04.05.2009

Journalistikstudent bangt noch immer um seine Freilassung

Sayed Parvez Kaambakhsh

Sayed Parvez Kaambakhsh

Im Oktober 2007 verhaftete der afghanische Geheimdienst (NDS - National Directorate for Security) den 23jährigen afghanischen Studenten Sayed Parvez Kaambakhsh in der nordafghanischen Stadt Mazar-i Sharif. Er studiert Journalistik an der Balkh-Universität und hatte Artikel über Frauen- und Kinderrechte in Jahan-e Naw (Neue Welt) veröffentlicht. Er wollte seinem Bruder Yaqub, dem berühmtesten Anti-Warlord-Journalisten Afghanistans, nacheifern. Dann zeigte ihn eine Gruppe von Professoren und Studenten an: Er habe den Propheten Mohammed beleidigt, indem er einen Text aus dem Internet heruntergeladen hatte, der die Haltung des Propheten zu Frauen kritisiert. Diesen soll er mit Anmerkungen versehen an der Balkh-Universität verteilt haben. Der lokale Rat islamischer Geistlicher empfahl im Dezember 2007 die Todesstrafe. Im Januar 2008 folgte das islamische Sicherheitsgericht der Provinz Balkh diesem Votum und verurteilte ihn zum Tode. Im Mai 2008 begann in Kabul das Berufungsverfahren. Über dessen eklatante Mängel berichtete "bedrohte Völker – pogrom" bereits (Nr. 248, 3/2008).

Die unermüdlichen Bemühungen von Parvez’ Bruder Yaqub und seines Anwalts Mohammad Afzal Nooristani sorgten dafür, dass die im Juni 2008 auf unbestimmte Zeit vertagte Verhandlung wieder aufgenommen wurde. Doch die letzte Sitzung des Berufungsverfahrens im Oktober 2008 mutierte zu einem handfesten Skandal: Der einzige von der Anklage präsentierte Augenzeuge, Parvez’ Mitstudent Hamid, zog seine Aussage zurück. Er erklärte, der NDS habe ihn festgehalten, ihn und seine Familie bedroht und so seine Aussage gegen Parvez erpresst. Außerdem erhärtete er die zuvor von Parvez’ Anwalt erhobenen Foltervorwürfe. Er hatte den Angeklagten kurz nach dessen Festnahme im Gefängnis besucht und Folterspuren festgestellt. Das Gericht wandelte das Todesurteil jedoch nur in eine 20jährige Haftstrafe um. Zurzeit warten Parvez und seine Familie darauf, dass seine Akte dem Obersten Gerichtshof zugestellt wird.

Laut afghanischer Gerichtsordnung hätte der Prozess am 30. August 2008 beendet sein müssen. Das bisher festgelegte Strafmaß ist in den Gesetzen nicht vorgesehen. Entlastungszeugen wurden nicht zugelassen. Hinweisen, die eine Intrige an der Universität nahelegen, wurde nicht nachgegangen. Folterwürfe wurden nicht überprüft, sondern lediglich mit einem allen internationalen Richtlinien widersprechenden Gutachten entkräftet.

Doch nicht Parvez, sondern sein Bruder Yaqub Ibrahimi, der berühmteste Anti-Warlord-Journalist Afghanistans, ist das eigentliche Ziel der Verfolgung. Seit Februar 2007 erhielt er viele Morddrohungen. Doch Yaqub setzt seine Arbeit unermüdlich fort: Ende Juni 2008 veröffentlichte er beim Institute for War and Peace Reporting (iwpr) den Bericht "Wie man afghanisches Heroin zu Kalaschnikows macht". Darin beschreibt er einen Marktplatz an der afghanisch-tadschikischen Grenze, auf dem Waffen gegen Drogen gehandelt werden – auch unter den Augen deutscher ISAF-Soldaten. Dieser Bericht machte so viel Wirbel, dass der Marktplatz von den Behörden geschlossen werden musste. Ein anderer Bericht führte zur Entlassung des Polizeichefs einer Provinz: Er hatte Milizen, die ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigten, gedeckt. Im Januar 2009 wies Yaqub in einem Artikel nach, dass einige Verantwortliche für Massenmorde von 1997 bis 2001 die Massengräber inzwischen plündern, um Beweise für ihre Verbrechen verschwinden zu lassen. Kurz nach der Veröffentlichung begannen genau diese Personen, nach Yaqubs Verbleib zu forschen.

Yaqub wird weiterhin alles tun, damit sein Bruder das Kabuler Zentral-Gefängnis als freier Mann verlassen darf. Bis dahin können wir uns nur wundern, wie wenig die internationale Gemeinschaft gegen ein zerstörtes Justizsystem, eine korrupte Verwaltung und die im Norden Afghanistans fest in der Hand der Provinzgouverneure etablierte Warlordmacht vorzugehen imstande ist.