07.08.2010

Irak: Deutschland darf Aufnahme verfolgter Christen nicht stoppen

Appell-Übergabe an Jürgen Trittin (li.): "Mehr Irak-Flüchtlinge aufnehmen!"

Irak

Aus bedrohte völker_pogrom 260, 3/2010

Auf Grundlage eines Beschlusses der EU-Innenminister im November 2008 verpflichtete sich die Bundesregierung, 2.500 irakische Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien aufzunehmen.

Inzwischen ist dieses Kontingent ausgeschöpft: Am 27. April 2010 landeten die letzten 181 Flüchtlinge aus Syrien in Hannover. Wie auch alle anderen Neuankömmlinge zuvor, wurden die 181 Flüchtlinge für die ersten beiden Wochen ins Grenzdurchgangslager Friedland gebracht. Anschließend wurden sie zu Integrationskursen auf die Bundesländer verteilt. Einige Flüchtlinge verblieben zunächst noch im Krankenhaus in Hannover, um medizinisch versorgt zu werden.

Lagerleiter Heinrich Hörnschemeyer zieht nach einem Jahr positive Bilanz: "Die Zusammenarbeit aller an der Aufnahmeaktion beteiligten Stellen einschließlich der Menschenrechtsorganisationen und der Kirchen hat reibungslos funktioniert. Die Aufnahme der Flüchtlinge ist somit erfolgreich verlaufen."

Nachdem die GfbV anfangs allein stand mit ihrer Forderung nach einer Aufnahme verfolgter irakischer Christen, zogen infolge unserer kontinuierlichen Lobbyarbeit und des öffentlich generierten Drucks auch die Bundesregierung sowie die Kirchen nach. Andere EU-Länder haben sich im Gegensatz dazu nicht gerade rühmlich hervorgetan. Von den 10.000 irakischen Flüchtlingen, die die EU aufnehmen wollte, sind bislang lediglich 4.240 auch hier eingetroffen.

Abgesehen von Großbritannien mit 580 und Schweden mit 536 Aufnahmen sind die Bemühungen anderer Länder kaum erwähnenswert: 42 Flüchtlinge kamen in Belgien unter, 28 in Luxemburg, 26 in Dänemark, 23 in Frankreich und 7 in Irland.

Ein Großteil der in Deutschland aufgenommenen Iraker gehört zu verfolgten und diskriminierten, religiösen Minderheiten, darunter über 1.110 Christen, 454 Mandäer und 5 Yeziden. Aber auch Personen, die dringend medizinische Hilfe benötigen, sowie alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern fanden in der Bundesrepublik Asyl.

Angesichts der Tatsache, dass in Folge der Schreckensherrschaft Saddam Husseins und des eskalierenden islamischen Extremismus mittlerweile 2,7 Millionen Iraker innerhalb und 2,5 Millionen Menschen außerhalb des Landes auf der Flucht sind, erscheint ein Kontingent von 2.500 wie ein "Tropfen auf dem heißen Stein".

Schon seit Jahren fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker die Aufnahme von mindestens 50.000 Anhängern vor allem verfolgter Minderheiten und Religionsgemeinschaften. In ihrer Heimat werden sie bedroht, verfolgt und gefoltert. Auch die prekäre Lage in den Flüchtlingslagern in Syrien, Jordanien und der Türkei bietet kaum Perspektiven für ein Leben in Würde und Unversehrtheit. Weder Jordanien noch Syrien sind der UN-Flüchtlingskonvention beigetreten, die Türkei nur mit wesentlichen Vorbehalten. So

werden Flüchtlinge oft nur kurze Zeit in den Nachbarstaaten geduldet. Sie besitzen keine Arbeitserlaubnis und ihren Kindern wird häufig der freie Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen versagt. Auch die Aufnahmekontingente der Nachbarstaaten sowie des autonomen Bundesstaates Kurdistan im Nordirak sind inzwischen weitgehend ausgeschöpft. Weitere Aufnahmen würden die ohnehin desolate wirtschaftliche und soziale Situation der jeweiligen Länder nur verschärfen.

Auch Deutschland hat sich am Völkermord an Minderheiten im Irak während der Herrschaft des Saddam-Regimes zwischen 1979 und 2003 mit schuldig gemacht und trägt deshalb auch jetzt noch eine gewissen Verantwortung für das Schicksal der heutigen Flüchtlinge. Deutsche Firmen waren nicht unwesentlich beteiligt am Aufbau der irakischen Giftgasindustrie und Aufrüstung der irakischen Armee. Allein vor diesem Hintergrund ist es die Pflicht der Bundesrepublik, weitere irakische Flüchtlinge aufzunehmen. Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) seien mindestens 60.000 irakische Flüchtlinge als "Härtefälle" einzustufen, die unter derzeitigen Umständen nicht in den Irak zurückkehren können. Schätzungen der GfbV belaufen sich sogar auf bis zu 200.000. Deshalb fordern wir die weitere Aufnahme von irakischen Flüchtlingen, solange sich die Lage im Irak nicht stabilisiert hat und sich Minderheiten im Irak weder rechtlich geschützt, noch in ihrer Umgebung sicher fühlen können.