21.12.2006

Irokese, Gesellschaftskritiker, Visionär – und immer Schelm.

Zum Tode von John Mohawk Sotsisowah

John Mohawk

Unser Beiratsmitglied John Mohawk starb, 61 Jahre alt, Anfang Dezember. Claus Biegert würdigt das Leben des indianischen Philosophen und Historikers der Seneca Nation.

 

Draußen war es heiß, es war Ende Mai, ins Zimmer fiel kaum Licht, er saß neben dem Fenster, dessen Vorhänge geschlossen waren. Das Holzhaus war klein und brüchig, wie die meisten Häuser auf dem Seneca-Reservat Cattaraugus südlich der Universitätsstadt Buffalo im Staat New York. Seine Stimme war melodisch, sein Englisch damals fast zu schwer für mich. Ich hatte, ausgelöst durch den Aufstand von Wounded Knee 1973, als junger Journalist meinen Fuß gerade in das indianische Amerika gesetzt und war von indianischen Händen in die Richtung geschoben worden, in der ich John Mohawk treffen würde. Immer wieder bekam ich zu hören: "You gotta meet Johnny Mohawk!"

 

Jetzt saß ich ihm gegenüber, er hatte so viele Fragen an mich, wie ich an ihn. Er war Philosoph, Gesellschaftskritiker und Visionär. Dabei hatte er die Gabe scharfer Analyse; was mitunter wie eine prophetische Eingebung klang, war schlicht das Ergebnis radikalen und präzisen Denkens. Und er war ein Schelm, das vermittelten seine runden Augen, sein runder Kopf und sein runder Bauch gleich auf Anhieb. Als Schlußpunkt folgte immer ein unnachahmliches, meckerndes Gelächter. Ende der Siebziger Jahre übernahm Sotsisowah, so sein indianischer Name, die Chefredaktion der "Akwesasne Notes", der größten indianischen Zeitung, die bei den Mohawks von Akwesasne herausgegeben wurde. Über Jahre pflegten wir den Brauch, dass ich einfach das Tonband anstellte und er sprach auf, was ihm durch den Kopf ging. Immer verglich er dabei das Heute mit dem Gestern, die weiße Gesellschaft mit der indianischen. Wenn immer ich seine Worte veröffentlichte, war das Echo groß.

 

Drei Aussagen ragen aus den Aufzeichnungen der Siebziger Jahre heraus: " Der Krieg der Zukunft wird zwischen den Zerstörern der Natur und den Verteidigern der Natur ausgetragen werden." – "Grün, die Farbe des Natur, wird eine politische Farbe werden." – "Was Ihr Demokratie nennt, genügt uns nicht. Für uns ist es nicht demokratisch, wenn eine Mehrheit regiert und eine Minderheit mißachtet wird." Als Seneca sprach er immer aus der Sicht der Haudenosaunee, jenem 800 Jahre alten Völkerbund der Irokesen (Mohawk, Cayuga, Oneida, Onondaga, Seneca, Tuscarora), in dem Konsensus oberstes Gebot ist, in dem die Frauen die Häuptlinge wählen und absetzen, in dem jedes politische Handeln dem Großen Gesetz des Friedens folgt und stets an den möglichen Auswirkungen auf die kommenden sieben Generationen gemessen wird.

 

Ich lausche seiner Stimme jetzt in meiner Erinnerung und lasse die vielen Bilder unserer 33jährigen Freundschaft vorüber ziehen. Dabei schieben sich jene Abende in den Vordergrund, an denen wir kochten oder aßen, in jedem Fall aber über Essen sprachen, denn John liebte es über die weltweite Vielfalt der Nahrungszubereitung zu referieren. Einmal sprachen wir drei Abende lang über die Kulturgeschichte des Essens. Das war in Owl's Head, tief im Wald der Adirondaks, dort hatten Anfang der Achtziger Jahre die Redaktion der "Akwesasne Notes" ihren Sitz.

 

Von dort aus machte er sich als Autor einen Namen, und es war kein Wunder, dass ihm bald die State University of New York in Buffalo ein Angebot machte. Er schrieb seine Doktorarbeit über die Kultur der Haudenosaunee, avancierte zum Professor und war bald ein über die Landesgrenzen hinaus bekanntes Mitglied der Fakultät für American Studies (Center for the Americas). Seine Vorträge ließen sich ohne Übertreibung als legendär bezeichnen. Wenn er nicht schreiben konnte, wurde er ruhelos. Sein am meisten verbreitetes Werk schrieb er anonym: "Basic Call to Consciousness", die Schrift, mit der die Delegation der Haudenosaunee im September 1977 vor die Vereinten Nationen in Genf trat, schrieb er allein; doch da das Wissen vieler Klanmütter und Ältesten mit einfloß, entschied er sich, nicht als Autor in Erscheinung zu treten. Die nächste Publikation, "Exiles in the Land of the Free" nennt ihn neben Oren Lyons aus Onondaga als Herausgeber. Erst die dritte Arbeit, das dokumentarisches Zivilisations-Epos mit dem Titel "Utopian Legacies" (Clear Light Publishers, 1999), ließ ihn als Autor sichtbar werden. Von 1987 bis 1995 gab er die Zeitung "Daybreak" heraus, anschließend produzierte er laufend Kolumnen, sowohl für seine Website www.prophecyandsurvival.com als auch für die Zeitung "Indian Country Today". Zweimal – 200 und 2001 – wurde er für seine journalistischen Leistungen mit den "Native American Journalism Association Best Historical Perspective of Indigenous People Award" geehrt. Zwei nahmhafte indianische Institutionen – Seventh Generation Fund und Indian Law Resource Center – zählen ihn zu ihren Gründern.

 

Nicht nur die akademischen Fähigkeiten begründeten seinen Ruf – als Friedensstifter fungierte er bei den bewaffneten Auseinandersetzungen von Raquete Point in Akwesasne (1981) und Oka in Quebec (1990), wo sich in beiden Fällen Polizei und Mohawks gegenüberstanden; in Raquete Point ging es um die Verletzung des Hohheitsrechts, in Oka um die Bedrohung alter Grabstätten durch die Erweiterung eines Golfplatzes. Als 1980 während der Besetzung der US-Botschaft und Geiselnahme in Teheran eine Untersuchungskommission in den Iran flog, war John Mohawk dabei. Nicht anders, als Michail Gorbatschow 1990 zur "World Conference on Human Survival" nach Moskau einlud.

 

Doch dürfen die spektakulären Erscheinungen in der Öffentlichkeit nicht darüber hinwegtäuschen, dass er am liebsten seiner Arbeit nachging – nicht nur am Schreibtisch, sondern auch auf dem Traktor. Sein Studium alten Saatguts der Ureinwohner galt vor allem den Maissorten, die seine Vorfahren gezüchtet hatten und die er wieder zum Sprießen brachte. Zusammen mit seiner, 2005 verstorbenen Frau Yvonne Dion-Buffalo gründete er die Organisationen "Restorative Development Initiative" und "First Nations Development Institute". Glück lag auf seinem Gesicht, wenn er seltenem Saatgut auf der Spur war. Zuletzt geschah dies im Oktober 2006 bei der "Seed Sovereignity Conference" im Tesuque Pueblo in New Mexico, als ihm ein Farmer der Tohono Od'ham aus dem Süden Arizonas eine Handvoll kleiner weißer Bohnen entgegenstreckte, genau jene, nach denen John seit Jahren gesucht hatte.

 

Jetzt wird er, zusammen mit Yvonne, seine Hände schützend über alle halten, die den Saat-Multis die Stirn bieten.