luftangriffe der sudanesischen Streitkräfte. Allein im Juni 2003 wurden 13 Dörfer von Milizionären überfallen oder von der Armee bombardiert. Dabei wurden mindestens 42 Dorfbewohner getötet und Dutzende verletzt. Mehr als 300 Häuser wurden bei den Angriffen zerstört. Am 24. Juni wurden bei einem Bombardement des Ortes Muzbad eine Krankenstation, Schule und zahlreiche Geschäfte zerstört, vier Menschen starben bei dem Luftangriff.

Verhaftungswelle nach spektakulärem Angriff

Mit Massenverhaftungen reagierten die sudanesischen Sicherheitskräfte auf Kämpfe zwischen der in Darfur operierenden Freiheitsbewegung SLA und der sudanesischen Armee in Al Fasher. Rund 150 Menschen wurden in Al Fasher und zwei anderen Städten festgenommen, nachdem die SLA überraschend Geländegewinne erzielt und mit spektakulären Angriffen auf sich aufmerksam machte. So gelang es der SLA nach eigenen Angaben bei einer Attacke auf Al Fasher am 25. April 2003, vier Apache-Hubschrauber und zwei Antonov-Flugzeuge der sudanesischen Luftwaffe zu beschädigen und Luftwaffen-Generalmajor Ibrahim Bushra Ismail sowie Hauptmann Mubarak Muhammad al-Saraj vom Militärischen Abschirmdienst gefangen zu nehmen (Associated Press, 28.4.2003 / Agence France Presse, 29.4.2003). 75 Soldaten und sieben Zivilisten seien bei dem SLA-Angriff zu Tode gekommen, 32 Armee-Angehörige seien in Gefangenschaft geraten, bestätigten Armee-Sprecher (NDA Radio, 4.5.2003 / Agence France Presse, 6.5.2003).

Nur drei Tage zuvor hatte der Gouverneur des Westlichen Darfur Staates, Omar Haroun, siegesgewiss erklärt, sudanesische Regierungstruppen hätten die SLA aus dem Bergmassiv Jebel Marrah vertrieben und hätten die Kontrolle über die gesamte Region zurück gewonnen (Agence France Presse, 22.4.2003). Nach der Einnahme der an der Grenze zum Tschad gelegenen Stadt Tina durch Einheiten der SLA und der Sudanesischen Föderalistischen Demokratischen Allianz (Sudanese Federalist Democratic Alliance) am 27. März 2003 hatte die sudanesische Armee eine größere Offensive gestartet, um einen weiteren Gesichtsverlust zu verhindern (Agence France Presse, 27.3.2003). Bei dem Angriff auf Tina sollen 56 Menschen zu Tode gekommen sein.

Dem spektakulären Angriff auf Al Fasher folgte eine Welle der Repression. Gouverneur Adam Hamid Mussa verhängte eine nächtliche Ausgangssperre in der Stadt und mobilisierte Armee, Polizei und alle Sicherheitskräfte (Agence France Presse, 26.4.2003). Mindestens 23 Personen, die uns namentlich bekannt sind, wurden seither in der Region Al Fasher wegen vermeintlicher Unterstützung der SLA festgenommen. Über ihren Verbleib gibt es keine Informationen. Bereits am 8.April hatten Sicherheitskräfte in dem südlich von Al Fasher gelegenen Ort Kubkabia vier Angehörige des Volkes der Fur und drei Zaghawa wegen mutmaßlichen Unterstützung der SLA verhaftet (World Organisation against Torture, 25.4.2003). Wenige Tage zuvor hatten Mitarbeiter des Militärischen Geheimdienstes in dem Ort Zalingei zwei Fur und in der nahe der Grenze zum Tschad gelegenen Stadt Al Jenaina vier Zaghawa in Haft genommen. Auch über den Verbleib dieser Personen gibt es keine weiteren Informationen. Es ist zu befürchten, dass sie im Gewahrsam der Sicherheitskräfte misshandelt oder gefoltert werden, um Geständnisse zu erpressen und mehr Informationen über die Aufstandsbewegung zu erhalten.

Nur zwei Tage lang war ein Waffenstillstand in Kraft, der am 18.März 2003 zwischen der sudanesischen Armee und der SLA geschlossen worden war (Al-Khartoum, 19.3.2003). Die SLM kündigte den Waffenstillstand schon wieder am 20. März 2003 auf, da die Armee die Kampfhandlungen nicht eingestellt habe. So hätten zwei Hubschrauber der sudanesischen Armee Bomben abgeworfen, kritisierte die Freiheitsbewegung.

 

Konfrontation statt Dialog

Mehrfach fanden in den letzten Monaten Gespräche zwischen Ministern der Lokalregierung und der SLM /A statt. Noch am 18.März äußerte sich der Kultur- und Sozialminister des Westlichen Darfur Staates, Khalil Adam Abd al-Karim zufrieden zum Stand der Verhandlungen mit der SLM/A (Al-Khartoum, 18.3.2003).

Doch die Gouverneure der drei Bundesstaaten in Darfur und die Regierung in Khartum setzen angesichts des geringen internationalen Interesses an dem Konflikt ausschließlich auf eine militärische Lösung. Dabei werden sie auch massiv von der sudanesischen Staatsführung unterstützt. So wurden im Mai Vertretungen des Innen- und Verteidigungsministeriums sowie der Sicherheitsbehörden in Al Fasher eingerichtet, die von Staatssekretären geleitet werden. Der Vertretung des Innenministeriums steht Ahmed Mohamed Haroun vor, der schon in den Nuba Bergen mit brutaler Gewalt den Vernichtungsfeldzug leitete. Staatspräsident Al Bashir ernannte den ehemaligen General Abdalla Safi Elnour zum Sonderbeauftragten und Minister für den Westen des Landes. Elnour ist verwandt mit Führern arabischer Milizen, die gemeinsam mit der Armee versuchen, gewaltsam den Aufstand niederzuschlagen. Noch immer werden Milizen arabischer Bevölkerungsgruppen von der sudanesischen Armee mit Waffen ausgerüstet und zur Niederschlagung der Aufstandsbewegung eingesetzt. Zwei Tage nach einem Treffen der Staatspräsidenten des Sudan und des Tschad wurde das Grenzgebiet zum Tschad am 14. April 2003 von Khartum zum militärischen Operationsgebiet erklärt (Associated Press, 14.4.2003). Am 25. April 2003 wurde der Ausnahmezustand für die Region erklärt. Massiv verstärken die sudanesischen Behörden den Sicherheitsapparat in Darfur. Innenminister Abdel Rahim Mohamed Hussein forderte am 15 Mai 2003 die übrigen 23 Bundesstaaten im Sudan auf, jeweils eine Kompanie mit rund einhundert Polizisten zur Bekämpfung der "bewaffneten Gruppen" im Westen des Sudan zur Verfügung zu stellen (Agence France Presse, 15.5.2003).

Bemühte sich Khartum noch im Januar / Februar 2003 den Konflikt herunterzuspielen und "kriminelle Banden" für die Gewalt verantwortlich zu machen, so wird inzwischen von offizieller Seite in der sudanesischen Hauptstadt Israel, der südsudanesischen Freiheits-bewegung SPLA, der verfeindeten Regierung in Eritrea und Oppositionsbewegungen im Tschad vorgeworfen, die SLA zu bewaffnen (Agence France Presse, 28., 29.4.2003 / Arabic News, Sudan-Chad Politics, 11.3.2003). Die Regierung des Tschad sicherte Khartum daraufhin zu, jedes Eindringen von bewaffneten Gruppen in das Nachbarland zu verhindern (Sudanile, 1.4.2003). Mit ihren massiven Vorwürfen pflegt die sudanesische Regierung alte Feindbilder, auf die auch in anderen Konfliktgebieten des Landes immer wieder zurückge-griffen wird. Die konkreten Ursachen und Hintergründe der Konflikte im Westen des Landes werden jedoch ignoriert.

 

Zivilisten leiden unter Gewalt

Allein zwischen März und Mai 2003 starben mindestens 415 Menschen bei Kämpfen zwischen der sudanesischen Armee und der SLA. Noch katastrophalere Folgen haben die Überfälle von Milizen arabischer oder arabisierter Bevölkerungsgruppen auf Siedlungen der afrikanischen muslimischen Gemeinschaften der Fur, Massaleet, Zaghawa, Dajo, Tama und Midaub. Zwischen dem 1. Oktober 2002 und dem 30. Juni 2003 kamen bei 21 Angriffen von Milizen 227 Angehörige afrikanischer Bevölkerungsgruppen zu Tode. Mehrere tausend Menschen starben nach Schätzungen von Beobachtern zwischen Mai 1990 und Ende September 2002 bei Übergriffen. Der Sudanesische Innenminister legte am 5. Mai 2003 eine noch erschreckendere Bilanz der Gewalt vor: 870 Personen seien zwischen Januar 2002 und April 2003 bei "Stammeskonflikten" zu Tode gekommen, 741 Menschen seien bei "Raubüberfällen" getötet worden (darunter 180 Zivilisten und 218 Soldaten) (Alwan, 6.5.2003).

Eine genaue Zahl der Opfer kann nicht ermittelt werden, da die sudanesischen Behörden eine unabhängige Untersuchung nicht zulassen. So beruhen viele Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen auf den Schilderungen von Augenzeugen, die unter größtem Sicherheitsrisiko in mühevoller Kleinarbeit Listen mit den Namen der Opfer und einer kurzen Beschreibung des Tathergangs erstellen. Diese Dokumentation des Schreckens in Darfur ist lebensgefährlich. Wer der Weitergabe von Daten an Hilfs- oder Menschenrechtsorganisati-

onen im Ausland verdächtigt wird, muss um sein Leben fürchten.

Die systematische Bombardierung von Dörfern erinnert an den Vernichtungsfeldszug der sudanesischen Armee in den Nuba Bergen. Auch dort legte die Luftwaffe unzählige Dörfer in den 90er Jahren während ihres Völkermordes an den Nuba in Schutt und Asche. Niemand spricht von den Toten, wie der 12 Jahre alten Asha Abbaker und dem 17 jährigen Abdel-Aziz Mohamed Albashir, die bei einem Luftangriff auf das Dorf Marah am 14. Juni 2003 getötet wurden. Weitere sieben Personen kamen bei diesem Bombardement zu Tode.

Nur vier Tage später starben erneut sechs Kinder bei einem Luftangriff. Diesmal traf es das

das Dorf Kornoy, in dem am 18. Juni 2003 vierzehn Menschen Bomben zum Opfer fielen. Noch katastrophalere Folgen hatte ein Überfall auf das Dorf Mulli in der Nähe der Stadt Al Jenaina am 23. April 2003. Nachdem Regierungstruppen zwei Tage zuvor Waffen der Massaleet im Gebiet von Al Jenaina beschlagnahmt hatten, war die Bevölkerung schutzlos den Angreifern ausgeliefert. Bei dem Überfall starben 55 Massaleet, 53 Personen wurden verwundet, Marktstände wurden niedergebrannt, Vieh gestohlen oder abgeschlachtet. Nur wenige Stunden vor dem Angriff waren sieben Dorfbewohner verhaftet worden, sie werden der Unterstützung der SLA verdächtigt. Über ihren Verbleib sind keine Informationen verfügbar.

Als zwei Tage später Massaleet in Al Jenaina gegen das Massaker protestierten und mehr Schutz der staatlichen Sicherheitskräfte forderten, fielen erneut Schüsse. Diesmal starb ein Demonstrant unter den Kugeln der Armee, mehrere Personen wurden verhaftet, unter ihnen die Schwester des Sultans der Massaleet.

Im Nördlichen Darfur Staat flohen im April 2003 Tausende Menschen aus ihren Dörfern, nachdem mehrere Dörfer von der Armee oder verbündeten Milizen angegriffen worden waren. Große Trauer, aber auch Wut löste die Ermordung von Scheich Saleh Dakoro unter den Massaleet aus. Der religiöse Führer wurde im März 2003 auf einer Reise mit seinen Leibwächtern ermordet. Morde an Intellektuellen, weltlichen und religiösen Führern der afrikanischen Bevölkerungsgruppen werden immer in Darfur verübt: Am 8. April 2002 wurde der Massaleet Intellektuelle Ustaz Ahmad Abdul Frag in seinem Haus in Al Jenaina ermordet. Zuvor waren bereits die Massaleet Intellektuellen Dr. Ahmed Dina, Mowlana Hissein Haroun, Omer Barrah Sherif, Ibrahim Yacoub und Azza Deifa erschossen worden. Mit großer Besorgnis verfolgt unsere Menschenrechtsorganisation, dass gezielt Intellektuelle und Dorfälteste unter dem Vorwand verhaftet werden, die Dorfbevölkerung sei bewaffnet gewesen und habe bei einem Angriff Widerstand geleistet. Im März / April 2003 wurden mindestens 43 Dorfälteste, Lehrer, Studenten und andere Intellektuelle unter diesem Vorwand oder aufgrund mutmaßlicher Unterstützung der SLA verhaftet. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt. Während des Vernichtungsfeldzuges der sudanesischen Armee in den Nuba Bergen ging man in den 80er und 90er Jahren ähnlich vor und eliminierte systematisch die intellektuelle Elite der Nuba. Dutzende Nuba-Führer wurden festgenommen und zu Tode gefoltert. Von vielen Verhafteten fehlt bis heute jede Spur. Der Verlust dieser Führungs-schicht macht sich auch nach anderthalb Jahrzehnten noch immer schmerzlich unter den Nuba bemerkbar.

Mit immer neuen grausamen Überfällen verbreiten Milizen arabischer oder arabisierter Bevölkerungsgruppen Schrecken und Angst unter der afrikanischen Bevölkerung Darfurs. Am Freitag, dem 17. Mai 2002, griffen Milizen am Mittag den Wochenmarkt von Habila Kanare an, als viele Gläubige in der Moschee beteten. Bei dem Überfall wurden 14 Massaleet getötet und 18 Menschen verletzt.

Nur drei Tage später, am 20.5.2002, drangen Milizionäre in das Dorf Korkore ein. Sechs Massaleet starben bei der Attacke. Es war bereits der vierte Angriff auf die Siedlung in diesem Jahr.

Am 11. Juni 2002 wurden die drei Dörfer Daltang, Bredya und Gokar überfallen. 12 Massaleet kamen dabei zu Tode, zwei Mädchen wurden vergewaltigt, 130 Stück Vieh wurden gestohlen. Die meisten der Angriffe finden kurz vor dem Morgengrauen statt, so dass die Bewohner der Siedlung im Schlaf überrascht werden und kaum eine Chance haben, zu fliehen oder sich zu verteidigen.

Mehr als einhundert berittene Milizionäre fielen mit ihren Pferden und Kamelen kurz nach dem Mittagsgebet am Freitag, dem 5. Oktober 2002, in die Stadt Kidigneer ein, als die ahnungslosen Gläubigen gerade die Moschee verließen. Fünf Fur wurden bei den Kämpfen getötet, acht Personen wurden verwundet. Allein zwischen dem 1. Oktober 2002 und dem 24. Dezember 2002 wurden 109 Fur bei Überfällen getötet und 44 Menschen verletzt. Dutzende Frauen wurden vergewaltigt. Tausende Dorfbewohner flohen aus Angst vor Übergriffen in die Städte. Zwischen dem 25. und 30. Dezember 2002 wurden bei zwei Angriffen auf Siedlungen im Südlichen Darfur Staat 18 Menschen getötet. 1.000 Stück Vieh wurden geraubt. Die Liste dieses Grauens lässt sich beliebig fortführen.

 

Keine Gerechtigkeit für die Opfer

Nur in den wenigsten Fällen kommt es zu Verhaftungen von Milizionären durch sudanesische Sicherheitskräfte. Dank der engen Kooperation mit der Armee ist ihnen Straflosigkeit fast sicher. Zwar haben die sudanesischen Behörden seit 2001 gemäß den Notstandsgesetzen Sondergerichte in Darfur eingesetzt. Diese Gerichte sind jedoch berüchtigt für ihre Missachtung grundlegender rechtlicher Mindeststandards. Am 27. April verurteilten sie 24 Angeklagte wegen ihrer Teilnahme an Überfällen zum Tod durch Erhängen. Die Angeklagten hatten keine ordnungsgemäßen Prozessvertreter und durften seit ihrer Verhaftung im Januar auch keinen Kontakt zu ihrer Familie und ihrem Rechtsanwalt haben. Unfaire Gerichtsver-fahren wie diese sind in den Sondergerichten an der Tagesordnung. Vor diesen Sonder-gerichten müssen sich vor allem Angeklagte verantworten, die der Unterstützung der aufständischen SLA verdächtigt werden. Somit sind die Sondergerichte ein wichtiges Instrument der sudanesischen Behörden, um die Repression zu verstärken. Anstatt staatliche Autorität wiederherzustellen und einen wirksameren Schutz der Zivilbevölkerung vor Übergriffen zu garantieren, verursachen sie noch mehr Spannungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen und schüren das Misstrauen gegen die Politik der Regierung.

 

Freiheitsbewegung will keine Sezession

 

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion über die Verwirklichung des Selbstbe-stimmungsrechts der afrikanischen Völker im Sudan wurde ein öffentliches Bekenntnis der SLM / SLA zur Einheit des Sudan mit großem Interesse registriert. So versicherte die SLM in einer am 13. Juni 2003 veröffentlichen Grundsatzerklärung, sie kämpfe nicht für eine Loslösung Darfurs aus dem sudanesischen Staatsverband. Vordringliche Ziele seien eine gerechtere Machtverteilung, eine größere Beteiligung Darfurs an Erlösen aus der Rohstoffförderung, eine stärkere Machbeteiligung der Region in der sudanesischen Politik

sowie eine verstärkte Förderung von Wirtschaft und Entwicklung in Darfur. Die SLM / SLA will vor allem eine weitere Marginalisierung der afrikanischen Bevölkerungsgruppen verhindern und die Diskriminierung dieser ethnischen Gemeinschaften stoppen. Eng wolle die Bewegung mit der im Untergrund operierenden oppositionellen National Democratic Alliance (NDA) zusammenarbeiten, um eine Demokratisierung des Sudan zu fördern. Die Freiheits-bewegung, die noch bis Februar 2003 unter dem Namen Darfur Liberation Front (DLF) operierte, erfreut sich mit diesem populären Programm einer sehr breiten Unterstützung in der afrikanischen Bevölkerung Darfurs.

Unterstützt werden diese Forderungen auch von zahlreichen Organisationen der Zivilge-sellschaft der Fur, Massaleet und anderer afrikanischer Bevölkerungsgruppen im Westen des Sudan sowie von den beiden im Exil tätigen Parteien Sudanesische Föderalistische Demokratische Allianz (Sudan Federalist Democratic Alliance) und der Sudanesischen Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (Sudanese Movement for Justice and Equality). Sie sind sich mit der bewaffneten Oppositionsbewegung darin einig, dass ein dauerhafter und gerechter Frieden in Darfur nur erreicht wird, wenn die traditionellen Landrechte der afrikanischen Bevölkerungsgruppen respektiert werden und die jahrzehnte-lange Vernachlässigung durch die Zentralregierung überwunden wird.

 

Zivilbevölkerung besser schützen

Angesichts der Eskalation der Kämpfe in Darfur im März/April 2003 muss der Schutz der Zivilbevölkerung dringend verbessert werden. Auch in anderen Krisengebieten des Sudan beachten die Konfliktparteien in der Regel nicht grundlegende Menschenrechte der Zivilbevölkerung und behindern die humanitäre Versorgung der notleidenden Menschen. Im Südsudan zog man daraus die Konsequenzen und die Konfliktparteien unterzeichneten im Oktober 2002 ein Memorandum über die Aussetzung der Kämpfe (Memorandum of Understanding on Cessation of Hostilities / MOU), in dem beide Parteien zusichern, der aus Western Upper Nile vertriebenen Bevölkerung sofort die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen und Hilfsorganisationen freien Zugang zur notleidenden Bevölkerung zu ermöglichen. Am 5. Februar 2003 unterzeichneten die Konfliktparteien eine zusätzliche Vereinbarung, die unter anderem die Einsetzung zusätzlicher Überwachungsteams (Verification and Monitoring Team / VMT) vorsieht, um die Einhaltung der Schutzbe-stimmungen zu überprüfen. Die Überprüfungsteams sollen eng mit bereits bestehenden Kommissionen (Civilian Protecting Monitoring Teams / CPMT) zusammenarbeiten, die sich für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen. Diese waren auf Initiative des US-Sonder-gesandten für den Sudan, Senator John Danforth, im März 2002 gebildet worden. Ihr Mandat wurde im März 2003 erneut um ein Jahr verlängert.

Der Einsatz beider Teams ist notwendiger denn je zuvor, um einen wirksamen Schutz der Zivilbevölkerung sicherzustellen und um zu überwachen, ob die Konfliktparteien grundlegende Bestimmungen des humanitären Völkerrechts beachten. Doch noch ist das Mandat der CPMT unzureichend und mangelhaft formuliert, so dass die sudanesischen Behörden mehrfach Recherchen der Überwachungsteams verhinderten. Normalerweise informiert das CPMT das sudanesische Außenministerium über geplante Überwachungs-missionen, das wiederum den Militärischen Sicherheitsdienst informiert, damit er den Schutz des Überwachungsteams bei dem Einsatz sicherstellt. Nachdem der Sudanesische Militärische Sicherheitsdienst feststellte, dass das CPMT alle Übergriffe auf Zivilisten recherchiert und meldet, weigert er sich, Untersuchungsteams des CPMT eine Freigabe für Recherchen zu erteilen. Seit dem 7. März 2003 konnte das CPMT daher keine Untersuchungsmissionen entsenden. Die internationale Staatengemeinschaft sollte die sudanesische Regierung nachdrücklich auffordern, die Arbeit des CPMT nicht länger zu behindern. Auch sollte das Mandat der Untersuchungsteams deutlicher formuliert werden, um weitere Behinderungen zu vermeiden. Angesichts der Eskalation der Gewalt im Westen des Landes sollte sich die internationale Staatengemeinschaft dringend dafür einsetzen, das Mandat der CPMT auf Darfur auszuweiten, um die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung zu stoppen.

 

Ursachen des Konflikts in Darfur

Seit Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts nahmen die Spannungen zwischen arabischen, arabisierten und afrikanischen Bevölkerungsgruppen in Darfur deutlich zu. Rund vier Millionen Menschen leben in den drei Provinzen Nördliches, Westliches und Südliches Darfur, in die westlichste Region des Sudan aufgeteilt wurde. Die zum Teil arabisierten Fur stellen mit rund 750.000 Menschen die größte Bevölkerungsgruppe in der Region. Sie sind es auch, die Darfur, der "Heimat der Fur", den Namen gegeben haben. Doch traditionell sind ungeachtet dieses Namens auch zahlreiche andere afrikanische oder arabisierte und arabische Bevölkerungsgruppen angesiedelt.

Die Fur leben meist als Bauern im Zentrum Darfurs, den fruchtbarsten Gebieten der Region. In den Hochebenen des nun zwischen SLA und sudanesischer Armee umkämpften Jebel Marrah Bergmassivs sind die Böden fruchtbar und trotz der geographischen Nähe zur Sahelzone ist relativ viel Wasser zur Bewirtschaftung von Feldern verfügbar. Dort leben auch die afrikanischen Bevölkerungsgruppen der noch wenig arabisch sprechenden Massaleet, Bergid und Tama sowie die vollkommen arabisierten Gruppen der Tungur und Berti.

Im Osten und Süden Darfurs leben arabische Nomaden wie die Rezeigat, Beni Halba und Habbaniya. Die wirtschaftliche Nutzung dieses Gebietes ist bereits schwieriger als im Zentrum des Landes, da Klimaschwankungen auch immer wieder Dürren verursachen. Viele der dort ansässigen Gruppen betreiben Viehzucht.

Am schwierigsten sind die Lebensbedingungen in dem vom Sahel-Klima geprägten Norden Darfurs, in dem traditionell die arabischen Kamel-Nomaden der Beni Hussein, Mahamid, Irayqat und Mahariya sowie die arabisierten Zaghawa und Bedeyat leben. Periodisch auftretende Dürren erschweren das Überleben in dieser unwirtlichen Region. Diese Dürren sind kein neues Phänomen, sondern ereignen sich seit Jahrhunderten. Im 19. Jahrhundert wurde dieses Gebiet von 17 zum Teil lange anhaltenden Dürren heimgesucht.

Diese schwierigen ökologischen Bedingungen blieben natürlich nicht ohne Folgen für das Zusammenleben der ethnischen Gemeinschaften. So streiten die Fur-Bauern traditionell immer wieder mit Viehzüchtern und Kamelnomaden um die Nutzung des Landes und der spärlichen Wasser-Ressourcen. Doch diese Konflikte eskalierten nicht in einen länger andauernden Krieg.

Dies änderte sich erst Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Zwischen 1982 und 1985 dezimierte eine der schlimmsten Dürren in der Sahelzone die Viehbestände und die Vorräte aller in der Region lebenden Völker. Hinzu kam eine Eskalation des Bürgerkrieges im benachbarten Tschad, der nicht ohne Folgen für Darfur blieb. Die verschiedenen Bürger-kriegsparteien im Tschad nutzten Darfur als Nachschubbasis und Waffenlager. Mehr als 50.000 Waffen waren Mitte der 80er Jahre in Darfur im Umlauf. Warlords aus dem Tschad bauten paramilitärische Milizen, wie die "Islamische Brigade", auf und erklärten Darfur zu ihrem Operationsgebiet. Auch Libyens Staatschef Muammar Al Gaddafi sah in Darfur Chancen, seine Politik eines "arabischen Afrika" voranzutreiben und rief arabische Bevölkerungsgruppen dazu auf, das Land afrikanischer Gemeinschaften in Besitz zu nehmen.

Zur Verschärfung der Konflikte zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen trug auch die Einführung regionaler Regierungen im Sudan im Jahr 1980 bei. In der Auseinandersetzung um die Kontrolle der Regionalregierung wurde in den 80er Jahren die Frage der Zuggehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe zum entscheidenden Faktor.

Anders als im Südsudan haben die schweren Auseinandersetzungen in Darfur auch nicht teilweise einen religiösen Hintergrund. Alle betroffenen Bevölkerungsgruppen sind Muslime sunnitischen Glaubens.

Die sudanesischen Regierungen haben sich seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1956 wenig um Darfur gekümmert. So ist das Gebiet katastrophal unterentwickelt, das Straßennetz und die Infrastruktur sind unzureichend, viele Menschen haben keinen Zugang zu Strom und fließendem Wasser, es mangelt an Schulen und Krankenhäusern. Ausländische Nichtre-gierungsorganisationen bemühten sich zwar um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Auch das Land Niedersachsen engagierte sich schwerpunktmäßig mit Entwicklungsprojekten in Darfur. Doch konnten diese Bemühungen nur punktuell die Lebensverhältnisse verbessern, da es allen seit der Unabhängigkeit des Landes amtierenden Regierungen des Sudan am politischen Willen fehlte, die Vernachlässigung Darfurs zu überwinden. Wer aus Darfur in die Hauptstadt reiste, fühlte sich aufgrund seiner dunklen Hautfarbe oft diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse behandelt. Unter dem Regime des Staatspräsidenten Jafar Numeiri (1969-1985), der sich am 25. Mai 1969 mit einem Staatsstreich an die Macht putschte, wurden dunkelhäutige Bürger auf den Straßen Khartums von der Polizei aufgegriffen und gewaltsam nach Darfur deportiert. Für die in Khartum Regierenden gewinnt diese Region nur an Interesse, wenn Aufstandsbewegungen in Darfur drohen, ihren Machterhalt zu gefährden. So ließ der Militärmachthaber Omar Hassan Al Baschir 1991 die Armee massiv intervenieren, als die südsudanesische Freiheitsbewegung SPLA militärische Erfolge in Darfur errang. Um den Einfluss der SPLA einzudämmen, ordnete die Regierung die zwangsweise Umsiedlung der Fur im Südwesten Darfur in von der Armee kontrollierte Dörfer an. Diese Zwangsum-siedlung begünstigte arabische Bevölkerungsgruppen, die in der Folgezeit das Land der Fur in Besitz nahmen.

Meist beschränkte sich die Zentralregierung darauf, die verschiedenen ethnischen Gruppen gegeneinander auszuspielen, um die Arabisierung Darfurs voranzutreiben und den Machterhalt in der Hauptstadt zu sichern. So ließ die demokratisch gewählte Regierung unter Präsident Sadiq El Mahdi (1986-1989) arabische Baggara-Viehnomaden bewaffnen. Ihre Milizen sollten die Arabisierung Darfurs vorantreiben und die Armee beim Kampf gegen die SPLA unterstützen. Auch die arabisierten Zaghawa bewaffneten sich, die Fur erhielten wiederum Waffen von Aufständischen im Tschad. Dies führte zu einer enormen Militari-sierung Darfurs, so dass nach 1987 immer mehr Kämpfe zwischen einzelnen ethnischen Gemeinschaften ausbrachen. Besonders umkämpft war zwischen Fur und arabischen Gruppen das Bergmassiv Jebel Marrah. Angesichts der katastrophalen Dürre in der Sahelozone drängten immer mehr Bewohner des nördlichen Darfur in fruchtbarere Gebiete im Zentrum der Region. Für die Nomaden war dies eine Frage des Überlebens, da sie von staatlicher Seite keine Hilfe bei der Bekämpfung der Dürre zu erwarten hatten. 1987 schlossen sich 27 ara-bische Nomaden-Gruppen zu einer "Arabischen Allianz" und erklärten nicht-arabischen Gruppen den Krieg. Schon damals behauptete die demokratisch gewählte Zentralregierung, ausschließlich "Banditen" seien für die Kämpfe verantwortlich. Heute argumentiert Khartum ähnlich und bestreitet jeden politischen Hintergrund der bewaffneten Auseinandersetzungen.

Erst nach öffentlichen Protesten von Bürgern aus Darfur in Khartum und wachsendem Druck sudanesischer Parlamentsabgeordneter auf die Regierung wurde 1989 eine Friedenskonferenz einberufen, an der neben Fur auch Angehörige verschiedener arabischer Gruppen teilnahmen. Rund 5.000 Fur und 400 Araber waren seit Mitte der 80er Jahre bei den Kämpfen und Überfällen gestorben. Die Friedenskonferenz, bei der über zahlreiche strittige Fragen beraten wurde, führte zu einer zeitweiligen Beruhigung der Lage. Zu Einer Entspannung trug auch bei, dass die von Darfur aus operierende Aufstandsbewegung unter Idris Deby die Macht im Tschad übernahm.

Doch die Lage beruhigte sich nur kurzfristig. Im Mai 1991 übergaben Zaghawa Militärmacht-haber Al Baschir ein Memorandum, in dem sie ein sofortiges Ende der Massaker an Zaghawa und eine Bestrafung der Verantwortlichen forderten. Auch kritisierten die Zaghawa die Abschaffung der "direkten Verwaltung" der Region durch die Militärregierung. Die "direkte Verwaltung" sah vor, dass die Region von den traditionellen Führern der dort lebenden ethnischen Gemeinschaften verwaltet wurde. Nach der Abschaffung dieser traditionellen Verwaltungsstrukturen, teilte die Militärregierung die Verwaltungsbezirke in "Emirate" ein und ernannte die ihnen vorstehenden "Sultane". Auch warfen die Zaghawa der hinter der Militärregierung stehenden radikal-muslimischen National Islamic Front (NIF) vor, die Bevölkerungsstruktur Darfurs gewaltsam zu verändern und kritisierten die fortschreitende Arabisierung der Region.

Systematisch bewaffnete und bildete die Armee Milizen arabischer oder arabisierter Bevöl-kerungsgruppen aus, die mit ihren Überfällen nicht-arabische Bevölkerungsgruppen terrorisierten. Zwischen Mai 1990 und Ende September 2002 starben nach Schätzungen von Beobachtern rund 5.000 Menschen bei Überfällen und bewaffneten Auseinandersetzungen. Rund 80.000 Familien flüchteten in diesem Zeitraum vor den Angriffen aus ihren Siedlungen, 18.500 Häuser und über 510 Geschäfte wurden geplündert oder niedergebrannt, 200.000 Stück Vieh wurden geraubt. 350.000 Massaleet suchten in anderen Landesteilen Zuflucht, 30.000 Massaleet flohen in den benachbarten Tschad. Willkürliche Verhaftungen, Überfälle, Plünderungen, Raub, Vergewaltigungen, politisch motivierte Morde und unfaire Gerichtsverfahren haben seit Anfang der 90er Jahre nochmals deutlich zugenommen.

War es in den 80er Jahren für die Dürre-Opfer aus der Sahelzone eine Frage des Überlebens, neue Siedlungsräume zu erschließen, so hat sich seither der Charakter der Auseinanderset-zungen in Darfur deutlich gewandelt. Nicht "Banditen" sind für die meisten Übergriffe verantwortlich, sondern von der Armee ausgerüstete und ausgebildete Milizionäre. Mit der Bewaffnung und militärischen Ausbildung arabischer Bevölkerungsgruppen wurden die heute amtierende sudanesische Staatsführung und die vorangegangene demokratisch gewählte Regierung mitverantwortlich für die schweren Übergriffe auf afrikanische Bevölkerungs-gruppen. In Khartum ignorierte man die zahlreichen Berichte über Massaker und Überfälle der verbündeten Milizen sowie die faktenreich vorgetragenen Klagen der Betroffenen. Machthaber Al Baschir unterließ es, den Schutz der in Darfur lebenden sudanesischen Bürger afrikanischer Abstammung sicherzustellen. Mit der Einrichtung von Sondergerichten wurde nur neues Unrecht gefördert. Die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverlet-zungen blieben meist straflos.

Mit der Eskalation der Gewalt in Darfur in den letzten Monaten droht sich im Westen des Landes eine Tragödie zu wiederholen, die in den 90er Jahren Tausende Nuba das Leben kostete und die traditionellen Strukturen der Nuba-Gesellschaft zerstörte. In den Nuba Bergen betrieben die sudanesische Armee und verbündete Milizen eine Politik der Vernichtung, um die Bevölkerungsstruktur grundlegend zu verändern, um die Kontrolle über fruchtbares Land zu gewinnen und um die bewaffnete Oppositionsbewegung zu zerschlagen. Mit dem Erstarken der SLA in Darfur droht eine Verschärfung der bewaffneten Auseinandersetzungen. Leidtragende werden vor allem die Zivilbevölkerung und die afrikanischen Bevölkerungs-gruppen sein, die in der Führung in Khartum keine Lobby haben.