07.03.2007

INTERVIEW MIT DR. DAKHIL SAID KHIDIR

Zu den gewaltsamen Ereignisse in der Region Shekhan:

Dr. Said Khidir (m.) mit Martin Kobler (l.) und Tilman Zülch (r.) - Foto: U. Fahlbusch

Mossul/Göttingen

Am 15. Februar 2007 kam es zu Gewaltausbrüchen in der irakisch–kurdischen Stadt Shekhan, die immer noch verwaltungsmäßig an die Provinz Mossul angegliedert ist. Hintergrund der Angriffe kurdisch-muslimischer Bewohner auf kurdisch-yezidische Nachbarn war ein Familienkonflikt. Eine kurdisch-muslimische Frau war vor ihrem Mann geflohen, von dem sie sich terrorisiert und tyrannisiert fühlte. Zwei kurdisch-yezidische Sicherheitsbeamte nahmen sie in ihrem Fahrzeug mit. Das erzählte sie später auch ihrer Familie. Einige Familienmitglieder warfen ihr daraufhin Ehebruch vor und bedrohten sie mit dem Tod. Auch die kurdisch-yezidischen Beamten sollten getötet werden. {bild1}

Der Famlienkonflikt gipfelte in gewalttätigen Übergriffen auf kurdisch-yezidische Einrichtungen und Personen und konnte erst mit Hilfe der Sicherheitskräfte aus Akre und Duhok unter Kontrolle gebracht werden. Mehrere Personen wurden verhaftet, die Vorkommnisse werden untersucht.

Um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen, führte Dr. Kamal Sido, Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), ein telefonisches Interview mit Dr. Dakhil Said Hidir, einem ortskundigen Beiratsmitglied der GfbV Sektion Kurdistan/Irak durch.

Können Sie uns kurz schildern, wie es am 15.02.2007 zu den Zwischenfällen in Shekhan gekommen ist?

Said Khidir: Der Konflikt kam aufgrund von Eheproblemen der Frau ins Rollen. Es war bereits bekannt, dass die Frau große Schwierigkeiten in ihrer Ehe hatte und von ihrem Mann unterdrückt wurde. Sie entschied sich zu flüchten und zu ihren Eltern zurückzukehren.

Nach meinen Informationen übergaben zwei kurdische Beamten yezidischen Glaubens am 15. Februar 2007 eine kurdische Frau muslimischen Glaubens den örtlichen Sicherheitskräften, die wiederum die Frau zu ihrer Familie zurückbrachten. Die Beamten hatten die Frau in ihrem Wagen mitgenommen und wollten ihr helfen.

Als die Familie der Frau erfuhr, dass sie mit zwei yezidischen Männern unterwegs gewesen sei, unterstellten sie ihr, ein Verhältnis zu den beiden gehabt zu haben. Deshalb wollten einige Familienmitglieder sie bestrafen. Die beiden konnten jedoch nicht aufgespürt werden.

Während der Suche strömten immer mehr Menschen zusammen und die Stimmung eskalierte. Der Mob vermutete, dass sich die beiden yezidischen Beamten im Haus des geistlichen Oberhauptes der Yeziden, Herrn Mir Tahsin Beg, befanden. Wie sich später jedoch herausstellen sollte, war der Geistliche nicht zu Hause. Auch die beiden Gesuchten konnten dort nicht aufgefunden werden. Der Mob entlud seine Wut, indem er einige Autos von Mir Tahsin Beg in Brand setzte.

Im weiteren Verlauf verlagerte die aufgebrachte Menge die Aktionen auf das Kulturzentrum Lales (Navenda Cand un Hunere ya Lalese) und versuchte, es niederzubrennen. Bei dieser Institution handelt es sich um eine staatliche Einrichtung, welche von Yeziden betrieben wird. An dieser Institution befand sich sowohl die kurdische Flagge der Regionalregierung als auch die Portraits von Mustafa Barzani und Celal Talabani. Doch das schreckte die Täter nicht davon ab, das Gebäude in Brand zu setzen. Außerdem wurde eine Mehrzweckhalle mit dm Namen Husein Bave Shekh angezündet. Ein Teil des Mobs war bewaffnet.

Wir vermuten, dass ein großer Teil der Meute von außerhalb in die Stadt gekommen ist, um berechnend Unruhe zu stiften und eine Eskalation herbeizuführen.

Am Abend des gleichen Tages rückten dann Polizeieinheiten der kurdischen Regionalregierung von auswärts an und brachten die Situation unter Kontrolle. Insgesamt 19 Verdächtige wurden verhaftet, wobei nach weiteren 80 Beteiligten der Gewaltaktionen gefahndet wird. Unter den Festgenommenen befinden sich auch beiden yezidischen Beamten von der Kurdistanischen Regionalregierung (KRG) und Familienangehörige der Frau.

Tags darauf kehrte der Geistliche Mir Tahsin Beg in die Stadt zurück. Er rief die kurdischen Yeziden und Muslime nochmals zur Ruhe auf.

Später haben wir erfahren, dass die kurdisch-muslimische Frau von der eigenen Familie auf grausame Art und Weise ermordet wurde.

Wie reagierte die Regionalregierung (KRG) in Arbil auf die Ereignisse?

Said Khidir: Am 21. Februar lud Masud Barzani, Präsident der Regionalregierung in Kurdistan eine große Anzahl yezidischer Vertreter nach Arbil ein. Auch ich war persönlich vor Ort als Mitglied dieser Delegation. In dieser Abordnung befand sich die gesamte geistliche Führung der Yeziden im Irak ("Meclisi Ruhani").

Das Gespräch mit Masud Barzani wurde teilweise im Fernsehen übertragen. Er sicherte auch im Namen des irakischen Präsidenten Celal Talabani seine volle Unterstützung zur vollständigen Aufklärung der Ereignisse in Shekhan zu. Er führte weiterhin aus, dass die Regierung gegenüber den Gewalttätern in der Rechtsprechung Härte zeigen werde, damit derartige Ereignisse sich nicht wiederholen.

Bei dem Gespräch sprach Präsident Barzani dem geistigen Oberhaupt der Yeziden Mir Tahsin Beg seinen Dank aus, da dieser mit seinen besänftigenden Aussage bedeutend zur Beruhigung der Lage beigetragen habe. Die Regionalregierung werde nicht zulassen, dass sowohl Leib und Leben yezidischer Kurden als auch ihre religiösen Einrichtungen bzw. ihr Eigentum bedroht werden können. {bild2}

Wie sieht die derzeitige Lage in Shekhan aus?

Said Khidir: Sie ist recht stabil und recht normal. Viele kurdische Einwohner muslimischen Glaubens besuchen mittlerweile das geistige Oberhaupt Mir Tahsin Beg und bringen sowohl ihre Anteilnahme als auch ihre Unterstützung zur Geltung und bedauern, dass es zu solchen traurigen Ereignissen gekommen ist.

Mittlerweile ist sogar die Familie der ermordeten Frau bei Mir Tahsin Beg erschienen und hat betont, dass sie mit einer gerichtlichen Untersuchung der Vorkommnisse einverstanden wäre. Es ist zu erwähnen, dass die Polizei aufgrund des Mordes an der jungen Frau zuvor bereits einige Familienmitglieder festgenommen hatte.

Wie konnte es zu solchen Übergriffen kommen, obwohl die kurdischen Yeziden seit 1991 kontinuierlich zu mehr Freiheiten und Rechten in Kurdistan gelangen konnten und als gleichwertig anerkannt werden?

Said Khidir : Es ist bedauerlich, dass sich aus einem familiären Streit beinahe ein konfessioneller Konflikt entwickeln konnte. Ich vermute, dass Kräfte von außerhalb einen konfessionellen Konflikt provozieren wollten. Aufgrund des umsichtigen Handelns der kurdischen Regionalregierung unter Führung von Präsident Barzani und des yezidischen Geistlichen Mir Tahsin konnte eine Eskalation abgewendet werden.

In einigen Erklärungen aus dem Ausland ist von einer getöteten vergewaltigten yezidischen Frau die Rede. Was können sie hierzu sagen?

Said Khidir: Tatsächlich wurde am 16. Februar eine Frau getötet. Diese Tat ereignete sich jedoch in Badre und nicht in Shekhan und hat mit den Ereignissen in Shekhan nichts zu tun. Es handelt sich um eine Familientragödie, in der ein yezidischer Mann seine yezidische Frau tötete.

Handelt es sich um bewusst gestreute Gerüchte, wenn ja, wer könnte hinter solchen Gerüchten stecken?

Said Khidir: Es handelt sich auf jeden Fall um Gerüchte. Diese werden von Anhängern des Saddam–Regimes und der Baath–Partei bewusst eingesetzt, um ethnische und konfessionelle Konflikte zu schüren und Instabilität innerhalb der Region zu schaffen. Denn trotz der angespannten sicherheitspolitischen Lage im Irak kann man sagen, dass die Situation in Kurdistan stabil ist und Yeziden, Christen und Muslime friedlich miteinander leben.

Meine Vermutung geht dahin, dass Yeziden die Unruhen schüren und Gerüchte in Umlauf bringen, in denen Yeziden nicht als Kurden, sondern eher als Araber angesehen werden. Diese sollen auch Verbindungen zu den Nachbarstaaten des Iraks haben.

Was können wir Ihrer Meinung nach in Europa tun?

{bild3}Said Khidir: Eigentlich nichts. Es war aber sehr positiv, dass sich viele kurdische Vereine - yezidische wie muslimische - zu den Ereignissen in Shekhhan geäußert haben und besorgt waren. Alle haben die Übergriffe verurteilt. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker, deren Beiratsmitglied ich in der GfbV-Sektion Kurdistan/Irak bin und an deren Büro-Eröffnung in Arbil wir gemeinsam mit dem deutschen Botschafter Martin Kobler aus Bagdad, dem Präsidenten der GfbV International Tilman Zülch und Vertretern der yezidischen, assyro-chaldäischen und turkmenischen Bevölkerung teilnahmen, war in ständigem Austausch mit uns.